Das dritte Buch der Chronik

Seit der biblischen Zeit bis zur Gegenwart

 

 

 

 

 

 

 

 

Herausgegeben von

ARCHA NOACH, z.s.

Staré Hamry, CZ

www.archanoach.com

Verantwortlich: D. Sever

 

 

 

September 2017

 

 

 

 

 

 

 

 

Druck:
TISKDO1000.CZ

 

 

 

 

 

 

Keine Rechte vorbehalten

Nachdruck und Vervielfältigung ganz oder auszugsweise gestattet

 

 

 

 

I n h a l t s v e r z e i c h n i s

 

Titel                                                                                         Seite

 

Teil    E I N S:           Kapitel 1-7……………………..... .............1

 

Teil   Z W E I:           Kapitel 1-7……………………………….23

 

Teil   D R E I:            Kapitel 1-7……………………………….48

 

Teil   V I E R:            Kapitel 1-7……………………………….71

 

Teil   F Ü N F:           Kapitel 1-7……………………………….90

 

Teil   S E C H S:        Kapitel 1-7………………………..…….109

 

Teil   S I E B E N:     Kapitel 1-6…………….………………..130

 

D E R     R U F     G O T T E S……………….………….…..151

 

Teil   S I E B E N:      Kapitel 7………..…….……………......168

 

Erklärung  des  Verantwortlichen……………………………..170

 


T e i l     E I N S                  KAPITEL 1

 

1 Die Himmel rühmen die Herrlichkeit Gottes, vom Werk seiner Hände kündet das Firmament. 2 Ein Tag sagt es dem andern, eine Nacht tut es der andern kund, ohne Worte und ohne Reden, unhörbar bleibt ihre Stimme. 3 Doch ihre Botschaft geht in die ganze Welt hinaus, ihre Kunde bis zu den Enden der Erde. 

4 Es ist schon lange her, seit König Kyros die Juden nach Jerusalem zurückkehren ließ. 5 Als König Darius das Persische Reich regierte und in Makedonien König Philippus  an  der  Macht  war,  amtierte  in  Jerusalem  der  Hohepriester  Jaddus. 

6 Judäa mit Jerusalem genoss zu dieser Zeit eine Atempause und erfreute sich als persische Provinz und Tempelbezirk einer gewissen Selbstständigkeit.  7 Zwischen den Makedoniern und den griechischen Stadtstaaten gab es Rivalitäten und es herrschte ein unterschwelliger Kampf um die Vormachtstellung. 8 Da die Makedonier als neu aufsteigende Macht von den anderen griechischen Städten als Barbaren betrachtet wurden, gab es Anlass zu immer neuen Zwistigkeiten und Reibereien. 

 

9 Doch bevor wir die Ereignisse, welche sich seit damals zugetragen haben, der Reihe nach niederschreiben, müssen wir unseren Blick in die Vergangenheit schweifen lassen. 10 Geheimnisvoll und unmerkbar ist das Wirken Gottes in der Welt!  11 Aber nur dort, wo auf die Zeichen der Zeit nicht geachtet wird und diese somit nicht erkannt werden, und nur für diejenigen, welche die Liebe Gottes nicht kennengelernt oder nicht angenommen haben.  12 Offenkundig dagegen, obwohl oft schwer annehmbar, ist Gottes Wirken für diejenigen, welche Er erwählt hat und die seine Erwählung angenommen haben. 13 Die Folge der Geschehnisse seit der Erschaffung der Menschen und der Übergabe der Erde an Adam und Eva bis auf die heutige Zeit nennen wir: die Ereignisse der Tage. 14 Die Verderbtheit der Menschen und das böse Trachten ihrer Herzen hatten zur Entfremdung zwischen ihnen und ihrem Schöpfer geführt. 15 Als Folge der Entfremdung und der Verhärtung ihrer Herzen kam die Urflut über die Menschen und über alles, was auf der Erde lebte.  16 Auch nach der Flut verfielen die Nachkommen Noahs bald der gleichen Sündhaftigkeit, wie sie vor der Urflut herrschte.  17 Vielleicht war dies der Grund, warum es dem Herrn gefiel, sich einen Menschen auszusuchen, um ihn zum Stammvater eines Volkes – seines Volkes - zu machen. 18 So wurde erschaffen, so wurde berufen, so wurde auserwählt: Gottes Volk aus Abraham, Isaak und Jakob. 19 Eine Erwählung im eigentlichen Sinne war das nicht, denn es gab keine Wahl; man sollte besser von der Erschaffung des Volkes Israel sprechen, weil es als „Erstgeborener Sohn“ und „Gottes persönliches Eigentum“ durch viele, viele Jahre hindurch von ihm erschaffen wurde. 20 Gott liebte die Menschen so sehr, dass Er sie trotz bitterer Enttäuschungen als Partner in der Verwaltung der Erde einsetzte und ihnen immer wieder seine Bündnisse anbot.  21 Den ersten Bund mit Noah stiftete Er sozusagen mehr seiner selbst wegen, damit ihn der Regenbogen an  das  Versprechen  erinnerte,  nie  mehr  die ganze Menschheit zu vernichten. 22 Sein Bund mit Abram war schon ein richtiger Vertrag mit Namensänderung, Landgebung und Beschneidung.  23 Abraham und seiner Nachkommenschaft wurde für immer verbindlich auferlegt, alle männlichen Nachkommen zu beschneiden, als sichtbares Zeichen des ewigen Bundes.  24 Ferner wurde Abraham und  später  seinem  Enkel  Jakob  das  Land  Kanaan als ewiger Besitz übergeben. 25 Mit der Beschneidung fing auf der Erde ein neues Zeitalter an.  26 Seit damals erkennt man die Nachkommen Abrahams an diesem deutlichen körperlichen Zeichen. 27 Seit damals erneuern und bestätigen die Menschen von Generation zu Generation mit ihrem Blut, das bei der Beschneidung als Unterschrift vergossen wird, Gottes Bund mit Abraham.   28 Seit damals übertragen die männlichen Nachkommen Abrahams diesen Bund auf ihre Frauen, wobei bei der ersten Vereinigung wieder Blut fließt, als Unterschrift der Frauen. 29 Viele Male und auf vielerlei Weise hat Gott auf diesen Bund der Beschneidung aufgebaut, ihn erweitert, zusätzliche  Bündnisse  geschlossen,  ohne  ihn  jemals  zurückgenommen zu haben.

 

30 Aber auch die Beschnittenen, die Erwählten, wurden halsstarrig und hartherzig, und Gott suchte immer wieder neue Wege, baute neue Brücken, um ihnen zu helfen.   31 Jahrhundertelang ließ Gott sein Volk in Ägypten sich vermehren, wachsen und reifen.  32 Als dann die Zeit erfüllt war, holte Er es auf eine einmalige, wunderbare Weise in das Land der Verheißung. 33 Diese Ereignisse sind in den heiligen Schriften ausführlich beschrieben und werden deswegen hier nicht weiter ausgeführt. 34 Viele Jahre hatte Israel gebraucht, um sich zwischen Gott und der Welt zurechtzufinden. 35 Richtig gelungen war ihm das nie.  36 Viele Anführer, Helden und Richter hatten gewirkt, bis endlich einer kam, an dem Gott ein besonderes Gefallen hatte: König David.  37 Unter ihm wurden die Israeliten als Gottes Volk mit dem Heiligtum in Jerusalem gefestigt und geordnet. 38 Es schien endlich alles gut zu werden. 39 Aber schon bald nach Salomos Tod spaltete sich das Volk, entzweite sich das, was Gott zusammengefügt hatte. 40 Die Folgen der Spaltung spürten die Stämme Israels noch in den nachfolgenden Generationen.  41 Die darauffolgenden Tage, Monate und Jahre wurden regelrecht schwanger mit Ereignissen. 

 

42 Viele von diesen Ereignissen sind für immer vergessen und aus dem Gedächtnis der Israeliten verschwunden. 43 Manche wurden von den Geschichtsschreibern der damaligen Zeit festgehalten, viele fanden Eingang in die heiligen Schriften.  44 Die vorliegende Aufzeichnung der Ereignisse beginnt in einer Zeit des Umbruchs. 45 Die Reiche der Erde gehen zugrunde, Könige werden gestürzt, neue Reiche entstehen, neue Herrscher kommen, neue Sitten verbreiten sich in der Welt.  46 Die Propheten des Gottesvolkes schweigen schon seit längerem, es ist eine unsichere Zeit. 47 Althergebrachte Gewohnheiten und Denkweisen werden verworfen und durch neue ersetzt oder modifiziert, weil das nach Meinung mancher Leute der Menschheit Fortschritt bringen würde.  48 Frieden bringt es jedenfalls nicht, was auch die vielen Kämpfe und Kriege zwischen den griechischen Stadtstaaten und den Makedoniern belegen.  49 Als die Makedonier in der Schlacht von Chaironeia die Allianz von Athen und Theben besiegten, mussten beide Parteien eine Friedensvereinbarung aushandeln.  50 Die Lösung fand man im Korinthischen Bund, in dem alle griechischen Städte außer Sparta unter dem Makedonen König Philippus als Hegemon vereint waren. 51 Dieser wurde jedoch etwas später ermordet und sein junger Sohn Alexander trat die Nachfolge an. 52 Voller Tatendrang führte Alexander einen Eroberungskrieg nach dem anderen, meistens überaus erfolgreich.  53 Das bestärkte ihn umso mehr in seiner Absicht, Persien zu erobern, ja sogar sein Reich bis nach Indien auszudehnen.  54 Eigentlich wollte er bis an die Enden der Erde vorstoßen. 55 Damals ereignete sich in Judäa eine schon lange absehbare Spaltung.  56 Die Samaritaner trennten sich von den Jerusalemer Juden und brachten von nun an ihre Opfer auf dem Berg Garizim in Samaria dar.  57 Zu der Zeit besiegte Alexander das Heer des Perserkönigs Darius und nahm dessen Mutter, Frau und Kinder gefangen. 58 Über Tyros und Gaza kämpfte sich Alexander bis nach Ägypten vor.  59 Von der Priesterschaft und den Bürgern Jerusalems wurde Alexanders Heer freundlich begrüßt. 60 Diese Tatsache sicherte Jerusalem und Judäa weitere Selbstständigkeit in der Ausübung ihrer Riten sowie Befreiung von manchen Abgaben. 61 König Alexander hatte durch seine Eroberungen ein großes und mächtiges Reich geschaffen. 62 Doch verstarb er unerwartet und ohne eine fest geregelte Nachfolge.  63 Sein Reich wurde unter seinen Feldherren aufgeteilt. 64 Aber die Gier der Nachfolger, ihr Streben nach immer mehr Land und Macht, ließ sie nicht mit dem Erhaltenen zufrieden sein.

                                                                                                                  

 65 So verwickelten sie sich in zahllose Intrigen und Kriege. 66 Die Bevölkerung des ehemaligen Perserreiches konnte nicht zur Ruhe kommen. 67 Machtkämpfe und Schlachten brachten viel Elend über die Provinzen.  68 Viele Menschen verloren ihr Leben, viele wurden zu Krüppeln.  69 Auch viele jüdische Söldner kämpften für verschiedene Feldherren. 70 Manche von den Überlebenden, die aus verschiedenen Teilen der Welt heimkehrten, brachten Kunde von fremden Lebensweisen. 71 Es wurde vom Leben in Indien und Karthago erzählt, die meisten Erzählungen handelten jedoch von den hellenistischen Städten und Provinzen.  72 Man wusste von vielen weisen Menschen zu berichten, welche viel nachgedacht, tiefsinnig geredet, und von welchen manche auch über alles Mögliche in der Welt geschrieben hatten.  73 Es wurde von neuen Ideen erzählt, von Schulen, Vorträgen, Wettstreiten in Reden, von den Versuchen, die Welt neu  beziehungsweise  anders  zu  gründen,  wenn  nicht  sogar  neu  zu  erfinden.  74 Dort wurde das Denken herausgelöst aus dem Alltagsleben, aus dem Sorgen für Familie, Lebensunterhalt und Arbeit. 75 Ganz oder teilweise befreite man sich aus dem normalen Leben aller sterblichen Menschen, beobachtete Berge, Meere, Flüsse, Firmament, las in alten Schriften, schaute anderen Menschen bei ihrem Alltagstreiben zu und grübelte, grübelte, grübelte… 76 Ein jeder dieser Weisen hatte seine eigenen Gedankengänge, kreiste in den Bahnen des eigenen Geistes, zog seine eigenen Rückschlüsse.  77 Und auf einmal wurde ihnen die Welt der Begriffe und Worte neu erschlossen; in ihrem Geist taten sich „neue Welten“ auf, eine neue Lebensanschauung wurde geboren.

 

78 Und obwohl sich die meisten dieser Menschen untereinander nicht mochten und sich manchmal verbal bis aufs äußerste bekämpften, hatten sie eins gemeinsam: die neue Art und Weise auf die Welt und das Leben zu schauen.  79 Man war der festen Überzeugung, erfolgreich nach dem Himmel gegriffen zu haben und den Geheimnissen der Schöpfung auf die Spur gekommen zu sein. 80 Dies schien Grund genug, um den Menschen zumindest als Halbgottheit zu betrachten, wiewohl man das nicht laut aussprach.  81 Später sammelte man die neugewonnenen Erkenntnisse   verschiedener  Denker  und  machte  sie  zum  allgemeinen  Gedankengut. 82 Trotz immensen Fortschritts des menschlichen Geistes erkannte man den einzig wahren Gott nicht, sondern es wimmelte nur so von Göttern, Halbgöttern, Heroen und Götzen in den griechischen Städten.  83 Der Mensch selbst – seine eigene Größe, Stärke und Weisheit bewundernd, ja anbetend -  wurde zum größten Götzen. 84 Für den Untergang der auf Weisheit aufgebauten Vormacht der griechischen Städte sorgten die Makedonier. 85 Dennoch sollte man die Anstrengungen der Weisen nicht geringschätzen, geschweige denn verurteilen, auch wenn sie nicht zu den richtigen Ergebnissen geführt hatten. 86 Darin manifestierte sich ihr Sehnen nach Wahrheit, Urgrund und Sinn des Lebens und der Welt. 87 Sie hatten damit versucht, die Leere in ihren Herzen auszufüllen, jene Leere, welche in jedem Menschen als Folge der Unkenntnis des wahren Gottes besteht.  88 Den einzig wahren Gott hatten sie zwar nicht entdeckt, dafür aber viele Wege erschlossen, auf denen man weitersuchen konnte. 89 Sie hatten viele Räume des Geistes freigelegt, in denen man Gott finden konnte, wenn man demütigen Herzens und belehrbaren Geistes war.  90 In Anbetracht ihres Eifers bei der Gottsuche kann man nur ausrufen:  Wie glücklich müssten sich die Israeliten schätzen, denen Gott schon vor so langer Zeit die ganze Wahrheit offenbart hat! 

91 Die Machtkämpfe von Alexanders Nachfolgern nutzten die griechischen Städte, angeführt von Athen, um mit einem Befreiungskrieg zu beginnen.  92 Sie warteten schon lange auf die passende Gelegenheit, um die makedonische Herrschaft abzuschütteln. 93 Nach den anfänglichen Erfolgen gerieten die Griechen immer mehr in Bedrängnis.  94 Die Flotte von Athen wurde in der Seeschlacht bei Amorgos von den Makedoniern vernichtend geschlagen.  95 Dadurch verlor Athen die Vormachtstellung auf der See.  96 In der darauffolgenden Feldschlacht konnten die Griechen ihre Stellung noch halten, erlitten aber so große Verluste, dass sie den Makedoniern, angeführt von Antipater, den Frieden anbieten mussten. 97 Antipater war zwar gewillt, den Friedensvertrag zu schließen, allerdings mit jeder griechischen Stadt separat. 98 Das wurde jedoch vom Bund der  griechischen  Städte  abgelehnt. 99 Daraufhin griff Antipater zuerst die thessalischen Städte an, eroberte sie blitzschnell und diktierte ihnen die Friedensbedingungen. 100 Das Bündnis der griechischen Städte brach danach zusammen. 101 Einige Städte zogen ihre Soldaten zurück, damit sie sich zu Hause auf eine Weiterführung des Krieges vorbereiten konnten, andere wiederum schlossen separaten Frieden mit Antipater.   102 Als Antipater mit seinem Marsch nach Attika begann, schickten ihm die Athener eine Delegation entgegen, um einen Friedensvertrag auszuhandeln. 103 Antipater ließ jedoch nicht mit sich verhandeln, also wurden sie gezwungen, den Frieden zu seinen Bedingungen anzunehmen. 104 Nachdem Antipater dann auch noch die peloponnesischen Städte unterworfen hatte, kehrte er nach Makedonien zurück, um zum Krieg gegen die Aitoler zu rüsten, die sich als Einzige weigerten, den diktierten Frieden anzunehmen. 

 

105 Als er mit über dreißigtausend Soldaten in Aitolien einmarschierte und die ersten aitolischen Städte eroberte, erreichte ihn die Nachricht, dass Perdikkas in Asien die ganze Macht an sich zu reißen versucht hatte. 106 Er unterbrach seine Angriffe und zog mit dem Heer nach Asien, um gegen den Reichsregenten Perdikkas Krieg zu führen und sich so die Herrschaft als Alexanders Nachfolger zu sichern. 107 Die Aitoler nutzten seine Abwesenheit und marschierten bis in die Lokris vor,  schlugen  dort  das  makedonische  Heer und besetzten einige Städte.  108 Sie verbündeten sich mit den letzten freien Teilen Thessaliens und bildeten so ein ansehnliches Heer.  109 Dieses wurde geteilt, wobei eine Hälfte nach Aitolien marschieren, die andere, unter dem Kommando des Feldherrn Menon, in Thessalien bleiben sollte. 110 Die Letztere wurde kurz darauf von den Makedoniern unter dem Kommando von Polyperchon besiegt und Menon getötet. 111 Das war vorerst die letzte kriegerische Handlung in Griechenland. 112 Nach dem Tod von Antipater wurde Griechenland wieder Schauplatz vieler Kämpfe um die Nachfolge. 113 Aus dem zweiten Nachfolgekrieg ging Antigonos als herausragender Sieger hervor, der dann seine Macht erweiterte und festigte.  114 Die übrigen Nachfolger sahen dem mit großem Misstrauen zu und verbündeten sich gegen ihn.  115 Der Anführer der Verbündeten war Ptolemaios, der Herrscher von Ägypten.  116 Der zu ihm geflüchtete Seleukos zog mit ihm zusammen in den dritten Nachfolgekrieg, diesmal gegen Antigonos. 117 Seleukos war ein hartnäckiger und erfolgreicher Heerführer. 118 Nach dem Sieg bei Gaza gegen Demetrios Poliorketes, dem Sohn des Antigonos, marschierte er mit seinem Heer durch die syrische Wüste  und brachte  die  Städte  Mesopotamiens  unter  seine  Kontrolle. 119 Schließlich gelang es ihm auch Babylon zu erobern und die Stadt zum Ausgangspunkt für die Gründung seines eigenen Reiches zu machen.  120 Seine Eroberungen verteidigte er erfolgreich in mehreren Schlachten, bis Antigonos aufgab und mit ihm Frieden schloss. 121 Seleukos brachte auch viele griechische Städte unter seinen Einfluss.

 

122 In dem vierten Nachfolgekrieg wurde Ptolemaios´ Bruder Menelaos bei Zypern von dem Heer des Demetrios, der für Antigonos kämpfte, vernichtend geschlagen.  123 Nach diesem Sieg ließ sich Antigonos zum König über das ganze Alexanderreich ausrufen. 124 Antigonos Heer wurde nach Ägypten geschickt, um Ptolemaios in die Knie zu zwingen. 125 Ptolemaios gelang es, den Einmarsch des feindlichen Heeres am Nil zu verhindern. 126 Nun ließen sich auch Ptolemaios und seine Verbündeten - Kassander, Lysimachos und Seleukos -  zu Königen ausrufen, ohne jedoch die Grenzen des jeweiligen Königreiches zu definieren. 127 Das gab Anlass zu weiteren kriegerischen Auseinandersetzungen. 128 Demetrios und sein Vater verweigerten ihnen die Anerkennung als Könige. 129 Demetrios führte in Griechenland mehrere Eroberungskriege gegen Kassander. 130 Es gelang ihm, Athen einzunehmen und sich als „Sohn der Götter“ feiern zu lassen. 131 Kassander, Lysimachos und Seleukos schlossen sich noch fester zusammen. 132 Sie brachen mit ihrem Heer nach Osten auf.  133 Antigonos und Demetrios kamen ihnen mit einem großen  Heer entgegen. 134  Die  Schlacht  fand  bei  Ipsos statt.  135 Antigonos und Demetrios unterlagen.  136 Antigonos fiel in der Schlacht, während ein Teil seines Heeres schon während der Schlacht zur Gegenseite übergelaufen war.

 

137 Die Schlacht bei Ipsos läutete das Ende des Alexanderreiches ein.  138 Was Alexander einst gegründet und schließlich zur Weltmacht hatte werden lassen, zerfiel wegen der Uneinigkeit seiner Nachfolger.  139 Jerusalem wurde von Ptolemaios eingenommen.  140 Viele Juden wurden von ihm umgesiedelt, manche wanderten auch freiwillig aus, hauptsächlich nach Ägypten.  141 In Alexandria entstand eine sehr starke jüdische Kolonie. 142 Die Juden mussten sich verpflichten, Ptolemaios und seinen Nachfolgern die Treue zu bewahren. 143 Ein neues Zeitalter hat begonnen, was es bringen wird, wird die Zukunft zeigen. 144 In Anbetracht des Geschehenen bleibt als einziger Trost die Gewissheit, dass Gott, der Herr Israels, am Ende doch das letzte Wort haben wird.

 

 

T e i l     E I N S                  KAPITEL 2

 

1 Der Gott der Götter, der Herr spricht, er ruft der Erde zu vom Aufgang der Sonne bis zum Untergang. 2 Vom Zion her, der Krone der Schönheit, geht Gott strahlend auf.

3 Etwas Ruhe, wenn auch keine beständige, genoss Zion, nachdem Ptolemaios seine Herrschaft gefestigt hatte. 4 Aus allen vier Himmelsrichtungen wurde von neuen Kriegen, Umwälzungen und Umstürzen berichtet. 5 Der Machtdurst von Alexanders Nachfolgern war noch nicht gestillt.  6 Die Sieger des letzten Krieges und einstigen Verbündeten beherrschten nun verschiedene Teile des Reiches. 7 Im Osten herrschte Seleukos, zuerst in Babylon, später auch in Syrien. 8 Ptolemaios herrschte über Ägypten samt Koilesyrien, Lysimachos aus Thrakien über die Küstenregionen. 9 Die Verbündeten wurden nun zu Gegnern, jeder war bestrebt, mehr Land für sich selbst zu erobern. 10 Der Hauptschauplatz der Kriegshandlungen war Griechenland. 11 Demetrios kämpfte anfangs erfolgreich gegen Pyrrhos und Lysimachos, wurde jedoch bald besiegt und in Gefangenschaft geschickt, wo er auch starb. 12 Lysimachos besiegte danach auch Pyrrhos und wurde Alleinherrscher über Makedonien. 13 Er war bestrebt, seine Macht mit allen Mitteln zu festigen, und wurde so zu einem grausamen Tyrannen. 14 Seine Gewaltherrschaft wurde durch Ränkespiele seiner Frau Arsinöe, einer Tochter von Ptolemaios, noch skrupelloser. 15 Seleukos beobachtete die Herrschaft des Lysimachos mit großem Misstrauen. 16 Als Ptolemaios, der Verbündete von Lysimachos, starb, fand Seleukos, dass seine Stunde gekommen war, und begann mit dem Vormarsch nach Makedonien. 17 In der entscheidenden Schlacht wurde Lysimachos getötet und sein Heer besiegt. 18 Aber auch Seleukos, der große Sieger, fand bald sein Ende. 19 Er wurde auf dem Weg nach Makedonien, wo er seine Herrschaft festigen wollte, ermordet. 20 So endete der letzte Nachfolger Alexanders.

 

21 Ptolemaios machte noch zu Lebzeiten seinen gleichnamigen Sohn zum Mitherrscher und Nachfolger. 22 Die Söhne aus der Ehe mit Eurydike, die er verstoßen hatte, schloss er von dem Erbe aus. 23 Sein Sohn und Nachfolger Ptolemaios ließ ihn mit großen Feierlichkeiten bestatten. 24 Später erklärte er seinen verstorbenen Vater zum „rettenden Gott“ - Soter. 25 Für die Juden änderte sich unter der Herrschaft des jungen Ptolemaios einiges. 26 Viele verschleppte oder versklavte Juden wurden freigekauft und freigelassen. 27 Manche kehrten nach Judäa zurück, die meisten blieben jedoch in den fremden Ländern. 28 Zur Zeit des Hohenpriesters Eleazar wurde auch der Tempel mit königlichen Gaben beschenkt und der Tempeldienst gewissermaßen aufgewertet. 29 Trotz allen Verbesserungen blieb die Lage der Juden ungewiss. 30 Mitunter nahmen viele Juden in den fremden Ländern die hellenistische Lebensweise an, viele vergaßen sogar ihre Muttersprache. 31 Die Vorschriften der Thora wurden oberflächlich oder gar nicht beachtet, mit Jerusalem waren sie nur durch gelegentlichen Tempelbesuch verbunden. 32 Aus westlichen  Ländern  hörte  man  immer  wieder von neuen Kriegen und Umwälzungen.

33 Karthago und Rom kämpften mal als Verbündete mal als Gegner um die Vormachtstellung im Westen, mit wechselhaftem Erfolg. 34 Ptolemaios schickte mehrere Gesandtschaften nach Rom, um in Kontakt mit den immer stärker werdenden Römern zu treten. 35 Aber auch in die Länder des Ostens schickte er wiederholt seine Vertrauten, um Beziehungen aufzunehmen und Handelswege zu erkunden.

 

36 Die Lage der Landbevölkerung verbesserte sich langsam aber beständig dank neuer Gerätschaften und Hilfsmittel, die die Landbearbeitung und Erntearbeiten erleichterten.  37 Durch Berührung mit fremden Ländern gewann man neue Erkenntnisse  und  Einsichten  bezüglich  einer  besseren Nutzung des Ackerbodens.

38 Auch beim Häuserbau und der Anlage von neuen Siedlungen halfen neugewonnene Erkenntnisse und neu entwickelte Gerätschaften, um leichter und schneller voranzukommen. 39 Es gibt aber noch eine andere Art des Fortschritts, welcher nicht in die allgemeine Erleichterung alltäglicher Arbeit einzuordnen ist. 40 Dieser schlägt sich in einer Änderung der Lebenseinstellung nieder: Zuwendung zum Müßiggang, Zeitvertreib, Spiel und Unterhaltung. 41 Hellenistische Denkmuster überfluten in immer stärkerem Maße die Weltbevölkerung, somit auch die Juden. 42 Sie begeistern sich immer mehr für Sport und Theater, suchen derartige Veranstaltungen und Vorstellungen auf, vergessen die eigene Sprache, rücken immer mehr ab vom geistigen Leben, haben immer weniger Zeit für Gott, zweifeln sogar die Vorschriften der Thora an. 43 Bei Sportveranstaltungen ereifert man sich als Anhänger von bevorzugten Einzelkämpfern oder Mannschaften, lacht die Gegner aus, verspottet die Verlierer und ist selbst niedergeschlagen oder hocherfreut, je nachdem wer gewonnen hat.  44 Nun führt jeder seinen eigenen kleinen „Krieg“, sei es mit Drohgebärden oder mit Schmähungen, was oft in Schlägereien oder lokalen Kriegen endet. 45 Bei Theatervorstellungen begeistert man sich für das, was andere Menschen sich ausgedacht haben, wie andere Menschen dies dargestellt haben, lobt oder kritisiert fremdes Gedankengut; dabei vergisst man die eigene Herkunft, Tradition, Frömmigkeit; so hat fremdes Gedankengut das eigene verdrängt. 46 Dadurch sind viele Juden zunächst lau geworden, um schließlich in der Beobachtung der Thora ganz zu erkalten. 47 Die weisen jüdischen Männer machten sich viele Sorgen um das Volk Gottes, das an der eigenen Erschlaffung und Zerrissenheit zu welken und zu verdorren begann. 48 Und als die Umgestaltung von Provinzen und Reichen, ein neues „Ordnen“ der Völker, voll im Gange war, als die neue Lebensweise die Welt zu erobern schien, als der jüdische Glaube an den einen wahren Gott zu schwächeln begann und die Verwirrung den Höhepunkt erreichte, da passierte etwas Außerordentliches. 49 Es schien, als ob Israels Zeit für immer vorüber wäre, als ob die Juden ausgedient hätten, als ob sie von Gott verlassen, an sich selbst verzweifelt und gescheitert wären. 50 Da erweckte der Allmächtige die müden Geister zu neuem Leben, gab den Impuls zu einem Neuanfang in der Welt. 51 Gerade an diesem tiefsten Punkt nämlich, als sie wie ein in die Erde gefallenes Samenkorn sich zu zersetzen begannen, machte der Fels Israels sie zu einem neuen Leuchtturm der Menschheit. 52 Es hat Gott gefallen, sich durch sein Volk der ganzen Menschheit zu offenbaren.

 

53 Das Wort Gottes, seine Unterweisung – an die Juden gerichtet, den Juden gegeben - wurde nun nach Gottes Ratschluss der ganzen Menschheit offenbart. 54 Die weisen und frommen Männer Israels, zweiundsiebzig an der Zahl, übertrugen die Thora ins Griechische, zurzeit die wichtigste Weltsprache. 55 Dadurch wurde Gottes Offenbarung an sein Volk der ganzen Erde zugänglich; die Erde füllte sich mit Gotteserkenntnis, wie es in den Schriften vorausgesagt worden war. 56 Das sahen und verkündeten nämlich die Propheten in längst vergangenen Zeiten. 57 Was da geschah, konnten die Juden nur sehr schwer begreifen, die Heiden vorerst gar nicht. 58 Der Widerhall der ins Griechische übersetzten Thora wird noch nach unzähligen  Generationen  zu  spüren  sein,  ja  er wird sogar immer stärker werden.

59 Die Israeliten wurden seit dem Empfang der Thora unaufhörlich wie Gold im Feuer geläutert. 60 Es gab keine Verschnaufpause für sie, keine Zeit zum Ausruhen.

 

61 Und wenn es sie doch gab, haben die Israeliten sie meistens genützt, um in neue Sünden zu fallen. 62 Um erneut durch „Feuer“ geläutert zu werden. 63 Manchmal waren sie als Gottesvolk wirklich eine Leuchte, manchmal eine Schande, aber sie hörten nie auf, Gottes Eigentum zu sein. 64 Das wurde jetzt vor allen Völkern bestätigt. 65 Ab jetzt können alle, wenn sie es nur wollen, den Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs suchen, zu ihm beten und nach seinen Weisungen leben. 66 Ob und in welchem Maße sie die Gelegenheit nutzen werden, bleibt abzuwarten. 67 Ob die Juden, ob Israel dadurch zu Vorteilen kommt, oder ob es noch kritischer betrachtet wird von Gott und den Menschen? 68 Eines ist jedenfalls sicher: Die Juden haben ihren Glauben und ihre Weisung nie jemandem aufzwingen wollen. 69 Sie haben genug mit sich selbst und ihrem Herrn zu tun. 70 Doch nun ist ein Durchbruch passiert und es gibt es kein Zurück mehr. 71 Der Herr hat sein Wort wie den Morgentau über die ganze Erde ausgebreitet. 72 Möge es bewirken, was nach seinem heiligen Ratschluss damit beabsichtigt war.

 

 

T e i l     E I N S                  KAPITEL 3

 

1 Höre, mein Volk, ich will dich mahnen; Israel, wolltest du doch auf mich hören! 2 Für dich gibt es keinen anderen Gott; du sollst keinen fremden Gott anbeten.

3 Kaum war die Thora, ins Griechische übersetzt, der Menschheit zugänglich geworden, schon machte man sich von allen Seiten daran, die Juden von ihrer Offenbarung  abzubringen  und  ihr Sinnen auf die heidnische Götterwelt zu lenken.

4 Besonders stark war der Druck und der Einfluss der Völker hellenistischer Lebensweise. 5 Es ist deswegen nicht verwunderlich, dass ein erheblicher Teil jüdischer Priester und Schriftgelehrten die Übersetzung der Thora ins Griechische sowie die griechische Lebensweise insgesamt negativ beurteilte.

 

6 Die Mehrheit der Juden hatte indessen ganz andere Probleme. 7 Diese rührten von den kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Ptolemäern und Seleukiden her. 8 Oft ermahnte Gott sein Volk, indem Er es der fremden Herrschaft preisgab. 9 Der ptolemäisch – seleukidische Krieg um Koilesyrien wurde mit einer Friedensvereinbarung beendet. 10 Durch die Hochzeit zwischen Seleukos´ Enkel Antiochos und Ptolemaios´ Enkelin Berenike wurde der Friede besiegelt. 11 Als aber Antiochos sie nach siebenjähriger Ehe verließ und zu seiner ehemaligen Ehefrau zurückkehrte, gab das Anlass zum dritten Krieg zwischen Ptolemäern und Seleukiden. 12 Ptolemaios wollte die Ehre von Berenike wiederherstellen und brach mit Kriegsschiffen in Richtung der seleukidischen Hauptstadt Antiochia auf. 13 Als  er  ankam,  waren  Berenike  und  ihr  Sohn  bereits  ermordet worden.

14 Ptolemaios nahm dies zum Anlass, mit Hilfe seiner Armee die Herrschaft über Syrien, Mesopotamien und Kilikien zu erlangen. 15 Auf diese Weise wurde das Ptolemäerreich zu einer der einflussreichsten Mächten der Welt.

 

16 Das Seleukidenreich dagegen befand sich nach dem mit den Ptolemäern geschlossenen Friedensvertrag in einer schlechten Lage. 17 Seine Provinzen Baktrien und Parthien machten sich nacheinander unabhängig. 18 Aus Baktrien wurde das Griechisch-Baktrische Reich, das sich bis an den Hindus ausdehnte. 19 Von dort kam Kunde von der andersartigen Lebensweise der dortigen Bevölkerung und ihrer religiösen Bräuche. 20 So wurden die Griechen mit dem Buddhismus konfrontiert. 21 Der Buddhismus beeinflusste in gewissem Maße die griechisch geprägte Welt. 22 Im Westen hatte mittlerweile Rom seine Macht ausgebaut. 23 Es wurden neue Kriegstaktiken und neue Waffen entwickelt. 24 Den Römern ging es nicht um die Verbreitung ihrer Weltanschauung, sondern lediglich um mehr Land und mehr Macht. 25 Der Gegenspieler von Rom war Karthago, eine ehemalige phönizische Kolonie. 26 Die Römer nannten die Bewohner Karthagos nach deren phönizischer Herkunft Punier. 27 Das punische Gebiet um Karthago nannten sie Africa, nach dem dort ansässigen Stamm Afri. 28 Karthago war ein starker Seehandelsstaat. 29 Anfangs waren die Beziehungen zwischen Rom und Karthago freundschaftlich und es wurden zwischen ihnen verschiedene Verträge geschlossen. 30 Als es aber den Römern gelang, größere Landgebiete zu erobern, wollten sie auch eine bedeutende Seemacht werden. 31 Damit wurde der Grundstein für eine Auseinandersetzung mit Karthago gelegt. 32 Der erste Krieg begann wegen eines Konfliktes um Sizilien. 33 Die Römer hatten ihre eigene Flotte aufgebaut und damit die Flotte von Karthago zerstört. 34 Karthago verlor danach auch noch die Siedlungen auf anderen Inseln. 35 Diese Verluste wollte  Karthago  mit  den  Gebieten  auf  der Iberischen Halbinsel kompensieren. 36 Um dieses Ziel zu erreichen, wurde ein angesehener Karthager, der Feldherr Hamilkar, von den Römern Barkas genannt, nach Iberien geschickt. 37 Er sollte dort die erzreichen Gebiete für Karthago erobern, was ihm auch gelang. 38 Im Süden des Landes gründeten die Barkiden die Stadt Neu Karthago, von wo aus sie ihre Macht ausübten. 39 Mit den Römern schlossen die Barkiden eine Vereinbarung über die Grenzlinie am Fluss Iberus. 40 Diese Vereinbarung war aber nicht von langer Dauer.

 

41 Der Streit um eine Stadt gab Anlass zum Beginn des zweiten Krieges zwischen Karthago und Rom. 42 Unter dem Kommando von Hannibal entschlossen sich die Karthager zum Marsch über die Alpen bis nach Rom. 43 Dieser beschwerliche Marsch kostete Hannibal fast die Hälfte seines Heeres. 44 Sein Plan war, Rom von seinen Verbündeten abzuschneiden und es dann anzugreifen. 45 Da er Schwierigkeiten  mit  der  Versorgung  hatte,  begannen die Soldaten unterwegs zu plündern. 46 Die Kräfte der Karthager ließen trotzdem nach. 47 Die meisten der Verbündeten Roms hielten ihre Bündnistreue, wodurch Rom erstarkte. 48 Als Gegenmaßnahme bereiteten die Römer eine Kriegsexpedition nach Karthago unter dem Oberbefehl Scipios vor. 49 Hannibal war gezwungen, in seine Heimat zurückzukehren, und wurde in der Schlacht bei Zama von Scipio besiegt. 50 Dieser Triumph Roms bedeutete das Ende der Macht von Karthago, das danach zum römischen Vasallenstaat wurde. 51 Die unbedeutend gewordenen griechischen Stadtstaaten nutzten die römischen Kriege, um ihren einstigen Ruhm wieder zu erlangen. 52 Dem widersetzten sich die Makedonier, die ihre Oberherrschaft über die Stadtstaaten aufrechterhalten wollten. 53 Die Makedonier hatten seit der Zeit der Nachfolgekriege eines der stärksten Heere der Welt. 54 Ihr Herrscher Philippus schloss ein Bündnis mit Hannibal und erklärte Rom den Krieg. 55 Er verband sich auch mit dem syrischen König Antiochos. 56 Als Makedonien sich erneut in die innergriechischen Angelegenheiten einmischte, kamen die Römer den Athenern und den anderen griechischen Stadtstaaten zu Hilfe. 57 So begann Rom in den griechischen Kleinstaaten allmählich an Einfluss zu gewinnen, während das makedonische Königreich seinen Einfluss verlor. 58 Dank all dieser wechselnden Bündnisse und Kriege ist der Nachrichtenfluss reger geworden. 59 Neuigkeiten verbreiten sich schneller. 60 Eine der Neuheiten ist die Einführung des makedonisch-seleukidischen Kalenders, mit dem Jahr der Besetzung Babylons durch Seleukos als Anfangsjahr. 61 Dieser Kalender wird auch in Syrien und Judäa verwendet. 62 Nachdem die Griechen mit der Thora vertraut worden sind, lassen sie noch andere Teile der jüdischen heiligen Schriften ins Griechische übersetzen.

 

 63 Die Heiden haben erfasst, dass die Juden aufgrund der Thora sich als das auserwählte Volk betrachten und nur einen Gott anbeten. 64 Dem wollen sie entgegenwirken, wodurch für die Juden unter den Seleukiden eine schwere Zeit beginnt. 65 Zunächst wollen die Seleukiden den Juden ihre heidnischen Bräuche auf friedliche Weise nahebringen. 66 Jene Juden, welche bereit sind, die heidnische Lebensart anzunehmen, erhalten öffentliche Ämter und können sogar als Richter eingesetzt werden. 67 So bildet sich eine Gruppe von hellenisierten Juden. 68 Diese bejahen Sportveranstaltungen, Theatervorstellungen und Tanzfeierlichkeiten und nehmen aktiv daran teil. 69 Sie gehen sogar so weit, dass sie griechischen Idolen und Göttern Altäre bauen lassen. 70 Die übrigen Juden verurteilen das aufs schärfste. 71 Nun beginnt für die jüdische Bevölkerung eine Zeit der Prüfung. 72 Ob sie sie erfolgreich bestehen werden, hängt davon ab, wie standhaft sie bleiben und in welchem Maße ihnen der Fels Israels hilft.

 

 

T e i l     E I N S                  KAPITEL 4

 

1 Der Herr ist allen, die ihn anrufen, nahe, allen, die zu ihm aufrichtig rufen.

2 Die Treue zur Thora bei den Einen und die Hinwendung zu den heidnischen Gepflogenheiten bei den Anderen beginnt das jüdische Volk zu spalten und zu zerreißen. 3 Da die Juden im Weltgeschehen nichts zu sagen haben, beschäftigen sie sich mit sich selbst; so sind unter ihnen zahlreiche, wie die Regenbogenfarben divergierende Gruppierungen entstanden. 4 Darin befinden sich Interessenvertreter aller Sorten, von kopflosen Fanatikern über traditionelle Thorabeobachter bis hin zu Bewunderern heidnischer Götter. 5 Auch unter den Priestern und der politischen Führung gibt es keine einheitliche Meinung. 6 Israel scheint wieder einmal von Gott vergessen worden zu sein; allerdings handelt der Allmächtige nicht nach menschlichen Maßstäben. 7 Nur fromme und gesetzestreue Juden sind in dieser schweren Zeit nicht kopflos und verzweifelt. 8 Sie wissen sehr wohl, dass es die Sünden des Volkes sind, denen sie all die Schwierigkeiten zu verdanken haben, dass aber gerade diese Schwierigkeiten gleichzeitig eine Bewährungsprobe für die Standhaftigkeit von Gottes Erwählten darstellen. 9 Das Rad der Geschichte dreht sich inzwischen an den Juden vorbei, denn nicht das Volk Gottes hält es in Bewegung, sondern die Welt. 10 Reiche vergehen, neue Reiche entstehen, Herrscher werden inthronisiert und wieder gestürzt. 11 Mächtige werden schwach, und ganz Unbekannte betreten als neue Machtfaktoren die Weltarena. 12 Auch in Rom werden, ähnlich wie bei den Griechen, Theater und Sportveranstaltungen  hochgeschätzt;  nur  der Stil unterscheidet sich von dem griechischen. 13 Die Römer lassen Menschen gegen Tiere antreten, sie ergötzen sich beim Zuschauen, wenn Tiere mit Tieren kämpfen, oder wenn Menschen Tieren zum Fraß vorgeworfen werden. 14 Hier fließt das Blut gleich in der Arena, und nicht erst bei den Auseinandersetzungen der Zuschauer nach den Wettkämpfen wie bei den Griechen. 15 Das stellt in den Augen der Heiden sogar einen gewissen Fortschritt dar. 16 Und nun zurück zu den Ereignissen.

 

17 Die Makedonier wurden wiederholt von den Römern geschlagen, sie verloren die Herrschaft in den griechischen Stadtstaaten und müssen Entschädigungszahlungen an  Rom entrichten.  18 Rom will seine Gebiete nach Osten hin erweitern.

19 Dort, in Koilesyrien, kämpfen weiterhin die Seleukiden und die Ptolemäer um die Vorherrschaft. 20 Der seleukidische Herrscher Antiochos besiegte an den Jordanquellen den ptolemäischen Feldherrn Skopas. 21 So gewannen die Seleukiden erneut die politische Herrschaft in Koilesyrien. 22 Um den anschließend vereinbarten Frieden zwischen den beiden Dynastien zu sichern, gab Antiochos seine Tochter Kleopatra dem Ptolemaios zur Frau. 23 Als neuer Herrscher bestätigte Antiochos den Juden freie Ausübung ihres Kultes. 24 Während die Seleukiden sich ihrer Macht in Koilesyrien ganz sicher waren, brachen plötzlich die Römer dort ein. 25 In der Schlacht bei den Thermopylen wurde Antiochos von den Römern vernichtend geschlagen. 26 Nachdem er bei Magnesia noch einmal von ihnen besiegt wurde, nahmen die Römer seinen Sohn Antiochos als Geisel mit nach Rom. 27 Durch den Friedensvertrag von Apameia fielen auch die Gebiete östlich des Großen Meeres unter römische Herrschaft.

 

28 Karthagos Feldherr Hannibal, welcher vor den Römern nach Syrien geflüchtet war, musste nach der Niederlage Antiochos wieder die Flucht ergreifen. 29 Als ihm vom bithynischen König die Auslieferung an Rom drohte, beging er Selbstmord. 30 Inzwischen versuchte der makedonische König Perseus, Sohn des Philippus, die einstige Macht seines Reiches wiederzuerlangen. 31 Dies misslang ihm allerdings, und das Königreich der Antigoniden wurde in der Folge aufgelöst. 32 Nach dem Tod von Antiochos wurde sein Sohn Seleukos Herrscher des Reiches. 33 Da sich Seleukos wegen der Tributzahlungen an Rom in einer Finanzkrise befand, befahl er seinem Kanzler Heliodoros, den Jerusalemer Tempel zu plündern.  34 Heliodoros gelang diese Freveltat nicht; etwas später ermordete er den König.  35 Dem Antiochos, der einst als Geisel in Rom weilte, gelang es nämlich, in Athen und Pergamon eine politische Opposition gegen seinen Bruder Seleukos zu bilden.

 

36 Als Antiochos, der vierte mit diesem Namen aus der seleukidischen Dynastie, König wurde, unternahm er einen erfolgreichen Feldzug gegen Ägypten. 37 Die Römer verhinderten jedoch die Einnahme von ganz Ägypten, da sie bestimmte Gebiete für sich beanspruchten. 38 Antiochos musste zurückkehren, wobei er auf dem Rückmarsch den Jerusalemer Tempel plünderte. 39 Er ließ den Tempel dem Zeus weihen. 40 Unter der Regierung von Antiochos verschlimmerte sich die Lage der Juden, weil er die von seinem Vater den Juden eingeräumten Privilegien abschaffte. 41 Er war bestrebt, sein Reich mittels hellenistischer Weltanschauung politisch, sozial und religiös zu einigen. 42 Den Juden verbot er die Ausübung ihres religiösen Kultes, die Beschneidung, Sabbathaltung und Thoralesung. 43 Zum Hohenpriester bestellte er Jason, den Bruder von Onias, welcher sich für die Hellenisierung der Juden einsetzte. 44 Er ließ direkt neben dem Tempel ein Gymnasion bauen und befürwortete das Austragen von Wettkämpfen in Jerusalem. 45 Die Schändung des Jerusalemer Tempels war für die Juden das schlimmste Verbrechen, das ihnen angetan werden konnte. 46 Als das Maß der heidnischen Freveltaten in Judäa und Jerusalem erfüllt war, kam die Stunde der Juden, die Stunde ihres Gottes. 47 Nicht wie ein Blitz in den heidnischen Altar in Jerusalem schlug der Herr ein, nein, Er entzündete einen kleinen Funken im nahen Modein, und zwar durch seinen Erwählten Mattatias. 48 Was Mattatias und seine Söhne vollbrachten, war kein Akt der Verzweiflung, auch kein kopfloser Racheakt und schon gar keine Handlung aus Resignation. 49 Es war ein Geistesfunke, der in Gott ergebenen Menschen in bestimmten Momenten entzündet wird. 50 Nach allen menschlichen Maßstäben hätte die Tat des Mattatias am Opferaltar in Modein die Ausrottung seiner Sippe und aller gesetzestreuen Juden nach sich ziehen müssen. 51 Stattdessen stellt sie den Auftakt zur Wiederherstellung Israels und seiner Treue zu Gott dar, wie sie seit den Tagen von Esra und Nehemia nicht mehr zu beobachten war. 52 Ein Volk, das seine Vergangenheit kennt und Gott ehrt, kann nicht ausgerottet werden, auch wenn es noch so sündhaft sei. 53 Am Ende führt Gott selbst sein Volk gegen Frevler und Unterdrücker an, seien sie nun aus den eigenen Reihen oder aus den Reihen der Heiden. 54 Gott ist der König Israels und Er hat durch Mattatias und dessen Söhne seinen Namen verherrlicht. 55 Das jüdische Volk funktioniert nämlich folgendermaßen: Wenn die Welt es als endlich vernichtet und ausgerottet wähnt, haucht der Herr ihm wieder neues Leben ein, und es steht auf wie die toten Knochen, von denen der Prophet Ezechiel berichtet. 56 Wir brauchen uns nur den mächtigen Alexander und sein Weltreich ins Gedächtnis zu rufen! 57 Was ist im Vergleich zu ihm ein unbekannter Mattatias und ein kleiner Ort namens Modein in Judäa? 58 Und doch ist gerade dort  das  Licht  entzündet  worden,  das  Israel  und viele Völker erleuchten wird. 59 Nachdem Mattatias den, den Götzen opfernden Juden sowie den königlichen Beamten erdolcht hatte, floh er mit seinen Söhnen und anderen gesetzestreuen Juden in die Berge. 60 Von dort aus organisierten sie den Befreiungskampf. 61 Als sie erfuhren, dass die aus Jerusalem geflohenen Juden an einem Sabbat ermordet worden waren, beschlossen sie, sich künftig auch an einem Sabbat gegen die Feinde zu wehren.

 

62 Nach dem Tod von Mattatias wurde sein Sohn Juda der Anführer. 63 Er und sein Heer wurden durch heldenhafte Siege berühmt. 64 Sogar der grausame Tyrann Antiochos, der auf seinem Feldzug von Judas Erfolgen hörte, während er in Persien wegen einer schweren Krankheit ums Leben rang, ließ für die Juden ein Abkommen schreiben. 65 Juda gelang es, den Jerusalemer Tempel von den heidnischen Götzen wieder zu reinigen und den jüdischen Gottesdienst zu erneuern. 66 Dieses Ereignis wird von den Juden alljährlich als Fest begangen. 67 Juda ließ im Tempel auch ein Sühneopfer für die gefallenen Kämpfer darbringen. 68 Er schickte seine Boten nach Rom, um ein Freundschaftsabkommen zu schließen. 69 Inzwischen wurde Seleukos´ Sohn Demetrios, König. 70 Demetrios schickte Heerführer Bakchides gegen das jüdische Heer; dieser besiegte in der Schlacht bei Elasa den jüdischen Anführer Juda, genannt Makkabi. 71 Nach Judas Tod übernahm sein Bruder Jonathan die Führung, musste aber mit seinen Kämpfern vor Bakchides über den Jordan fliehen. 72 Auch Jonathan war ein gottesfürchtiger Mann, der sein volles Vertrauen in Gottes Gerechtigkeit und Barmherzigkeit gegenüber dem jüdischen Volk setzte.

 

 

T e i l     E I N S                  KAPITEL 5

 

1 Denn der Herr ist ein großer Gott, ein großer König über allen Göttern.

2 Mit der Wiedereinführung des jüdischen Kultes in den Tempel von Jerusalem beginnt für die Juden eine bessere Zeit. 3 Die Frevler gönnen ihnen die erkämpfte Freiheit jedoch nicht, sondern beginnen aufs Neue zu intrigieren. 4 Der Hohepriester Alkimos, eingesetzt vom seleukidischen Herrscher Demetrios, befiehlt, die Mauer des inneren Tempelhofes niederzureißen. 5 Da Bakchides, der Heerführer von Demetrios, die Makkabäer Jonathan und seinen Bruder Simon nicht besiegen konnte, schließt er mit ihnen einen Friedensvertrag. 6 Der Krieg in Israel scheint beendet zu sein, und Jonathan beginnt das jüdische Volk zu richten. 7 Dies findet in Mikmas statt, wo einst Saul und sein Sohn Jonathan den Kampf gegen die Philister angefangen hatten.

 

8 In dieser Zeit behauptet ein Mann aus Kilikien, Balas aus Smyrna, er sei der ermordet geglaubte Sohn des seleukidischen Tyrannen Antiochos. 9 Er findet Unterstützung beim pergamonischen König Atallos. 10 Balas, der sich den Namen Alexandros zugelegt hat, erscheint in Begleitung von Antiochos Tochter Laodike vor dem römischen Senat und überzeugt die Senatoren von seinem Anspruch auf den seleukidischen Thron. 11 Im Hafen Ptolemaios in Koilesyrien bildet er eine Gegenregierung. 12 Um sich in seiner Position zu behaupten, unternimmt sein Gegner Demetrios den Versuch, sich mit dem Makkabäer Jonathan zu verbünden. 13 Er verleiht ihm das Recht, ein eigenes Heer zu besitzen, und lässt alle jüdischen Gefangenen aus der Jerusalemer Festung frei. 14 Jonathan befestigt daraufhin den Berg Sion und beginnt Jerusalem zu erneuern. 15 Als Alexandros von der Tapferkeit der Makkabäer erfährt, will auch er einen Freundschaftsbund mit ihnen schließen. 16 Er setzt Jonathan als Hohenpriester ein; dieser tritt sein Amt am Fest Sukkot an. 17 Jonathan misstraut Demetrios wegen dessen früheren schrecklichen Taten. 18 Alexandros, unterstützt von den ptolemäischen Ägyptern, besiegt Demetrios und wird Herrscher über das Seleukidenreich. 19 Um seine Position zu festigen, heiratet er die ptolemäische Prinzessin Kleopatra.

 

20 Rom versuchte unterdessen größere Gebiete in Hispanien zu gewinnen. 21 Die keltiberischen Stämme leisteten Widerstand. 22 Der Kopf des Widerstandes war Viriathus, ein bedeutender Anführer aus dem Stamm der Lusitaner. 23 Rom schloss mit Viriathus einen Friedensvertrag, ließ ihn aber später ermorden. 24 Inzwischen kam es auch zwischen Karthago und dem westlich angrenzenden numidischen Königreich zu einer Auseinandersetzung. 25 Numidien war schon seit dem punischen Krieg innerlich gespalten: der Ostteil sympathisierte mit Rom, der Westteil mit Karthago. 26 Rom setzte König Massinissa als Herrscher über alle Numider ein; sein Königreich erstreckte sich westlich bis nach Mauretanien. 27 Massinissa, der sich der Unterstützung Roms sicher war, unternahm etliche Angriffe auf karthagische Gebiete. 28 Karthago schickte sein Heer gegen den numidischen König. 29 Damit begann ein Krieg, in welchem Karthago nach drei Jahren harter Kämpfe von den Römern völlig zerstört wurde. 30 Zur gleichen Zeit wurden auch die griechischen Stadtstaaten von Rom bezwungen. 31 Der Achaiische Bund, mit dem Sitz in Korinth, opponierte gegen Rom. 32 Als die Staaten des Achaiischen Bundes Sparta den Krieg erklärten, gerieten sie in Konflikt mit Rom. 33 Die Römer legten Korinth in Schutt und Asche, die Männer wurden hingerichtet, alle anderen wurden als Sklaven verkauft. 34 So wurden neben Macedonia und Africa auch noch die griechischen Stadtstaaten zu römischen Provinzen. 35 Die griechische Lebensweise setzt sich auch unter den Römern immer mehr durch. 36 Schon früher empfing Rom eine Philosophengesandtschaft aus Athen. 37 Nun nehmen auch Römer an den olympischen Spielen teil. 38 In Kilikien begann inzwischen Demetrios´ gleichnamiger Sohn um die Macht im Seleukidenreich zu kämpfen. 39 Sein Statthalter in Koilesyrien führte den Kampf gegen Alexandros, wurde jedoch in Gaza von Jonathan besiegt. 40 Der ägyptische Pharao Ptolemaios eilte zunächst seinem Schwiegersohn Alexandros   zu  Hilfe.  41  Unterwegs   besetzte  er  viele  Städte.

 

42 Schließlich wechselte er auf die Seite des Demetrios und bot seine Tochter Kleopatra, die er zuvor Alexandros zur Frau gegeben hatte, als Teil des Bündnisvertrages Demetrios zur Frau an. 43 Mit ägyptischer Hilfe gelang es Demetrios, Alexandros bei der seleukidischen Hauptstadt Antiochia zu schlagen. 44 Drei Tage später starb Ptolemaios, der sechste mit diesem Namen in der ptolemäischen Dynastie. 45 Er war es, der dem aus Jerusalem geflüchteten Hohenpriester Onias erlaubte, in der ägyptischen Stadt Leontopolis im Nildelta einen jüdischen Tempel zu bauen. 46 Zu jener Zeit zog sich eine Gruppe frommer Juden in die Wüste nahe am Salzmeer zurück, um dort in Verborgenheit zu leben. 47 Sie entwarfen eigene Gemeinschaftsregeln und befassten sich mit dem Abschreiben, Übersetzen oder Neuverfassen von jüdischen religiösen Schriften.  48 Darunter befand sich auch das Buch der Jubiläen, das die jüdische Geschichte seit Beginn der Welt bis zum Exodus aus Ägypten beschreibt.

 

49 Nach dem Tode von Alexandros und Ptolemaios wurde Demetrios zum Alleinherrscher über das ganze Seleukidenreich. 50 Inzwischen ernannte Antiochos, der Sohn von Alexandros und Kleopatra, den Makkabäer Jonathan zum Statthalter von  Koilesyrien  und  dessen  Bruder  Simon  zum  Feldherrn  des Küstengebiets. 51 Antiochos´ Feldherr Diodotos übernahm jedoch selbst die Führung in Syrien und ließ Jonathan durch eine List ermorden. 52 Simon erkannte Demetrios als den seleukidischen Herrscher an und wurde im Gegenzug von ihm zum Hohenpriester und Ethnarchen von Judäa ernannt. 53 Simons Sohn Johanan wurde zum Heerführer. 54 Simon erneuerte das Freundschaftsbündnis mit Rom. 55 Er wurde, zusammen mit seinen Söhnen Juda und Mattathias, in Jericho vom Schwiegersohn ermordet. 56 Der dritte Sohn, Johanan, wurde sein Nachfolger. 57 Er erreichte die politische Unabhängigkeit für die Juden und führte eine auf Expansion gerichtete Politik. 58 Im Süden schloss er Idumäa dem jüdischen Staat an. 59 Im Norden eroberte er Samarien und zerstörte den Tempel auf dem Berg Garizim. 60 Dadurch wurden die Menschen gezwungen, nach Jerusalem zu pilgern und im Tempel zu opfern.

 

61 Ein Sklavenaufstand gegen die römischen Herren wurde von den Römern niedergeschlagen; tausende von Sklaven wurden gekreuzigt. 62 Den Römern gelang es, die Provinz Gallien jenseits der Alpen zu gründen. 63 Die Stämme der Kimbern und Teutonen sahen dem nicht tatenlos zu. 64 Auch Jugurtha, der neue König von Numidien, stellte sich nun gegen Rom. 65 Das römische Heer wurde dem Feldherrn Gaius Marius unterstellt und von ihm reformiert. 66 Dieser besiegte dann die Numider sowie die Rom bedrohenden Stämme der Teutonen, Ambronen und der Kimbern. 67 In Judäa lässt sich Aristobulos, der Sohn von Johanan mit dem Beinamen Hyrkanos, zum König proklamieren. 68 Er erobert das Gebiet Galiläa und versucht dort die jüdische Lebensweise einzuführen. 69 Als er ein Jahr später plötzlich stirbt, übernimmt sein Bruder Jonathan die Regierung und das Amt des Hohenpriesters. 70 Er legt sich den Namen Alexander Jannaios zu und heiratet seine verwitwete Schwägerin Salome. 71 Die Juden haben nach langer Zeit endlich wieder ihr Königreich. 72 Ob es bei Gott Bestand haben wird, werden künftige Generationen erleben.

 

 

T e i l     E I N S                  KAPITEL 6

                                                                                       

1 Hilf doch, o Herr, die Frommen schwinden dahin, unter den Menschen gibt es keine Treue mehr.

2 Die Römer erobern immer neue Gebiete, die alten Reiche gehen zugrunde und werden zu römischen Provinzen. 3 Rom muss Lösungen finden, um solch große Gebiete erfolgreich  zu  regieren. 4 Hier wird  die römische Verwaltung gefordert.

5 Um die neu entstandenen Probleme zu bewältigen, ergänzt man alte oder verfasst neue Gesetze. 6 Jedes neue Gesetz bedarf vor seiner Verabschiedung der Zustimmung des römischen Senats, dessen Mitglieder zu den angesehensten römischen Bürgern gehören. 7 Das Volk wählt jedes Jahr zwei Konsuln, welche mit höchster ziviler und militärischer Macht betraut werden und sich gegenseitig kontrollieren sollen. 8 Nach Beendigung ihrer Amtszeit wird ihnen als Prokonsuln von dem Senat jeweils eine Provinz als Verwaltungsgebiet zugewiesen. 9 Im Falle einer militärischen Gefährdung des römischen Staates wird auf ein halbes Jahr befristet ein Diktator bestimmt, dem die absolute Macht übertragen wird.

 

10 Zu jener Zeit bekam Rom Probleme mit den verbündeten Stämmen der Italiker. 11 Sie wollten das römische Bürgerrecht für sich erzwingen und errichteten sogar ihren eigenen Senat in der Stadt Corfinium, die sie Italica nannten. 12 Nach langen Kämpfen wurde das römische Bürgerrecht jenen erteilt, die Rom treu geblieben waren. 13 Im Osten hatte Rom die neue Provinz Asia zu verwalten, deren Gebiet von  dem  letzten  pergamonischen  König  Attalos  an  Rom  übergegangen  war. 

14 Das missfiel dem pontischen König Mithridates, der deswegen die in Asia lebenden Griechen zum Aufruhr gegen die römische Regierung wegen der hohen Steuern anstiftete. 15 Aus seiner neuen Residenz in Ephesus befahl Mithridates, alle in der Provinz Asia lebenden Römer und Italiker innerhalb eines Tages zu ermorden. 16 Der Widerstandsbewegung gegen die Römer schlossen sich auch die Athener an. 17 In Rom kommt es zu einer Auseinandersetzung zwischen dem Volk und dem Senat. 18 Es geht um die Kriegsführung gegen Mithridates. 19 Das Volk will Gaius Marius das Kommando übertragen, weil er die Reform des Heeres durchgeführt hat. 20 Der Senat bevorzugt dagegen den Konsul Lucius Cornelius Sulla, der sich im Bundesgenossenkrieg ausgezeichnet hat. 21 Es kommt zum Bürgerkrieg zwischen den beiden Lagern. 22 Sulla will sich die Beauftragung des Senats zur Lösung der Krise im Osten nicht nehmen lassen und begibt sich mit seinen Truppen zuerst gegen Athen und dann in die Provinz Asia. 23 In Rom ergriffen inzwischen die Anhänger von Gaius Marius die Macht. 24 Er selbst stirbt bald danach. 25 Sulla schließt Frieden mit dem pontischen König, und so bleibt Mithridates Herrscher über Pontus. 26 Sulla selbst kehrt eilig nach Rom zurück, beendet dort den Bürgerkrieg und lässt viele politische Gegner ermorden.  27 Er lässt sich zum Diktator ernennen.  28 Der junge Gnaeus Pompeius bekommt als Sullas Anhänger dessen Stieftochter zur Frau. 29 Als Feldherr führt Pompeius Ordnung in Sicilia, Africa sowie Hispania ein. 30 Nach dem Ende seiner Amtszeit als römischer Konsul wird er aufs Meer gegen die den Handel bedrohenden Piraten geschickt. 

 

31 Das Seleukidenreich zerfiel nach dem Tod Seleukos in mehrere Gebiete, in denen die Machtkämpfe fortdauerten. 32 Diese Situation nutzten die Einwohner von Kilikien, um mit der ertragreichen Seeräuberei zu beginnen. 33 Pompeius vernichtete sie und Kilikien wurde römische Provinz. 34 Er besiegte auch den pontischen König, woraufhin das Gebiet von Pontus und Bithynien römische Provinz wurde. 35 Im Osten grenzen nun die Römer an die militärisch starken Parther, mit denen sie den Fluss Euphrat als Grenze vereinbart haben. 36 Auch im jüdischen Königreich kam es zu wesentlichen Veränderungen. 37 Während der Regierung von Alexander Jannaios lehnte sich eine Gruppe frommer Juden gegen die wachsende Hellenisierung des jüdischen Königreichs auf.  38 Sie forderten Alexander auf, sich entweder für das Amt des Herrschers oder für das Hohenpriesteramt zu entscheiden.  39 Unter Alexanders Regierung hatten die Sadduzäer die Mehrheit im Hohen Rat und beeinflussten die jüdische Politik. 40 Die Opposition konnte mit der Unterstützung des einfachen Volkes rechnen, weil sie sich unter anderem auch zu den Vermögensunterschieden zwischen Arm und Reich äußerte. 41 Sie vertrat außerdem die Ansicht, dass der Tempeldienst der Thora untergeordnet sein müsste, aber auch den Prophetenschriften, die die Sadduzäer jedoch nicht anerkannten. 42 Damals kam es zum Aufstand der Oppositionellen, der blutig niedergeschlagen wurde. 43 Erst auf dem Totenbett forderte Alexander die beiden Gruppen im Hohen Rat zur Toleranz auf. 44 Nach Alexander bestieg seine Frau Salome, die sich den griechischen Namen Alexandra zulegte, den jüdischen Thron.

 

45 Salome Alexandra war die erste jüdische Königin. 46 Da sie als Frau das Hohenpriesteramt nicht ausüben durfte, wurde ihr Sohn Johanan Hyrkanos, der designierte König, damit beauftragt. 47 Unter Alexandras Regierung wurde der Gelehrte Shimon ben Schetach Vertreter des Hohen Rates. 48 Dieser setzte die pharisäische Interpretation des jüdischen Gesetzes durch. 49 Seine Reformen betrafen das Ehegesetz und die Einrichtung der Jungenschulen für den Thoraunterricht.  50 Die immer mehr in die Ecke gedrängten Sadduzäer wurden von der Königin mit der Kontrolle von Grenzfestungen betraut. 51 Das wusste nach dem Tod der Königin ihr machtgieriger Sohn Aristobulos zu nutzen, der viele Soldaten gegen seinen Bruder Hyrkanos gewann. 52 In dieser für Hyrkanos ungünstigen Lage half ihm der Idumäer Antipater als Ratgeber. 53 Hyrkanos verband sich mit dem nabatäischen König Aretes. 54 Aristobulos wandte sich seinerseits um Hilfe an den römischen Feldherrn Pompeius, der in Syrien gegen den armenischen König Tigranes kämpfte. 55 So wurde Hyrkanos zunächst besiegt, und Aristobulos bestieg den jüdischen Thron. 56 Bald aber gewann Hyrkanos mit Hilfe von Antipater den Pompeius für sich. 57 Als die Anhänger von Hyrkanos dem Pompeius die Tore Jerusalems öffneten, verschanzte sich Aristobulos mit seiner Legion ein paar Monate lang im Jerusalemer Tempel. 58 Als ihn schließlich Pompeius besiegte, betrat dieser  zum  allgemeinem  Entsetzen  der Juden  auch das Allerheiligste des Tempels. 59 Pompeius bestätigte Hyrkanos als Hohenpriester, doch Judäa wurde von ihm in Bezirke aufgeteilt und der römischen Provinz Syria untergeordnet. 60 Aristobulos´ Familie wurde als Geisel nach Rom gebracht, mit Ausnahme von Aristobulos´ Sohn Alexander, dem es zu fliehen gelang.

61 Während Pompeius außerhalb von Rom weilte, schmiedeten in Rom andere ihre politischen Pläne. 62 Unter ihnen Gaius Julius Caesar, Feldherr, Redner und Vorsteher des sakralen Kollegiums. 63 Er hatte die langjährige Feindschaft zwischen Crassus und Pompeius geschlichtet. 64 Caesar wurde mit Hilfe von Crassus und Pompeius  zum  Konsul  gewählt  und gab Pompeius seine Tochter Julia zur Frau.

65 Danach wurde er Prokonsul in Gallien. 66 Dort führte er Krieg gegen die Helveten und Briten. 67 Auch in Ägypten kam es zu Thronstreitigkeiten. 68 Der herrschende Ptolemaios wurde vertrieben und ging nach Rom, um dort Hilfe zu erbitten.  69 Mit  römischer  Hilfe wurde er wieder als  König  von Ägypten eingesetzt.

70 Die Römer beherrschen fast die ganze Welt. 71 Das reicht ihnen allerdings immer noch nicht. 72 Israel dagegen verliert wegen innerer Uneinigkeit und römischen Druckes nach und nach an Selbständigkeit und Bedeutung.

 

                                                                                                                      

T e i l     E I N S                  KAPITEL 7

 

1 Einst hast du, Herr, dein Land begnadet und Jakobs Unglück gewendet, hast deinem Volk die Schuld vergeben, all seine Sünden zugedeckt, hast zurückgezogen deinen ganzen Grimm und deinen glühenden Zorn gedämpft.

2 Als Hyrkanos Hohepriester in Jerusalem war und Antipater dort als Statthalter wirkte, erreichte Judäa eine Nachricht, die außer Trauer auch gewisse Erleichterung brachte. 3 Aristobulos, der Bruder von Hyrkanos, war in Rom ums Leben gekommen, während seinem Sohn Antigonos Mattathias die Flucht gelungen war. 4 Im Römischen Reich kam es zu Unruhen und Kriegen, da sich Julius Caesar weigerte, dem Beschluss des Senats über seine Entmachtung Folge zu leisten. 5 Er marschierte mit seinem Heer nach Rom, wo ihm der vom Senat mit der Verteidigung Roms beauftragte Gnaeus Pompeius entgegentreten sollte. 6 Pompeius aber stellte fest, dass er nicht genügend Truppen bereit hatte, und ergriff mit seinem Heer die Flucht. 7 Caesar verfolgte ihn, und in Thessalien kam es dann zum Kampf. 8 Julius Caesar besiegte den Gegner durch List. 9 Pompeius floh nach Ägypten, wo ihn Ptolemaios aus Angst vor Caesar ermorden ließ.

 

10 Caesar, der Pompeius nach Ägypten gefolgt war, schlichtete dort den Thronstreit zwischen Ptolemaios und dessen Schwester Kleopatra. 11 Auf sein Betreiben hin wurde Kleopatra wieder als Mitregentin eingesetzt. 12 In Alexandria kam es deshalb zu einem Aufstand gegen Caesar. 13 Mithridates von Pergamon und Antipater eilten mit ihren Truppen Julius Caesar zu Hilfe, und Caesar gelang es, wieder durch List, die Schlacht für sich zu entscheiden. 14 Caesar ernannte den jüngeren Ptolemaios zum Mitregenten, da der ältere ums Leben gekommen war. 15 Zwischen Kleopatra und Caesar entwickelte sich eine Liebesbeziehung, deren Frucht Ptolemaios Caesarion war. 16 Caesar bestätigte Antipater und Hyrkanos in ihren Ämtern, und Antipater erhielt die Erlaubnis, die Mauern Jerusalems wiederaufzubauen. 17 Seinen älteren Sohn Phasael bestellte Antipater zum Befehlshaber in Jerusalem, und seinen jüngeren Sohn Herodes in Galiläa. 18 Herodes kämpfte erfolgreich gegen Räuberbanden und wurde besonders von den Syrern als Befreier gefeiert. 19 Antipater wurde vergiftet, aber auch der Anstifter zum Giftmord fand im Auftrag von Herodes den Tod. 20 Indessen hatte Julius Caesar einige Schlachten gegen die Söhne und die Anhänger von Pompeius gewonnen. 21 So kehrte er als Alleinherrscher nach Rom zurück,  wo  er  zum  Diktator ernannt wurde. 22 Er führte einen neuen Kalender ein. 23 Zu Beginn waren viele Senatoren von Caesar begeistert gewesen, nun fürchteten sie, er könnte den Senat jeglichen Mitspracherechts entheben. 24 Es kam zu einer Verschwörung gegen ihn, in der Marcus Junius Brutus und Gaius Cassius Longinus die Hauptrolle spielten. 25 Caesar wurde in der Senatssitzung im Theater des Pompeius durch mehrere Dolchstiche ermordet. 26 Die Anführer der Verschwörung flohen aus Rom. 27 Gaius Octavius, Marcus Antonius und Marcus Aemilius Lepidus schlossen sich zum zweiten Triumvirat zusammen. 28 Sie verfolgten Caesars Mörder, die nach der Niederlage Selbstmord begingen.

 

29 In  Judäa  brachte  man  der Ausrufung Caesars zum Gott Verachtung entgegen.

30 Dennoch erhoben die Judäer bei Marcus Antonius Anklage gegen Herodes und Phasael. 31 Marcus Antonius ging nicht darauf ein. 32 Vielmehr ließ er mit Gewalt gegen die Meuterer vorgehen. 33 Der Neffe des Hohenpriesters, Antigonos Mattathias, nutzte die Gunst der Stunde, um auf seine Rechnung zu kommen. 34 Mit Hilfe  der  Parther  eroberte  er  Judäa  und erklärte sich selbst zum Hohenpriester.

35 Seinem Onkel, welcher von den Parthern gefangen genommen worden war, ließ er die Ohren abschneiden, um ihn für das Amt des Hohenpriesters untauglich zu machen. 36 Nachdem die Parther Jerusalem erobert hatten, beging Phasael Selbstmord, während Herodes nach Rom flüchtete. 37 Kurze Zeit darauf kehrte er aber als Belagerer Jerusalems zurück. 38 Er war nämlich vom römischen Senat zum König von Judäa ernannt worden. 39 Herodes eroberte Jerusalem und ließ Antigonos Mattathias auf Befehl von Marcus Antonius hinrichten. 40 Herodes verstieß seine erste Frau und heiratete Mariamne, eine Enkelin des Hohenpriesters Hyrkanos, um sich dadurch beim Volk beliebt zu machen. 41 Auf Drängen seiner Schwiegermutter verlieh Herodes das Amt des Hohenpriesters seinem Schwager Aristobulos und setzte den bis dahin amtierenden Ananel ab. 42 Als er jedoch sah, wie begeistert das Volk am Laubhüttenfest dem jungen Hohenpriester zujubelte, ging ihm das wider den Strich. 43 Nachdem Aristobulos, vermutlich durch Mithilfe von Herodes’ Dienern, ertrunken war, setzte Herodes Ananel wieder in sein Amt ein. 44 Damit machte er sich beim Volk noch verhasster.  45 Im Römischen Reich gab es wieder neue Bürgerkriege. 46 Octavius besiegte in einer Seeschlacht Marcus Antonius, doch gelang es diesem, zusammen mit Kleopatra, zu fliehen. 47 Nach diesen Ereignissen ließ Kleopatra Artavasdes, dem König von Armenien, den Kopf abschlagen. 48 Enttäuscht über die Niederlage, begingen Marcus Antonius und Kleopatra Selbstmord. 49 Marcus Agrippa besiegte in einer Seeschlacht die Flotte von Sextus Pompeius, welche die Kornzufuhr nach Rom blockierte. 50 In Rom ließ er einen Tempel für alle Götter bauen. 51 In Cantabri beendete er siegreich die dortigen Unruhen und Kriege. 52 Um einem Aufstand zuvorzukommen, ließ Octavius Caesarion, den Sohn von Kleopatra und Caesar, töten.  53 Octavius  erhielt  vom Senat   den  Namen  Augustus  verliehen. 54 Herodes ließ Tempel, Theater, Städte und Häfen bauen. 55 So erfolgreich wie Herodes als Feld- und Bauherr war, so viel Unglück hatte er in der eigenen Familie. 56 Es gab Machtkämpfe, in denen gefälschte Briefe, unzählige Intrigen und Verleumdungen zum Einsatz kamen. 57 So ließ Herodes fast seine ganze Familie umbringen. 58 Um seine großartigen Bauvorhaben zu verwirklichen, saugte er das jüdische Volk wirtschaftlich aus. 59 Je mehr es aber ausgebeutet und unterdrückt wurde, um so inniger flehte es zu Gott um das Kommen des Messias.

 

60 Augustus verstand es, seine Alleinherrschaft geschickt zu festigen. 61 Er führte eine neue Währung mit Gold-, Silber-, Messing- und Kupfermünzen ein. 62 Mit den Parthern schloss er einen Friedensvertrag. 63 Der Euphrat wurde als Grenze festgelegt. 64 Bei dieser Gelegenheit wurden Gefangene ausgetauscht. 65 Der Stiefsohn von Augustus, Nero Claudius Drusus, schlug die Aufstände der Germanen nieder. 66 Ein zunächst kleiner Konflikt artete in einen Krieg gegen die Bataver aus. 67 Sie wurden von Nero Claudius Drusus und seinem Heer besiegt. 68 Das Reich ist nun immens, aber der Bevölkerungszuwachs ist schwach. 69 Darum erlässt Augustus mehrere Gesetze. 70 Eines davon setzt Strafvorschriften bei Ehebruch und abartigem Sexualverhalten fest. 71 Ein anderes sieht Sanktionen gegen Unverheiratete vor. 72 Ob dies die erhofften Resultate bringen wird, bleibt abzuwarten.

 

 

T e i l     Z W E I                  KAPITEL 1

 

1 Der Herr ist mein Licht und mein Heil: vor wem sollte ich mich fürchten? 2 Der Herr ist die Kraft meines Lebens: vor wem sollte mir bangen?

3 Zurzeit, als Octavius Augustus Kaiser von Rom war, und König Herodes über die Juden herrschte, ereigneten sich in den Provinzen des ehemaligen Israels seltsame Dinge. 4 Das Volk war wegen der drückenden Steuerlasten, der Übergriffe von römischen Soldaten und der Willkür der königlichen Beamten in großer Bedrängnis. 5 Die Bevölkerung verarmte, man schob die Schuld dafür entweder Rom oder Herodes, oder gar beiden zu; die Menschen wurden ungeduldig und unbeherrscht. 6 Es gab viele, die dem Volk mal diese mal jene Lösung der Probleme, mal den einen, mal den anderen Ausweg aus der Notlage vorschlugen. 7 Manche waren für Gehorsamsverweigerung gegenüber Rom und Herodes, andere neigten eher zur Einigung mit dem Kaiser und dem König, um wenigstens gewisser Erleichterungen teilhaftig zu werden. 8 Für die Dritten wiederum war ein Krieg und gewaltsame Befreiung des jüdischen Volkes aus der Knechtschaft der einzige Ausweg. 9 Die Stimmung war trübe und unheilvoll. 10 Zum einen wurde die Hoffnung des Volkes auf eine bessere Zukunft genährt, zum anderen tauchten Einzelne auf, die, in der Überzeugung, dass etwas getan werden muss, als der erwartete Messias auftraten,  oder  es  zumindest  nicht  abstritten,  wenn  sie  dafürgehalten  wurden.

11 Auch das Volk glaubte, dass nur ein Messias es aus dieser schier ausweglosen Lage herausführen könnte. 12 Umso einfacher war es deshalb, das Volk zu manipulieren, und es für fremde Ziele einzuspannen.

 

13 Um diese Zeit etwa brachte ein Mädchen namens Miriam, das heißt Maria, aus Nazareth in Galiläa, einen Knaben zur Welt. 14 Das Mädchen beziehungsweise die junge Frau war mit einem Mann namens Josef, aus dem Geschlecht Davids, verheiratet. 15 Die Geburt selbst erfolgte in Bethlehem in Judäa. 16 Die Mutter des Knaben und ihr Ehemann behaupteten, dass dieses Kind nicht auf natürliche Weise, sondern durch ein Wunder Gottes empfangen worden sei. 17 Man hätte den Erzählungen des Paares gewiss keine Beachtung geschenkt, wenn damals nicht noch etwas Anderes geschehen wäre. 18 In der Nacht der Geburt kamen die Schafhirten aus der Umgebung von Bethlehem zu der Mutter und dem Neugeborenen und erzählten Erstaunliches. 19 Sie hätten in dieser Nacht die Herrlichkeit Gottes erlebt, die Engel Gottes gesehen und gehört. 20 Die Engel hätten ihnen mit großem Jubel und Gesang eine Botschaft übermittelt. 21 Zur großen Freude für das ganze Volk Israel sei in jener Nacht in der Stadt Davids der Messias, der Retter – der Herr, geboren worden. 22 Und die Engel hätten sie nach Bethlehem geschickt und ihnen gesagt, sie würden dort das neugeborene Kind und seine Mutter vorfinden, genauso wie es dann auch tatsächlich geschah. 23 Als das Kind am achten Tag beschnitten wurde, gaben ihm die Eltern den Namen Jeshua, das heißt Jesus. 24 In jenen Tagen ereigneten sich noch andere merkwürdige Dinge bezüglich des Kindes. 25 Aus dem Osten kamen Sterndeuter nach Jerusalem und fragten nach dem neugeborenen König der Juden. 26 Sie hätten an den Sternen abgelesen, dass ein neuer König der Juden geboren worden sei. 27 Ihre Behauptung versetzte König Herodes und die Schriftgelehrten in große Unruhe; die Schriftkenner wiesen den Sterndeutern den Weg nach Bethlehem, weil das die Stadt war, aus welcher der Messias erwartet wurde. 28 Obwohl die Weisheit der Sterndeuter nicht hinreichte, um das Kind selbst finden zu können, versetzte ihre Erzählung die Mutter des Kindes in Staunen. 29 Als die Eltern das Kind am vierzigsten Tag in den Tempel brachten, zur Auslösung des Erstgeborenen, wurde ihnen von völlig unbekannten Personen über ihren Sohn Jesus Großes vorausgesagt. 30 Die Mutter, aber auch viele Zeugen aus Bethlehem, Jerusalem und später aus Nazareth, bewahrten diese Ereignisse in ihrem Gedächtnis. 31 Als Jesus zwölf Jahre alt war, ging seine ganze Familie, wie es üblich war, mit ihm zum Fest nach Jerusalem. 32 Als das Fest vorüber war und sie schon auf dem Rückweg waren, bemerkten sie, dass Jesus fehlte. 33 Nach langem Suchen fanden sie ihn im Tempelbezirk, in eine Diskussion mit Lehrern und Gesetzeskennern verwickelt. 34 Alle Anwesenden waren von den Kenntnissen und dem scharfen Verstand dieses Wunderkindes hingerissen. 35 Die Gesetzeslehrer wären bestimmt begeistert gewesen, ihn unter ihren Jüngern zu haben; Jesus selbst wäre auch gerne dort geblieben, aber die Mutter war unerbittlich, und so musste der Junge mit den Eltern zurück nach Nazareth. 36 In Nazareth führte er ein ganz normales Leben und half dem Vater bei allen Arbeiten im Baugewerbe.

 

37 Zu der Zeit war die Lage in und um Jerusalem sehr angespannt. 38 König Herodes war gestorben und nach seinem Tod begann ein erbitterter Kampf um seine Nachfolge. 39 Letztendlich wurde das Königreich unter seinen drei Söhnen aufgeteilt. 40 Archelaos wurde Ethnarch von Judäa und Idumäa, Antipas von Galiläa und Philippus von Ituräa und Trachonitis. 41 Archelaos wurde später vom Kaiser entmachtet und Judäa wurde römische Provinz. 42 Es gab zu der Zeit viele kleine und größere Unruhen, Kämpfe, Rebellionen; römische Soldaten wurden wegen dreister Übergriffe in Jerusalem und im Tempel immer verhasster. 43 Die Zerstrittenheit der jüdischen Parteien und die Skrupellosigkeit der römischen Soldaten führten zu einem fast unerträglichen Zustand, der unheilvolle Zeiten ankündigte. 44 Die Gemüter waren erhitzt, den Besonnenen und um einen Kompromiss mit Rom bemühten Parteien wurde kein Gehör geschenkt. 45 In dieser angespannten Lage trat ein gewisser Johanan, das heißt Johannes, auf, welcher die Umkehr predigte und das nahe Reich Gottes verkündete. 46 Seine Predigten übten eine große Wirkung auf die Menschen aus, und viele kamen zu ihm, um nach dem Sündenbekenntnis von ihm in den Jarden, das heißt Jordan, getaucht zu werden, zum Zeichen der Umkehr. 47 Er selbst sagte, er sei weder der Messias noch ein Prophet, sondern ein Rufer in der Wüste, der einen Größeren ankündige. 48 Eines Tages kam der bereits erwähnte Jesus aus Nazareth zu ihm, dem sich inzwischen mehrere Jünger beigesellt hatten, und wurde von Johannes in den Jordan getaucht. 49 Bei seinem Eintauchen ereigneten sich laut Augenzeugen mehrere Wunderzeichen, und auch Johannes behauptete, dass Jesus derjenige sei, welchen er ankündigte.

 

50 Von da an fing Jesus an, mit seinen Jüngern durch Judäa, Samaria und Galiläa zu wandern und das Nahen des Gottesreichs zu verkünden. 51 Seine Vorträge, Predigten und Belehrungen bekräftigte er mit vielen Zeichen, sodass seine Gegenwart immer größere Massen anzog. 52 Man brachte Besessene und Kranke zu ihm, und sie wurden geheilt. 53 Viele waren von seiner Lehre und der Art, wie er die Thora auslegte, begeistert, sodass sich immer mehr Jünger um ihn scharten. 54 Aber auch viele Schaulustige, Wundersüchtige, Sensationsgierige waren darunter. 55 Auch Gesetzeslehrer aus Jerusalem fehlten nicht, welche vom Hohenpriester geschickt worden waren, um zu prüfen, was da eigentlich vor sich ging, ob tatsächlich Gott am Werk sein sollte, oder ob Dämonen und Scharlatane ihr Werk trieben. 56 Es darf auch die Gruppe der Eiferer für die Befreiung Israels nicht vergessen werden, welche sich erhofften, dass Jesus sie als Messias in den Kampf führen und die Römer besiegen würde. 57 Diese wurden am bittersten enttäuscht. 58 Denn Jesus machte keine Anstalten, dass er gegen jemanden Krieg zu führen gedenke, sondern genau das Umgekehrte: immer wieder rief er zu Frieden, Versöhnung, Nächstenliebe und Umkehr zu Gott auf. 59 Sowohl im Volk als auch unter den Gesetzeslehrern kam es in Bezug auf Jesus zu einer tiefen Spaltung. 60 Hinzu kam, dass er sich während der Feste in Jerusalem sehr oft provokativ verhielt und mit Schriftgelehrten, Pharisäern und Sadduzäern stritt. 61 Der Priesterschaft und den Tempeldienern machte er zum Vorwurf, dass der Tempel wegen ihrer Nachlässigkeit verunreinigt worden sei, dass sie aus dem Gotteshaus einen Marktplatz gemacht hätten. 62 Auch Menschen aus der Bevölkerung, welche ihm folgen wollten, in der Hoffnung, dadurch der Armut und Krankheiten zu entfliehen, stieß er vor den Kopf.

 

63 Er lehnte jedwede Führungsrolle im Befreiungskampf ab. 64 Seine Jünger teilte er in zwei Gruppen: zwölf engste Vertraute und zweiundsiebzig weitere Jünger als erweiterter Kreis. 65 Den Jüngern erklärte er die Schriften, deutete die Vorschriften der Thora, legte Zitate der Propheten aus und belehrte sie über die Geheimnisse des Menschenherzens und die Verwundbarkeit der Seele. 66 Zu vertraut aber war er mit niemandem, außer mit drei Jüngern aus dem Zwölferkreis, doch auch diese missverstanden ihn meistens; oft begriffen sie gar nichts, hatten aber Angst, ihn nach Erklärungen zu fragen. 67 Jesus offenbarte niemanden seine Vorhaben und machte überhaupt keine Anstalten, sich zum Messias ausrufen zu lassen, oder sich selbst als solcher zu proklamieren. 68 Einerseits war er provokativ, streitsüchtig, leicht erregbar, schroff, manchmal auch beleidigend, andererseits voller Liebe, Mitleid und Hilfsbereitschaft, wenn die Schwächsten und Ärmsten zu ihm kamen. 69 So ging das einige Jahre hindurch, und die Bevölkerung spaltete sich immer mehr, je bekannter er wurde. 70 Die breite Masse hing an ihm, die politischen und religiösen Führer wurden immer ärgerlicher. 71 Sie hielten eine Spaltung des Volkes seinetwegen für das Letzte, was die Juden derzeit brauchten. 72 Außerdem fanden sie es unerhört, dass er die Thora anders auslegte als sie, manchmal sogar skandalös für ihre Ohren. 73 Er betonte jedoch immer wieder, dass nicht ein Punkt oder ein Strich der Thora verändert oder verfälscht werden dürfe.

 

74 Er nahm sich die Freiheit heraus, den Gesetzeslehrern und manchen Pharisäern vorzuhalten, sie würden die anderen in der Thora unterweisen, selbst aber nicht danach leben. 75 Diese wiederum kritisierten ihn wegen seiner engen Verbindung zu den Essenern, einer nicht unproblematischen Gruppierung, die streng asketisch lebte. 76 Sie waren außerdem irritiert, weil er die Wichtigkeit der persönlichen Bekehrung hervorhob, der Versöhnung mit Gott, dem Nächsten und mit sich selbst, des Gebetes in Einsamkeit, des freudigen Fastens und der Hilfsbereitschaft. 77 Es schien, als hätte Jesus nicht das Volk Israel als Adressaten gemeint, sondern jeden einzelnen Menschen, egal ob Jude oder Heide. 78 Dazu kam seine Empfehlung der Gewaltlosigkeit, des Erduldens von Demütigungen und der Feindesliebe. 79 Die Römer misstrauten ihm, weil er überall große Menschenmengen anzog, worin sie heimliche Aufstandsvorbereitungen vermuteten. 80 Dass er umstritten war, zeigt auch die Tatsache, dass sogar viele seiner Jünger ihn verließen, weil sie seine Reden und sein Handeln nicht begreifen konnten. 81 Er bemühte sich in keiner Weise, sie zum Bleiben zu überreden oder neue Jünger heranzuziehen. 82 Die ganze Sache ging so weit, dass einer seiner Jünger ihn an den Hohen Rat auslieferte, welcher ihn nach einem Verhör und internem Streit dem Statthalter Pilatus übergab, mit der Forderung, ihn zum Tod am Kreuz zu verurteilen. 83 Das Hauptargument des Hohenpriesters für die Verurteilung waren die Worte, dass es besser sei, wenn ein Mensch für das Volk sterbe, als wenn das ganze Volk zugrunde gehe. 84 Pilatus ließ Jesus auspeitschen, die Soldaten verhöhnten ihn und setzten dem „König der Juden“ einen Dornenkranz auf; am Ende verurteilte ihn der Statthalter Pilatus zum Tod durch das Aufhängen am Kreuz. 85 Die meisten seiner Jünger ergriffen die Flucht und versteckten sich an jenem Tag. 86 Jesus starb am Kreuz und wurde begraben. 87 Aber nach einigen Tagen behaupteten seine Jünger sowie einige Frauen aus seiner früheren Begleitung, Jesus sei von den Toten auferstanden und lebe. 88 Sie erzählten dies mit so viel Freude und Begeisterung, dass viele ihnen Glauben schenkten. 89 Die Zahl der Jünger, die behaupteten, ihn als den Auferstandenen gesehen und gesprochen zu haben, wurde immer größer und immer mehr Menschen glaubten daran. 90 Besonders beeindruckend war die Tatsache, dass seine Jünger, fast ausnahmslos einfache Galiläer, auf einmal fließend, gebildet und furchtlos redeten, was niemand, der sie von früher her kannte, begreifen konnte. 91 Sie bewirkten sogar manche Zeichen und Wunder, was wiederum Menschen anzog, weswegen sie mit dem Hohen Rat in Konflikt gerieten. 92 Nach und nach bildeten seine Anhänger Hausgemeinschaften, die etwa nach Art der Essener lebten. 93 Der Wortführer dieser Jünger, Simon bar Jona, genannt Kephas, wiederholte immer wieder den Vorwurf, dass der Hohe Rat und die Priesterschaft Jesus zwar aus Unkenntnis der Tatsachen, aber doch vorsätzlich dem Tod ausgeliefert hätten.

 

94 Die Priesterschaft wollte diese Vorwürfe nicht auf sich sitzen lassen und verfolgte die Jünger mit allen Mitteln. 95 Man verbot ihnen unter Schlägen und Drohungen, ihre Lehre weiter zu verbreiten, doch sie entgegneten, sie hätten Gott und nicht den Menschen zu gehorchen. 96 Als die Anführer wieder einmal verhaftet wurden, um verhört zu werden, entstand unter den Mitgliedern des Hohen Rates eine hitzige Debatte darüber, wie man mit diesen Menschen weiter verfahre sollte. 97 Am Ende der Diskussion sagte ein angesehenes Mitglied des Hohen Rates unter anderem Folgendes: 98 Lasst von diesen Männern ab, und gebt sie frei; denn, wenn dieses Vorhaben oder dieses Werk von Menschen stammt, wird es zerstört werden; stammt es aber von Gott, so könnt ihr sie nicht vernichten; sonst werdet ihr noch als Kämpfer gegen Gott dastehen. 99 Daraufhin wurden die Jünger Jesu ausgepeitscht und schließlich freigelassen, nachdem ihnen verboten worden war die Lehre weiter zu verbreiten. 100 Es war schon allein an der Reaktion der Jünger abzusehen, dass sie sich nicht daran zu halten gedachten. 101 Durch deren Verkündigung und Zeichen fühlten sich die Eiferer für traditionelle Auslegung der Thora unter den Schriftgelehrten immer mehr provoziert, und man musste nicht lange auf ihre Gegenmaßnahmen warten.

 

102 Es gab mehrere feindliche Gruppen und auch namhafte Verfolger des „Weges“, wie die neue Lehre genannt wurde, unter denen ein Pharisäer und Schriftgelehrter namens Saul besonders berüchtigt war. 103 Auf seine Initiative hin wurden die Anhänger der Jünger Jesu immer wieder verfolgt, verhaftet, manchmal sogar gesteinigt. 104 Das bekannteste Opfer von Sauls Verfolgung war Stephanus, der vor den Mauern Jerusalems gesteinigt wurde. 105 Trotzdem verbreitete sich die Lehre Jesu in allen Provinzen des Römischen Reiches. 106 Saul machte sich auf den Weg nach Damaskus, um die dortigen Anhänger der Lehre gefangen zu nehmen. 107 Unterwegs nach Damaskus geschah mit ihm etwas Außergewöhnliches, wodurch Saul aus einem eifrigen Verfolger zum Verfechter und Verkünder der neuen Lehre wurde. 108 Dieses Ereignis wurde unterschiedlich gedeutet. 109 Manche behaupteten, dass er geisteskrank geworden wäre, andere wiederum, er wäre von den Jüngern bestochen worden. 110 Er selbst beteuerte, eine Erscheinung gehabt zu haben: Jesus hätte ihn in einer Vision von der Richtigkeit seiner Lehre völlig überzeugt und ihn zu seinem Jünger berufen. 111 Durch Sauls Anschluss hatte sich die Lage der Gemeinschaft Jesu entscheidend geändert. 112 Da er der Gebildetste unter den Jüngern und Erfahrenste in der Thoraauslegung war, konnte er die Thora auf eine den Schriftgelehrten und Pharisäern verständliche Weise mit der Lehre Jesu in Verbindung bringen, und zog so wieder neue Massen an. 113 Er verkündete Jesus als den Retter und Erlöser nun auch den Heiden, was die Gemeinden vor ein Problem stellte. 114 Die Heiden kannten und befolgten die Vorschriften der Thora nicht. 115 Sie wurden daher aufgefordert, sich unterweisen und beschneiden zu lassen und die Vorschriften der Thora zu befolgen, um gleichwertige Mitglieder der Gemeinde Jesu zu werden. 116 Aber Saul und auch einige Jünger waren in dieser Angelegenheit anderer Meinung. 117 Es herrschte also Einigkeit darüber, dass es Gottes Wille sei, die Heiden in die Gemeinden aufzunehmen und sie an der Lehre Jesu teilnehmen zu lassen, jedoch nicht darüber, unter welchen Bedingungen dies geschehen sollte. 118 Es gab jahrelang Streit, Beratungen und Diskussionen darüber.

 

119 Letztendlich wurde von der Beschneidung und der Befolgung der Thoravorschriften Abstand genommen; die Heiden konnten in die Gemeinde aufgenommen werden, sobald sie Jesus als ihren Erlöser und Lehrer angenommen hatten, und sollten dann lediglich die noachidischen Gesetze befolgen. 120 Nun prallten in den Gemeinden zwei verschiedene Lebensweisen gegeneinander, und es kam zu unhaltbaren Spannungen, Neid, Streit und Eifersucht unter den Mitgliedern. 121 Als erster erkannte Saul, dass der Zustand unerträglich geworden war. 122 Er vertrat die Meinung, dass Jesus viel mehr als nur jüdischer Messias, Prophet und Lehrer war. 123 Seiner Meinung nach war er der Sohn Gottes, der alle Menschen von ihren Sünden erlöst hätte, derjenige, der jeden einzelnen Menschen zum Glauben an den wahren Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs führen würde. 124 So wie Mose den Israeliten die Thora verkündete, damit sie als Volk am Leben blieben, an den Verheißungen Gottes teilhaben und als Staat aufblühen konnten, so habe Jesus, laut Saul, seine frohe Botschaft an jeden einzelnen Menschen gerichtet, damit er umkehren, am Leben bleiben, sich voll entfalten und ewiges Leben gewinnen könnte. 125 Jesus sei als Jude, als Israelit, als Sohn Davids und Sohn Gottes für alle Menschen der Erde eine Brücke zum wahren Glauben, weg von den Götzen und hin zur Teilhabe am Paradies, so Sauls Lehre. 126 Saul erkannte aber nach und nach zwei Tatsachen. 127 An Jesus und seiner Lehre schieden sich die jüdischen Geister, und die Spaltung unter den Juden war zu tief, als dass eine baldige Versöhnung in Sicht gewesen wäre. 128 Andererseits wuchs die Zahl der Heiden, welche Jesus angenommen hatten, immer schneller, sodass sie in den Gemeinden die jüdischen Mitglieder regelrecht erdrückten.

 

129 So beschloss Saul, sich vorerst ganz den Heiden zu widmen. 130 Er nahm in Kauf, dass die Juden zurückgestellt wurden, um die Lehre Jesu erst einmal der ganzen Welt zu verkünden und sie zum Glauben an den einen Gott zu führen, damit alle gerettet werden könnten. 131 Er sah in Jesu Lehre keine Konkurrenz zur Thora, sondern eine Anleitung, wie die Thora Israels von jedem einzelnen Menschen ins Leben umgesetzt werden konnte. 132 In dieser Meinung folgten ihm, wenn auch zögernd, einige von den Jüngern Jesu. 133 Dadurch spaltete sich die ursprüngliche Gemeinschaft und folgte auf zwei unterschiedliche Weisen der Lehre Jesu beziehungsweise der Lehre seiner Nachfolger. 134 Auf der einen Seite waren die rein jüdischen Gemeinden in Jerusalem, Judäa und Galiläa, deren Autorität neben Kephas auch Jakobus war, der Vorsteher der Jerusalemer Gemeinde. 135 Auf der anderen Seite waren die überwiegend aus ehemaligen Heiden bestehenden Gemeinden, die man schon sehr bald überall in Asien, Griechenland und Rom finden konnte. 136 Saul pendelte räumlich und geistlich zwischen den beiden. 137 Die jüdischen Anhänger Jesu lebten in erbittertem Streit mit den traditionstreuen Juden und litten unter Verfolgungen des Hohen Rates. 138 Die Lehre Jesu verbreitete sich sehr schnell unter den Diasporajuden sowie unter fremden Völkern. 139 Ein Teil der Juden sah darin eine unerhörte Lästerung und Gefährdung der reinen Thoralehre, für andere war es das Geschenk Gottes, welches bereits in der Thora als Rettung für alle Völker angekündigt worden wäre.

 

140 Es kam zu einer ähnlichen Zerreißprobe unter den Gelehrten wie damals, als die Thora zum ersten Mal ins Griechische übersetzt wurde. 141 Man wusste nicht so recht, was Gottes Wille und Gottes Plan sei, denn Gott ist immer größer als alle Vorstellungen der Menschen, seien sie noch so gelehrt und weise. 142 Es bleibt die Frage, was für Folgen das alles für das Volk Gottes und seine Zukunft haben wird.

 

143 Das waren in Kürze einige Ereignisse, die sich unter den Juden zur Zeit des Kaiser Octavius zugetragen haben, zwischen dem Tod von König Herodes und dem Tod von Kaiser Claudius. 144 Andere Gruppierungen in Israel, besonders die Zeloten, haben inzwischen das angespannte Verhältnis mit Rom zum Glühen gebracht.

T e i l     Z W E I                  KAPITEL 2

 

1 Gott, die Heiden sind eingedrungen in dein Erbe, sie haben deinen heiligen Tempel entweiht und Jerusalem in Trümmer gelegt. 2 Die Leichen deiner Knechte haben sie zum Fraß gegeben den Vögeln des Himmels, die Leiber deiner Frommen den Tieren des Feldes.

3 Einst klagte der Psalmist über den Untergang Jerusalems, jetzt ist es unsere Aufgabe, die erneute Zerstörung Jerusalems und seines Tempels zu schildern. 4 Die pikanten Einzelheiten der Katastrophe, an denen sich die Heiden weiden, sind hinlänglich bekannt, daher  werden  wir uns hier damit  nicht  weiter  beschäftigen.

5 Auch den von den Siegern verbreiteten Gruselgeschichten werden wir hier keinen Raum geben. 6 Stattdessen wollen wir unser Augenmerk lieber auf die Ursachen der verheerenden Zerstörung sowie deren Folgen richten. 7 Traurige Tatsache ist, dass es keinen Tempel mehr gibt, dass Jerusalem in Trümmern liegt. 8 Es ist nicht zu leugnen, dass sich ein solches Unglück schon seit längerer Zeit anbahnte. 9 Rom ist eine Weltmacht, die sich in manchen Angelegenheiten zuverlässig und korrekt verhält, jedoch kein Erbarmen kennt und kein Verständnis hat für das Streben der unterjochten Völker nach Freiheit. 10 Den Juden wurde unter der römischen Herrschaft ein Minimum an freier Ausübung ihres Tempelkultes und religiöser Riten gestattet. 11 Von Zeit zu Zeit jedoch kam es auf dem Tempelplatz zu Übergriffen von mutwilligen römischen Soldaten sowie Exzessen mancher Statthalter bei der Bestrafung unsympathischer Juden.

 

12 Auch von jüdischer Seite her gab es Provokationen, Überfälle und Aufstandsversuche gegen die Römer. 13 Manche Hitzköpfe und Eiferer unter den Juden glaubten, sie könnten  der  größten  Weltmacht  trotzen,  sie  sogar besiegen und Israel befreien. 14 Unter diesen gab es Einzelne, denen es mehr um ihren eigenen Ruhm und persönliche Bereicherung ging, als darum, die Volksgenossen aus der schlimmen Lage zu befreien. 15 In extremen Fällen steigerte sich blinder Eifer zu religiösem Wahn, was dann mit dem jüdischen Glauben nichts mehr gemeinsam hatte, sondern nur den Feinden Israels in die Hände spielte. 16 Der Tempel wurde von solchen untereinander konkurrierenden Gruppen immer mehr in Beschlag genommen, bis er schließlich besetzt und entweiht wurde, während die gemäßigten, weisen und auf Verhandlung bedachten Menschen einfach niedergebrüllt oder niedergemetzelt wurden. 17 Eine derartige Entwicklung führte unausweichlich zu Auflösungserscheinungen, Gesetzlosigkeit und Gewaltanwendung. 18 Dabei gab es in den vergangenen Jahrzehnten durchaus Hoffnungszeichen: Es tauchten weise Männer auf, die dem jüdischen Volk den Weg in eine bessere Zukunft Israels wiesen. 19 An erster Stelle soll hier Hillel genannt werden. 20 Er war ein großer Lehrer der Thora, ein Mann der Demut, des Friedens und der Sanftmut. 21 Seine Bemühungen gingen dahin, die Israeliten zur Thora als Quelle ihrer Existenz zurückzuführen, zu Geduld und Frieden zu mahnen, zur Nächstenliebe aufzurufen. 22 Er wurde von seinen Zeitgenossen nur teilweise verstanden, noch weniger angenommen, besonders nicht von der Priesterschaft, die er wegen ihrer Unzulänglichkeiten scharf rügte. 23 Er tat alles, um die Thora und die Traditionen Israels über die kommenden Ereignisse hinwegzuretten, um sie für die künftigen Generationen zu bewahren, als hätte er die Katastrophe vorausgesehen. 24 Hillel war ein leidenschaftlicher Verfechter der Liebe  zu  Gott  und  den  Mitmenschen, ein einsamer

Rufer, der zu  Frieden und Umkehr  aufrief. 25 Nach  ihm  kam, ohne  jedoch sein Nachfolger zu sein, Jesus  von  Nazareth.26 Seine Lehre war der Lehre Hillels im Grunde sehr ähnlich, ging jedoch über die Anliegen  Israels hinaus, in den persönlichen Bereich eines jeden Menschen. 27 Er legte besonderen Wert auf innigen Dienst an Gott und dem Nächsten, auf Reinheit des Herzens, Lauterkeit der Gedanken, Vergebungsbereitschaft, Feindesliebe. 28 Auch er wurde missverstanden und endete am Kreuz. 29 Unmittelbar vor der großen Katastrophe hatten beide, Hillel und Jesus, namhafte Nachfolger.  

                                                                                                                                                                                                                         

30 Jochanan ben Sakai war ein Schüler Hillels, der sich in der Thorauslegung auszeichnete und sich für die Durchsetzung der pharisäischen Sichtweise der heiligen Schriften gegenüber der sadduzäischen verdient machte. 31 Er bemühte sich um Ausgleich und Versöhnung zwischen den unterschiedlichen jüdischen Gruppierungen; sein Versuch, zwischen Juden und Römern zu vermitteln, blieb allerdings ohne nennenswerten Erfolg. 32 Er war sich der Bedeutung des Augenblicks für Israel wohl bewusst, ebenso wie seiner eigenen Aufgabe darin. 33 Mit Gottes Hilfe gelang es ihm, in Jamnia ein neues Zentrum des Judentums zu gründen, welches jüdische Tradition und Geschichte über den drohenden Untergang hinwegretten sollte. 34 Dies war sein Lebenswerk. 35 Verschiedene Überlieferungen wurden schriftlich festgehalten, die Thora und andere heilige Schriften neu überdacht und der Gegenwart angepasst, Geschichten und Lehren gesammelt und aufgearbeitet. 36 Die kommenden Generationen werden dank der aufopfernden Arbeit des Jochanan ben Sakai und anderer Gelehrten nicht ohne Wurzeln aufwachsen.

 

37 Eine weitere herausragende Persönlichkeit war Saul aus Tarsus, der sich später Paulus nannte. 38 Ursprünglich Pharisäer, wurde er dann zum Anhänger der Lehre Jesu von Nazareth. 39 Er tat sich als ein exzellenter Lehrer hervor. 40 Unter seiner Federführung fingen die Nachfolger Jesu an, sich „Christen“ zu nennen, zumindest der größte Teil von ihnen. 41 Auch Paulus überdachte die heiligen Schriften und redefinierte teilweise ihre Deutung auf Jesus hin. 42 Er glänzte in Wissen und Redegewandtheit, wodurch er viele Heiden für die christlichen Gemeinden gewann. 43 Er machte sie mit den jüdischen Überlieferungen und Gesetzen bekannt, hielt sich dabei allerdings an seine eigene Interpretation. 44 Er war ebenso wie ben Sakai Befürworter einer friedlichen Lösung für Jerusalem. 45 Obwohl er durch seine Lehre viele Juden entzweite, lag ihm das Schicksal seines Volkes sehr am Herzen. 46 Viele seiner jüdischen Anhänger sind der Meinung, dass Paulus, wenn er während der Belagerung Jerusalems noch gelebt hätte, mit Sicherheit in den Tempel geeilt wäre, um dort zu sterben. 47 Auf diese Weise hätte er das vollendet, was an den Leiden Jesu noch fehlte, nämlich als Paschalamm innerhalb Jerusalems geschlachtet zu werden, das heißt, im Tempel als Opfer zur Vergebung der Sünden zu sterben. 48 In dem Fall hätten sich seine Reden wortwörtlich erfüllt, nämlich, dass sich der Tempel als Opferstätte erübrige, weil Jesus ein für allemal geopfert worden sei und durch sein Opfer alle Tieropfer ersetzt habe. 49 Paulus war damals aber nicht mehr am Leben und die Christen waren schon vor den schrecklichen Ereignissen aus Jerusalem geflohen. 50 Manche von ihnen retteten dadurch ihr Leben, um später zur Belustigung der Römer wilden Tieren zum Fraß vorgeworfen zu werden. 51 Auch die Essener zerstreuten sich nach und nach in alle Himmelsrichtungen. 52 Manche wechselten zu den Pharisäern über, manche suchten Zuflucht in der Wüste, andere wiederum schlossen sich den Freiheitskämpfern an. 53 Da ihre Lebensweise der christlichen sehr ähnelte, ist es nicht verwunderlich, dass sich ein Teil von ihnen den Christen anschloss. 54 Dort fanden sie manch eine Lehre, die ihnen nicht unbekannt war, unter anderem Paulus´ Empfehlung der Ehelosigkeit, die auch von einem Teil der Essener vertreten wurde.

 

55 Nach der Zerstörung Jerusalems entfernten sich die Anhänger von Jochanan ben Sakai und die Nachfolger von Jesus immer mehr voneinander, bis sie schließlich zu Feinden wurden. 56 Es fing mit gegenseitigen Schuldzuweisungen wegen der Tempelzerstörung an und endete mit der Ausgrenzung aus der jeweiligen Gemeinschaft und gegenseitigem Verfluchen. 57 Eins blieb jedoch beiden gemeinsam: die Bereitschaft, für ihre Überzeugung und zur Verherrlichung Gottes ohne zu zögern ihr Leben hinzugeben, was in den römischen Arenen in ausreichendem Maße unter Beweis gestellt wurde. 58 Beide Seiten bezahlten bereitwillig den Blutzoll für den Fortbestand des Glaubens.

                                                                                                                                                                     59 Nun soll an dieser Stelle auch einiges über die römischen Sieger gesagt werden. 60 Während der langen Besatzungszeit verhielten sie sich mitunter korrekt und wohlwollend, doch nach dem letzten Triumph über die Juden zeigten sie ihr wahres Gesicht. 61 Mit dem Sieg allein und der angerichteten Zerstörung gaben sie sich nämlich nicht zufrieden. 62 Sie wollten Rache nehmen, der Tempelschätze und des Goldes habhaft werden, des gemeinsamen Eigentums aller Juden. 63 So begingen sie nicht nur massenhaft Morde, sondern plünderten auch alles, was irgendeinen Wert darstellte. 64 Nachdem sie Jerusalem und Judäa verwüstet hatten, waren sie auch noch stolz darauf. 65 Das geplünderte Gut und die aus dem Tempel des Herrn geraubten Schätze stellten sie zur Schau und veranstalteten Triumphzüge. 66 Über ein späteres Urteil der Geschichte oder die Möglichkeit einer späteren Rache der Juden machten sie sich keine Gedanken, denn sie betrachteten die Judenfrage als endgültig gelöst. 67 Nun, so dachten sie, hätten ihre Staatsgötter keine Konkurrenz mehr. 68 Die ganze Welt würde ihnen huldigen, zujubeln, ihnen opfern. 69 Aber sie hatten sich verrechnet, sie hatten sich getäuscht, und zwar mächtig. 70 Die verbliebenen Juden und Christen schieden zum Entsetzen der Römer lieber freiwillig aus der Welt, als römischen Götzen zu opfern. 71 Ihr Blut strömte wie ein Lobgesang, färbte die Straßen und Plätze von Rom blutrot und verkündete: Der Allmächtige, der Gott Israels, lebt und wird von seinen Knechten verherrlicht. 72 Dieses Blutzeugnis wird für immer bestehen bleiben, selbst dann noch, wenn es von Rom und seinen Herrschern keine Spur mehr geben wird, keine Erinnerung mehr unter der Sonne.

 

 

T e i l     Z W E I                  KAPITEL 3

 

1 Zum Schimpf sind wir geworden in den Augen der Nachbarn, zu Spott und Hohn bei allen, die rings um uns wohnen. 2 Wie lange noch, Herr?

3 Rom  war  der  Überzeugung,  die  Judenfrage ein für alle Mal gelöst zu haben. 4 Man wähnte das Judenvolk mit seinem Ein-Gott-Glauben vernichtet und die römischen Staatsgötter konkurrenzlos. 5 Aber von irgendwoher kamen immer wieder irgendwelche Juden und sorgten für Aufruhr. 6 Als die Römer meinten, für Grabesstille gesorgt zu haben, ertönte wie aus dem Nichts von überall her Kriegsgeschrei. 7 Ob  in  Judäa,  ob  in der Diaspora - ein Aufstand folgte dem anderen. 8 Die Juden waren verwundet, aber noch lange nicht vernichtet. 9 Die Römer wurden immer verdrossener, weil so ein unbedeutendes Völkchen ihnen so viel zu schaffen machte. 10 Auf beiden Seiten gab es Verbitterung, die allmählich in Hass überging. 11 Was daraus resultierte, wurde schon von verschiedenen Geschichtsschreibern festgehalten.

 

12 Daher versuchen wir uns hier zunächst mit dem geistigen Zustand des jüdischen Volkes  zu  befassen,  mit den unterschiedlichen Strömungen  in  seinen  Reihen. 13 Durch die Absonderung der jüdischen Anhänger Jesu entstand für das Judentum eine noch nie dagewesene Situation. 14 Mit ihrer Lehre sorgten sie nämlich nicht nur für Unruhe und Spaltung in ihrem eigenen Volk, viel einschneidender war die Tatsache, dass durch sie auch Heiden zum Glauben an Jesus von Nazareth kamen.

 

15 Auf diese Weise gingen den Juden ihr „Exklusivrecht“ auf die Thora, die jüdischen Riten und Traditionen verlustig. 16 Denn plötzlich redeten Heiden über jüdische heilige Schriften und Thoravorschriften, und obschon sie selbst nicht danach lebten, maßten sie sich an, diese besser zu verstehen und deuten zu können als die Juden selbst. 17 Man möchte vielleicht annehmen, dass Juden sich in der Folge größerer Beliebtheit bei den Heiden erfreuten. 18 Leider war genau das Gegenteil der Fall. 19 Um dies dem Leser verständlicher zu machen, wollen wir die Sache hier einmal kurz und vereinfacht darlegen. 20 Zu dem Zeitpunkt gab es unter den Juden drei Gruppierungen, die beinahe keine Gemeinsamkeiten aufwiesen, bis auf eine: jede von ihnen war überzeugt, dass ihre Ziele das Beste für das jüdische Volk seien. 21 An erster Stelle seien hier die weisen Männer erwähnt, Lehrer der Pharisäerschule, Hüter des Glaubens und der Tradition, sowie deren Anhänger, eine große schweigende Mehrheit der Juden. 22 Sie wollten die Reinheit der Lehre um jeden Preis bewahren, und um das zu erreichen, produzierten sie immer mehr Vorschriften,  durch die eine Art Schutzwall um die Thora gebaut werden sollte. 23 Ihrer Meinung nach war dies die beste Art, das Erbe Israels zu bewahren und die richtige Auslegung der Thora zu sichern. 24 Dabei entfernten sie sich aber von der Thora selbst, denn ihre Vorschriften und Deutungen wurden immer mehr zu Reaktionen auf die Lehren der Sadduzäer, Christen und Essener. 25 Auf diese Weise entstanden Schriften, die ihrem Inhalt nach eher der hellenistischen als der jüdischen Denkweise entsprachen. 26 Anders denkende Juden wurden prinzipiell ausgeschlossen, gemieden, ja verflucht.

 

27 An zweiter Stelle seien die Aufständischen genannt, welche wiederum aus verschiedenen Untergruppen bestanden. 28 Die größte unter ihnen stellten die Eiferer für das Gesetz und Israel dar sowie all jene, die den Messias erwarteten; dazu zählten auch die Abenteurer und Fanatiker. 29 Die dritte Gruppe stellten jene Juden dar, die dem Weg und der Lehre Jesu von Nazareth  anhingen. 30 Sie befanden  sich  in  einer  schier  aussichtslosen Lage. 31 Einerseits wurden sie von den anderen Juden aus der Synagoge ausgeschlossen und verflucht, andererseits aber von den Christen aus dem Heidentum in erster Linie als Juden betrachtet und dafür verachtet. 32 Die Heidenchristen sind inzwischen zu einem wichtigen Faktor geworden. 33 Es sind Griechen, Parther, Römer, Ägypter und andere, die die Lehre von Paulus aus Tarsus angenommen haben und sich nun zu Jesus von Nazaret bekennen.  34 Sie verachten die traditionellen Juden, mögen aber auch die Judenchristen nicht. 35 Es gibt viele Gründe dafür. 36 Um das zu erläutern, muss hier ein wenig zurückgegriffen werden.

 

37 Rom hat die Juden nach der Niederschlagung ihres Aufstandes und der Zerstörung Jerusalems auf jegliche Art und Weise unterdrückt und schikaniert, ebenso wie die Christen, die von Rom als eine jüdische Sekte betrachtet wurden. 38 Den Heidenchristen wurde das irgendwann zu viel und sie fingen an, sich vom Judentum beziehungsweise von den Judenchristen zu distanzieren. 39 Dazu kamen die Aufstände der Diasporajuden in Cyrenaika, Ägypten, Zypern und Mesopotamien, in denen leider manch ein jüdischer Anführer zeigen wollte, dass die Juden genauso grausam, wenn nicht noch grausamer sein konnten als die Römer. 40 Je erfolgreicher die Aufständischen waren, um so zahlreicher wurden ihre sowohl an Heiden als auch an Christen vollbrachte Untaten. 41 Das löste bei den Heidenchristen Empörung und Hass auf alles Jüdische aus. 42 Die Lage wurde noch dramatischer, als Rabbi Akiva den Kämpfer Simon Bar Kochba zum Messias proklamierte. 43 Die Aufständischen um Bar Kochba brachten viele Christen um. 44 Die Juden, denen inzwischen die Beschneidung und andere Riten von Rom verboten worden waren, hielten die Christen für mitverantwortlich dafür. 45 Den Judenchristen warfen sie vor, jüdische Aufstände nicht unterstützt zu haben. 46 Dabei schienen sie ganz vergessen zu haben, dass auch die jüdischen Lehrer und die Frommen des Volkes abseitsstanden, mit Ausnahme von Rabbi Akiva. 47 Die Judenchristen entgegneten ihnen, die Aufstände wären nur Menschenwerk gewesen und hätten dem jüdischen Volk erheblich geschadet.

 

48 Die Juden sahen in den Judenchristen Verräter, in den Heidenchristen Verleumder und Mitschuldige an den Leiden der Juden, in den Heiden unrechtmäßige Besatzer. 49 Die Heidenchristen betrachteten die Juden als Mörder des Messias und Gottesverräter, während sie die Judenchristen als Zwitter betrachteten, die nicht so recht wüssten, wohin sie gehörten; in den Heiden sahen sie Gottes Werkzeug zur Bestrafung der Juden. 50 Die Judenchristen aber wurden von allen angefeindet und bedroht, von Juden, Heidenchristen, am meisten aber von Heiden. 51 Für die heidnischen Herrscher hingegen waren allesamt ein nichtsnutziges, störrisches Element, das nur Probleme schaffte. 52 Dementsprechend behandelten sie sie auch. 53 In Jerusalem folgte in dichten Abständen eine Schandtat der anderen. 54 Kaum wurde nach der Zerstörung des Tempels und der Stadt mit dem Wiederaufbau begonnen, ließ Lucius Quintus auf dem Tempelberg Götzenstatuen aufstellen.

 

55 Nun stand der unheilvolle Gräuel an dem Ort, wo er nicht hätte stehen dürfen. 56 Jetzt wäre es für die Anhänger Jesu an der Zeit, in die Berge zu fliehen. 57 In Jerusalem gab es aber keine Anhänger Jesu mehr und in Judäa nur noch wenige, denn sie waren schon früher geflohen. 58 Manche Judenchristen sehen in ihrer übereilten Flucht aus Jerusalem die Ursache dafür, dass die Lehre Jesu im jüdischen Volk nicht in größerem Ausmaß Fuß gefasst hat. 59 Nach dem gescheiterten Aufstand  Bar  Kochbas  machten  die  Römer  Jerusalem dem Erdboden gleich. 60 Auf derselben Stelle errichteten sie ihre Stadt Aelia Capitolina mit Tempeln und Götzenstatuen. 61 Um die Juden noch mehr zu demütigen, nannten sie die Provinz Judäa in Syria Palästina um, nach den Philistern, den einstigen Erzfeinden der Juden. 62 Sie konnten nicht verkraften, dass so ein kleines Volk durch sein Heldentum einer militärischen Weltmacht wie Rom so viele Niederlagen beigebracht hatte. 63 Deshalb wollten sie die Namen Jerusalem und Judäa aus der Geschichte tilgen. 64 Sie hatten vor, alles zu vernichten oder sonst wie aus der Welt zu schaffen, was in irgendeiner Weise mit Judentum zu tun hatte, um so das jüdische Volk samt seiner Wurzeln auszulöschen.

 

65 Dabei vergaßen sie aber, dass Israel nicht irgendein Völkchen am Rande der Wüste war, sondern Gottes persönliches Eigentum, sein auserwähltes Volk, um das Er sich immer kümmern wird, und möge es noch so sündhaft sein. 66 Keine Macht der Welt kann dieses Volk vernichten, weil Gott ihm die Sohnschaft bis ans Ende der Zeiten zugesichert hat. 67 Dies ist ja bisher auch noch niemandem gelungen,  weder  Ägyptern  noch  Babyloniern,  weder  Persern  noch  Makedoniern. 68 Schließlich hat Gott, der Schöpfer der Welt, immer und überall das letzte Wort. 69 Die nach der Vernichtung übrig gebliebenen Juden wurden in die ganze Welt versprengt. 70 Als hätte Gott seinen Samen in all die verschiedenen Völker ausgesät, um seine Thora, Beschneidung und Sabbat überall auf der Welt wachsen zu lassen. 71 Andererseits gingen aber auch Christen in die weite Welt hinaus, um die frohe Botschaft und die Auslegung der Thora im Sinne des Juden Jesus aus Nazareth zu verkünden. 72 Die Welt mit ihren Nöten und Alltagssorgen nimmt zurzeit wenig Notiz davon.                                                                                                            

 

 

T e i l     Z W E I                  KAPITEL 4

                                                                                        

1 Sei mir gnädig, o Gott, sei mir gnädig; denn ich flüchte mich zu dir. 2 Im Schatten deiner Flügel finde ich Zuflucht, bis das Unheil vorübergeht.

3 Hadrians Nachfolger Antoninus Pius hob das Beschneidungsverbot auf und die Lage der Juden wurde dadurch etwas erträglicher. 4 Die Römer betreiben immer noch Juden- und Christenverfolgung, aber mehr sporadisch. 5 Sie haben ziemlich viel mit Unruhen an verschiedenen Grenzen des Imperiums zu tun. 6 Im Westen haben sie die Grenze befestigt und Absperrungen und Hindernisse gegen etwaige Angreifer gebaut. 7 Im Osten führen sie Kriege mit den Parthern. 8 An der nördlichen Grenze gibt es öfters Kämpfe mit anstürmenden Volksstämmen. 9 Dies hindert die Römer daran, die Juden und Christen systematisch auszurotten. 10 Rom schickte ein Heer unter dem Kommando von Lucius Verus nach Osten, um gegen die Parther vorzugehen. 11 Die Parther nutzten nämlich jede Gelegenheit, sei es nun Thronwechsel, innere Unruhen in Rom oder irgendwelche sonstigen Zwistigkeiten, um ihr Territorium auf Kosten Roms zu vergrößern. 12 Nach dreijähriger Kriegsführung gelang es Lucius Verus und seinen Truppen bis in die parthische Doppelhauptstadt Seleukia-Ktesiphon vorzudringen. 13 Sie plünderten die Stadt und zerstörten sie teilweise. 14 In den niedergebrannten Teilen der Stadt brach eine gefährliche Seuche aus. 15 Viele römische Soldaten steckten sich an. 16 Manche starben sofort, andere überlebten und schleppten die Seuche nach Rom und in die nördlichen Provinzen ein.

 

17 Dies hatte schlimme Folgen für das ganze Imperium. 18 Unzählige Soldaten und Bauern starben, was natürlich negative Auswirkungen auf die Kampfkraft des Heeres und die Versorgung der Bevölkerung hatte. 19 Auch Lucius Verus selbst starb daran, als  er im Begriff war, die Alpen in Richtung Norden zu passieren. 20 Er musste nämlich den Krieg gegen die Parther abbrechen, weil er mit seinem Heer zurückbeordert wurde, um im Norden die anstürmenden Volksstämme aufzuhalten. 21 So schaffte er es gerade noch, den nicht vollständigen Sieg gegen die Parther in Rom als einen Triumph zu feiern; kurze Zeit danach war er tot. 22 Und während das römische Heer gegen die Markomannen und anderen Stämme kämpfte, erholten sich die Parther. 23 Da in Rom ein Bürgerkrieg herrschte, in dem rivalisierende Parteien um die Thronfolge kämpften, hatten es die Parther umso leichter, sich daraus Vorteile zu verschaffen. 24 Als ihre Aktionen in Rom als ernsthafte Bedrohung erkannt wurden, setzte Septimius Severus seine Truppen in Marsch. 25 Die Parther wurden zurückgeschlagen, aber auch Septimius Severus musste den Krieg, wie vor ihm schon Lucius Verus, vorzeitig abbrechen. 26 Er sah nämlich seinen Anspruch auf die Thronfolge gefährdet und kehrte mit den Truppen nach Rom zurück. 27 Dort besiegte er seinen Rivalen Clodius Albinus. 28 Da ihm nun der Thron gesichert schien, nahm er den Kriegszug wieder auf. 29 Er eroberte die Partherstadt Ktesiphon. 30 Damit sorgte er für einstweilige Befriedung der Ostgrenze des Imperiums. 31 In den Nordprovinzen Raetia, Pannonia, Dacia und Noricum dagegen herrschte Unruhe. 32 Trotz der befestigten Grenze ließen sich die anstürmenden Volksstämme nicht mehr aufhalten. 33 Markomannen, Quaden, Jazygen und andere bedrohten den Frieden und ließen sich durch keinerlei Friedensvereinbarungen im Zaum halten. 34 Rom führte mehrere Kriege gegen sie; eine Beruhigung der Lage war nicht in Sicht. 35 Schon während dieser Kriege vermischten sich Angehörige der einfallenden Stämme mit der einheimischen Bevölkerung. 36 Das Gewirr von Völkern und Sprachen führte in manchen Gebieten zu Chaos. 37 Zum Schluss wusste man nicht mehr, wer zu wem gehörte, wer gegen wen kämpfte. 38 Zur  gleichen  Zeit bekriegte man sich aber auch noch an einer anderen Front. 39 Zwar ging es da nicht um einen bewaffneten Krieg, wohl aber um heftige Wortgefechte. 40 Bei den Gegnern handelte es sich um Christen und Juden, besser gesagt um Heidenchristen und Juden. 41 Beide wurden von den Römern noch gelegentlich verfolgt und zu Tode gequält. 42 Beide konnten heldenhafte Glaubenszeugen aufweisen, die lieber bereitwillig in den Tod gingen, als Gott zu verleugnen.

 

43 Anstatt  sich  jedoch  gegenseitig zu helfen, verfeindeten sie sich immer mehr. 44 Es erschienen immer zahlreichere christliche Abhandlungen, in denen die Juden als falschgläubige Jesusmörder verleumdet und abgestempelt wurden. 45 Besonders massiv wurden derartige Anklagen nach der Eröffnung einer christlichen Schule in Alexandria. 46 Es handelte sich um eine Schule nach dem Modell heidnischer Philosophenschulen. 47 Ihr Gründer war ein gewisser Pantaenus, ein Stoiker. 48 Dort wurden zum Christentum konvertierte Heiden in griechischer Denkweise geschult und in der Disziplin „griechische Philosophie“ ausgebildet. 49 Es wurde auch die Thora in griechischer Übersetzung gelesen, doch wurde sie neu interpretiert; die neue Auslegung war ein Konglomerat aus Elementen der pharisäischen Lehre und griechischen Philosophie, durchsetzt mit Begriffen aus der heidnischen Götterwelt. 50 So entstand nach und nach eine neue Religion, in welcher der authentische Jesus und seine Lehre nur noch eine untergeordnete Rolle spielten. 51 Wenn nun von Jesus die Rede war, wurde der Eindruck vermittelt, als wäre Jesus gar kein Jude aus Nazareth gewesen, sondern eher ein Grieche aus Rom, Alexandria oder Athen. 52 Jüdische Rabbinnen verfolgten diese Entwicklung zunächst mit großer Sorge, später mit Entrüstung, ja sogar mit Panik. 53 Es war für die jüdischen Gelehrten keinesfalls annehmbar, dass Menschen, welche noch bis vor kurzem Idolen und Götzen Opfer darbrachten, nun die Juden, welche die Schrift und eine Jahrtausende alte Tradition besaßen, in Glaubenssachen belehren würden. 54 Diese selbsternannten Schriftkenner forderten von den Juden, die Beschneidung aufzugeben, den Sabbat abzuschaffen und manches mehr. 55 Dabei gaben sie vor, dies alles aus der Thora und den Propheten herausgelesen zu haben. 56 Sie scheuten sich sogar nicht zu behaupten, Gott hätte die Juden verworfen, und sie, die Heidenchristen, hätten die Juden als das von Gott auserwählte Volk abgelöst. 57 Alle Verheißungen aus den heiligen Schriften würden ab sofort nicht mehr für die Juden, sondern für die Heidenchristen gelten. 58 Als Beweis für die Verwerfung der Juden führten sie die Zerstörung des Tempels und die Zerstreuung der Juden an. 59 Als ob sie vergessen hätten, dass der Tempel auch schon früher zerstört worden war und dass die Juden schon früher in der Verbannung gelebt hatten, ohne deswegen von Gott verworfen worden zu sein. 60 Die Heidenchristen ignorierten einfach die Tatsache, dass auch Jesus ein Beschnittener war, der an der Thora festhielt. 61 Sie brachten die Beschneidung mit Mose am Sinai in Verbindung, obwohl es eindeutig ein Zeichen für Gottes Bund mit Abraham und allen seinen Nachkommen auf ewig war. 62 Ferner behaupteten sie, Judenverfolgung wäre Gottes Strafe für ihre Bosheit; die naheliegende Frage zu stellen, warum denn sie selbst auf die gleiche Weise verfolgt wurden, kam ihnen nicht in den Sinn. 63 Von den Juden, die der Lehre Jesu anhingen, verlangten sie, das Befolgen der Thora und ihre jüdischen Traditionen aufzugeben. 64 Schnell wurden Jesu jüdische Abstammung, seine Lebensart und seine eigentliche Lehre unter die Oberfläche geschoben. 65 Etliche heidenchristliche Eiferer und Gelehrte bauten auf diese Weise fleißig an der Trennmauer, die zwischen Jesus und seinem Judenvolk errichtet wurde.

 

66 Eine Mauer, die es einem Juden unmöglich machen sollte, Jesus nachzufolgen und dabei Jude zu bleiben. 67 Im Grunde genommen war das ein weiterer Versuch, die Juden auszurotten, diesmal vonseiten des neuen Glaubensweges. 68 Es ist nur allzu verständlich, dass sich Gott ergebene Juden von den Christen distanzierten, ja, sie sogar verfluchten. 69 Denn sie erkannten die Unzulänglichkeit der neuen Religionsphilosophie, die mehr auf Gerede und Lippenbekenntnisse aufbaute, als auf Gehorsam und Erfüllung der Gebote. 70 Sie gaben den Heidenchristen die Schuld an der entstandenen Situation. 71 Entrüstet über die Christen, verwarfen sie auch Jesus und seine Lehre, um wankelmütige Juden nicht der Gefahr des Abfalls vom Glauben der Väter auszusetzen. 72 Für christliche Eiferer war das ein willkommener Anlass, den Streit noch mehr aufzuheizen, um endgültige Entzweiung herbeizuführen.

 

 

T e i l     Z W E I                  KAPITEL 5

                                                                                                                                                                                        1 Dein Wort ist meinem Fuß eine Leuchte, ein Licht für meine Pfade.

2 Wie  ein  Lauffeuer verbreitet sich der christliche Glaube im Römischen Reich. 3 Auch Kaiser Severus kann ihm durch sein Verbot nicht Einhalt gebieten. 4 Die hoffnungsvolle Kunde vom Himmelreich spricht viele Menschen an. 5 Sie werden mit dem Leben und den Taten von Jesus aus Nazareth durch mündliche Überlieferung und die Schriften seiner Nachfolger vertraut gemacht. 6 In vielen christlichen Gemeinden werden Briefe von Paulus aus Tarsus gelesen. 7 Auch Gedanken christlicher Philosophen werden verbreitet. 8 Einer von ihnen ist Justinus, der in seinen Schriften die Unterschiede zwischen Christen und Juden definiert hat. 9 Er hat festgelegt, was ein Christ seiner Meinung nach zu glauben hat und was nicht, um nicht als Häretiker zu gelten. 10 Dies bezieht sich in erster Linie auf die Judenchristen, die  sich laut Justinus entscheiden  sollten, zu welcher Seite sie gehören.

11 Solche und ähnliche christliche Schriften veranlassen wiederum jüdische Rabbinen, auch den jüdischen Glauben genauer zu definieren. 12 Federführend in dieser Angelegenheit sind Rabbinen pharisäischer Tradierung. 13 Diese behauptet, dass Mose am Sinai außer der Thora auch die Anleitung zu ihrer Auslegung bekam. 14 Im Unterschied zu den Sadduzäern sind die Pharisäer der Ansicht, dass man die Auslegung der Thora dem Stand der gesellschaftlichen Entwicklung anpassen soll. 15 Die Sadduzäer haben nach der Tempelzerstörung ihre Obliegenheiten verloren; nun werden sie von den Pharisäern auch noch als Häretiker bezeichnet. 16 Mit der Zeit sind unterschiedliche jüdische Traditionen der Thoraauslegung entstanden, die man jetzt niederschreibt.

 

17 Auch bei den Christen entstehen neue Evangelien und Schriften, in denen Glaubensfragen behandelt und Lebensanweisungen gegeben werden. 18 Christliche Philosophen beginnen allmählich über die Wesenheit Gottes zu diskutieren, was nicht selten zu Kontroversen führt. 19 Die Lehre von dem personifizierten Wort Gottes ist unter den Juden schon lange bekannt. 20 Nun befürchten die Rabbinen, diese Lehre könnte von den Christen auf die Person Jesu von Nazareth bezogen werden.  21 Deshalb widersetzen sie sich entschieden der Gleichsetzung der Begriffe Memra und Logos. 22 Sie schaffen klare Richtlinien, um das Judentum gegen den christlichen Glauben abzugrenzen. 23 Jüdische und christliche Religionsvorsteher verunglimpfen einander und spalten die Gläubigen in zwei feindselige Religionsgemeinschaften, ungeachtet der Tatsache, dass sie alle an denselben Gott glauben. 24 Nach dem Tod des römischen Bischofs Zephyrinus wurde Callistus sein Nachfolger. 25 Er versuchte, die Kompetenzen des römischen Bischofs auch auf andere christliche Gemeinden auszudehnen. 26 Das brachte ihm die Kritik des Gelehrten Tertullian ein. 27 Callistus führte heftige Auseinandersetzungen mit Tertullian und Hippolyt, unter anderem wegen der mit bestimmten Sünden einhergehenden Buße. 28 Hippolyt wurde als Bischof einer strengen Sondergemeinde von Callistus exkommuniziert. 29 Während Christen und Juden sowohl untereinander als auch gegeneinander geistliche Kämpfe führten, tobte im Römischen Reich ein Kampf um die Macht. 30 Nach dem Tode des Kaisers Severus setzte sich sein Sohn Marcus Aurelius Severus Antoninus als Thronfolger durch. 31 Er bekam den Spitznamen Caracalla, nach seinem beliebten gallischen Kapuzenmantel. 32 Caracalla ließ seinen Bruder und  Mitkaiser  Geta,  zusammen mit  mehreren  Tausend Anhängern, ermorden. 33 Er gewährte allen freien Einwohnern des Imperiums das römische Bürgerrecht.  34 Seine Machtposition war ganz vom Heer abhängig, daher erhöhte er den Soldaten erheblich ihren Sold. 35 Da das Reich dadurch in finanzielle Schwierigkeiten geriet, führte Caracalla eine Währungsreform durch. 36 In religiöser Hinsicht war er tolerant, denn er wollte sich die Gunst aller „Götter” sichern. 37 Im Kampf gegen die Germanen sicherte er die Nordgrenze des Römischen Reiches. 38 Danach machte er sich, fasziniert von den Taten des großen Alexanders, nach Osten auf.

 

39 Im Partherreich kam es nach dem Tode von König Vologaeses zum Machtkampf zwischen seinen Söhnen und schließlich zu einem Bürgerkrieg. 40 Als Sieger ging der Artabanos hervor, dessen Tochter Caracalla zur Frau nehmen wollte. 41 Nach der Ablehnung seitens des parthischen Königs marschierte Caracalla ohne nennenswerten Widerstand nach Mesopotamien ein. 42 Ehe es jedoch zu einer Auseinandersetzung mit den Parthern kam, wurde Caracalla von seinem Wächter ermordet. 43 Im Soldatenlager wurde der Prätorianer Präfekt Macrinus zum Kaiser ausgerufen. 44 Dieser schloss Frieden mit den Parthern. 45 Macrinus gab den Armeniern und Dakern die Kriegsbeute und die Gefangenen zurück, die damals Caracalla weggeführt hatte. 46 Dies wiederum gab Anlass zu einem Soldatenaufruhr gegen Macrinus. 47 Die Situation nutzte Caracallas Mutter aus, um ihren vierzehnjährigen syrischen Verwandten Varius Avitus zum unehelichen Sohn Caracallas zu erklären. 48 Avitus wurde daraufhin in Syrien von einer gallischen Legion zum Kaiser ausgerufen. 49 Beide Gegner gerieten in der Schlacht bei Antiochia aneinander, wobei Macrinus die Flucht ergriff und später festgenommen wurde. 50 Avitus nahm als Kaiser den Namen Marcus Aurelius Antoninus an. 51 Er stammte aus einer priesterlichen syrischen Familie und war selbst ein Priester des syrischen Sonnengottes. 52 In Rom wurde Antoninus Avitus jedoch nicht mit Begeisterung empfangen, da er den verhassten Caracalla feiern ließ. 53 Er führte in Rom syrische Bräuche ein und wollte den syrischen Sonnengott über die oberste römische Gottheit stellen. 54 Avitus wurde von den aufständischen römischen Soldaten ermordet.

 

55 Nach ihm wurde sein Cousin zum Kaiser, der den Namen Marcus Aurelius Severus Alexander führte. 56 Er respektierte die römischen Bräuche; seine Mutter pflegte Umgang mit dem christlichen Theologen Origenes. 57 Im Partherreich kam es unerwartet zu einer großen Kehrtwende. 58 Der kleine Stamm der Sassaniden gewann dank Ardaschir die Führungsposition im südlichen Gebiet des Partherreiches, in der Persis. 59 Der parthische König Artabanos konnte erst nach dem römisch-parthischen Friedensabkommen gegen die Rebellen aus Persis vorgehen. 60 Er wurde von Ardaschir zurückgeschlagen, wonach sich Ardaschir in Ktesiphon zum Großkönig krönen ließ. 61 In weiteren Kämpfen eroberte Ardaschir nach und nach alle parthischen Gebiete und gründete so das neupersische Sassanidenreich. 62 Nur Armenien blieb weiterhin unter der Herrschaft einer Nebenlinie der Arsakidendynastie. 63 Ardaschir  versuchte  auch  Nordmesopotamien  zu erobern doch der Kampf gegen die Römer endete ohne einen Sieger. 64 Der römische Kaiser Severus Alexander musste seinen Feldzug im Osten beenden und in den Kampf gegen die Germanen eilen, welche erneut die römischen Nordprovinzen angegriffen hatten. 65 Der schwache, unter dem Einfluss seiner Mutter stehende Kaiser genoss keinen Respekt bei den Soldaten und wurde bei Mogontiacum von ihnen ermordet. 66 Danach wählten sie aus ihrer Mitte den Feldherrn Maximinus und riefen ihn zum neuen Kaiser aus. 67 Das Römische Reich hat nun gleichzeitig mehrere Kaiser. 68 Einer von ihnen ist der von der Armee im Osten ausgerufene Marcus Julius Philippus. 69 Er stammt aus der kaiserlichen Provinz Arabia Petraea und ist somit der erste römische Kaiser aus Arabien. 70 Philippus besiegt mit seinem Heer die Germanen und verteidigt die bedrohte Nordgrenze des Imperiums. 71 Seine Religionspolitik gegenüber Juden und Christen ist tolerant. 72 Das sollte sich aber schon bald ändern.

                                                                                 

      

T e i l     Z W E I                  KAPITEL 6

 

1 Du aber, Herr, halte dich nicht fern; Du, meine Stärke, eile mir zu Hilfe! 2 Entreiße mein Leben dem Schwert, mein einziges Gut aus der Gewalt der Hunde.

3 Der römische Kaiser Philippus ernannte den Präfekten Decius zum Statthalter von Moesia und Pannonia. 4 In diesen von den Goten ständig bedrohten Gebieten kam es inzwischen zu einem militärischen Aufruhr. 5 Die Soldaten riefen Decius zum Kaiser aus. 6 In dem darauffolgenden Bürgerkrieg schlug Decius den Kaiser Phillipus bei Verona. 7 Decius erhielt die Unterstützung des Senats. 8 Er übernahm die Macht im Römischen Reich. 9 Er kämpfte während seiner ganzen Regierungszeit gegen die Goten. 10 Dies war einer der östlichen Germanenstämme. 11 Die Germanen waren verschiedene Stämme mit ähnlichen Sprachen und Mythologien. 12 Sie trieben regen Handel mit Rom, wehrten sich aber erfolgreich gegen seine Expansion. 13 Rom deutete seine militärischen Misserfolge als Zeichen des Zorns römischer Götter. 14 Immer mehr römische Bürger hatten sich nämlich mit der Zeit von ihren traditionellen Gottheiten abgewandt, während verschiedene orientalische Kulte immer beliebter wurden. 15 Kaiser Decius bestand auf einen einheitlichem Götter- und Kaiserkult. 16 Er ließ Kommissionen einberufen, welche die Teilnahme an Opferungen beaufsichtigen sollten. 17 Die Juden wurden davon ausgenommen, weil ihre Religion als eine der geduldeten galt. 18 Christen genossen dieses Privileg nicht. 19 Aus diesem Grund mussten sie wegen ihres Glaubens schlimme Verfolgungen erdulden. 20 Manche von ihnen flohen in die Wüste, andere erwarben durch Bestechung eine Bestätigung über ihre Loyalität. 21 Eine große Zahl von Christen wählte aber lieber den Tod als Glaubensverrat. 22 Unter den vielen Märtyrern waren auch Fabian, der Bischof von Rom, Alexander, der Bischof von Jerusalem, sowie der Theologe Origenes.

 

23 Unterdessen drangen germanische Stämme, angeführt von den Goten, in die römische Provinz Dacia ein. 24 Dort machten sie jedoch nicht halt, sondern zogen in die Provinzen Moesia, Thracia und Illyricum weiter. 25 Decius fiel bei Abrittus im Kampf gegen die Goten. 26 Der neue Kaiser Trebonianus Gallus schloss mit den Goten einen Friedensvertrag. 27 Die Goten kehrten mit reicher Beute zurück, außerdem wurde Rom tributpflichtig. 28 Infolge vieler Epidemien wurde die Bevölkerung des Römischen Reiches dezimiert. 29 Zwischen Rom und den Goten kam es erneut zu einem Konflikt wegen der Nichtzahlung des Tributs. 30 Die Goten  drangen  in  die  Provinz  Macedonia  und  weiter bis nach Thessaloniki ein. 31 Zahlreiche Franken kamen über die Nordwestgrenze nach Gallien. 32 Die Alemannen stießen über die Alpen nach Italien vor. 33 Im Osten wurde das Römische Reich von den Sassaniden bedroht. 34 Die Perser eroberten Mesopotamien, Syrien und das Armenische Königreich. 35 Kaiser Valerian gelang es, die Stadt Antiochia am Orontes zurückzugewinnen. 36 Unter seiner Herrschaft kam es wieder zu einer starken Christenverfolgung. 37 Dabei wurden der römische und der karthagische Bischof, Sixtus und Cyprian, hingerichtet. 38 Valerian bestimmte seinen Sohn Gallienus zum Mitkaiser. 39 Als später Valerian von den Persern festgenommen wurde, übernahm Gallienus die Macht im ganzen Römischen Reich. 40 Im Westen erhob sich  der  niedergermanische  Statthalter  Marcus  Cassianus  Postumus gegen ihn. 41 Er bemächtigte sich der Provinzen Gallia, Britannia und Hispania. 42 Colonia Claudia Ara Agrippinensium machte er zur Hauptstadt mit eigenem Senat und eigener Währung. 43 Es gelang ihm, die Grenze gegen die Germanen zu verteidigen. 44 Im Osten eroberte die römische Armee Mesopotamien von den Sassaniden zurück. 45 Auch in der abtrünnigen Provinz Ägypten schaffte Rom wieder Ordnung. 46 Kaiser Gallienus beendete die Christenverfolgung und erteilte der christlichen Gemeinde einen legalen Status, wie ihn die Juden auch hatten. 47 Dies war unter anderem der diplomatischen Fähigkeit des neuen römischen Bischofs Dionysius zu verdanken. 48 Dieser bemühte sich außerdem die römische Kirchenverwaltung zu reorganisieren und Verbindungen zu anderen christlichen Gemeinden zu knüpfen. 49 Dionysius bekämpfte Irrlehren und berief eine Synode ein, die den Sabellianismus und Subordinationismus verurteilte. 50 Auf einer Synode in Antiochia wurde der dortige Bischof Paul von Samosata abgesetzt, weil er behauptete, Jesus sei ein bloßer Mensch gewesen, und keine Erscheinungsform Gottes. 51 Kaiser Gallienus versuchte vergeblich die westlichen Provinzen zurückzuerobern. 52 Es gelang ihm allerdings, die Goten auf ihrem Zug nach Mesopotamien aufzuhalten. 53 Gallienus wurde bei Mediolanum ermordet. 54 Auch der gallische Kaiser Postumus wurde nach einem Soldatenaufstand umgebracht. 55 Der nachfolgende Kaiser Aurelianus konnte das zerfallende Römische Reich wieder einigen. 56 Aurelianus förderte den Kult des Sonnengottes, dessen Hauptfest man drei Tage nach der Wintersonnenwende feierte. 57 Diesem Sonnenkult ähnelte der Mithraskult, der im Römerreich auch verbreitet war. 58 Ebenso hatte der Manichäismus unter den Römern Fuß gefasst. 59 Der Perser Mani verband in seiner Lehre Elemente des Christentums, Buddhismus und Zoroastrismus. 60 Er wurde unter dem sassanidischen König Bahram hingerichtet und seine Lehre verboten. 61 Die Söhne Bahrams zettelten in dem Sassanidenreich einen Bürgerkrieg an. 62 Dies nutzte der römische Kaiser Carus, um die persische Hauptstadt Seleukia-Ktesiphon zu erobern. 63 Sein Nachfolger Diokletian leitete große Reformen im Römischen Reich ein. 64 Er ernannte seinen Freund Maximian zum Mitkaiser und übertrug ihm die Verantwortung über den Westteil des Römischen Reiches. 65 Diokletian und Maximian ernannten Constantius und Galerius zu Unterkaisern. 66 Denen oblag es, einige bedrohte  Gebiete  zu  schützen, zugleich galten sie als Nachfolger der Oberkaiser. 67 Rom blieb formal die Hauptstadt des Römischen Reiches. 68 Die Ober- und Unterkaiser bauten jedoch andere Städte zu ihren Regierungssitzen aus. 69 Das ganze Reich wurde in vier Herrschaftsgebiete aufgeteilt. 70 Im Osten musste man gegen den persischen König kämpfen. 71 Diokletian gelang es, einen für Rom günstigen Friedensvertrag mit den Sassaniden zu schließen. 72 Daraufhin kündigte er sein Vorhaben an, das Reich gründlich zu reformieren.

 

 

T e i l     Z W E I                  KAPITEL 7

 

1 Gott, sei mir gnädig nach deiner Huld, tilge meine Frevel nach deinem reichen Erbarmen! 2 Denn ich erkenne meine bösen Taten, meine Sünde steht mir immer vor Augen.

3 Dank der Reformen gelang es Diokletian, das Imperium aus der Krise zu führen. 4 Dann wandte er sich der Erneuerung der religiösen Praxis zu. 5 Er forcierte das Opfern den römischen Staatsgöttern, bestand auf sakraler Verehrung des Kaisers und ließ alte heidnische Bräuche neu aufleben. 6 Dabei wurden Juden und Christen zum Störfaktor. 7 Nicht etwa durch Aufwiegelei, oder Aufstände. 8 Nein, sie weigerten sich lediglich, römischen Göttern zu opfern, weil diese für sie nichts als Götzen waren. 9 Da Juden nicht sehr zahlreich waren und dazu noch sehr versprengt lebten, richtete sich Diokletians Wut hauptsächlich gegen Christen. 10 Bei den Christen nahm die Zahl der Gläubigen stetig zu und sie waren schon eine ansehnliche Religionsgemeinschaft geworden.

 

11 Diokletian und sein Unterkaiser ordneten die Zerstörung christlicher Gebetsstätten sowie Verbrennung christlicher Schriften an. 12 Ferner sollten alle christlichen Bischöfe, Vorsteher und Presbyter inhaftiert und gefoltert werden. 13 Über alle, die sich weigerten dem Kaiser zu opfern, wurde die Todesstrafe verhängt. 14 Christen und vereinzelt auch Juden wurden eingekerkert, in Bergwerke geschickt, gefoltert und hingerichtet. 15 Der einzige Grund dafür war ihre Treue zum Einen Wahren Gott. 16 Christen und Juden hatten viel gemeinsam, was ihre Treue zu Gott und   die Ablehnung des Kaiserkultes betraf. 17 Trotz dieser Berührungspunkte fanden sie nicht zueinander. 18 Im Gegenteil, je mehr Zeit verging, desto feindseliger standen sie einander gegenüber. 19 Mit Anschuldigungen, Verspottung und Beschimpfungen wurde nicht gespart, darin waren Christen noch bissiger als Juden. 20 In einer solchen Stimmung hielten die Bischöfe und Presbyter aus den westlichen Teilen des Reiches eine Versammlung ab. 21 Sie wollten sich auf eine gemeinsame Haltung gegenüber den Heiden einigen. 22 Dabei verfassten sie aber auch Beschlüsse gegen Juden und ein Zusammenleben mit ihnen. 23 Laut diesen Beschlüssen durften Christen keine Ehe mit Juden eingehen, keine Tischgemeinschaft mit ihnen pflegen und keine Feldfrüchte von ihnen segnen lassen. 24 Bis dahin verlief gerade in diesen Provinzen das Zusammenleben zwischen Christen und Juden harmonisch, zumindest nicht feindselig. 25 Durch die erwähnten Beschlüsse wurde dem ein Ende gesetzt. 26 Nun zurück zu Kaiser Diokletian und seinem Nachfolger Galerius. 27 Nachdem sich Diokletian zur Ruhe gesetzt hatte, zeichnete sich sein Nachfolger Galerius durch massive Christenverfolgung aus. 28 Doch dann erkrankte er schwer. 29 Die Krankheit musste bei ihm wohl ein Umdenken in Gang gesetzt haben. 30 Schon fast auf dem Sterbebett sorgte er mit einem Erlass für ein Ende der Christenverfolgung. 31 Was aber die Umwelt noch mehr erstaunte, war, dass er sich selbst und das Reich in die Gebete der Christen empfohlen hatte. 32 Nun kam eine Zeit des Aufatmens für die Christen, und auch die Juden profitierten von der neu entstandenen Lage. 33 Die christlichen Gemeinden erholten sich schnell und bekamen großen Zuwachs, weil die Krankheit und Tod des Kaisers als Gottes Eingreifen zugunsten der Christen interpretiert wurden.

 

34 Nach dem Tod von Galerius brachen Kämpfe um seine Nachfolge aus. 35 Aus diesen Kämpfen ging Konstantin als Sieger hervor. 36 Konstantin pflegte eine besondere Sympathie für das Christentum. 37 Der Grund dafür war wohl sein sagenumwobener Sieg über den Rivalen Maxentius am Fluss Tiber in der Nähe von Rom. 38 Seinen Sieg führte er auf eine Vision des christlichen Kreuzsymbols zurück und auf die Verheißung, dass er in diesem Zeichen siegen wird. 39 Nun hoffte er, dass er immer siegreich bleiben würde, wenn er sich zum Christentum bekennen würde. 40 Manche Berater aus seiner Umgebung bestärkten ihn in dieser Meinung. 41 So fing der heidnische Kaiser an, mit dem Christentum zu sympathisieren und es zu favorisieren. 42 Die Christen spürten und genossen die neugewonnene Freiheit, sie waren voller Freude. 43 Aber schon bald fanden sich Vorsteher, Philosophen, Bischöfe, die durch ihre Lehren die Freude trübten und die Lehre der Thora sowie des Evangeliums verschleierten. 44 Kaum hatte man als Christ endlich die Freiheit errungen, sich frei zu Gott und Jesus zu bekennen, schon musste man sich vor eigenen Glaubensgenossen fürchten; es blieb nämlich nicht ohne Folgen, wenn man seinen Glauben und seine Hoffnung nicht „richtig“ formulierte, wenn man nicht die „richtige“ Vorstellung von Gott und Jesus im Herzen trug. 45 Je mehr die Christen untereinander stritten, umso entschiedener verlangte der Kaiser nach Einheit in Glaubensangelegenheiten. 46 Er konnte als Heide natürlich nicht begreifen, dass Gott größer ist als alle Vorstellungen, die man sich von ihm machen kann, und dass jeder Christ durch Jesus von Nazareth seinen eigenen Zugang zu Gott hat. 47 Aber leider erkannten das auch die Bischöfe nicht, die in der gerade erworbenen Freiheit ihre Autorität und ihre Macht ausbauen wollten, indem sie den Gläubigen ihre eigenen Vorstellungen und Lehren aufzwangen. 48 Schnell wechselte man vom demütigen Sklavenhabitus zum arroganten Herrschergebaren.

 

49 So kam es nun im Christentum nicht mehr darauf an, wie man leben, beten, Almosen geben, die andere Wange hinhalten, den Nächsten lieben soll; wichtig waren irgendwelche sophistischen Begriffe von Gott, Göttern, Glauben und Glaubenswahrheiten. 50 Die Gemüter erhitzten sich immer mehr, statt Einheit wurde Hass geschürt, eine Spaltung war unvermeidlich. 51 Aber der heidnische Kaiser Konstantin duldete keine Spaltung.  52 Er berief eine Versammlung der Bischöfe, zwang ihnen ein Glaubensbekenntnis auf, setzte die nicht Unterwürfigen ab und schickte sie in die Verbannung. 53 In der Praxis wurde alles mit Füßen getreten, was man als Thora und Evangelium verkündete, das Verhalten wurde jenem der Heiden ähnlich, ja, man übertraf sie sogar an Bosheit. 54 Es wurden auch einschneidende Neuerungen in das Christentum eingeführt, die es gläubigen Juden unmöglich machen sollten, das Christentum freiwillig anzunehmen. 55 Der Sabbat wurde abgeschafft und als Wochenfeiertag der Sonntag eingeführt. 56 Das Osterfest wurde von der Pessahfeier getrennt und auf einen anderen Tag verlegt. 57 Der jüdische Kalender wurde durch den Sonnenkalender ersetzt. 58 Man begann die Geburt Jesu nach dem neuen Kalender zu begehen. 59 Das Christentum wurde zur Staatsreligion. 60 Kaiser Konstantin wurde kurz vor seinem Tod getauft. 61 Seine Mutter Helena ließ in Jerusalem christliche Kirchen bauen.

 

62 Nach dem Tod von Konstantin führte insbesondere sein Sohn Constantius eine entschlossene Christianisierungspolitik durch. 63 Viele Kleriker erlagen den Verlockungen, welche die neue Stellung des Christentums mit sich brachte. 64 Man missbraucht den neugewonnenen Status, bereichert sich, versinkt in heidnischer Lebensart. 65 Eine große Mehrheit der Christen ist darüber entsetzt, nimmt Anstoß daran, aber sie kann die Entwicklung nicht aufhalten. 66 Die Amtskirche entfernt sich immer deutlicher von der apostolischen Lebenspraxis und wird immer judenfeindlicher. 67 Diejenigen unter den Christen, die Erneuerung und Rückbesinnung auf das Evangelium anstreben, werden an den Rand gedrängt oder sogar aus der Kirche ausgeschlossen. 68 Obwohl immer noch ein großer Teil der Christen an der Lehre und den Forderungen Jesu festhält, ergibt die äußere Erscheinung der Kirche und des Klerus ein ganz anderes Bild. 69 Die hierarchische Struktur der Amtskirche entspricht den politischen Strukturen des Römischen Reiches, der Ehrerbietungskodex orientiert sich am Kaiserkult. 70 Man hat eine Liturgie entwickelt, die eher an eine kaiserliche Hofzeremonie als an Jesu Abendmahl erinnert. 71 Die Juden werden in Hasspredigten immer öfter als „Gottesmörder“ dämonisiert. 72 Es hat den Anschein, als wollten die neuentstandenen Machthaber des Christentums die Juden auslöschen, um kein „Mahnmal“ vor ihren Augen zu haben, das sie an den Juden Jesus und seine Lebensweise erinnern würde.

 

 

T e i l     D R E I                   KAPITEL 1

 

1 Denn nicht mein Feind beschimpft mich, das würde ich ertragen; nicht ein Mann der  mich  hasst, tritt  frech  gegen mich auf, vor ihm könnte ich mich verbergen. 2 Nein, du bist es, ein Mensch aus meiner Umgebung, mein Freund, mein Vertrauter... 3 So wie schäumende Meereswellen bei heftigem Sturm gegen das Ufer prallen, so wild stoßen fremde Völker und Stämme an die Grenzen der etablierten Reiche. 4 Franken und Alemannen besetzten Teile des Römischen Reiches, während an der Nordgrenze des Persischen Reiches die Chioniten auftauchten. 5 Im Römischen Reich gibt es obendrein auch noch innere Spannungen. 6 Constantius besiegte in der Schlacht bei Mursa den Usurpator Magnentius. 7 Nach dem endgültigen Sieg über Magnentius bei Mons Seleukos herrschte Constantius über das gesamte Römische Reich. 8 Er nahm aktiv teil an den Auseinandersetzungen über das rechte christliche Glaubensbekenntnis und erwirkte die Verbannung von Athanasius. 9 In christlichen Kreisen kam es zu Kontroversen zwischen den Anhängern von Arius einerseits und denen von Athanasius andererseits. 10 Constantius musste sich jedoch der Verteidigung des Reiches widmen, wenn er nicht zulassen wollte, dass die einfallenden Völker es zerstückeln. 11 Er besiegte die Alemannen und schloss mit ihnen einen Friedensvertrag, konnte aber die Lage nicht vollends beruhigen. 12 Seinen möglichen Rivalen um die Kaiserwürde, Constantius Gallus, ließ er hinrichten. 13 Den Feldherrn Julian setzte Constantius als Caesar im westlichen Teil des Reiches ein. 14 Bald darauf revoltierten die Truppen in Gallien gegen Constantius und riefen Julian zum Kaiser aus. 15 Bevor es zur Schlacht zwischen den Truppen von Constantius und denen von Julian kam, starb Constantius überraschenderweise.

 

16 Julian war nun Alleinherrscher im gesamten Römischen Reich. 17 Mit einem Edikt setzte er die Verbannung der christlichen Gelehrten außer Kraft. 18 Aufgrund dessen konnte Athanasius als Bischof nach Alexandria zurückkehren. 19 Dort blieb er nicht untätig, sondern berief ein Konzil in Alexandria ein, um gegen den Arianismus vorzugehen. 20 Kaiser Julian nahm Abstand vom Christentum und begann das Heidentum zu fördern. 21 Seine freundliche Haltung den Juden gegenüber weckte in dem zersprengten Volk viele Hoffnungen. 22 Er plante sogar, den jüdischen Tempel in Jerusalem wiederaufzubauen. 23 Manche Juden sahen sich durch seine freundliche Haltung ermutigt und dazu veranlasst, mit Gewalt gegen Christen vorzugehen. 24 Im Gedächtnis der Christen prägte sich dieses feindselige Verhalten tief ein und sie sannen auf Rache. 25 Aber Kaiser Julian, bekannt als Philosoph und Feldherr, verlor überraschend schnell sein Leben im Kampf gegen die Perser. 26 Sein unerwarteter Tod bedeutete das Ende jüdischer Träume sowie den allmählichen Untergang des Heidentums und seiner Rituale. 27 Da es keinen Nachfolger aus der konstantinischen Familie gab, wurde ein christlicher Offizier namens Jovian zum Kaiser ausgerufen. 28 Die Christen gewannen nun nach und nach die Oberhand im Römischen Reich. 29 Dies nutzten sie, um dem Heidentum den Todesstoß zu versetzen und die Juden zu drangsalieren; doch sie bekämpfen sich auch untereinander in Glaubensangelegenheiten. 30 So wurden aus Gejagten wieder Jäger, und zwar nicht die rücksichtsvollsten. 31 Im Zusammenhang mit dem Christentum soll aber auch ein Mann des Glaubens und der Mission nicht unerwähnt bleiben. 32 Es handelt sich um den Gotenbischof Wulfila. 33 Er wollte seinen Gläubigen Gottes Wort zugänglich machen. 34 Um die Bibel ins Gotische übersetzen zu können, entwarf er eine neue Schriftart. 35 Auf diese Weise ermöglichte er die Verbreitung des Wortes Gottes unter fremden Sippen und Völkern. 36 Dies war für die Christianisierung der neu anrückenden Völker von größter Bedeutung. 37 Auch ein gewisser Hieronymus machte sich daran, die Bibel ins Lateinische zu übersetzen. 38 Zu diesem Zweck siedelte er sogar nach Judäa über. 39 So findet der Herr immer Mittel und Wege, sein Wort in die Welt zu senden. 40 Es ist offenbar, dass der ganze Erdkreis mit Gotteserkenntnis erfüllt werden soll. 41 Zurzeit sind es Christen des Römischen Reiches, welche dieses Unternehmen am meisten vorantreiben. 42 Leider gibt es dabei auch beklagenswerte Umstände, doch darüber etwas später.

 

43 Widmen wir uns nun den weltlichen Herrschern des Römischen Reiches. 44 Kaiser  Jovian  schloss  Frieden mit den Persern und überließ ihnen fünf Provinzen. 45 Auch er starb überraschend nach einjähriger Herrschaft. 46 Zu seinem Nachfolger wurde Valentinian ausgerufen. 47 Kurz nach seinem Herrschaftsantritt ernannte er seinen Bruder Valens zum Mitkaiser. 48 Die Sicherheit im Römischen Reich war gefährdet. 49 An den Grenzen kam es immer öfter zu Kämpfen gegen anstürmende fremde Völker. 50 Im Inneren wütete ein geistlicher Kampf zwischen rivalisierenden christlichen Strömungen. 51 In diesem Kampf wurde oft zu ganz weltlichen Mitteln gegriffen. 52 So waren Absetzungen und Vertreibungen Andersdenkender an der Tagesordnung. 53 Nach mehreren Synoden und Konzilien setzte sich eine bestimmte Richtung im Christentum immer deutlicher durch. 54 Die Arianer wurden nach und nach überstimmt, vertrieben, zu Häretikern erklärt. 55 Ebenso erging es anderen christlichen Gruppierungen, welche das sogenannte Athanasische Glaubensbekenntnis nicht annehmen wollten.

 

56 Auf dem Konzil von Konstantinopel wurde das Christentum endgültig als trinitarische Lehre definiert und durch die Autorität des Kaisers zur offiziellen Religion erklärt. 57 Kaiser Theodosius und die Kaiser Gratian und Valentinian unterschrieben ein Edikt, in dem festgesetzt wurde, welche Glaubensrichtung im Christentum als verbindlich zu gelten habe. 58 Andersdenkende Christen werden seitdem als Ketzer abgestempelt; auch Heiden und Juden verlieren ihren Status. 59 Je mehr die Christen ihre Machtposition festigen, desto deutlicher zeigen sie ein anderes Gesicht als man es von ihnen aus den vergangenen zwei Jahrhunderten gewohnt war. 60 Die Leidtragenden sind andersdenkende Christen, Heiden und allen voran Juden. 61 Die Christen scheinen vergessen zu haben, dass sie alles, was die Christenheit ausmacht, ausschließlich den Juden verdanken: das Wort und den Leib - die Bibel und Jesus. 62 Sie zeigen keinerlei Dankbarkeit dafür, noch sind sie freundschaftlich gestimmt gegenüber den Juden, vielmehr bewerfen sie sie mit Schmutz, nennen sie die Wurzel alles Bösen, verfolgen sie. 63 Die Heilige Schrift wird auf haarsträubende Art und Weise zum Nachteil der Juden ausgelegt; man könnte  meinen,  der  Versucher  Jesu  aus  der Wüste persönlich wäre am Werk. 64 Zurzeit leben viele bekannte gelehrte Männer unter den Christen: Ambrosius, Johannes, Hieronymus, Augustinus. 65 Aber keiner von ihnen nimmt sich der Sache der Juden an, keiner nimmt sie in Schutz, keiner ist bereit, ihr Anwalt zu werden. 66 Einige Bischöfe hetzen sogar ihre Gläubigen auf, die Juden zu vertreiben, ihre Synagogen zu zerstören, ihr Eigentum zu plündern oder zu vernichten. 67 Andere wiederum verhindern, dass der Kaiser das geschehene Unrecht sanktionieren und eine Wiedergutmachung anordnen würde. 68 Damals, vor dreihundertfünfzig Jahren, schrie der jüdische Pöbel, angestachelt von den Tempelpriestern, in Bezug auf den Juden Jesus: „Kreuzige ihn!“ 69 Heute schreit der christliche Pöbel, angestachelt von manchem Bischof: „Vernichte den Juden, vertreibe ihn, brenne sein Gebetshaus nieder!“ 70 Damals floss infolge des rechtswidrigen Urteils des Pilatus unschuldiges jüdisches Blut für die Erlösung der Menschheit aus der Macht der Finsternis. 71 Heute fließt vielerorts im Römischen Reich erneut unschuldiges jüdisches Blut. 72 Möge der Herr es als Unterpfand für eine bessere, gottesfürchtige, friedvolle Zukunft der Welt annehmen.

 

 

T e i l     D R E I                   KAPITEL 2

 

1 Auch der Sperling findet ein Haus und die Schwalbe ein Nest für ihre Jungen - deine Altäre, Herr der Heerscharen, mein Gott und mein König. 2 Wohl denen, die wohnen in deinem Haus, die dich allezeit loben.

3 Das weströmische Reich gerät zusehends in Bedrängnis. 4 Durch das Eindringen der  Hunnen  wurde der Weg ins Reich auch für andere Völker und Stämme frei. 5 Und während verschiedene Provinzen von Barbaren überflutet werden, reißt manch ein lokaler Stammherrscher die Macht an sich. 6 Die römische Verwaltung sah sich genötigt, in sicherere Gebiete umzuziehen. 7 Aus Mediolanum zog man nach Ravenna um, aus Treveris nach Arles. 8 Kaiser Flavius Honorius unternahm verschiedene Versuche, um zu retten, was noch zu retten war. 9 Da er kein begabter Stratege war, hatte sein Gegenspieler, der Gotenführer Alarich, es nicht besonders schwer, militärische Erfolge zu verbuchen. 10 Nachdem er mit seinen Truppen Rom geplündert hatte, fingen auch seine Ambitionen an zu wachsen. 11 Er wollte die Provinz Africa erobern. 12 Auf dem Weg dorthin starb er allerdings. 13 Die Goten zogen nun von Italien nach Südgallien. 14 Ihr Anführer war Athaulf, Schwager des verstorbenen Alarichs. 15 Kaiser Honorius gelang es schließlich, die Goten als Verbündete zu gewinnen. 16 Sie erhielten das Gebiet um Tolosa, wo das von König Theoderich  regierte  Tolosanische  Reich  entstand. 17  Der  weströmische

General Constantius  wurde  zum  Mitkaiser  des kinderlosen Honorius ernannt. 18 Der oströmische Kaiser Theodosius wollte Constantius jedoch nicht anerkennen. 19 Constantius starb bereits nach siebenmonatiger Regierungszeit und das Weströmische Reich geriet erneut in eine Krise.

 

20 Inzwischen kam es in der oströmischen Hauptstadt Konstantinopel, auch Nova Roma genannt, zu politischen und kirchlichen Unruhen. 21 Als Erzbischof wirkte hier  Johannes  von  Antiochien,  der  wegen  seiner  Rednerkunst  bekannt  war. 22 Seine Predigten waren sehr judenfeindlich, sogar die Judenchristen wurden von ihm nicht verschont. 23 Johannes unterstützte die Anhänger von Origenes, auf dessen Schriften ein kirchliches Verbot lag. 24 Nach einer Auseinandersetzung mit der Mutter des jungen Theodosius, wurde er als Erzbischof von Konstantinopel abgesetzt. 25 Das rief Unruhen in der Stadt hervor, wobei die Megale Ekklesia niedergebrannt wurde. 26 Zum Schutz vor den Hunnen ließ Kaiser Theodosius eine neue Mauer um die ausgedehnte Stadt Konstantinopel bauen. 27 Er ließ das Zeus Heiligtum in Olympia schließen und verbot offiziell die Olympischen Spiele, die schon sein gleichnamiger Großvater untersagt hatte. 28 Theodosius erließ viele neue Gesetze, die zum Teil antijüdisch waren, obwohl das Judentum als erlaubte Religion galt. 29 Es wurden Mischehen mit Juden verboten und in Erbangelegenheiten bekamen getaufte Kinder den Vorrang. 30 Ein weiteres Gesetz untersagte den Juden das Halten von Sklaven, da diese oft zur Beschneidung gezwungen wurden. 31 Theodosius verbot außerdem den Neubau von Synagogen; später legalisierte er den Umbau von Synagogen zu Kirchen. 32 Der jüdische Patriarch Gamaliel wurde abgesetzt. 33 Die Patriarchensteuer wurde in eine Kaisersteuer umgewandelt und das Amt des Sanhedrins offiziell aufgehoben.

 

34 Die antijüdischen Gesetze motivierten den Mönch Barsauma von Samosata zu recht unchristlichen Handlungen. 35 Mit seinen militanten Anhägern zerstörte er Synagogen und jagte Juden aus Jerusalem hinaus. 36 Jerusalem und Eretz Israel wurden zum Ziel vieler christlicher Pilger. 37 Auch die Frau von Theodosius, Kaiserin Eudocia, pilgerte dorthin und brachte die Reliquien des Märtyrers Stephanus nach Konstantinopel. 38 Eudocia unterstützte Theodosius beim Bau der christlichen Hochschule in Konstantinopel, an der die Dozenten nur unter staatlicher Aufsicht lehren durften. 39 In dieser Hochschule entstand eine Gesetzessammlung, die in chronologischer Reihenfolge alle Gesetze von Konstantin bis Theodosius umfasste. 40 Die sogenannte Theodosianische Gesetzessammlung wurde auch vom weströmischen Reich übernommen. 41 Dort wurde der sechsjährige Valentinian, Sohn des verstorbenen Constantius, Kaiser. 42 Valentinian heiratete später die Tochter von Theodosius und siedelte wieder von Ravenna nach Rom um.

 

43 In Teilen des Sassanidenreiches kam es zu einer Christenverfolgung, nachdem der Bischof Abdas von Susa einen zoroastrischen Tempel hatte zerstören lassen. 44 Es brach ein neuer römisch - persischer Krieg aus, welchen Theodosius und Bahram mit einem Friedensvertrag und einer Vereinbarung über gegenseitige Religionstoleranz beendeten. 45 Rom musste an die Perser Tribut für den Schutz des Kaukasusgebirges vor einem möglichen Hunneneinfall zahlen. 46 Die Juden in Mesopotamien standen in den römisch - persischen Kriegen an der Seite der Perser. 47 Mit zoroastrischen Priestern gerieten sie jedoch öfters in Konflikt. 48 Trotzdem gedieh das religiöse Leben in ihren Gemeinden. 49 Auch ihre geistigen Zentren in Sura und Pumbedita erlebten einen Aufschwung. 50 Im weströmischen Reich ist seit einiger Zeit die Zerstörung von Synagogen verboten. 51 Der christliche Theologe Augustin von Hippo betont die Notwendigkeit der Juden im Gottes Heilsplan. 52 Christliche Herrscher sollten Judengemeinschaften schützen, um an ihrem Beispiel die Überlegenheit des Christentums zu zeigen. 53 Ein anderer Theologe, Hieronymus, hat es dagegen auf die Vernichtung des Judentums abgesehen. 54 In Bethlehem übersetzte er den Tanach, welchen die Kirche als das Alte Testament bezeichnet, ins Lateinische. 55 Das bereits kanonisierte Neue Testament übersetzte er anhand der vorhandenen Übersetzung Vetus Latina in ein gebräuchliches Latein. 56 Hieronymus übersetzte und überarbeitete auch den zweiten Teil der Chronik des Eusebius von Caesarea, einen historischen Überblick von der Schöpfung bis zum Christentum als erlaubte Religion.

 

57 Inzwischen hatte der oströmische Kaiser Theodosius das Kirchenkonzil in Ephesus einberufen. 58 Dort wurde die Lehre des Erzbischofs von Konstantinopel, Nestorius, über die geteilte Natur Jesu verworfen; Maria wurde als „Gottesgebärerin“ bezeichnet. 59 Auch der Pelagianismus, der die Erbsünde negiert, wurde als häretisch verurteilt. 60 Die nestorianische Kirche in Ostassyrien erkannte jedoch die Konzilsbeschlüsse nicht an und spaltete sich ab. 61 So konnte nicht einmal der Kaiser die Religionseinheit im Römischen Reich durchsetzen. 62 Als er älter wurde, sympathisierte Theodosius mit dem Monophysitismus. 63 Diese Lehre, die nicht die menschliche, sondern nur die göttliche Natur Jesu bejaht, wurde auf einem weiteren Konzil in Ephesus durchgesetzt. 64 Viele Kirchenvorsteher stimmten dem nicht zu, und so kam es zu einer weiteren Spaltung der Kirche. 65 Der römische Bischof Leo bezeichnete dieses Konzil als „Räubersynode“. 66 Als Kaiser Theodosius starb, wurde Marcianus sein Nachfolger. 67 Die Vandalen eroberten Karthago und beherrschten bald die ganze Provinz Africa. 68 Den Großteil Hispaniens bekamen die Sueben unter ihre Kontrolle. 69 Die Angelsachsen wurden Herrscher in Britannien. 70 Nur noch Gallia wird von dem römischen General Aetius vor der Expansion der Westgoten, Franken und Burgunden erfolgreich verteidigt. 71 Infolge der Völkerwanderung zerfällt das Westreich unter Valentinian immer weiter. 72 Die Zukunft erscheint nicht allzu verheißungsvoll.

 

 

T e i l     D R E I                   KAPITEL 3

                                                                                         

1 Darum ist das Gesetz ohne Kraft und das Recht setzt sich gar nicht mehr durch: Die Bösen umstellen den Gerechten und so wird das Recht verdreht.

2 Das  Hunnenreich erstarkte und grenzte an beide Teile des Römischen Reiches. 3 Der Hunnenführer Attila kämpfte gegen das oströmische Reich vor allem wegen Nichtzahlung des Friedenstributs. 4 Es kam aber auch immer öfter zu Konflikten zwischen den Hunnen und Westrom. 5 In der Schlacht auf den Katalaunischen Feldern schlug der römische General Aetius, unterstützt von den Westgoten, die Hunnen zurück. 6 Der westgotische König Theoderich fiel im Kampf; Thorismund wurde sein Nachfolger. 7 Attila attackierte danach nochmal Norditalien und wollte gegen Rom ziehen. 8 Die oströmischen Angriffe sowie eine Pestepidemie hinderten ihn jedoch in seinem Vorhaben. 9 Manche sind der Meinung, dass Rom seine Rettung dem Treffen Attilas mit dem römischen Bischof Leo verdanke. 10 Nach Attilas Tod verlor das Hunnenreich an Stärke, und die bis dahin unterdrückten germanischen Stämme übernahmen die Herrschaft über das Gebiet. 11 In Chalcedon wurde ein neues Konzil abgehalten. 12 Etwa sechshundert Bischöfe nahmen daran teil. 13 Der jahrelange Streit um das Verhältnis zwischen der göttlichen und der menschlichen Natur in Jesus wurde entschieden. 14 Die Trinität wurde zum Dogma erklärt. 15 Die Kirchen von Ägypten, dem Heiligen Land und Syrien waren mit der Formulierung nicht einverstanden. 16 Es kam zur Abspaltung der orientalischen Kirchen. 17 Sie sahen in den Konzilsbeschlüssen eine Rückkehr in den Nestorianismus. 18 Die Westsyrer sowie die ägyptischen Kopten verstanden nämlich die Gottheit und Menschheit Jesu als eine Natur. 19 Die Ostsyrer hatten sich  wegen  dem  Nestorianismus  schon  früher von der Reichskirche getrennt. 20 Auf dem Konzil besprach man außer der Formulierung des Glaubensbekenntnisses auch noch andere Themen. 21 Eins davon war das vor allem im Osten verbreitete Mönchtum. 22 Es gab Säulenasketen in Syrien, wandernde Mönche sowie klösterliche Gemeinschaften, die auf Pachomios zurückgehen. 23 Im Westen lebte - auch noch später als Bischof - Martin von Tours zusammen mit anderen Mönchen in einer Einsiedelei vor der Stadt. 24 Im Osten ließen sich Mönche allmählich in den Städten nieder und verhielten sich oft undiszipliniert. 25 Aus diesem Grund wurden die Klöster unter die Aufsicht des zuständigen Bischofs gestellt, den Mönchen wurde freier Ausgang verboten. 26 Insgesamt behandelte das Konzil von Chalcedon achtundzwanzig Kanones, wobei der letzte zum Stolperstein für die Einheit der Reichskirche wurde. 27 Laut diesem gebühre den Bischöfen von Rom und Konstantinopel der gleiche Ehrenrang. 28 Der römische Bischof Leo war strikt dagegen; er bestand auf dem Primat Roms, wobei er sich auf die Gründung der römischen Gemeinde durch die Apostel berief. 29 Kaiser Marcianus bestätigte jedoch aus politischen Gründen alle Beschlüsse des Konzils.

 

30 Nach dem gewaltsamen Tod des weströmischen Kaisers Valentinian geriet Rom in Chaos. 31 Das nutzten die Vandalen zur Plünderung Roms aus. 32 Im römischen Auftrag kämpfte der westgotische König Theoderich, Sohn von Thorismund, gegen die Sueben und verhinderte deren weiteres Eindringen nach Hispanien. 33 Im weströmischen Reich gab es rasche Kaiserwechsel, wodurch das Reich sehr instabil wurde. 34 Im Osten wurde der Truppenführer Flavius Valerius Leo zum neuen Kaiser ausgerufen und von dem Patriarchen von Konstantinopel gekrönt. 35 Kaiser Leo befehligte dann die gemeinsame Flottenoperation Ost- und Westroms gegen die Vandalen, jedoch erfolglos. 36 Der westgotische König Theoderich wurde von seinem Bruder Eurich beseitigt. 37 Bei den Ostgoten übernahm ein gewisser Theoderich, der die gotischen Gruppen vereinigt hatte, das Königsamt. 38 Nach dem Bundesschluss mit den Goten in Thrakien wurden die Ostgoten zur Gefahr für Konstantinopel. 39 Ein Feldherr aus Isauria, welcher den griechischen Namen Zenon annahm, bestieg den kaiserlichen Thron. 40 Zenon gelang es, das oströmische Reich mit diplomatischen Mitteln zu stabilisieren. 41 Er schickte eine Delegation nach Karthago, die den Vandalenkönig Geiserich zum unabhängigen Herrscher von Africa proklamierte. 42 Damit hörte das Piratentum der Vandalen allmählich auf.

 

43 Im Westen kam es zu einem Militärputsch, in dem der germanische Feldherr Odoaker den weströmischen Kaiser Romulus absetzte. 44 Zenon, der sich um das geschrumpfte weströmische Reich wenig Sorgen machte, erkannte den Germanen Odoaker als Herrscher über Italien an. 45 Odoaker wollte aber mehr: Er pachtete Sizilien von den Vandalen und eroberte Dalmatien. 46 Kaiser Zenon schickte zunächst die Rugier gegen ihn, und nach deren Misserfolg dann die Ostgoten. 47 So entledigte sich Zenon des gefährlichen ostgotischen Königs Theoderich. 48 In der Kirchenpolitik begann mit Zenon die Verfolgung heidnischer Philosophen in Alexandria. 49 Er wollte die ägyptische monophysitische Kirche wieder in die Kirche von Konstantinopel eingliedern. 50 Dazu sollte ein Kompromiss geschlossen werden, wobei über die umstrittenen Punkte des Konzils von Chalcedon einfach hinweggesehen werden sollte. 51 Daraufhin verhängte der römische Bischof Felix gegen den Patriarchen von Konstantinopel, Akakios, einen Kirchenbann. 52 Die theodosianischen antijüdischen Gesetze wurden auch gegen die Samaritaner angewandt. 53 Deshalb kam es in Samaria zu einem Aufruhr, bei dem mehrere christliche Gemeinden ausgerottet wurden. 54 Nach der Unterdrückung des Aufstandes ließ Kaiser Zenon den samaritanischen Tempel auf dem Berg Garizim in eine christliche Kirche umbauen.

 

55 Der Vandalenkönig Hunerich, Sohn von Geiserich, berief ein kirchliches Konzil in Karthago ein, auf dem beschlossen wurde, dass nur die arianische Variante des christlichen Glaubens erlaubt sei. 56 Daraufhin verloren viele traditionelle Christen, sowohl orthodoxe als auch katholische, ihr Leben. 57 Auch in Armenien, dem ersten Land, das Christentum zur Staatsreligion erklärt hatte, kam es zu Veränderungen in Kirche und Politik. 58 Nach den römisch - persischen Kriegen fiel ein Großteil Armeniens unter Persien. 59 Der persische König Yazdegerd unterdrückte die armenischen Christen. 60 Er wollte im ganzen persischen Reich den Zoroastrismus einführen und besiegte den christlichen armenischen Adel in der Schlacht von Avarayr. 61 Trotzdem behielten die Armenier ihre christliche Identität. 62 Auf der Synode von Beth Lapat wurde die nestorianische Lehre für Christen im persischen Reich als verbindlich erklärt. 63 Die Westgoten schlugen in Gallien die fränkischen Stämme nieder.

 

64 Das Blatt wendete sich aber, als der Merowinger Chlodwig Frankenherrscher wurde. 65 Chlodwig besiegte in Gallien den römischen Feldherrn Syagrius und begründete dort das Frankenreich. 66 Die Ostgoten, unter der Führung Theoderichs, waren in Italien erfolgreich und töteten Odoaker in Ravenna. 67 Auf Kaiser Zenon folgte Anastasios, der mit dem Monophysitismus sympathisierte. 68 Aus diesem Grund schickte der römische Bischof Gelasius dem Kaiser ein Schreiben, in dem er seine überlegene Autorität in religiösen Fragen betonte. 69 Gelasius führte in der Kirche das Fest „Mariä Lichtmess“ ein, welches im Osten „Fest der Begegnung“ genannt wurde. 70 Kaiser Anastasios bestätigte den ostgotischen König Theoderich als Herrscher über Italien. 71 Der Frankenkönig Chlodwig wurde von Bischof Remigius getauft. 72 Im Unterschied zu anderen Germanenherrschern geschah seine Annahme des Christentums nicht in arianischer, sondern in katholischer Form.

T e i l     D R E I                   KAPITEL  4

 

1 Dem Herrn gehört die Erde und was sie erfüllt, der Erdkreis und seine Bewohner.

2 Nach dem Zerfall Westroms stabilisierte sich der östliche Teil des Imperiums und entwickelte sich zu einer Großmacht, Ostrom oder Byzanz genannt. 3 Der oströmische Kaiser herrschte über große Gebiete Pannoniens, über Kleinasien bis nach Ägypten sowie über Teile Mesopotamiens. 4 Nach einer sechzigjährigen Friedensperiode kam es zwischen Kaiser Anastasios und dem persischen König Kavadh zu einem militärischen Konflikt. 5 Nach dem Waffenstillstand ließ Anastasios in Dara, direkt an der syrisch-persischen Grenze, eine Festung bauen. 6 Die Könige der neuen westlichen Reiche unterwarfen sich nur zum Schein dem oströmischen Kaiser, in Wirklichkeit herrschten sie jedoch selbstständig. 7 Der ostgotische König Theoderich wollte die germanischen Stämme vereinen, wobei er sich unter anderem der Heiratspolitik bediente. 8 Er vermählte seine Töchter mit westgotischen und burgundischen Thronfolgern, seine Schwester heiratete in die Vandalendynastie ein. 9 Theoderich selbst heiratete die Schwester des Frankenkönigs Chlodwig. 10 Als jedoch Chlodwig zum Katholizismus überging, wurde Theoderichs Plan für ein germanisches, auf dem Arianismus beruhendes Bündnis, obsolet. 11 Chlodwig besiegte die Alemannen und Thüringer und brach gegen die Westgoten auf. 12 Er bestimmte Paris zur Hauptstadt des Frankenreiches anstelle von Soissons. 13 Kaiser Anastasios verlieh Chlodwig den Titel des Ehrenkonsuls.

 

14 Nachdem der westgotische König Alarich im Kampf gegen Chlodwig gefallen war, trat Theoderich öffentlich gegen Chlodwigs Expansion auf. 15 Der gallische Teil des Westgotischen Reichs kam größtenteils unter die fränkische Herrschaft. 16 Theoderich übernahm als Vormund des Kaisers auch die Herrschaft über die Westgoten. 17 Sein Herrschaftsgebiet erstreckte sich von Pannonien bis nach Hispanien. 18 Nach Chlodwigs Tod wurde das Frankenreich unter seine vier Söhne aufgeteilt, die die Königreiche von Paris, Soissons, Reims und  Orleans  gründeten.  19 In  Byzanz bestieg der neue Kaiser Justin den Thron. 20 Dieser baute auf Diplomatie  und  war  bestrebt,  die  wegen  unterschiedlicher  Glaubensformeln entstandene  Spaltung  in  der  Kirche  zu  beenden.  21 Er übernahm, zum Nachteil der  Monophysiten,  die  Glaubensformel  des  römischen  Bischofs  Hormisdas.

 

22 Es  kam  zu  einer  neuen Verfolgungswelle der Arianer im Osten. 23 Aus diesem Grund schickte der Gotenkönig Theoderich den neuen römischen Bischof Johannes nach Konstantinopel. 24 Da Johannes nicht alle Forderungen Theoderichs erfüllte, wurde er in Ravenna inhaftiert und starb bald danach. 25 Im gleichen Jahr starb auch Theoderich, der insgesamt als ein in religiösen Fragen toleranter Herrscher galt. 26 Er respektierte den jüdischen Glauben und gebot den Christen in Ravenna, die von ihnen niedergebrannte Synagoge wiederaufzubauen.

 

27 In Byzanz wurde Justinian nach seinem Onkel Justin oströmischer Kaiser. 28 Er bemühte sich gleich energisch um einheitliches römisches Recht. 29 So entstand hundert Jahre nach der Theodosianischen Gesetzessammlung der Justinianische Rechtscodex. 30 Die neuen Gesetze beinhalteten auch strenge antijüdische Vorschriften. 31 Es wurde den Juden verboten, Christen als Arbeiter und Sklaven zu  halten, was  sie  in die Unmöglichkeit versetzte Landwirtschaft zu betreiben. 32 Das zweite Konzil von Orléans verbot im Frankenreich die Heirat zwischen Juden und Christen. 33 Ein weiteres Konzil drohte mit der Exkommunikation von Christen, die mit Juden gemeinsam speisen würden. 34 Christen durften sich in der Karwoche nicht mit Juden treffen.  35 Es kam zu einem Aufruhr der Samaritaner unter der Führung von Julian ben Sabar, der jedoch von den kaiserlichen Truppen niedergeschlagen wurde. 36 Unter Justinians Regierung entstanden viele christliche Bauwerke, die vor allem zur Demonstration der geförderten Religion dienen sollten.  37  Eines  davon  ist  die  Marienkirche  auf dem Tempelberg in Jerusalem. 38 Die beschädigte, von Konstantin gebaute Geburtskirche in Bethlehem ließ der Kaiser neu bauen. 39 Den Höhepunkt von Justinians Bautätigkeit stellt jedoch die Kirche der Heiligen Weisheit, die Hagia Sophia in Konstantinopel dar. 40 Sie sollte die frühere Kirche von Theodosius ersetzen, die in einem Aufstand gegen Kaiser Justinian niedergebrannt wurde. 41 Die Hagia Sophia übertrifft an Größe sogar die vor kurzem nach dem Modell des salomonischen Tempels gebaute Polyeuktoskirche in Konstantinopel.

 

42 Der persische König Kavadh bot Kaiser Justinian seinen Sohn zur Adoption an, was dieser jedoch nicht annahm. 43 Kavadh wollte in der nördlichen, christlichen Provinz die zoroastrische Religion durchsetzen, worauf die Kämpfe mit Byzanz neu aufflammten. 44 In der Schlacht von Dara wurden die Perser von Ostrom besiegt. 45 Daraufhin schlossen die beiden Großmächte den, wie sie es nannten, „Ewigen Frieden“. 46 Nun konnte sich Justinian auf die verlorenen Gebiete Westroms konzentrieren. 47 Sein Feldherr Belisarios bezwang zuerst das Vandalenreich in Africa. 48 Danach griff er über Sizilien das Ostgotische Reich in Italien an, das nach dem Tod Theoderichs geschwächt war. 49 Nach acht Jahren brachen die Perser unter Chosrau den Frieden mit Byzanz. 50 Die Sassaniden drangen nach Syrien ein und eroberten die byzantinische Metropole Antiochia am Orontes, deren Einwohnerschaft nach einem zweimaligen Erdbeben dezimiert war. 51 Außer den Naturkatastrophen schwächte auch noch eine Pestepidemie die beiden Großmächte. 52 Selbst Kaiser Justinian wurde davon betroffen. 53 Nach seiner Genesung widmete er sich verstärkt theologischen Fragen. 54 Der Kaiser war sehr bemüht, die Monophysiten wieder in die Kirche einzugliedern, stieß aber immer wieder auf Widerstand   westlicher Bischöfe. 55 Justinian bestätigte die fünf kirchlichen Patriarchate: Rom, Konstantinopel, Alexandria, Antiochia und Jerusalem. 56 Diese sollten die Einheit der Kirche sichern, bei Unstimmigkeiten sollte ein Kirchenkonzil einberufen werden. 57 Im Westen blühte das Mönchtum. 58 Die Kirchenversammlung in Agde verbot den Bau von Klöstern für Mönche und Nonnen am selben Ort. 59 Der Asket Benedikt von Nursia gründete ein Kloster bei Cassino.  60 Die Mönche dort lebten vor  allem  von der Landwirtschaft, das Kloster war wirtschaftlich selbstständig. 61 Die wichtigsten Pfeiler der benediktinischen Regel waren Gebet, physische Arbeit  und  Gehorsam. 62 In  Rom  wirkte ein  gelehrter  Mönch und Mathematiker skytischen Ursprungs, Dionysius Exiguus. 63 Er übersetzte die Kirchenkanones aus dem Griechischen ins Lateinische und berechnete die Tabelle der Ostertermine. 64 Dionysius hielt es für unangemessen eine Jahreszählung zu benutzen, die mit der Thronbesteigung des Christenverfolgers Diokletian begann, und  nahm  die  Geburt Christi als Bezugspunkt für die christliche Zeitrechnung. 65 Schon früher unternahm der Theologe und Geschichtsschreiber Eusebius von Caesarea den Versuch einen christlichen Kalender zu schaffen. 66 Die Juden benutzten ihren eigenen Kalender mit der Erschaffung der Menschen als Ausgangspunkt. 67 Die Kirche ordnete an, dass die Juden das Passahfest nicht vor dem christlichen Ostern feiern durften. 68 Die christlichen Feiertage verlieren nach und nach jeglichen Bezug zu den jüdischen Wurzeln. 69 Die rabbinischen Diskussionen über die mündliche Thora und das jüdische Recht werden jetzt niedergeschrieben. 70 Die Schriften der Rabbinen nennt man Talmud. 71 Die frühen Niederschriften solcher Diskussionen stammen aus den jüdischen Schulen in Eretz Israel. 72 Die späteren, umfangreicheren Niederschriften entstanden vor allem in den jüdischen Akademien in Babylonien. 

 

 

T e i l     D R E I                   KAPITEL  5

 

1 Erhebe dich, Gott, und richte die Erde; denn alle Völker werden dein Erbteil sein.

2 Die Völker bemühen sich, ihr jeweiliges Territorium zu behalten oder es gar zu erweitern. 3 Die  Welt  ist  in ständiger Bewegung, wie ein riesiges Mühlenrad, das vom Strom der Zeit angetrieben wird. 4 In ständiger Bewegung wurde von Kaiser Justinian auch sein Feldherr Belisarios gehalten. 5 Er schickte den erfahrenen Feldherrn  überall  dorthin,  wo das  byzantinische  Reich  in  Gefahr  geriet.6 Belisarios reorganisierte das verwahrloste Heer. 7 Es wurden nur freie, mutige Männer rekrutiert, auch aus den besiegten Völkern. 8 Wie schon früher erwähnt, schlug  Byzanz  unter Belisarios´ Kommando die Perser in der Schlacht bei Dara. 9 Nach der Niederschlagung des Volksaufstandes in Konstantinopel wurde Belisarios in den Kampf gegen die Vandalen geschickt. 10 Nach dem Sieg in Africa wurde er von seinen Rivalen beschuldigt, dass er sich dort zum König proklamieren  lassen  wollte.  11  Als  er  in  Italien  militärische  Erfolge  feierte,  wurde  ihm die gleiche Absicht unterstellt, und er wurde nach Konstantinopel zurückbeordert. 12 Der kaiserliche Feldherr Narses durfte dann den Sieg über die Ostrogothen in Italien für sich verbuchen. 13 Byzanz eroberte von den Westgoten die südliche Küste Hispaniens mit der Stadt Neu-Karthago und bildete daraus die Provinz Hispania. 14 Dadurch wurde das alte Imperium Romanum teilweise wiederhergestellt.

 

15 Belisarios verteidigte die kaiserliche Stadt Konstantinopel vor den Angriffen der Awaren. 16 Dieses Steppenvolk ähnelte in vielem den Hunnen, deshalb wurde es manchmal auch so genannt. 17 Die Awaren mussten vor den Gök-Türken westwärts ziehen. 18 Das neue Reich der Türken vernichtete zusammen mit den Persern das Reich der Hephthaliten. 19 Bei ihrem Zug nach Westen unterwarfen die Awaren die übriggebliebenen Hunnen sowie andere nomadische und manche slawischen Stämme. 20 Kaiser Justinian bezahlte den Awaren lieber den verlangten Tribut, als gegen sie zu kämpfen. 21 Die oströmischen Diplomaten lenkten die Aufmerksamkeit der Awaren auf das Frankenreich. 22 Aber die Awaren wurden von den Franken besiegt und kehrten nach Pannonien zurück. 23 Belisarios wurde erneut einer Verschwörung gegen den Kaiser beschuldigt. 24 Der treue Belisarios und sein Kaiser starben beide im gleichen Jahr.

 

25 Der neue byzantinische Kaiser Justin, ein Neffe von Justinian, weigerte sich, den Awaren weiterhin Tribut zu zahlen. 26 Inzwischen verbündeten sich die Langobarden mit den Awaren und besiegten gemeinsam die Gepiden. 27 Die enge Nachbarschaft mit den Awaren verhieß jedoch nichts Gutes, und so zogen die Langobarden weiter nach Norditalien. 28 Mit der Ankunft der Awaren kam es zu einer Verschiebung der slawischen Stämme. 29 Diese wurden von den Römern Barbaren oder Sklaven genannt. 30 Nachdem die Langobarden nach Westen gezogen  waren, kamen die Slawen nach Pannonien, Noricum und Carantanum. 31 Manche slawischen Stämme flohen vor den Awaren nach Süden und besetzten Nordgriechenland bis Thessaloniki. 32 Weder Slawen noch Awaren konnten diese zweitwichtigste byzantinische Stadt erobern. 33 Im Unterschied zur römischen Kultur, die den Invasionen fremder Völker erlag, lebte im Osten die griechische Wissenschaft weiter. 34 Zwar löste Kaiser Justinian die heidnisch geprägte Philosophenschule in Athen auf, doch griechische Philosophen wurden in den christlichen Schulen Alexandriens immer noch hochgehalten. 35 Die Awaren, angeführt  von  Khagan  Baian,  unterjochten  die  meisten  slawischen Stämme. 36 Slawen widmeten sich mit Vorliebe der Landwirtschaft und siedelten auf fruchtbaren Landstrichen.

 

37 Die nomadischen Awaren pflegten bei ihnen zu überwintern und sich Frauen aus ihrer Mitte zu nehmen. 38 Die Langobarden begannen das Land in Norditalien landwirtschaftlich zu bestellen. 39 Das Zentrum des Langobardenreiches wurde die ehemalige römische Soldatenstadt Pavia. 40 Die langobardischen Herzöge wählten   Authari   zu   ihrem   König,  der  dann den  Namen  Flavius  annahm. 41 Leovigild, König der Westgoten, der sich zum Arianismus bekannte, verheiratete seinen älteren Sohn Hermenegild mit einer fränkischen Prinzessin katholischen Glaubens. 42 Hermenegild sollte in dem südlichen Teil des Westgotenreichs mit dem Sitz in Sevilla herrschen. 43 Da die Mehrheit der Bevölkerung katholisch war, trat auch er zum Katholizismus über. 44 Es kam zu einem Aufstand Hermenegilds gegen seinen Vater; der Aufstand wurde niedergeschlagen, Hermenegild gefangen genommen. 45 Nach dem Tode Leovigilds bestieg sein jüngerer Sohn Rekkared den westgotischen Thron. 46 Auch er konvertierte zum Katholizismus, weil er die religiöse Einheit des Reiches erstrebte. 47 Seine Konversion hatte Verschwörungen in  arianischen  Kreisen  zur Folge, die er jedoch erfolgreich bekämpfen konnte. 48 Er berief ein Konzil in Toledo ein. 49 Aber greifen wir den kirchlichen Geschehnissen nicht vor, sondern erzählen sie der Reihe nach.

 

50 Kaiser Justinian ließ das zweite Konzil in Konstantinopel einberufen, vor allem wegen der umstrittenen Schriften dreier Theologen. 51 Auf dem Konzil nahmen die  Patriarchen  von  Antiochien  und  Alexandrien  teil;  der  römische  Bischof Vigilius sowie der Jerusalemer Patriarch ließen sich durch ihre Legaten vertreten. 52 Die umstrittenen Schriften wurden schließlich als häretisch bezeichnet. 53 Die westlichen Bischöfe, vor allem jene aus Italien, sahen darin einen Sieg der Monophysiten und waren mit den Konzilsbeschlüssen nicht einverstanden. 54 In Tours wurde Georgius Florentius zum Bischof gewählt, der den Namen Gregorius annahm. 55 Er war Historiker und schrieb mehrere Geschichtswerke, unter anderem die  fränkische  Geschichte  bis  zu  den  Kämpfen  von  Chlodwigs  Nachfolgern. 56 Diese fränkische Dynastie verdankt ihren Namen Merowinger dem Großvater Chlodwigs, Merowech. 57 Chilperich, ein Enkel von Chlodwig, scheute vor nichts zurück, um die Juden zur Taufe zu zwingen. 58 Viele flohen deshalb, die übrigen konnten zwischen Taufe und Ausstechen der Augen wählen. 59 Die Situation der Juden verschlimmerte sich auch im Westgotenreich. 60 Nun zurück zum Konzil von Toledo. 61 Dort wurde die Einführung der Filioque-Formel ins Glaubensbekenntnis beschlossen. 62 Ein anderer Beschluss schrieb die Taufpflicht  für  Kinder  aus christlich-jüdischen  Verbindungen vor. 63 Als neuer römischer  Bischof  wurde  ein angesehener Römer gewählt, der Mönch Gregor. 64 Er benutzte den Titel servus servorum Dei, das heißt Diener der Diener Gottes. 65 Gregor schrieb den Titel pappas, das heißt Papst, als ausschließliche Amtsbezeichnung für den Bischof von Rom fest. 66 Er gründete auch neue Klöster und propagierte die Regel Benedikts. 67 Da die Langobarden weitere Teile Italiens bedrohten, verhandelte Gregor mit ihnen über Tributzahlung. 68 Im Sassanidenreich kam  es  zu  einem  Aufstand,  in  dem  König Hormizd vom Adel ermordet wurde. 69 Sein Sohn Chosrau floh nach Byzanz. 70 Kaiser Maurikios half ihm, im Sassanidenreich wieder Ordnung einzuführen. 71 Byzanz musste wiederholten Angriffen von Awaren und Slawen standhalten. 72 Die Awaren kamen bis vor Konstantinopel; bald danach plünderten Byzantiner wieder das awarische Territorium.

 

 

T e i l     D R E I                   KAPITEL  6

 

1 Der Löwe brüllt – wer fürchtet sich nicht; Gott, der Herr, spricht – wer wird da nicht zum Propheten?

2 Die  Juden leben zurzeit immer noch  in  der  Zerstreuung, ohne Heimat, ohne Tempel. 3 In  Sura,  in  Babylonien, amtiert Mar bar Rab Chanan als erster Gaon. 4 Persien wird von Chosrau Parviz regiert, mit welchem die Juden viele Hoffnungen verbinden. 5 Sein Gegenspieler in Konstantinopel ist Kaiser Maurikios. 6 Die Christenheit wird aus mehreren Zentren geleitet, unter denen Rom, Konstantinopel und Jerusalem führend sind. 7 Es ist die Zeit des Papstes Gregor; Kyriakos ist Patriarch in Konstantinopel, in Jerusalem residiert Patriarch Amos. 8 An die Grenzen der etablierten Reiche stoßen immer neue Völker und Völkergruppen; sie plündern, morden, versuchen Land und Macht an sich zu reißen.

 

9 Mancherorts entvölkern sie ganze Gebietsstreifen, in anderen Gegenden überfallen und plündern sie nur Städte, woanders mischen sie sich unter die einheimische Bevölkerung und werden ansässig. 10 In allen großen Reichen werden verstärkt Soldaten angeworben und größere Armeen gebildet, um die Grenzen zu sichern, Verlorenes zurückzugewinnen oder neue Gebiete zu erobern. 11 Auch Juden dienen in den Heeren verschiedener Länder und kämpfen für die jeweiligen Machthaber. 12 Juden werden, besonders in christlichen Teilen der Welt, Verfolgungen und Missionierung ausgesetzt. 13 Zwangstaufen sind in manchen Gegenden zum Alltag geworden. 14 Papst Gregor hat zwar seine Stimme dagegen erhoben und verlangt mit diesen Maßnahmen aufzuhören, aber davon spüren die Juden wenig.

 

15 Die Staatsherrscher haben nämlich andere Sorgen. 16 Kaiser Maurikios führte mehrere erfolgreiche Abwehrkriege gegen Slawen. 17 Für seine Hilfe bei der Thronbesteigung  wurde er vom persischen Kaiser mit Nordmesopotamien entlohnt. 18 Maurikios wurde jedoch bei der Meuterei des Feldherrn Phokas ermordet. 19 Phokas bestieg daraufhin den Thron, aber Chosrau war damit nicht einverstanden. 20 Er  begann  mit  einer  Invasion  auf  das römische Territorium. 21 Ein großer Feind Roms, das bis dahin bedrängte Awarenreich, konnte sich dadurch erholen, ja sogar erstarken. 22 Aber auch Phokas wollte seine Macht festigen und suchte allerseits nach Verbündeten. 23 Zu diesem Zweck schenkte er dem neugewählten Papst Bonifatius das Pantheon in Rom. 24 Der Papst ließ es zu einer Kirche umfunktionieren und den christlichen Märtyrern weihen. 25 Phokas konnte sich trotz Bemühungen nicht lange auf dem Thron halten, zumal er Gebietsverluste an die Perser erlitt. 26 Er wurde gestürzt und von den Soldaten des Herakleios verstümmelt. 27 Herakleios, Sohn des Statthalters von Karthago, wurde in Konstantinopel zum Kaiser gekrönt. 28 Die Perser nutzten die Machtkämpfe und Kaiserwechsel in Konstantinopel aus, um in Syrien einzudringen. 29 Auf dem Patriarchensitz in Konstantinopel wurde Sergios Nachfolger des Patriarchen Thomas.

 

30 Während in den westlichen Gebieten des Römischen Reiches ein Bruderkrieg zwischen den Merowingern Theudebert und Theoderich tobte, eroberte der persische  Heerführer  Schachrbaraz  Damaskus.  31  Dies  ließ  alle  Juden  aufhorchen. 32 Sie witterten darin eine Chance, mit Hilfe der Perser ihren jahrhundertelangen Traum zu verwirklichen -  die Rückkehr nach Jerusalem. 33 Sie halfen den Persern auf jegliche Art und Weise und bekamen dafür das Versprechen, im Falle eines Sieges nach Jerusalem zurückkehren zu dürfen. 34 Die Juden hätten alles getan, um wieder in Jerusalem leben zu dürfen. 35 Es brach eine messianische Stimmung an, die Luft war erfüllt mit spannungsvoller Erwartung. 36 Jahrhundertelange Vertreibung, Unterdrückung, Erniedrigung, Versklavung, Zwangschristianisierung, all das löste den Ruf nach Befreiung, nach Kampf, nach Vergeltung aus. 37 Und tatsächlich gelang es den Persern, mit Hilfe der Juden Jerusalem zu erobern. 38 Die Christenheit erlebte einen Schock, die Kreuzesreliquie wurde nach Persien verschleppt. 39 Mehrere Kirchen wurden zerstört, unzählige Christen kamen ums Leben. 40 Die Juden halfen tatkräftig mit und wurden dadurch bei den Christen noch verhasster. 41 Nach der Eroberung hielten die Perser ihr Versprechen ein, jedoch nur für kurze Zeit. 42 Den Juden erging es wie immer, wenn sie, anstatt auf den Herrn, auf sich selbst und ihre Verbündeten bauten. 43 Zuerst erhielten sie die Erlaubnis, sich in Judäa und Jerusalem niederzulassen. 44 Jerusalem bekam eine jüdische  Regierung,  an  dessen  Spitze  Nehemia  ben  Huschiel  stand. 45 Man war in  Jubelstimmung,  hatte  große  Pläne,  man  wollte den Tempel wiederaufbauen. 46 Aber die darauffolgenden Ereignisse ließen nichts Gutes ahnen.

 

47 Die Perser änderten schon bald ihr wohlwollendes Verhalten den Juden gegenüber. 48 Wegen Neuorientierung der Außenpolitik und der Druckausübung seitens der Christen verboten sie den Juden erneut Jerusalem zu betreten. 49 Als es später dem Herakleios gelang, Jerusalem zurückzuerobern, waren Juden wieder Gewaltausbrüchen ausgesetzt. 50 Trotz gegenteiligem Versprechen des Kaisers nahmen Christen in vielfacher Weise Rache an ihnen. 51 Das Verhältnis zwischen Juden und Christen war auf allerniedrigstem Stand. 52 Beide Seiten waren von Feindschaft, Verbitterung und Hass erfüllt. 53 Für Juden gab es nichts Schlimmeres, als ihr verheißenes Land wieder zu verlieren und Jerusalem, den einstigen Ruhm Israels, von Fremden besetzt zu sehen. 54 Gerade das aber war das vorrangige Ziel der Christen, nämlich, die Juden von ihrem ewigen Besitz zu vertreiben und von ihrer heiligen Stadt fernzuhalten. 55 Die Kreuzesreliquie wurde von Herakleios wieder feierlich nach Jerusalem hineingetragen. 56 Die Christen wurden immer mächtiger und fügten den Juden immer mehr Leid zu. 57 Die Juden ihrerseits waren nicht minder erbost über die Christen und fügten ihnen, wo sie nur konnten, wenigstens kleine Nadelstiche zu. 58 Meistens aber suchten sie das Weite, um wenigstens ein paar Habseligkeiten und das nackte Leben zu retten. 59 Beide Seiten taten einander Böses an im Namen des gleichen Gottes, beide überzeugt in seinem Namen zu handeln.  60 Aber da sie sich auf Gott beriefen, ließ seine Antwort nicht lange auf sich warten. 61 Und sie war ganz anders, als sie es sich erhofft hatten.

 

62 Im Südosten, im arabischen Ort Mekka, behauptete zu jener Zeit ein Mann, himmlische Botschaften zu empfangen. 63 Der Mann hieß Mohammed und stammte aus einer mekkanischen Sippe des Stammes Quraisch. 64 Er kam als Halbwaise zur Welt, und als er sechs Jahre alt war, verstarb auch noch seine Mutter. 65 Danach lebte er bei seinem Großvater. 66 Zwei Jahre später verstarb auch sein Großvater und Mohammed kam zu seinem Onkel Abu Talib, welcher ein einflussreicher Handelsmann war. 67 Nach einiger Zeit leitete er schon die Karawanen seines Onkels. 68 Mit zwanzig Jahren trat er in den Dienst der reichen Witwe Chadidscha. 69 Er behauptete sich als erfolgreicher Kaufmann. 70 Mit fünfundzwanzig  heiratete  er  die  bedeutend  ältere Witwe und zeugte mit ihr vier Kinder. 71 Er galt als ein ehrlicher, aufrichtiger und demütiger Mann. 72 Mekka war eine Handelsstadt und auch als Pilgerort bekannt. 73 Das Heiligtum in Mekka beherbergte die berühmte Kaaba, die damals einem Gott geweiht war, dazu aber auch noch hunderten von kleinen Gottheiten. 74 In Mekka lebte manch eine jüdische Sippe, und es gab dort auch christliche Gemeinden. 75 Die letztgenannten wurden von Rom als Ketzer angesehen, weil sie apokryphe, nicht von der Kirche verifizierte Schriften in ihrer Liturgie verwendeten, und auch sonst manche Besonderheiten pflegten, welche von Rom nicht gebilligt wurden.

 

76 Mohammed behauptete, ihm sei der Engel Gabriel erschienen und habe ihm eine Botschaft Gottes überbracht. 77 Laut Mohammed bezog sich die Botschaft hauptsächlich auf die Offenbarung des einzig wahren Gottes und auf die Berufung Mohammeds zum Propheten. 78 Anfänglich war Mohammed ganz abgeneigt und zweifelte an seiner Berufung, aber da die Begegnungen mit dem Engel Gabriel sich wiederholten, ging er auf die Forderung ein, als Prophet aufzutreten. 79 Aus einem zweifelnden, ja verzweifelten Mann, welcher sich anfangs das Leben nehmen wollte, wurde mit der Zeit ein selbstbewusster, unerschrockener Verkünder der empfangenen Botschaften. 80 Die erste Gläubige und seine Anhängerin war seine Frau Chadidscha. 81 Die Hauptaussage seiner Predigten, Allah sei der einzige Gott und wird eines Tages die Welt richten, war vielen Mekkanern ein Dorn im Auge. 82 Viele lebten nämlich von den Pilgern, die nach Mekka kamen, um verschiedene Gottheiten anzubeten. 83 Seine Lehre schien unvereinbar mit den Traditionen von Mekka. 84 Da er jedoch unermüdlich weiter verkündete und auch mehrere Anhänger gewann, zog er die Feindschaft der Mekkaner auf sich und seine Anhänger. 85 Manche von ihnen flohen schon sehr bald aus Mekka, auch er selbst verließ die Stadt zusammen mit einer Schar von Anhängern und ging nach Yatrib. 86 Dort wurde nach kurzer Zeit die erste muslimische Gemeinschaft gegründet.

 

87 Die Grundlage der muslimischen Glaubensverkündigung war der Glaube an den Einen, Einzig Wahren Gott, an die Engel, an die himmlischen Offenbarungen und an die Propheten, an den jüngsten Tag und an die göttliche Bestimmung beziehungsweise Lenkung aller Wesen. 88 Mohammed legte die empfangenen Botschaften auch der jüdischen sowie der christlichen Seite vor. 89 Er wurde von ihnen nicht ernst genommen, vielmehr wurde er belächelt und gar ausgelacht; man warf ihm Unkenntnis der heiligen Schriften und Unwissenheit sowie Verfälschung der biblischen Lehre vor. 90 Es muss betont werden, dass Mohammed weder lesen noch schreiben konnte. 91 Auch dies wurde zum Anlass genommen, seine Behauptungen kurzerhand abzulehnen und seine Offenbarungen als Halluzinationen abzutun. 92 Von den Mekkanern verstoßen, von Christen und Juden, deren Gott er zu verkündigen glaubte, abgelehnt, befand er sich auf dem besten Weg, das Schicksal der meisten Propheten zu erleiden:  Schmach, Verfolgung, Tod. 93 Doch in Yatrib wendete sich sein Schicksal plötzlich. 94 Nur kurze Zeit darauf aber auch die Schicksale jener, die ihn abgelehnt hatten: Mekkaner, Juden und Christen. 95 In seinen Visionen erhielt er nämlich nach seinen eigenen Angaben die Erlaubnis zur Kriegsführung. 96 Anfangs verübte Mohammed mit seinen Leuten Überfälle auf mekkanische Karawanen, bis ihm nach einigen Jahren ein glänzender Sieg über die Mekkaner gelang. 97 Diese nahmen daraufhin den neuen Glauben an, Kaaba wurde von den Götzenbildern gereinigt, Mekka wurde zur heiligen Stadt des Islam. 98 Inzwischen wurde die erste jüdische Sippe aus Yatrib vertrieben. 99 Ein Jahr später erfolgte die Vertreibung der Sippe Banu Nadir. 100 Die dritte Sippe, Banu Quaryza, leistete fünfundzwanzig Tage lang Widerstand. 101 Am Ende wurde sie besiegt, die Männer exekutiert, Frauen und Kinder in die Sklaverei verkauft.

 

102 Die anfängliche Sympathie für die Juden schlug bei Mohammed und den Muslimen in Unduldsamkeit, ja sogar Hass, um. 103 Nach Mohammeds Tod legte sich die Feindseligkeit der Muslime gegenüber den Juden wieder. 104 Auch das Verhältnis zu den Christen verlief ähnlich. 105 Aus anfänglicher Sympathie erwuchs Feindschaft, nachdem die Christen Mohammed als falschen Propheten bezeichnet hatten. 106 Nach der Ablehnung seiner Lehre von Seiten der Juden und Christen änderte Mohammed gewissermaßen die globale Ausrichtung des Islam. 107 Er schritt zu einer aktiveren und gewaltsameren Islamisierung über. 108 Er ließ an verschiedene Machthaber und bekannte Persönlichkeiten Briefe schreiben und durch  Sendboten  verschicken, in  denen  er  sie zur Islamannahme aufforderte. 109 Die  Angeschriebenen  sollten samt ihren Untergebenen dem Islam beitreten. 110 Die Einladung wurde des Öfteren auch tatsächlich angenommen und so wuchs die Anzahl der Gläubigen.  111 Wo die Einladung nicht freiwillig angenommen wurde, halfen Schwert und Kampfmut der Muslime nach. 112 Die Eroberungszüge der Islamkämpfer wurden immer gewagter und erfolgreicher. 113 Mohammed starb nach einem schweren Leiden, aber der Islam verbreitete sich dessen ungeachtet, sogar noch schneller als davor. 114 Der erstaunliche Erfolg der Islamkämpfer ist noch unbegreiflicher, wenn man bedenkt, dass es sich um in Staats- und Heeresführung ganz unerfahrene, meist ungebildete Männer handelte, die sich untereinander nicht mal kannten. 115 Es war ein wahres Wunder, wie es einem Haufen von Beduinen, Arabern und Barbaren gelang, alle bekannten Reiche jener Zeit in Bedrängnis zu bringen und ihnen große Landstriche zu entreißen.

 

116 Spätestens jetzt hätten den Christen die Worte Gamaliels in den Sinn kommen müssen, der damals in Bezug auf die Jünger Jesu und ihre Verkündigung gesagt hatte: 117 Lasst von diesen Männern ab und gebt sie frei; denn, wenn dieses Vorhaben oder dieses Werk von Menschen stammt, wird es zerstört werden; stammt es aber von Gott, so könnt ihr sie nicht vernichten; sonst werdet ihr noch als Kämpfer gegen Gott dastehen. 118 Diese Ermahnung, die der jüdische Hohe Rat   damals   beherzigt   hatte,  hielt   die   christliche   Führung  für  irrelevant. 119 Stattdessen bekämpfte man die Muslime noch intensiver. 120 Aber bald wendete sich das Blatt gänzlich. 121 Die muslimischen Kämpfer eroberten immer größere Gebiete des Perserreiches sowie des so ruhmreichen Kaisers Herakleios. 122 Der Islam breitete sich wie ein Lauffeuer aus. 123 Eine noch nie dagewesene massenhafte  Hinwendung  zu  dem  wahren  Gott,  dem  Schöpfer  der  Welt,  setzte  ein. 124 Teils durch militärische Siege, teils durch geschickte Verhandlungen brachten die Muslime unzählige persische Städte bis hin nach Ägypten unter ihre Herrschaft. 125 Bald kam auch Jerusalem an die Reihe. 126 Das Heer des syrischen Kalifats unter der Führung von Abu Ubaidah fing an Jerusalem zu belagern, ohne jedoch  anzugreifen.  127  Nach  sechsmonatiger  Belagerung  und  langwierigen Verhandlungen  übergab  Patriarch  Sophronius die Stadt freiwillig den Muslimen. 128 Laut Vertrag mit Kalif Umar wurde den Christen die Ausübung ihrer Religion unter der Bedingung gestattet, eine Sondersteuer an die muslimischen Behörden zu entrichten.

 

129 Auch den Juden wurde ein gewisses Maß an Autonomie zugestanden. 130 Nur wenige Jahre nach ihrer Vertreibung durch Perser und Christen und ein halbes Jahrtausend nach dem Verlust Jerusalems an die Römer wurde ihnen wieder erlaubt, in Jerusalem und Judäa zu siedeln. 131 Für die Juden entstand nun, trotz ihrer schroffen Ablehnung des Islam und trotz einstiger Feindschaft Mohammeds ihnen gegenüber, eine günstigere Situation als unter den Christen. 132 Für die Muslime selbst  gab  es  nach  dem  Tod  Mohammeds  keine Ruhe, keine Verschnaufpause. 133 Schon bald bekämpfte man sich untereinander wegen Meinungsverschiedenheiten über Mohammeds rechtmäßige Nachfolge. 134 Es wechselten nacheinander mehrere Kalifen, manche von ihnen wurden ermordet. 135 Es  entwickelten  sich  unterschiedliche Tradierungen in der Koranauslegung. 136 Alles schon mal da gewesen: bei den Israeliten nach dem Tod Josuas, bei den Christen nach dem Pfingstereignis. 137 Doch trotz innerer Spannungen, Machtkämpfe und Kriege wächst die Zahl der Muslime konstant, ihre Herrschaft dehnt sich über immer größere Landstriche aus, sie gewinnen immer mehr Macht und Autorität. 138 Praktisch über Nacht sind sie zu einem entscheidenden Faktor der Weltgeschichte geworden. 139 Sozusagen aus dem Nichts entstanden, wurden sie innerhalb eines Jahrzehnts zum gefürchtetsten Gegner der noch verbliebenen Weltmächte. 140 Es kann auch nicht geleugnet werden, dass sehr viele Menschen freiwillig zum Islam wechselten und glühende Verehrer Allahs wurden. 141 Für die Juden   beginnen  unter  den  Muslimen  etwas  ruhigere  und  sicherere  Zeiten. 142 Christen reagieren unterschiedlich, je nach Standort und Stärke des eigenen Reiches. 143 Es ist offensichtlich, dass ein ganz neues Zeitalter begonnen hat, und sowohl jüdische als auch christliche Religionsführer wären gut beraten, sich damit gründlich auseinanderzusetzen und schließlich im Gebet Gott zu befragen. 144 Die Zukunft wird zeigen, ob und in welchem Maße ihnen dies gelingen wird.

 

T e i l     D R E I                   KAPITEL  7

                           

1 Der Herr vereitelt die Beschlüsse der Heiden, er macht die Pläne der Völker zunichte. 2 Der Ratschluss des Herrn bleibt ewig bestehen, die Pläne seines Herzens überdauern die Zeiten.

3 Die Eroberungszüge der muslimischen Araber dauern an. 4 Das von dem langjährigen Krieg gegen Ostrom stark gebeutelte Perserreich kann ihnen nicht standhalten. 5 Der Tod Yazdegerds markiert das Ende des Sassanidenreiches, wobei die sassanidische Denk- und Lebensweise dessen Untergang überdauert. 6 Die christlichen Armenier, enttäuscht über die intolerante Haltung des Patriarchen von Konstantinopel, der ihnen keine Glaubensfreiheit gewähren will, nehmen die arabische Oberhoheit freiwillig an. 7 Die nubischen Staaten halten dem Aufprall der Araber stand; durch einen Friedensvertrag wird ihnen ihre christliche Oberhoheit garantiert. 8 Die Araber nehmen auch das aksumitische Reich ein, wobei das Christentum im Bereich Äthiopiens erhalten bleibt.

 

9 Ostrom, das seine Seeflotte für unbesiegbar hält, wird erschüttert durch den überraschenden Sieg der arabischen Flotte bei Phoinix. 10 Aus den eroberten Gebieten fließen viele erbeutete Güter in die Hauptstadt und werden hauptsächlich unter den Angehörigen der Kalifenfamilie aufgeteilt, was Unzufriedenheit der kleineren Stämme hervorruft. 11 Um seine Politik zu rechtfertigen, beruft sich Uthman, der dritte Kalif, auf den Willen Allahs. 12 Politische Opposition wird somit zur Rebellion gegen Allah erklärt; soziale Spannungen nehmen zu, was schließlich zur Ermordung Uthmans führt. 13 Nach ihm wird Ali ibn Abi Talib, Vetter und Schwiegersohn Mohammeds, zum vierten Kalifen gewählt. 14 An seiner Person entzündet sich der erste innerislamische Bürgerkrieg. 15 Eine verbissene Gegnerin von ihm ist Mohammeds jüngste Frau Aischa, die eine große Anhängerschar um sich versammelt, mit der sie gegen Ali in den Kampf zieht. 16 Der Kampfschauplatz ist Basra,  wo  Ali seine Gegner besiegt und Aischa großzügig Verzeihung gewährt. 17 Doch Alis Feind Muawiya, Statthalter von Syrien, gibt nicht auf. 18 Es kommt zur Schlacht von Siffin, in der sich Ali von Muawiya überreden lässt, sich einer Schiedsgerichtsentscheidung über die Nachfolge zu beugen. 19 Eine solche Haltung Alis verärgert die Charidschiten, die sich daraufhin abspalten, was die Position Muawiyas stärkt. 20 Nach Alis Ermordung gelingt es Muawiya, Alis Nachfolger Hasan zum Verzicht auf das Kalifenamt zu bewegen. 21 Muawiya übernimmt das Amt des Kalifen, Hasan leistet ihm den Treueid. 22 Muawiya stellt die göttliche Legitimation seiner Macht noch mehr in den Vordergrund. 23 Dadurch gelingt es ihm seinen Sohn Yazid zu seinem Nachfolger zu ernennen, wodurch das Kalifat de facto zum Königreich wird. 24 Die Religion wird immer mehr für politische Zwecke instrumentalisiert.

 

25 Trotz innerer Spaltung setzt das Kalifenreich seinen Eroberungszug fort. 26 Die Hafenstädte der Iberischen Halbinsel bekommen es bald zu spüren, insbesondere die dort ansässigen Juden, die von den Westgoten beschuldigt werden, mit den Arabern zu paktieren. 27 Die Araber haben es auf das ganze Oströmische Reich abgesehen. 28 Sie erobern im Vorfeld einige Ägäisinseln und Städte, doch um Ostrom zu Fall zu bringen, muss Konstantinopel eingenommen werden, was sich jedoch als eine zu harte Nuss für sie erweist. 29 Die byzantinische Abwehr bedient sich bei der Verteidigung der Stadt des griechischen Feuers, was sich neben den schier  uneinnehmbaren  Mauern  von  Konstantinopel als sehr effizient erweist. 30 Die Schlacht bei Sebastopolis können die Umayyaden jedoch für sich verbuchen. 31 Auch das stark befestigte Karthago fällt in ihre Hände; die einst blühende Stadt wird völlig zerstört. 32 Die Herrschaft Ostroms in Nordafrika gehört somit zur Vergangenheit. 33 Das einst so mächtige Oströmische Reich ist auf ein Drittel seines Territoriums geschrumpft. 34 Es verliert zunehmend seinen kosmopolitischen Charakter zugunsten einer immer stärkeren Gräzisierung der Gesellschaft. 35 Lediglich das Staatswesen bleibt weiterhin römisch. 36 Wegen der ständigen Bedrohung durch äußere Feinde wird das Heer umorganisiert. 37 Das steuerfinanzierte Berufsheer wird vom regional organisierten und durch Landbesitz abgegoltenen Heer abgelöst. 38 Es werden sogenannte „Themenbezirke“ gebildet, die von Militärgouverneuren geleitet werden.

 

39 Währenddessen stabilisieren sich die auf dem Gebiet des einstigen Weströmischen Reiches entstandenen neuen Reiche der vorwiegend germanischen Einwanderer. 40 Der Sieg in der Schlacht bei Tertry verhilft Pippin zur Herrschaft über das gesamte Frankenreich. 41 Auch in den neuen Reichen ist das Staatswesen nach dem römischen Modell organisiert. 42 Die herrschende Minderheit integriert sich und übernimmt die Lebensweise der alteingesessenen Mehrheit. 43 Latein, die Amtssprache des einstigen Römischen Reiches, wird in zunehmendem Maße vulgarisiert. 44 Nur wenige Menschen sind schriftkundig, fast ausschließlich Angehörige des Klerus und des Adels. 45 Papyrus wird immer öfter durch Pergament ersetzt. 46 König Rekkeswinth fördert die innere Einheit durch ein Gesetzbuch, das sowohl für den römischen als auch für den germanischen Teil im Westgotenreich gilt.

 

47 Christliche Mönche aus Irland und Schottland, die die Angelsachsen und die Franken missionieren, geraten in Konflikt mit den vom Papst geschickten römischen Missionaren. 48 Es handelt sich um Differenzen in liturgischen und rituellen Fragen. 49 Dieses Problem wird auf der Synode von Whitby gelöst, wo sich die römische Kirchenordnung durchsetzt. 50 Christliche Oberhäupter nehmen nicht nur geistliche, sondern auch weltliche Aufgaben wahr. 51 Kirchliche Institutionen sind dem jeweiligen Herrscher unterstellt, der sich sogar in geistliche Angelegenheiten einmischen darf. 52 Kaiser und Könige behalten sich nicht nur das Recht vor Konzilien einzuberufen, Kaiser Konstans erlaubt sich sogar, den amtierenden Papst verhaften, auspeitschen und in die Verbannung schicken zu lassen. 53 Herrscher und Adelige gründen auch viele Klöster, welche sie dann für ihre wirtschaftlichen, herrschaftlichen, ja sogar geistlichen Interessen nutzen. 54 Auf dem dritten Konzil von Konstantinopel wird Monotheletismus als Häresie erklärt. 55 Die vom byzantinischen Kaiser Justinian einberufene Trullanische Synode hat nachteilige Auswirkungen auf die jüdische Bevölkerung. 56 Unter anderem wird christlichen Geistlichen untersagt, sich von jüdischen Ärzten behandeln zu lassen. 57 Papst Sergius ist mit den Beschlüssen der Synode nicht einverstanden, muss sich jedoch dem Druck des Kaisers beugen. 58 Auch das Konzil von Toledo erlässt unmenschliche Gesetze gegen Juden, die es regelrecht auf das Auslöschen des Judentums absehen. 59 Unter dem Vorwand staatsfeindlicher Verschwörung mit Muslimen werden sie unter anderem zur Wegnahme ihrer Kinder und zur Vogelfreiheit verurteilt. 60 Als Grund dafür wird ihnen erneut Gottesmord zur Last gelegt. 61 Nur die Juden der gallischen Provinz Septimanien haben Glück und werden von diesen Gesetzen ausgenommen, weil man auf sie als Steuerzahler angewiesen ist.

 

62 Schauen wir nun, wie es in den eroberten Gebieten des Kalifats zugeht. 63 Die bestehende Zivil- und Finanzverwaltung bleibt erhalten. 64 Sogar hohe Posten in der Verwaltung werden mitunter von Nicht-Muslimen bekleidet. 65 Es gibt keine Zwangsislamisierung, trotzdem treten nach der Eroberung viele zum Islam über. 66 Viele Kriegsgefangene tun es, weil sie dadurch ihre Freiheit wiedererlangen können. 67 Andersgläubige müssen Kopf- und Grundsteuer entrichten. 68 Unter Kalif Abd al-Malik werden Griechisch und Persisch als Amtssprachen durch Arabisch ersetzt. 69 Der Dinar wird als Währung des Kalifenreiches eingeführt, wobei andere Zahlungsmittel nicht aus dem Verkehr gezogen werden. 70 Auf dem Tempelberg in Jerusalem lässt Abd al-Malik über dem berühmten Felsen einen monumentalen sakralen Kuppelbau errichten. 71 Er war es, der mit der Eroberung von Mekka dem innerislamischen Bürgerkrieg ein Ende setzte und die absolute Herrschaftsgewalt des Kalifen durchsetzte. 72 All die vielen Kriege und die damit verbundenen Seuchen und Hungersnöte haben einen Bevölkerungsrückgang von erschreckendem Ausmaß zur Folge.

   

 

T e i l     V I E R                 KAPITEL  1

 

1 Kommt und schaut die Werke des Herrn, der Furchtbares vollbringt auf der Erde.                                                      2  Lasst ab und erkennt, dass ich Gott bin, erhaben unter den Völkern, erhaben auf Erden!

3 Der Islam ergießt sich wie eine Flut über die Erde und der ehrwürdige Koran – die ismaelitische Variante der Bibel - wird für Millionen von Menschen zur Quelle der Gotteserkenntnis. 4 In der Schlacht bei Taharqa wurde der gemeinsame Widerstand der Berberstämme, von denen viele dem jüdischen Glauben angehörten, zerschlagen. 5 Das gesamte Nordafrika ist islamisiert; fast alle der vierhundert christlichen Bistümer, an die berühmte Namen wie Tertullian, Cyprian, Athanasios, Augustinus gebunden sind, sind untergegangen. 6 Auf Abd al-Malik folgte Al-Walid als Kalif in Damaskus; er nahm die Expansionspolitik an der persischen Ostgrenze wieder auf. 7 Von der afrikanischen Küste aus landeten muslimische Truppen, unterstützt von islamisierten Berbern, in Al-Andalus und nahmen die kleine, aber strategisch wichtige Halbinsel ein, die sie nach ihrem Feldherrn als Dschebel al-Tariq benannten. 8 In der Schlacht am Rio Guadalete schlugen sie dann die Westgoten vernichtend. 9 Die Eroberung der Iberischen Halbinsel wurde in Gang gesetzt. 10 Teodomiro, dem Herrscher der Provinz Todmir, gelang es, für seine Provinz eine gewisse innere Autonomie auszuhandeln, natürlich gegen Leistung von Tributzahlungen.

 

11 In Asien eroberten Muslime das Industal. 12 Auch Transoxanien fiel trotz hartnäckigem Widerstand in muslimische Hände. 13 Konstantinopel hatten die muslimischen Herrscher natürlich nie aus dem Augenmerk gelassen. 14 Der Feldherr Maslama, unterstützt von der Seeflotte unter dem Kommando des Kalifen Suleyman, begann mit erneuter Belagerung Konstantinopels. 15 Die Griechen waren jedoch auf den Angriff vorbereitet; es gelang ihnen, die feindliche Seeflotte zu vernichten. 16 Da die Mauern von Konstantinopel nicht zu erstürmen waren, setzten die Angreifer auf Belagerung. 17 Der strenge und lang andauernde Winter forderte jedoch eine Menge Opfer unter den Belagerern und erschwerte den Versorgungsnachschub. 18 Als sie dann noch von den Bulgaren angegriffen wurden, brachen sie die Belagerung ab. 19 Seit dieser Niederlage begann das kriegerische Glück der Muslime wechselhaft zu werden. 20 Zwar drangen sie auf der Iberischen Halbinsel immer noch weiter Richtung Pyrenäen, eroberten Septimanien, fielen in das Fränkische Reich ein, doch wurden sie immer wieder hinter die Pyrenäen zurückgedrängt.

 

21 Pelayo, der Herrscher Asturiens, besiegte die Araber in der Schlacht von Covadonga. 22 Auch die muslimische Belagerung von Nicäa blieb erfolglos; der Versuch, Syrakus zu erobern, wurde durch die Pest vereitelt. 23 In der Schlacht von Tours und Poitiers wurden sie in einer gemeinsamen Aktion der Franken, Langobarden, Sachsen und Friesen hinter die Pyrenäen zurückgeworfen. 24 Die Araber blieben jedoch hartnäckig; immer wieder entsendeten sie Truppen über die Pyrenäen, wo ihnen der Hausmeier Karl jedes Mal Einhalt gebot. 25 Im Kaukasusgebiet gelang ihnen nach jahrzehntelangen Kämpfen gegen die Chasaren der Vorstoß bis an die Wolga. 26 Kaum wurde Frieden im Kaukasus durchgesetzt, schon brannte es in Nordafrika. 27 Der Aufstand des Maysara wurde erst nach mehrjährigen Kämpfen niedergedrückt. 28 In der Schlacht bei Akroinon wurde die muslimische Armee  unter Kalif  Hischam von Ostrom besiegt und aus Kleinasien vertrieben. 29 Auf der Iberischen Halbinsel wurde ihnen von König Alfons Galicien entrissen. 30 Im Irak meuterten die Charidschiten, ihr Aufstand wurde mit Mühe und Not niedergeschlagen. 31 Militärische Misserfolge, Aufstände und Revolten wurden von schnellen Herrscherwechseln begleitet, was die umayyadische Dynastie immer mehr schwächte. 32 Der Aufstand des Abu Muslim im Ostiran läutete schließlich den Untergang der Umayyaden und den Aufstieg der Abbasiden ein.

 

33 Auch in den auf dem Gebiet des einstigen Westroms entstandenen neuen Reichen findet sich immer wieder jemand, dem es gelingt, den gerade amtierenden Herrscher zu stürzen, wenn nicht gleich umzubringen oder zu verstümmeln. 34 Es zeichnet sich aber auch ein neuer Brauch ab: Herrscher danken ab, um ein bescheidenes Mönchsleben in irgendeinem Kloster zu führen. 35 Einige werden allerdings auch dazu gezwungen hinter Klostermauern zu verschwinden. 36 Nach dem Tod Pippins wurde das Frankenreich in seinen Grundfesten erschüttert. 37 Da Pippins Söhne schon vor seinem Vater gestorben waren, sicherte Pippins Witwe Plektrudis ihrem Enkel Theudoald das Hausmeieramt. 38 Karl, den unehelichen Sohn Pippins, ließ sie verhaften, um zu verhindern, dass er möglicherweise Nachfolgeansprüche stellen würde. 39 Doch sie hatte nicht mit den Großen der Teilreiche gerechnet, die sich die Gelegenheit nicht nehmen lassen wollten, jeweils ihre eigenen Vorteile aus der Situation zu schlagen. 40 Als nach gelungener Gefängnisflucht auch noch Karl die Kampfarena betrat und siegreich aus den Schlachten gegen Neustrien hervorging, war Plektrudis endgültig aus dem Spiel. 41 Sie wurde von Karl gezwungen, ihm den Königsschatz seines Vaters abzutreten. 42 Der Schatz, zusammen mit der Kriegsbeute, ermöglichte ihm, sich die Treue seiner Gefolgsleute zu sichern. 43 Angesichts seiner zahlreichen Gegner hatte er die Loyalität seiner Leute auch bitter nötig. 44 Er führte erfolgreiche kriegerische Auseinandersetzungen mit Friesen, Sachsen, Alemannen und Bajuwaren, aber auch mit den Teilreichen Aquitanien, Burgund und Provence. 45 Er war nicht nur ein fähiger Kampfstratege, der seine Gegner durch Gewalt unterwarf, sondern traf auch kluge politische Entscheidungen. 46 So sicherte er sich die Freundschaft der Langobarden, indem er dem Langobardenkönig seinen Sohn zur Adoption anbot. 47 Auch christlichen Missionaren war er wohlgesonnen. 48 Nach dem Tod des Merowingerkönigs Theuderich erhob der Hausmeier Karl dessen Sohn nicht, wie üblich, zum König, sondern schickte ihn in ein Kloster. 49 Als Hausmeier regierte er dann das Frankenreich im eigenen Namen bis zu seinem Tode. 50 Seine Söhne Pippin und Karlmann konnten auch keinen Frieden genießen, sondern wurden immer wieder in kriegerische Auseinandersetzungen mit den Nachbarvölkern verstrickt. 51 Nachdem er den letzten Aufstand der Alemannen niedergeschlagen und deren Reich dem Fränkischen eingegliedert hatte, trat Karlmann als Hausmeier zurück und wählte das Mönchsleben. 52 Sein Bruder Pippin war dann Hausmeier über das Gesamtreich. 53 Um Auswüchse im Christentum zu stutzen, berief inzwischen der Missionar Bonifatius die germanischen Bischöfe zu einer Reformsynode, wo den Klerikern verboten wurde, Waffen zu tragen; die Klosterregel des Benedikt von Nursia wurde als verbindlich für alle Klöster vorgeschrieben.

 

54 Auch aus Byzanz gibt es nichts Erbauliches zu hören. 55 Zunächst wurden bei Anchialos die Christen von ihren Nachbarn, den Bulgaren, besiegt. 56 Kaiser Justinian  wurde  gestürzt  und  zusammen  mit  seinem sechsjährigen Sohn getötet. 57 Philippikos Bardanes, der neue Kaiser, war erfolgreich im Kampf gegen die Bulgaren. 58 Das sicherte ihm aber keine Vorteile, denn - Undank ist der Welten Lohn - er wurde durch Teile seines Heeres gestürzt und geblendet. 59 Auch sein Nachfolger Anastasios konnte sich der Kaiserwürde nicht lange erfreuen: er wurde von einem ehemaligen Finanzbeamten gestürzt, der dann als Kaiser Theodosios regierte, bis der Syrer Leo die kaiserliche Macht an sich riss. 60 Leo ordnete die Zwangstaufe für Juden und Montanisten an. 61 Da sich das Christentum immer mehr von seinen jüdischen Wurzeln entfernt, wundert es nicht, dass sich inzwischen auch im Christentum Bilderverehrung ausgebreitet hat und immer massiver wird. 62 Daher melden sich nun Kritiker zu Wort, die in der Bilderverehrung einen Rückfall ins Heidentum sehen. 63 Sie pochen auf das Zweite Gebot und verlangen das Verbot von Bilderverehrung. 64 Ihrer Meinung nach sind nämlich die vielen politischen Misserfolge sowie Naturkatastrophen und Seuchen Gottes Strafe dafür, dass die Christen gegen das Gebot verstoßen.

 

65 Und immer wieder tauchen Usurpatoren auf. 66 Auf eine Falschnachricht hin, Konstantinopel sei gefallen, wurde in Sizilien Tiberios zum Gegenkaiser erhoben. 67 Während sich Kaiser Konstantin in Anatolien aufhielt, wo er gegen die Araber kämpfte,  bemächtigte sich sein Schwager Artabasdos der Stadt Konstantinopel. 68 Nachdem Konstantin seinen Regierungssitz wieder eingenommen hatte, ließ er Artabasdos und seine Söhne blenden und ins Exil verbannen. 69 Das einzig Positive wird zurzeit aus dem Chasarenland vernommen. 70 Sein Herrscher Bulan habe den jüdischen Glauben angenommen und seinen Staat nach jüdischen religiösen Prinzipien organisiert. 71 Dort sollen Juden, Christen, Muslime und Heiden friedlich miteinander leben. 72 Niemand wird zwangsbeschnitten oder sonstwie wegen seines Glaubens unterdrückt.

 

 

T e i l     V I E R                  KAPITEL  2

 

1 Denn welcher Mensch kann Gottes Plan erkennen, oder wer begreift was der Herr will?

2 Manch einer hat den Titel eines Machthabers, aber keine Macht, ein anderer wiederum hat Macht, aber keinen Titel. 3 Pippin, der fränkische Hausmeier, wollte beides. 4 Er schickte eine Delegation zum Papst Zacharias, um die entscheidende Antwort auf seine Frage zu erhalten, ob es gut sei, dass die Könige im Frankenreich keine Macht besitzen. 5 Auf die Antwort des Papstes, es sei besser, denjenigen als König zu bezeichnen, der Macht besitzt, ließ Pippin den König Childerich absetzen, ins Kloster bringen und sich selbst zum König ausrufen.

 

6 Der Langobardenkönig Aistulf bedrängte Papst Stephan, welcher sich daraufhin an Pippin wandte und um Hilfe bat. 7 Das Verhältnis zwischen Rom und Konstantinopel war nämlich zu der Zeit infolge des Bilderstreites zerrüttet. 8 Pippin kam zu Hilfe, schlug Aistulf, und dieser verpflichtete sich, die besetzten Gebiete an den Papst zurückzugeben. 9 Kaum war Pippin abgezogen, brach Aistulf den Vertrag und belagerte Rom erneut. 10 Pippin kehrte zurück, und Aistulf musste sich unterwerfen. 11 Die eroberten Gebiete überließ Pippin dem Papst. 12 Pippin unternahm weitere Kriegszüge, um einen Aufstand der Sachsen niederzuschlagen sowie um Septimanien zu erobern. 13 Durch die Eroberung Septimaniens wurden die Mauren zurückgedrängt. 14 Als sich Herzog Waifar von Aquitanien gegen Pippin erhob, drang Pippin in dessen Reich ein und bezwang es. 15 Nach Aistulfs Tod versuchte dessen Bruder Ratchis, die Macht zu ergreifen. 16 Aber Desiderius von Tuscien, der sich mit Papst Stephan verbündete und aus dem Frankenreich militärische und diplomatische Unterstützung erhielt, kam ihm zuvor. 17 Er versprach dem Papst mehrere Städte zu schenken. 18 Ratchis zog sich daraufhin ins Kloster Monte Cassino zurück, und Desiderius wurde Langobardenkönig. 19 Desiderius versuchte vergeblich auf diplomatischem Weg, mit Byzanz ein Bündnis gegen den Papst zu schließen. 20 Papst Paulus, der sich von einer möglichen byzantinischen Invasion bedroht sah, bat die Franken um Vermittlung zwischen ihm und Desiderius. 21 Desiderius machte den fränkischen Gesandten zwar Zugeständnisse, wollte sich später aber nicht an die Vereinbarungen halten. 22 Nach jahrelangen Verhandlungen wurde der Streit beigelegt.

 

23 Der byzantinische Kaiser Konstantin war mit Kämpfen gegen die Araber und Bulgaren beschäftigt. 24 Die Chasaren unterstützten ihn im Kampf gegen die Araber. 25 Als die Bulgaren den Byzantinern eine Niederlage zufügten, wurden zwischen den beiden Friedensverhandlungen aufgenommen. 26 Den Bulgaren Khan Winech, welcher die Friedensverhandlungen führte, ließen die bulgarischen Fürsten ermorden, da er ihrer Meinung nach Byzanz zu viele Zugeständnisse machte. 27 Telez, sein Nachfolger, verwüstete danach die Grenzgebiete des Byzantinischen Reiches. 28 Konstantin sah sich dadurch veranlasst, mit seiner Streitmacht in Anchialos zu landen. 29 In dem darauffolgenden Kampf erlitten beide Seiten hohe Verluste. 30 Konstantin trug den Sieg davon und ließ alle Gefangenen töten. 31 Wegen einer Verschwörung gegen Konstantin verloren Strategios Podopaguros und sein Bruder das Leben. 32 Ihre Helfer und Mitwisser wurden geblendet und verbannt. 33 Nach Konstantins Tod wurde Leo sein Nachfolger. 34 Er kämpfte erfolgreich gegen Araber und Bulgaren. 35 Als er jedoch seinen Sohn Konstantin zum Mitkaiser machte, musste er einen Aufstand seiner Halbbrüder niederzwingen.

 

36 Das Frankenreich wurde nach Pippins Tod unter seine beiden Söhne Karl und Karlmann aufgeteilt. 37 Karlmann, welcher die Hälfte des Frankenreiches regierte, starb überraschend. 38 Karl führte viele Kriege gegen die Sachsen. 39 Er erzwang auch ihre Christianisierung. 40 Als er die Tochter des Langobardenkönigs nach einjähriger Ehe entließ, begann Desiderius die Franken zu befehden und den Papst zu bedrohen. 41 Karl zögerte nicht, Papst Hadrian zu Hilfe zu eilen, belagerte Verona und Pavia und erneuerte das Bündnis mit dem Papst. 42 Er unterhielt auch freundschaftliche Beziehungen zu Offa, dem König von England. 43 Zum Schutz vor den Muslimen gründete Karl das Teilkönigreich Aquitanien und übertrug seinem Sohn Ludwig die Herrschaft.

 

44 In der arabischen Welt wurden die herrschenden Umayyaden von den Aufständischen unter der Führung Abul Abbas as-Saffah an einem Nebenfluss des Tigris besiegt. 45 Der Prinz Abd ar-Rahman, welcher dem Massaker der Aufständischen entkommen war, gelangte mit Unterstützung der Berber nach Al-Andalus. 46 Zu dieser Zeit war Yusuf al-Fihri Statthalter in Al-Andalus. 47 Abd ar-Rahman besiegte ihn am Fluss Guadalquivir und erhob sich zum Emir von Cordoba. 48 Nach dem Tod von Abul Abbas as-Saffah beanspruchten al-Mansur und sein Onkel die Nachfolge. 49 Al-Mansur setzte sich durch. 50 Er schickte nämlich Abu Muslim, den Statthalter von Chorasan, in den Kampf, und dieser besiegte den Onkel bei Nisibis. 51 Für diese Tat wurde Abu Muslim jedoch schlecht belohnt. 52 Al-Mansur ließ ihn ermorden, weil er in ihm einen gefährlichen Konkurrenten sah. 53 Auch der Imam Dschafar as-Sadiq fand unter seiner Herrschaft den Tod. 54 Sein Tod löste viele Streitereien über den rechtmäßigen Imam aus. 55 Al-Mansur war auch im Kampf gegen die Aliden nicht zimperlich in seinen Methoden und kam schließlich zum Erfolg. 56 Sein Nachfolger al-Mahdi dagegen bemühte sich um eine Versöhnungspolitik gegenüber den Aliden. 57 In seiner Regierungszeit herrschten Frieden  und  Wohlstand,  Künste und Wirtschaft blühten und wurden gefördert. 58 Er bestimmte seinen Sohn Musa zum Thronfolger. 59 Der wiederum wurde von seinem Bruder Harun ar-Raschid nach dem ersten Regierungsjahr ermordet.

 

60 Nun zurück ins Frankenreich, wo Karl regiert, Kriege führt, mehrere Volksgruppen christianisiert hat und Diplomatie betreibt. 61 Gegenüber den Juden verhält er sich offen, er hat sogar manche in seinen Dienst genommen und es geschehen zurzeit keine Übergriffe. 62 Viel Aufsehen erregte die Konversion seines Hofkaplans Bode zur jüdischen Religion. 63 Bode zog daraufhin nach Al-Andalus, wo es den Juden erlaubt war, in allen Berufen tätig zu sein. 64 In Byzanz übernahm Irene die Regierungsgeschäfte, da ihr Sohn Konstantin noch zu jung war, um als Leos Nachfolger zu fungieren. 65 Irene ging ein Bündnis mit Karl ein und berief eine Konzilsversammlung in Nicäa ein. 66 Dort verwarf man die Beschlüsse des Konzils von Hiereia und erlaubte die Verehrung der Bilder, wodurch ein jahrzehntelanger Streit sein Ende finden sollte. 67 Um derartigen Streitigkeiten in Zukunft aus dem Weg zu gehen, ließ man das zweite biblische Gebot einfach weg und teilte das zehnte Gebot in zwei auf. 68 Als Konstantin alt genug war, um die Regierungsgeschäfte zu übernehmen, ließ seine Mutter Irene dies nicht zu. 69 Dank eines Aufstandes armenischer Soldaten gegen seine Mutter und deren Hofvorsteher gelang es ihm dann doch an die Macht zu kommen. 70 Als jedoch eine Rebellion von Irenes Verbündeten ausbrach, wurde Konstantin gefangen genommen. 71 Er wurde geblendet und erlag den Verletzungen. 72 Die Grenzen des Reiches sind weiterhin unsicher, die Lage im Inneren instabil.

 

 

T e i l     V I E R                  KAPITEL  3

 

1 Der ihre Herzen gebildet hat, er achtet auf all ihre Taten.

2 Es gibt nichts Neues unter der Sonne, auch die menschlichen Herzen sind unverändert geblieben. 3 Die kleinen Menschen feiern ihre Feste: die Juden jüdische, die Christen christliche, die Muslime muslimische, die Heiden heidnische. 4 Der kleine Mann fristet sein Dasein und hofft auf rechtzeitigen Regen, auf guten Ertrag seiner Felder und auf die Milde seines Herrschers, welchem er einen Teil seiner Erträge abliefern muss. 5 Er bangt um seine Familie, fürchtet sich vor Seuchen und hat Angst vor Kriegen. 6 Die Großen hingegen, die Mächtigen und Herrschenden, sind mit ganz anderen Sachen beschäftigt. 7 Sie denken nicht mit dem Herzen, sondern mit dem Kopf, und gieren nach Erfüllung ihrer Wünsche, die kein Ende zu haben scheinen. 8 Wir fangen jetzt mit den Großen an und schreiben für euch die Ereignisse auf, die uns interessant erscheinen. 9 Kalif Harun al-Raschid, welcher Bagdad zu einer großen Metropole werden ließ, eroberte Zypern und erzwang von der byzantinischen Kaiserin Irene hohe Tributzahlungen. 10 Er ordnete eine Kennzeichnung der Kleidung für Juden und Christen an. 11 Vielleicht wollte er seine Untertanen und Gläubigen vor Mischehen schützen, wie dem auch sei, diese Vorschrift trug sicherlich nicht zur Wertschätzung Andersgläubiger bei. 12 Harun regelte vor seinem Ableben die Thronfolge zwischen seinen beiden Söhnen al-Amin und al-Mamun. 13 Er verstarb dann auch bald im Kampf gegen die Charidschiten in Sistan. 14 Al-Amin wollte die vereinbarte Thronfolge umgehen. 15 Er designierte seinen minderjährigen Sohn als Thronfolger. 16 Al-Mamun wollte dies natürlich nicht hinnehmen. 17 Sein Feldherr Tahir konnte den Feldherrn al-Amins besiegen. 18 Tahir besetzte  Bagdad  und  stürzte al-Amin. 19 Al-Mamun erklärte sich zum Kalifen. 20 Nun ergab sich al-Amin endlich, und Tahir ließ ihn enthaupten. 21 Al-Mamun musste einen Aufstand der Aliden bewältigen, welche bereits mehrere abbasidische Gouverneure vertrieben hatten. 22 Er rief Ali ibn Musa zu seinem Nachfolger aus und ersetzte die schwarzen Banner der Abbasiden durch grüne; auch die Amtsträger wies er an grüne Kleidung zu tragen. 23 Nun waren die abbasidischen Prinzen aufgebracht und erklärten Ibrahim al-Mahdi zum Gegenkalifen. 24 Letztendlich starb Ali ibn Musa und al-Mahdi dankte ab. 25 Al-Mamun zog in Bagdad ein. 26 Er erklärte die Lehre der Mutaziliten zur Staatsdoktrin und verlangte von den Amtsträgern einen Eid auf die Erschaffenheit des Korans. 27 All jene, die dazu nicht bereit waren, mussten Misshandlungen erleiden, wenn nicht sogar den Tod. 28 Ja, so unterscheidet sich das Urteilen der Menschen vom Urteilen des Höchsten. 29 Während der Höchste über die Taten des Einzelnen richtet, maßt sich der Mensch an, über die Richtigkeit des Glaubens anderer zu urteilen. 30 Wie weit entfernt sind die Urteile dieser selbsternannten Richter vom Urteil des Höchsten! 31 Am Ende wird Er auch über sie das Urteil fällen.

 

32 Nach al-Mamuns Tod übernahm der dritte Sohn von Harun, al-Mutasim, die Würde und Bürde des Kalifenamtes. 33 Er musste einen Aufstand von Babak Khorramdin niederschlagen. 34 Babak hatte den Aufstand wegen der Ermordung Abu Muslims  organisiert. 35 Nach  der Niederschlagung flüchtete er nach Armenien. 36 Dort wurde er an abbasidische Truppen verraten und unter Folter hingerichtet. 37 Der folgende Kalif, al-Watiq, hatte gegen die Revolte der Banu Hilal und Banu Sulaym in Hedschas zu kämpfen. 38 Als al-Mutawakkil Kalif wurde, hob er die Staatsdoktrin der Mutaziliten wieder auf, weshalb dann jene leiden mussten, die zuvor anderen Leid zugefügt hatten. 39 So schnell ändert sich die Situation der Menschen.

 

40 Im Byzantinischen Reich hatte Nikephoros Kaiserin Irene abgesetzt und nach Lesbos verbannt. 41 Er erkannte Karl als Kaiser des Frankenreiches an und schloss mit ihm einen Vertrag. 42 Darin wurden einvernehmlich die Grenzen festgelegt. 43 Bardanes Turkos, der sich gegen Nikephoros erhoben hatte, wurde in ein Kloster geschickt; ähnlich erging es auch dem Patrizier Arsaber. 44 In Phrygien erlitt Nikephoros eine schwere Niederlage, und als er in Bulgarien einfiel, wurde er unter Khan Krum von den Bulgaren getötet. 45 Auch sein Sohn Staurakios, welcher ihm auf den Thron folgte, war so schwer verwundet, dass er problemlos durch eine Revolte abgesetzt werden konnte. 46 Sein Schwager Michael Rangabe wurde als Kaiser eingesetzt. 47 Auch Michael verlor eine Schlacht gegen die Bulgaren bei Adrianopel. 48 Als die Truppen Leo zum Kaiser ausriefen, zog sich Michael in ein Kloster zurück. 49 Leo konnte die Bulgaren, die bereits Konstantinopel belagerten, besiegen. 50 Er schloss mit Khan Omurtag einen dreißigjährigen Friedensvertrag. 51 Nach der Ermordung Leos bestieg Michael den Thron. 52 Thomas ernannte sich zum Gegenkaiser und belagerte mit seinen Anhängern Konstantinopel. 53 Michael rief  Khan  Omurtag  zu  Hilfe  und so gelang es ihm, Thomas zurückzudrängen. 54 Schließlich wurde Thomas von seinen eigenen Anhängern aufgepfählt. 55 Den byzantinischen Bürgerkrieg nutzten die Muslime, um Kreta zu erobern. 56 Theophillos, Michaels Sohn, folgte seinem Vater auf den Thron. 57 Er eroberte Samosata und Zapreta. 58 Im Gegenzug zerstörten die Muslime die Stadt Amorion und töteten alle Einwohner. 59 Theophillos brach den dreißigjährigen Friedensvertrag   mit   den  Bulgaren  und  verlor  somit  einige  Festungen  bei  Adrianopel. 60 Dadurch wurde die wichtige Heer- und Handelsstraße „Via Militaris“ unterbrochen. 61 Theodora, Theophilos’ Frau, übernahm nach dessen Tod die Regentschaft für den erst einige Jahre alten Michael. 62 Sie führte die Bilderverehrung, welche inzwischen unter Kaiser Leo und Kaiser Michael verboten war, wieder ein und ging gegen Bildergegner und Paulikianer hart vor. 63 Der Paulikianer Karbeas floh mit einigen tausend Glaubensbrüdern in arabisches Hoheitsgebiet. 64 So sehen wir auch hier wieder, wie Menschen allein wegen ihrer Überzeugung bestraft werden.

 

65 Im  Frankenreich  sorgte  die  Krönung  Karls zum Kaiser für viel Aufregung. 66 Sein Sohn Ludwig folgte ihm auf den Thron und verschaffte den Juden verschiedene Erleichterungen. 67 Unter anderem ordnete er an, dass die Sklaven der Juden nicht getauft werden durften, da es Juden verboten war, Christen als Sklaven zu halten. 68 Ludwig krönte seinen Sohn Lothar zum Mitkaiser, Pippin erhielt Aquitanien und Ludwig den östlichen Teil des Fränkischen Reiches. 69 Dadurch sah der Neffe Ludwigs, Bernhard, seine Herrschaft in Italien gefährdet und erhob sich gegen Ludwig. 70 Der Aufstand wurde niedergeschlagen, Ludwig ließ Bernhard blenden. 71 Da Bernhard an den Folgen starb, wurde von Ludwig ein öffentlicher Bußakt vollbracht. 72 Ludwig wurde zweimal seines Amtes enthoben und wiedereingesetzt; seine Söhne Ludwig und Karl schlossen ein Bündnis gegen Lothar. 

 

 

 T e i l     V I E R                  KAPITEL  4

 

1 Dann fürchten die Völker den Namen des Herrn und alle Könige der Erde deine Herrlichkeit.

2 Das Frankenreich wurde in Verdun dreigeteilt. 3 Lothar wiederum teilte sein Mittelreich, Lotharii Regnum, unter seine drei Söhne auf. 4 Das nördliche Gebiet, Lothringien, fiel nach dem Tod Lothars des jüngeren je zur Hälfte an das Ost- und Westfrankenreich. 5 Der Herrscher des Westfrankenreichs, Karl genannt der Kahle, eroberte Italien und wurde zum Kaiser gekrönt. 6 Nach dem Tod Ludwigs, des Rex Germaniae, wurde auch das Ostfrankenreich unter seine drei Söhne aufgeteilt. 7 Sein Sohn Karl setzte sich als Herrscher des ganzen Ostfrankenreichs und schließlich auch des Westfrankenreichs durch. 8 Das Frankenreich musste zu dieser Zeit zusammen mit anderen Staaten den normannischen Angriffen standhalten. 9 Diese großgewachsenen Männer aus dem Norden griffen mit Vorliebe die reichen Klöster in Irland, Schottland und England an. 10 Anfangs tauchten sie plötzlich  auf  und  verschwanden  wieder,  nun  begannen sie dort zu überwintern. 11 Dem angelsächsischen König Alfred gelang es, Ostengland vor den Normannen zu schützen. 12 Der normannische Stammesherrscher Guthrum, der sich taufen ließ, setzte zusammen mit den Angelsachsen die Grenzen seines Reiches Danelag fest. 13 Die Normannen entdeckten im Westen neue, zur Besiedlung geeignete Inseln. 14 Sie bauten ihre Lager auch auf dem Kontinent, vor allem an den Mündungen großer Flüsse. 15 Als sie wieder einmal Paris angriffen, zahlte ihnen der Frankenkönig Karl Tribut und gab ihnen Burgund als Pfand. 16 Das Ansiedeln der Normannen in Hispania wurde durch Muslime vereitelt, die Normannen griffen daraufhin Italien und Nordafrika an. 17 Die Seefahrer aus dem Norden, die sich selbst „Rhos“ nannten, drangen über die Flüsse ins Inland ein. 18 Sie trieben Handel mit dem Byzantinischen Reich.

 

19 In Byzanz herrschte Kaiser Michael, dessen Berater sein Onkel Bardas und der Patriarch Photios waren. 20 Nach mehreren Jahrzehnten zogen die Byzantiner wieder in den Krieg gegen die Araber. 21 Sie mussten jedoch zurückkehren, als die Rhos unerwartet vor Konstantinopel erschienen. 22 Der Angriff der Rhos veranlasste den Patriarchen von Konstantinopel zu einer Mission unter den heidnischen Feinden. 23 Die Verbreitung des Christentums diente als Vorwand für die Expansionspolitik des Reiches. 24 Auf diesem Gebiet kreuzten sich die Wege der westlichen fränkischen und der östlichen byzantinischen Missionare. 25 Der Stamm der Hunno-Bulgaren, deren Reich an Byzanz grenzte, verweigerte sich der Christianisierung. 26 Ihr Khagan Boris entschied sich schließlich aus politischen Gründen zur Annahme des Christentums byzantinischen Ritus.

 

27 Byzanz schickte auch ins Chasarenreich seine Glaubensboten: den Philosophielehrer Konstantin und seinen Bruder, Diplomaten und Rechtsanwalt Methodius aus Thessaloniki. 28 Der erfahrene Konstantin missionierte schon früher bei den Arabern und zwar bei dem Khagan al-Mutawakki. 29 Al-Mutawakki war es, der die Kaaba in Mekka reparieren und verschönern ließ. 30 Um sich keinen Gefahren auszusetzen, fuhren Konstantin und Methodius mit dem Schiff auf die Halbinsel Tauris. 31 Hier fand Konstantin das Grab des römischen Bischofs und Märtyrers Kliment. 32 Nach der Chasarenmission wurden Konstantin und Methodius nach Moravia geschickt. 33 Der mährische Herrscher Rastislav fürchtete nämlich den zunehmenden fränkischen Einfluss und bat Byzanz um Missionare. 34 Konstantin ersann eine neue Schrift für die slawische Sprache - Glagolica. 35 Die beiden Brüder übersetzten die liturgischen Bücher ins Slawische. 36 Ihre Mission hatte in Moravia Erfolg, und man fand bald zur Priesterweihe geeignete Schüler. 37 Die beiden Missionare kämpften auf dem Konzil in Venetia dafür, dass die slawische Sprache im Gottesdienst zugelassen werde. 38 Hier erhielten Konstantin und Methodius die Einladung des Papstes Nikolaus nach Rom. 39 Papst Nikolaus hatte zuvor die Wahl des byzantinischen Patriarchen Photios für ungültig erklärt. 40 Photios exkommunizierte wiederum den Papst durch einen Sendbrief an die östlichen Patriarchen. 41 Er kritisierte darin manche Gewohnheiten der westlichen Kirche, wie beispielsweise das Eheverbot für die Priester, Fasten an Samstagen und vor allem die Benutzung der Filioque-Formel im Glaubensbekenntnis. 42 Inzwischen kam es in Byzanz zu einem Regierungsumsturz; Basileios folgte dem ermordeten Kaiser Michael auf den Thron. 43 Da der Patriarch Photios dem Basileios wegen Kaisermordes die Teilnahme am Gottesdienst verbot, setzte Basileios ihn von seinem Amt ab. 44 Danach bestimmte er Ignatios zum Patriarchen. 45 Damit gewann Basileios die Radikalen sowie den neuen Papst Hadrian für sich. 46 Photios wurde ins Exil geschickt, ohne sich auf dem Konzil in Konstantinopel verteidigen zu dürfen. 47 Basileios traf verschiedene Maßnahmen, um die Juden zur Annahme der Taufe zu zwingen. 48 Als Konstantin und Methodius die Reliquien des heiligen Kliment nach Rom brachten, wurden sie von den Römern und Papst Hadrian begeistert empfangen. 49 Hadrian bestätigte in seinem Schreiben Gloria in Excelsis Deo den Gebrauch der slawischen Sprache in der Liturgie. 50 Der erkrankte Konstantin trat in Rom in ein griechisches Kloster ein, wo er den Namen Kyrillos annahm. 51 Hadrian ernannte Methodius zum Erzbischof der erneuerten Diözese Pannonia und zum päpstlichen Legaten für die slawischen Völker. 

 

52 In Moravia kam es inzwischen zu einem Umsturz; Svatopluk lieferte seinen Onkel Rastislav an die Ostfranken aus. 53 Auch Methodius wurde festgenommen und erst auf Geheiß des Papstes Johannes wieder freigelassen. 54 Nach dem Tod von Methodius wurde Bischof Wiching Verwalter des mährischen Erzbistums; er ließ alle slawischen Liturgiebücher vernichten und die Priester des slawischen Ritus vertreiben. 55 Die meisten Anhänger des Slawischen als Liturgiesprache zogen ins Bulgarische Reich, wo dann auf dem Volkskonzil in Pliska das Kirchenslawische als bulgarische Staatssprache festgelegt wurde. 56 Die Kroaten hatten schon vor langer Zeit den christlichen Glauben angenommen; ihr Fürst Branimir wurde von Papst Johannes als Fürst der Kroaten bestätigt. 57 Die Slawen nannten die nordischen Stämme der Normannen „Waräger“. 58 Die Waräger drangen über die Flüsse immer tiefer ins Inland ein und gründeten dort Handelszentren. 59 Sie lebten polygam und nahmen sich auch slawische Frauen. 60 Deren Fürst Oleg eroberte große Gebiete und so lebten in seinem Fürstentum neben den Warägern auch Ost-slawen. 61 Dadurch geriet er in Konflikt mit dem Chasarenreich, an welches die Ostslawen bis dahin Friedenstribut zahlten. 62 Die Chasaren behinderten deshalb den Handel zwischen Warägern und Arabern, wobei es vor allem um Silberhandel ging. 63 Die Chasaren kämpften auch gegen die Islamisierung; viele von ihnen praktizierten die jüdische Religion, manche, dank Konstantins Mission, auch das Christentum.

 

64 In  der  Dynastie  der  arabischen  Abbasiden  war  Zwietracht  keine Seltenheit. 65 Das wussten manche Verwalter der arabischen Provinzen zu nutzen und brachten die Verwaltungsgebiete in ihren Besitz. 66 So kam es zum Machtwechsel in Ägypten. 67 Die Aghlabiden verdrängten die Charidschiten von ihrer Machtposition in Nordafrika. 68 Die persischen Tahiriden in Chorasan wurden von den Saffariden gestürzt. 69 Danach wurden hier die Samaniden als Statthalter eingesetzt; Buchara wurde zur Hauptstadt. 70 Die schwarzen Sklaven erhoben sich mehrmals gegen die herrschenden Abbasiden. 71 Diese Sklaven aus Ostafrika mussten Schwerstarbeit verrichten - das Trockenlegen der Salzsümpfe am Unterlauf des Euphrats. 72 Während eines Aufstandes, angeführt von Ali ibn Mohammed, gelang es ihnen sogar, ihren eigenen Staat zu gründen, bevor sie von den Abbasiden besiegt wurden.

 

 

T e i l     V I E R                  KAPITEL  5

 

1 Warum toben die Völker, warum machen die Nationen vergebliche Pläne?

2 Völkerstämme und Sippen sorgen schon seit einigen Jahrhunderten für eine Veränderung der Weltkarte. 3 Es gab unendliche Wanderungen, Kriege, Eroberungen sowie Vermischungen von Völkern und Religionen. 4 Einerseits waren es schreckliche Zeiten voller Leid, Blut und Hungersnot, andererseits entstanden neue Bekanntschaften, Bündnisse und Freundschaften. 5 Die Welt ist nicht mehr, wie sie zur Zeit der römischen Kaiser war, als Rom fast die ganze Welt beherrschte. 6 Jetzt sind viele Völker sesshaft geworden, haben sich in der Gemeinschaft der Völker etabliert. 7 Sie haben den Römern, Byzantinern und Persern deren Regierungs- und Herrschaftssysteme abgeschaut, sie den eigenen Bedürfnissen  angepasst,  und sind zu wichtigen politischen Faktoren  geworden. 8 Nun will aber jedes Volk möglichst viel Land, Macht und Einfluss gewinnen; das haben sie von den Römern gelernt. 9 Ein Wettstreit beginnt. 10 Franken, Angelsachsen, Normannen, Bulgaren und viele andere Völker nehmen daran teil. 11 Die meisten von ihnen leben unter der Herrschaft eines Königs oder eines Fürsten.

 

12 Die Juden hatten inzwischen etwas ruhigere Zeiten. 13 Außer der Katholischen Kirche, welche sie ab und zu verfolgte, und der Muslime, die es sporadisch auch mal taten, war keiner mit dem auserwählten Volk beschäftigt. 14 Da die Juden das Gelobte  Land  nicht  wiedergewinnen  konnten,  zogen  sie  verstärkt  in die weite Welt  hinaus.  15 Vom  fränkischen  Kaiser  Karl  erging eine besonders verlockende Einladung an sie, die ihnen bedeutende Positionen in Aussicht stellte. 16 So strömen nun Juden aus  allen  Himmelsrichtungen  ins  Frankenreich. 17 Generationen hindurch haben sie sich sprachlich so unterschiedlich entwickelt, dass sie sich untereinander kaum verständigen können. 18 Nun beginnen sie ihr babylonisches und aramäisches Hebräisch mit den fränkischen Dialekten zu vermischen. 19 Daraus entsteht eine neue Sprache, welche fast alle hiesigen Juden und auch viele Franken verstehen können. 20 Wenn sie nicht in der Diaspora wären und wenn der byzantinische Kaiser Romanos sie nicht zur Annahme des Christentums anhalten würde, könnte man sagen, dass es eine gute Zeit für die Juden sei.

 

21 Weniger gut steht es um die christliche Kirche und ihr Ansehen unter den Völkern. 22 Denn an der Spitze der Kirche haben sich Sitten eingebürgert, die in krassem Widerspruch zum Selbstverständnis des Christentums und seiner jüdischen Wurzeln stehen. 23 Päpste haben angefangen, aus welchem Grund auch immer, sich Frauen zu halten. 24 Sie gebrauchen sie nicht nur zu ihrem Vergnügen, sondern missbrauchen sie auch für ihre Politik. 25 Manche von diesen Mätressen benutzen wiederum die Päpste und die Kirche für ihre eigenen Ziele. 26 Es ist ein Schauspiel für die Welt, ein Skandal für die aufrichtig Gläubigen. 27 Solch schlechte Sitten erhöhen  nämlich  die  Wahrscheinlichkeit  einer  weiteren  Spaltung  der Kirche. 28 Aber vielleicht wird dies auch zur Besinnung und zum Heilungsprozess in der Kirche führen.

 

29 Ganz andere Sorgen haben derzeit die Araber. 30 Sie kämpfen an mehreren Fronten um die Verbreitung ihres Glaubens. 31 Leider verfolgen sie dabei auch eigene, ganz weltliche Interessen. 32 Unter den Muslimen gibt es mehrere religiöse Strömungen, deren Vertreter sich gegenseitig bekämpfen. 33 So wie im Christentum, ist es auch im Islam verhängnisvoll, wenn eigene Interessen der Idee der Glaubensverbreitung voran- oder gleichgestellt werden. 34 Es endet immer in Schande oder einer Katastrophe. 35 Nun wollen wir uns den einzelnen Ereignissen der gegenwärtigen Epoche zuwenden. 36 Wie es schon unsere Art ist, wollen wir sie nicht detailliert und chronologisch darstellen. 37 Die an der Geschichte interessierten Leser finden diesbezüglich genug Stoff bei den zeitgenössischen Geschichtsschreibern. 38 Zu denen gehört auch der gelehrte Benediktinerabt Regino von Prüm, der in seiner Weltchronik die Zeit von Jesu Geburt bis zu den jetzigen Frankenherrschern beschreibt. 39 Die  Muslime  eroberten  die  zweitgrößte  byzantinische  Stadt  Thessaloniki. 40 Nach der arabischen Eroberung der Insel Melita wurde diese in Malta umbenannt und islamisiert. 41 Abdullah gründete in Ägypten das Kalifat der Fatimiden. 42 Abd ar-Rahman, der dritte dieses Namens in der Dynastie der Umayyaden, wurde Emir von Cordoba. 43 Ordono, aus dem Königreich Leon, wurde sein Gegner auf der Iberischen Halbinsel. 44 Er besiegte zuerst die Truppen des Abd ar-Rahman. 45 Drei Jahre später wurde das leonische christliche Heer von den Mauren  besiegt.  46 Die  muslimischen  Soldaten  überquerten  die Pyrenäen. 47 Abd ar-Rahman  eroberte  auch  Pamplona, die Hauptstadt  des  Königreichs Navarra. 48 Trotz Widerstand der Fatimiden ließ sich Abd ar-Rahman zum unabhängigen Kalifen von Cordoba ausrufen. 49 Er gewann mit seinen Truppen die Vorherrschaft im Nordwesten Afrikas. 50 Als er dann eine schwere Niederlage gegen Leon erlitt, ließ er seine Heerführer kreuzigen. 51 Abd ar-Rahman förderte die Wissenschaft, Künste und Landwirtschaft. 52 Cordoba wurde neben Konstantinopel und Bagdad eine der größten Städte. 53 In der arabischen Welt wurden inzwischen die Hadith-Sammlungen von den Gelehrten al-Buchari und Muslim ibn al-Haddschadsch bekannt. 54 Al-Buchari vertrat eine von der vorherrschenden Überzeugung abweichende theologische Meinung und musste Bagdad verlassen. 55 Der islamische Philosoph Alkindus führte die mathematische Denkweise - die Logik - in die Philosophie ein. 56 Als die persische Dynastie der Buyiden Bagdad besetzte, übernahm sie die Kontrolle über das Kalifat der Abbasiden. 57 So verlor der Kalif von Bagdad seine politische Macht und galt nur noch als geistiger Leiter der Sunniten.

 

58 In Europa wurden die nomadischen Stämme der Ungarn zu einer Gefahr für andere Völker. 59 Sie wurden unter Arpad, dem Stammesfürsten der Magyaren, vereinigt. 60 Die Magyaren besetzten nach der Verwüstung von Moravia das reiche Pannonien. 61 Von da aus unternahmen sie unzählige Beutezüge, vor allem ins Frankenreich und nach Italien. 62 Unter dem Großfürsten Zoltan erlitten sie die erste große Niederlage, die ihnen von dem ostfränkischen König Heinrich in der Schlacht bei Riade beigebracht wurde. 63 Diesem mächtigen, expansionistisch gestimmten Frankenherrscher leistete der böhmische Fürst Vaclav den Lehnseid, woraufhin ihn sein Bruder Boleslav ermorden ließ. 64 Die Magyaren trennten mit der Etablierung ihres Gebiets die Nordslawen von den südlichen Slawen. 65 Der kroatische Fürst Tomislav konnte sich gegen die magyarischen Angriffe erfolgreich behaupten. 66 Er wurde als kroatischer König auch von Papst Johannes bestätigt. 67 Tomislav war ein Bundesgenosse der Byzantiner im Kampf gegen die Bulgaren. 68 Die Bulgaren versuchten auch serbische Stämme zu unterwerfen, aber Fürst Caslav verteidigte erfolgreich ihre Eigenständigkeit. 69 Nach dem Tode des byzantinischen Kaisers Leo wurde sein unmündiger Sohn Konstantin Kaiser. 70 Konstantin widmete sich der Staatsorganisation, ließ Werke über Zeremonien am Kaiserhof und über die Regierung des Reiches verfassen. 71 Im Auftrag von Kaiser Konstantin entstand ein umfangreiches Nachschlagewerk der Sachbegriffe. 72 Latein als Zweitsprache in Armee und Verwaltung wurde unter ihm durch das Griechische abgelöst.

 

 

T e i l     V I E R                  KAPITEL  6

 

1 Rette mich, Herr, mit deiner Hand vor diesen Leuten, die im Leben schon alles haben; du füllst ihren Leib mit Gütern, auch ihre Söhne werden noch satt und hinterlassen den Enkeln, was übrigbleibt.  

2 Christentum  und  Islam werden immer intensiver unter den Völkern verbreitet. 3 Das Christentum spannt sich nun wie ein Zeltdach von den nordischen Inseln bis nach Byzanz. 4 Ein Loch in diesem Zeltdach bilden die Slawen in Ostalbingien, die weiterhin ihrer Götterwelt anhängen. 5 Die Stämme der Poljanen, manche Normannenstämme sowie die Stämme der Rus und der Ungarn wurden schließlich christlich. 6 Byzanz gelang es wieder eine wichtige Großmacht zu werden. 7 Der byzantinische Kaiser Konstantin unterhält diplomatische Beziehungen mit dem Kalifat von Cordoba sowie mit dem Frankenreich und der Rus. 8 Der ostfränkische Herrscher Otto wurde zum Kaiser gekrönt und übt nun seine politische Macht auch über das Papstamt aus. 9 Manche Päpste halten sich immer noch Mätressen, während die Kalifen von Cordoba männliche Harems unterhalten. 10 Die Fatimiden sind die dominierende Macht in Ägypten und Syrien. 11 Die Stadt al-Qahira in Ägypten wurde zu einem bedeutenden Zentrum ausgebaut. 12 Die Juden fungieren oft als Vermittler im Handel zwischen Ost und West. 

 

13 Befassen wir uns zuerst mit Byzanz. 14 Der byzantinische Kaiser Konstantin wurde mit vierzig Jahren zum Alleinherrscher. 15 Er stattete seine Höflinge und Generäle mit vielen Machtbefugnissen aus. 16 Auch erließ er Gesetze zum Schutz von Soldaten und Bauern. 17 Er schaffte es, Byzanz vor den Ungarn und den Arabern erfolgreich zu verteidigen. 18 Die verwitwete Fürstin der Rus, Olga, besuchte Konstantinopel, wo sie zum Christentum konvertierte und bei der Taufe den Namen Helena annahm. 19 Diese Handlung stieß bei den einheimischen Stämmen auf Unverständnis, deshalb wandte sich die Fürstin an den ostfränkischen Herrscher Otto und bat um Hilfe. 20 Dieser schickte einen Mönch namens Adalbert in das Land der Rus. 21 Doch Adalberts Missionierungsversuch misslang und er kehrte unverrichteter Dinge zurück. 22 Später wurde er zum Erzbischof von Magdeburg ernannt. 23 Olgas Sohn Svjatoslav eroberte das Land der Chasaren sowie die Hauptstadt der Bulgaren.

 

 24 Zum byzantinischen Kaiser wurde inzwischen ein General armenischer Herkunft, Johannes genannt Tzimiskus, ernannt. 25 Mit der Rus wurde ein Friedensvertrag ausgehandelt, durch welchen Byzanz Territorien in Bulgarien, Ungarn sowie die Handelsstadt Chersones gewann. 26 Der Großfürst der Rus, Wladimir, besetzte später die Stadt Chersones, um die Heirat mit der Schwester des byzantinischen Kaisers Basileios zu erzwingen. 27 Vor der Eheschließung musste Wladimir den orthodoxen christlichen Glauben annehmen und die Christianisierung der Rus erlauben. 28 Die Bulgaren nutzen interne Streitigkeiten in Byzanz, um ihren Freiheitskampf wiederaufzunehmen. 29 Dank seiner Erfolge in dem Unabhängigkeitskampf wurde Zar Samuel berühmt.

 

30 In Westeuropa machte sich der sächsische Herzog Otto als Herrscher einen Namen.  31 Er wurde bei seiner Krönung zum ostfränkischen König in der Kathedrale von Aachen gleichzeitig auch zum Erzbischof von Mainz ernannt. 32 Er machte seine Familienangehörigen zu Herzögen und wollte auch Bischöfe und Äbte für seine Politik einspannen. 33 Seine politischen Pläne finanzierte er mit Erträgen aus den sächsischen Silberminen. 34 Otto stoppte die Ungarn in der Schlacht auf dem Lechfeld bei Augsburg. 35 Papst Johannes bat ihn um Hilfe im Kampf gegen König Berengar. 36 Der Papst war ein Enkel der einflussreichen Mätresse Marozia. 37 Er wurde schon mit achtzehn Jahren Papst und hielt sich einen Frauenharem im Lateranpalast. 38 Otto half dem Papst und wurde dafür römischer Kaiser. 39 Dem Papst bestätigte er die Besitzrechte und -ansprüche. 40 Zugleich legte er aber fest, dass der Papst  noch  vor  der  Weihe  dem  Kaiser  einen  Treueeid leisten müsse. 41 Nachdem Otto Rom verlassen hatte, verbündete sich Papst Johannes mit dem geflohenen Sohn von Berengar. 42 Otto, verärgert darüber, machte sich erneut auf den Weg nach Rom, um den Papst zu bestrafen, doch starb dieser bevor Otto Rom erreichte. 43 Das von Otto gegründete Erzbistum von Magdeburg wurde zum Zentrum der Ostmission. 44 In Quitilingburg feierte Otto oft das Osterfest und empfing Gesandte aus ganz Europa. 45 Er war bestrebt, auch über die gesamte Reichskirche zu herrschen. 46 Dagegen trat eine Reformbewegung auf, die sich die Ideale des Klosters von Cluny zum Vorbild nahm. 47 Ihr Ziel war die Unabhängigkeit der Klöster von der herrschaftlichen Macht und eine innige Frömmigkeit. 48 Auf Otto folgte sein gleichnamiger Sohn, welcher schon vor dem Tod des Vaters zum Mitkaiser gekrönt und mit der byzantinischen Prinzessin Theophanu verheiratet wurde. 49 Während  der  Regierungszeit  Ottos kam  es zu  mehreren  Aufständen. 50 König Harald von Daniae, der das Christentum angenommen hatte, fiel in Nordalbingien ein. 51 Er heiratete die Tochter des Abodritenfürsten und unterstützte die slawischen Stämme in dem erfolgreichen Aufstand gegen die Ostfranken in Ostalbingien. 52 Kaiser Otto wurde in Süditalien von den Arabern besiegt und starb in Rom. 53 Nach seinem Tod regierte zuerst seine Witwe Theophanu und nach deren Tod die Altkaiserin Adelheid. 54 Sein Sohn Otto übernahm dann als vierzehnjähriger selbst die Herrschaft. 55 Trotz Widerstände machte er Rom zum Reichszentrum.  56 Seinen Cousin Bruno von Karantanien ernannte er zum Papst; dieser nahm als Papst den Namen Gregor an. 57 Otto bezeichnete sich selbst als „Knecht Jesu Christi“ und später als „Diener der Apostel“.

 

58 Auch in den muslimischen Gebieten gab es verschiedene politische Probleme. 59 Die Qarmaten gründeten im Nordosten der Arabischen Halbinsel ihren eigenen Staat. 60 Sie bedrohten die Pilger nach Mekka.  61 Auch entwendeten sie den schwarzen Stein der Kaaba, hadschar-ul-aswat. 62 Erst nach zwanzig Jahren gelang es den Mekkanern ihn durch Vermittlung der Fatimiden gegen hohes Lösegeld wieder zurückzugewinnen. 63 Die Fatimiden entrissen Ägypten den Ichschididen.  64 Unter Kalif Abu Tamin Maad al-Muizz beherrschten sie kurze Zeit auch Mekka und Medina. 65 Der qarmatische Heerführer Abu Ali al-Hasan eroberte Ramla und Damaskus. 66 Es kam zu mehreren Kämpfen zwischen den Qarmaten und den Fatimiden.  67 Die Fatimiden siegten und besetzten schließlich Syrien und das ehemalige Eretz Israel. 68 Kalif al-Muizz machte die Stadt al-Qahira al-Muizziya in Ägypten zu seiner Residenz und ersetzte die alte Währung durch den Golddinar. 69 Er ließ auch eine eigene Flotte zum Schutz des Seehandels bauen. 70 Ferner errichtete er in der Hauptstadt ein Ausbildungszentrum für ismailitische Missionare. 71 Gegenüber den Kopten war al-Muizz tolerant. 72 Diese durften hohe Ämter bekleiden und ihren Glauben frei ausüben.

 

 

T e i l     V I E R                  KAPITEL  7

 

1 Ich bin nur Gast auf Erden, verbirg mir nicht deine Gebote!

2 Der technische und wirtschaftliche Fortschritt trägt zu einer längeren Lebenserwartung und dadurch auch zu wachsender Bevölkerungszahl bei. 3 Das Dorf wird zu einem wichtigen wirtschaftlichen Faktor, die Bauern stellen nach Adel und Klerus eine bedeutende soziale Schicht dar. 4 Die Herrscher wollen ihre Macht auch mit Hilfe der Religion festigen. 5 Die Völker im Norden Europas und in Asien werden nach und nach christianisiert. 6 Der überwiegende Teil Europas steht unter dem Einfluss des katholischen Roms. 7 Das orthodoxe Christentum dominiert in Ost- und Südeuropa, mit Konstantinopel als Zentrum. 8 Das Reich der Fatimiden erlebt einen großen wirtschaftlichen Aufschwung. 9 Auch Kultur und Wissenschaft werden gefördert. 10 Die Seldschuken haben das persische Gebiet besetzt und bedrohen die benachbarten Länder.

 

11 Manche Leute erwarten das Weltende, andere behaupten, von diesem Tag weiß einzig und allein der Schöpfer der Welt. 12 Viele werden vom missionarischen Eifer gepackt, sind dabei aber nicht von Nächstenliebe inspiriert. 13 In Eretz Israel herrschen weiterhin Fremde. 14 Auf der Iberischen Halbinsel überschlagen sich die Ereignisse. 15 Die Umayyaden-Kalifen auf dem Thron von Cordoba wechselten schnell. 16 Anstatt des Kalifen Hischam herrschte faktisch der Kämmerer Abu Amir Muhammad ibn Abi Amir. 17 Er warb viele neue Söldner aus Berberstämmen an und plünderte mit seinem Heer christliche Reiche auf der Iberischen Halbinsel. 18 So wurde das Wallfahrtszentrum der Christen in Compostela zerstört und seine Schätze von christlichen Sklaven nach Cordoba gebracht. 19 Abu Amir Muhammad stärkte seine Herrschaft in Nordwestafrika, woraufhin er sich den Titel „al-Mansur bi-llah“ zulegte, der nur den Kalifen vorbehalten war. 20 Im andalusischen Heer kam es zu Spannungen zwischen dem arabischen Truppenteil und den slawischen Sklaven. 21 Das Kalifat von Cordoba zerfiel in kleine Königreiche und Fürstentümer. 22 Die berberischen Hammudiden verdrängten die Umayyaden aus dem Kalifat von Cordoba. 23 In Sevilla gründeten die Abbadiden ein mächtiges Reich.

 

24 Der römische Kaiser Otto unterstützte die Kandidatur des fränkischen Lehrers Gerbert von Aurillac für das Papstamt. 25 Aurillac war ein bedeutender Gelehrter und führte als Papst Silvester die arabischen Zeichen für die Zahlen ein. 26 Zusammen mit Kaiser Otto plante er eine Erneuerung des Römischen Reiches, das von Kaiser und Papst gemeinsam regiert werden sollte. 27 Beide unterstützen die Gründung der beiden christlichen Reiche -  Regnum Hungariae und Regnum Poloniae. 28 Der Prager Bischof Vojtech, auch unter dem Namen Adalbert bekannt, unternahm  eine Missionsreise nach Ungarn. 29 Dort firmte er den Herzog Stephanus.  30 Stephanus wurde durch den päpstlichen Legaten zum ungarischen König gekrönt. 31 Als Adalbert während der Mission von Pruzzen ermordet wurde, kaufte der polnische Herzog Boleslav seine Überreste und ließ sie in der Stadt Gniezno begraben. 32 Vojtech wurde bald darauf heiliggesprochen, und selbst Kaiser Otto pilgerte zu seinem Grab. 33 Hier traf er sich mit dem Herzog Boleslav. 34 Gniezno wurde zum Erzbistum, und Radim, der Halbruder von Vojtech, sein erster Erzbischof. 35 Der bayrische Herzog Heinrich folgte Otto auf den Kaiserthron. 36 Heinrichs Ziel war die Erneuerung des Frankenreichs. 37 Polen gewann das Gebiet Lusatia, das Land Bohemiae wurde in Heinrichs Reich eingegliedert. 38 Heinrich und seine  Frau  Kunigunde setzten sich für die Gründung des Bistums Bamberg ein. 39 In der Kirchenpolitik protegierte Heinrich lieber Bischöfe als unabhängige Mönchsorden. 40 Zwar schenkte er seinen Reichsapfel dem Kloster in Cluny, nichtsdestotrotz   behinderte  er  die  cluniazensische  Reform  in  seinem  Reich. 41 Odilo, ein angesehener Gelehrter, wurde zu dieser Zeit Abt in Cluny. 42 Er setzte sich für Kriegsunterbrechung während der kirchlichen Feste ein. 43 Odilo führte in Cluny den Gedenktag Allerseelen ein. 44 Er verdoppelte die Zahl der Cluny untergeordneten Klöster. 45 In der Stadt Coellen wurde mit dem Bau einer Synagoge begonnen. 46 Juden wurden nach einem Erdbeben am Karfreitag in Rom der Hostienschändung beschuldigt, gefoltert und auf dem Scheiterhaufen verbrannt.

 

47 Nach Heinrich wurde Konrad der neue Herrscher des Ostfrankenreichs. 48 An der Kaiserkrönung Konrads nahm auch der dänische Herrscher Knut teil. 49 König Knut besiegte England sowie die verbündeten Heere des Norwegers Olaf und des Schweden Jakob Anund. 50 Unter Konrads Regierung bekam die ehemalige ostfränkische Monarchie den Namen Imperium Romanum. 51 Er ließ den Dom in Speyer erbauen. 52 Konrads Sohn Heinrich unterstützte Kirchenreformen. 53 Die Rus pflegte politische und wirtschaftliche Kontakte mit dem Römischen Reich und mit Byzanz. 54 Großfürst Jaroslav schloss ein Bündnis mit dem römischen Kaiser Konrad. 55 Jaroslav herrschte zuerst in Novgorod, später setzte er sich gegen seinen Bruder Svjatopolk und dessen Verbündete auch in Kyiv durch. 56 Byzanz besiegte in der Schlacht bei Belasice die Bulgaren, danach auch noch die Georgier. 57 Nach dem Tod von Kaiser Basileios wurde Byzanz im Osten von den Seldschuken bedroht. 58 Diese lösten nach der Schlacht von Dandanaqan die Ghaznawiden als Herrscher über das iranische Gebiet ab.

 

59 Die Fatimiden haben als Oberherren in Nordafrika ihren Hauptsitz im ägyptischen al-Qahira. 60 Westlich von Ägypten, in Ifriqiya, regieren die Ziriden. 61 Es kam zum Bruch zwischen diesen beiden Dynastien, als die Ziriden die Abbasiden von Bagdad als rechtmäßige Kalifen anerkannten und somit von der schiitischen zu der sunnitischen Konfession wechselten. 62 Obwohl die Fatimiden Schiiten sind, gehört die Mehrheit der ägyptischen Bevölkerung zu den Sunniten, außerdem leben dort noch koptische Christen. 63 Der fatimidische Kalif al-Hakim bi-amri Llah ließ viele nichtmuslimische Bauten zerstören, darunter auch die Grabeskirche in Jerusalem und die Synagoge in al-Qahira. 64 Er erließ einige Dekrete über die Reinheit des islamischen Glaubens und ließ das Haus der Weisheit in al-Qahira errichten. 65 Eine Gruppe innerhalb der ismaelitischenSchia-Richtung begann Kalif al-Hakim sogar zu vergöttlichen. 66 Die Anhänger dieser Lehre wurden nach ihrem eifrigen Missionar aus Buchara als „Duruz“ bezeichnet. 67 Aus Buchara stammt auch der berühmte Arzt und Gelehrte Ibn Sina, in Europa unter dem Namen Avicenna bekannt. 68 Die arabischen Übersetzungen der griechischen Philosophen und Naturwissenschaftler werden neuerdings auch von jüdischen Gelehrten benutzt. 69 Die Rabbinen beginnen die jüdischen Lehren zu systematisieren. 70 Die Religionsphilosophie von Saadia ben Josef trägt zur Dogmatisierung des Judentums bei. 71 Die Schriftgelehrten wollen die Tanach vor Fehldeutungen bewahren. 72 Die Tanach - Version der tiberischen Schule, mit Anmerkungen und Vokalisierungszeichen versehen, setzt sich durch.

 

 

T e i l     F Ü N F                 KAPITEL  1

 

1 Auch wenn mein Leib und mein Herz verschmachten, Gott ist der Fels meines Herzens und mein Anteil auf ewig.

2 Für den Chronisten gibt es gegenwärtig sehr viel zu vermelden, doch wenig Erfreuliches. 3 Umso mehr wollen wir das Erfreuliche voranstellen und zuerst erwähnen. 4 Es gibt immer mehr Menschen auf der Erde, die an den Einen Herrn glauben. 5 Gemeint sind die Juden, die Christen und die Muslime. 6 Mancherorts entstehen zwischen ihnen sogar freundschaftliche Beziehungen, gegenseitige Achtung und Toleranz. 7 In Spanien erfreuen sich die Juden des Wohlwollens des Königs Alfonso. 8 In England gründen die Juden, welche Wilhelm aus Normandie gefolgt sind, mehrere große Siedlungen. 9 Kanaph ha aretz nennen die Juden die Insel Englands: Winkel der Erde. 10 In vielen muslimisch beherrschten Gebieten leben  Juden  unbehelligt  und  in  Eintracht  mit  der  muslimischen  Bevölkerung. 11 Und damit sind wir schon am Ende der guten Nachrichten.

 

12 Es gibt auch Anfeindungen zwischen den erwähnten Gruppen, und wo es noch keine gibt, dort sorgen Neider, falsche Eiferer und abenteuerlustige Hetzer, dass welche entstehen. 13 In Granada werden viele Juden von Muslimen umgebracht, die sie um ihren Wohlstand beneideten. 14 Der Kirchenreformer Damiani liefert in seinen Schriften fadenscheinige theologische Begründungen, mit denen er die Judenverfolgung rechtfertigen möchte. 15 Man findet in fast jeder christlichen Generation Gelehrte, welche genau zu wissen meinen, warum die Juden verfolgungswürdig seien. 16 Dabei hat die Christenheit genug interne Probleme. 17 Einerseits herrscht vielerorts Unmoral, Unordnung und Chaos, sowohl unter niederem als auch unter höherem Klerus, andererseits wachsen Spannungen und Spaltungen zwischen der Ost- und der Westkirche. 18 Die gegenseitige Exkommunikation zwischen Papst Leo und dem Patriarchen Michael ist nur ein äußeres Zeichen einer andauernden, tiefgehenden Spaltung. 19 Schon seit den ersten Jahrhunderten zeigten sich innerhalb des Christentums Unstimmigkeiten und Spaltungen zwischen Ost und West. 20 Einer der Gründe dafür war die Sprachbarriere. 21 Während im Ostteil des Reiches von Anfang an die griechische Sprache als Amtssprache der Kirche galt, setzte sich im Westteil Latein durch. 22 Die lateinische Sprache wurde jedoch von den griechisch sprechenden Gelehrten als barbarisch bezeichnet. 23 Die heiligen Schriften, Liturgiebücher und sonstige Schriften wurden je nach Region entweder griechisch oder lateinisch verfasst beziehungsweise übersetzt. 24 Auch christliche Theologen und Gelehrte hatten, je nach Region aus der sie kamen, unterschiedliche Ausbildungen und differierende Betrachtungsweisen. 25 Im Osten waren klassische Bildung und Philosophie selbstverständlich, im Westen legte man größeren Wert auf politische und juristische Bildung. 26 Überdies kam es mit der Verlegung des Kaisersitzes von Rom nach Konstantinopel zur Veränderung der Machtkonstellation. 27 Es gab unterschiedliche Meinungen in Bezug auf Zölibat, Erlösung und Glaubensbekenntnis. 28 Die entscheidende Rolle spielten jedoch Herrschaftsansprüche, Rechthaberei und Halsstarrigkeit.

 

29 Schon beim Konflikt zwischen Papst Nikolaus und dem Patriarchen Photios zeichnete sich eine Spaltung ab. 30 Der spätere Papst Johannes versöhnte sich dann wieder mit Photios. 31 Nun sind Patriarch Michael und Papst Leo wegen der Liturgiesprache, des eucharistischen Brotes und des Glaubensbekenntnisses aneinandergeraten. 32 Man hat sich verfeindet, sich gegenseitig verflucht, und versucht nun dies alles den einfachen Gläubigen zu erklären. 33 Die Machthaber und der Klerus haben auch die islamische Gefahr nicht aus den Augen verloren. 34 Die Christen haben im Kampf gegen die Muslime viele Gebietsverluste hinnehmen müssen. 35 Im Westen bereiten ihnen die Muslime Kopfzerbrechen, im Osten die anrückenden Seldschuken. 36 Seit der Entzweiung versuchen die christlichen Machthaber der Situation, so gut es geht, Herr zu werden. 37 Einerseits versuchen sie die Muslime aufzuhalten, andererseits ist jede der beiden Seiten bemüht zu beweisen, dass sie in Glaubensangelegenheiten recht habe. 38 Man versucht durch Machtausübung und Kriegserfolge zu belegen, dass Gott auf seiner Seite sei. 39 In Jerusalem vertrieben Muslime Hunderte von Christen aus der Stadt und verboten ihnen den Zutritt zu ihren heiligen Stätten. 40 Die Seldschuken eroberten Bagdad und preschten nach Westen vor. 41 Als sie Jerusalem eroberten, töteten sie dort viele Einwohner. 42 Auch in Armenien wurden viele Christen umgebracht. 43 In Spanien lieferten sich Muslime und Christen erbitterte Kämpfe. 44 Die Seldschuken behinderten christliche Pilgerreisen nach Jerusalem. 45 Ein byzantinisches christliches  Heer wurde von einem muslimischen  Heer vernichtend  geschlagen. 46 Kaiser Michael bat sogar Papst Gregor um Unterstützung. 47 Der Papst war jedoch zu sehr mit dem Investiturstreit beschäftigt. 48 Im Westen verbreitet sich unter den Christen rasch eine feindselige Stimmung gegenüber den Muslimen. 49 Von einigen übereifrigen Predigern wird sie noch zusätzlich aufgeheizt. 50 Man will Jerusalem um jeden Preis der muslimischen Hand entreißen. 51 Die Kriegsbereitschaft wächst in allen Schichten der Bevölkerung, in der Kirche sowie unter den Staats- und Landesführern. 52 Einige von ihnen sehen in einem Krieg die Chance, Herrschaft über Byzanz und die Muslime zu erlangen sowie die Judenfrage weltweit zu lösen. 53 Andere sind bereit, das eigene Leben aufs Spiel zu setzen, um die heiligen christlichen Stätten zu befreien und sie allen Christen wieder zugänglich zu machen. 54 Die Dritten träumen von Abenteuern, Kostbarkeiten des Orients, Kriegsbeute.

 

55 Als Kaiser Alexios Komnenos seinen Hilferuf gen Westen richtete und sogar bereit war, die orthodoxe Kirche mit der römisch-katholischen wieder zu vereinen, wurde sein Ruf ernster genommen. 56 Der Westen antwortete auf seine Art und Weise. 57 Papst Urban, und mit ihm die Kardinäle, Bischöfe und Äbte, beschlossen, ein Heer nach Osten zu entsenden. 58 Begeisterung kam auf, sowohl unter dem  Volk als  auch unter dem Adel, aber  auch unter  Abenteurern und Ganoven. 59 Kirchlicherseits war man von der Richtigkeit und Heiligkeit dieses Unternehmens überzeugt. 60 Den Teilnehmern des Kriegszuges wurden viele geistige Vergünstigungen diesseits und jenseits zugesichert. 61 So sammelten sich Hals über Kopf große Menschenmengen aus allen Schichten der Bevölkerung, die dann als ein ziemlich ungeordnetes Heer in Richtung Osten aufbrachen. 62 An Begeisterung und christlichem Eifer fehlte es nicht.

 

63 Unterwegs benahm sich dieses Heer weder menschlich noch christlich. 64 Von einigen Predigern angestachelt, mordeten sie unterwegs die jüdische Bevölkerung, wo sie nur konnten. 65 Ferner plünderten sie Burgen und Klöster, aber auch vor der einfachen Bevölkerung machten sie nicht halt. 66 Als sie Konstantinopel erreichten, ließ Kaiser Alexios aus Angst um die Stadt sie schnellstens über den Bosporus bringen.  67 Kurz darauf wurde dieses Heer bei Nicäa von den Seldschuken vernichtet. 68 Inzwischen wurden im Westen organisierte und geordnete Heere zusammengestellt, die sich in Konstantinopel vereinigten. 69 Dieses Heer schlug sich dann erfolgreich bis nach Jerusalem durch. 70 Von Kämpfen und Hunger halb verwildert, begingen viele Soldaten grausame Gräueltaten  und  richteten viel Leid  unter der  einheimischen  Bevölkerung an. 71 Schließlich eroberte dieses Heer Jerusalem. 72 Auch dort wurden unzählige Muslime, Juden und sogar syrische und koptische Christen von den Soldaten ermordet.

 

 

 

T e i l     F Ü N F                 KAPITEL  2

 

1 Die Verständigen werden strahlen, wie der Himmel strahlt; und die Männer, die viele zum rechten Tun geführt haben, werden immer und ewig wie die Sterne leuchten.

2 Die gegenwärtige Epoche ist durch christliche Glaubenskriegszüge gekennzeichnet. 3 Es  wird  geplündert und gemordet,  im Namen welcher  Ziele auch immer. 4 In der Folge entstanden nach und nach vier neue christliche Staaten. 5 Zuerst die Grafschaft Edessa und das Fürstentum Antiochia. 6 Nach der Eroberung Jerusalems entstand das Königreich Jerusalem. 7 Um das neue Königreich zu stärken, rief Papst Paschalis zu einem weiteren Glaubenskriegszug auf. 8 Dieser scheiterte jedoch in Anatolien an der Allianz der sonst verfeindeten Seldschuken und Danischmenden. 9 Das Sultanat der Rum-Seldschuken entstand infolge der Teilung des Großseldschukenreiches in mehrere kleinere Staaten. 10 Nach der Niederlage des seldschukischen Emir von Tripolis wurde hier der vierte christliche Staat gegründet, die Grafschaft Tripolis. 11 Das Königreich Jerusalem gewann schrittweise die Oberhand.

 

12 Durch Glaubenskriegszüge bedingt, kam es zu einer Belebung des Seehandels zwischen Europa und Asien. 13 Der Hauptverbündete der christlichen Heere war das unabhängige Armenische Königreich von Kilikien, das von jenen Armeniern gegründet wurde, die vor den Seldschuken geflüchtet waren. 14 In den neu entstandenen christlichen  Staaten  wächst  die Zahl  der europäischen  Einwohner. 15 Viele von ihnen nehmen die orientalische Lebensweise an. 16 Die Einheimischen bezeichnen sie als „Franken“. 17 Die Patriarchate in Antiochia und in Jerusalem werden von lateinischen Patriarchen geleitet. 18 Während der Glaubenskriege entstanden mehrere Ritterorden. 19 Die Grundaufgaben dieser Orden sind Krankenpflege und Schutz der Pilger. 20 Papst Paschalis stellte sie unter seinen Schutz und erließ ihnen die Zehntabgabe. 21 Heinrich, der gleichnamige Sohn des römischen Kaisers, nahm den Papst und mehrere Kardinäle in der Peterskirche in Rom gefangen. 22 Dadurch erhoffte er sich das Investiturrecht und die eigene Kaiserkrönung zu erzwingen.

 

23 Doch erst unter Papst Calixtus gelang es ihm, in Worms einen Vertrag zu schließen, wodurch der langjährige Streit über die Investitur beendet wurde. 24 Der Vertrag wurde auf dem Laterankonzil bestätigt. 25 Das zweite Laterankonzil verbot die Simonie und führte das Zölibat für römisch - katholische Priester ein. 26 In Europa entstehen  derzeit  neue  kirchliche  Orden. 27 Manche bereits bestehende

werden reformiert. 28 Papst Calixtus bestätigt den aus der Reformbewegung des Benediktinerordens in Citeaux hervorgegangenen Zisterzienserorden. 29 Die von Norbert aus Xanten gegründete Gemeinschaft im Tal Premontre wird vom Papst anerkannt. 30 Die Gemeinschaft lebt nach der Augustinerregel und dem Vorbild der Urkirche. 31 Manche Gläubige bilden Gemeinschaften, die nicht an der offiziellen Lehre der Kirche festhalten. 32 In Westeuropa ist es vor allem die Laienbewegung, die sich selbst den Namen „Freunde Gottes“ zugelegt hat. 33 Ihre Lehre ähnelt der Lehre der aus Bulgarien stammenden „Bogomilen“, welche in Byzanz verfolgt werden. 34 Die Bogomilen lehnen das Alte Testament ab, sind vermutlich vom Manichäismus beeinflusst. 35 In Byzanz bestieg Johannes aus der Dynastie Komnenos als Kaiser den Thron. 36 Er besiegte die einfallenden Petschenegen sowie die aufständischen Serben. 37 Johannes heiratete die Tochter des ungarischen Königs Ladislav, die als Kaiserin den Namen Eirena annahm. 38 Er konzentrierte sich auf die Wiedereroberung der verlorenen Gebiete in Anatolien. 39 Mit Hilfe der Rum-Seldschuken verteidigte er die Ostgrenze und versuchte, die Herrschaft über das armenische Königreich von Kilikien sowie über die neuen christlichen Staaten Antiochia und Edessa zu erlangen. 40 Johannes griff auch die Araber in Syrien an, wurde aber bei Aleppo zurückgeschlagen. 41 Etwas Bemerkenswertes ereignete sich im muslimisch beherrschten Nordwestafrika.  42 Im Hochgebirge Atlas wirkte ein einheimischer islamischer Reformator Abu Abdallah Muhammed ibn Tumart. 43 Er studierte in Cordoba und bereiste Alexandria, Mekka und Bagdad. 44 Nach seiner Rückkehr verbreitete er unter den Berbern seine Lehre über die absolute Einheit Gottes und die Vorherbestimmung. 45 Ibn Tumart wollte nach seinen Angaben den Islam zu seiner ursprünglichen Form und die Muslime zu innerer Tiefe führen. 46 Zwar gelang es ihm nicht, die Almoraviden von der Richtigkeit seiner Theologie zu überzeugen, aber er vereinigte manche Stämme in Gemeinschaft al-muwahhidun. 47 Ibn Tumart war überzeugt, der unfehlbare Mahdi zu sein, der dazu berufen worden sei, den Glauben und die Gerechtigkeit in der Welt zu erneuern. 48 Sein Tod wurde eine Zeitlang geheim gehalten.  49 Sein Nachfolger Abd al-Mumin führte die Almohaden zum Sieg  über  die  Almoraviden. 50 Abd  al-Mumin  eignete  sich den Kalifentitel an. 51 Die Almohaden beherrschen Nordwestafrika, Ifriqiya und Al-Andalus. 52 Für die Juden auf der Iberischen Halbinsel beginnen nun noch schlechtere Zeiten. 53 Im Norden treten die alten antijüdischen Maßnahmen wieder in Kraft, in Al-Andalus droht ihnen die Zwangsislamisierung. 54 Juden in einer bestimmten bürgerlichen Position müssen gelbe Kleidung tragen, alle anderen blaue Kleidung mit Mütze in Form eines Eselsattels. 55 Die Betroffenen bevorzugen entweder in christliche Gebiete zu fliehen, oder eine neue Heimat unter etwas milderen islamischen Herrschern in Afrika zu suchen.

56 Sie wagen es nicht, nach Eretz Israel zurückzukehren, da dort die feindlichen christlichen Ritter ihre Macht ausüben.  57 Papst Eugen rief zu einem neuen Kriegszug auf, als Antwort auf die Eroberung der  Grafschaft  Edessa  durch den  muslimischen Verwalter  Zengi von Mossul. 58 An diesem Kriegszug nahmen die Heere des Frankenkönigs Ludwig und des neuen römischen Königs Konrad teil. 59 Unter ihrem Schutz machten sich auch viele einfache Pilger mit Frauen und Kindern auf den Weg. 60 Der Papst fasste den Entschluss, den Kriegszug auch noch auf andere Gebiete auszuweiten: gegen die Araber  auf der Iberischen  Halbinsel und  gegen die Heiden  in  Nordosteuropa. 61 England, das sich zwar schon längere Zeit im Bürgerkrieg befand, nahm mit seiner Seeflotte daran teil. 62 Diese befreite Almeria und Lissabon von der Herrschaft der Araber und half der Grafschaft Portugal, sich zum unabhängigen Königreich zu proklamieren. 63 Viele Adlige und Ritter aus dem Nordteil des Römischen  Reiches  nahmen  an dem Kriegszug  gegen die Heiden  in Osteuropa teil.

 

64 Die Heere von Konrad und Ludwig trafen sich nach langen Strapazen bei Nicäa in Anatolien. 65 Da der byzantinische Kaiser Manuel Komnenos mit dem Sultan der Rum-Seldschuken einen Friedensvertrag geschlossen hatte, bekamen die christlichen Krieger keine militärische Hilfe von Byzanz. 66 Sie verbanden jedoch ihre Kräfte mit dem Heer von König Balduin aus Jerusalem und belagerten Damaskus. 67 Streitigkeiten unter den drei christlichen Königen sowie die Überlegenheit des Gegners führten zum Abbruch des Kriegszuges und zur Heimkehr der Heere. 68 König Ludwig machte Byzanz für das Scheitern verantwortlich und plante einen Vergeltungszug gegen Byzanz. 69 Viele Krieger und Pilger blieben im Heiligen Land, da sie sich dort ein besseres Leben erhofften. 70 Manche schlossen sich einer Eremitengemeinschaft auf dem Berge Karmel an. 71 Immer noch gibt es Menschen, die nach den Prinzipen der heiligen Schriften leben. 72 Es bleibt zu hoffen, dass sie einmal im Himmel wie die Sterne in alle Ewigkeit leuchten werden.

 

T e i l     F Ü N F                 KAPITEL  3

 

1 Ist Reichtum begehrenswerter Besitz im Leben, was ist dann reicher als die Weisheit, die in allem wirkt?

2 Sowohl Christen als auch Muslime sind überzeugt, im Namen Gottes heilige Kriege gegeneinander   führen zu müssen. 3 Auch die Judenverfolgung versuchen sie mit heiligen Schriften zu rechtfertigen. 4 Päpste versprechen allen, die am Krieg gegen den Islam teilnehmen, Straferlass für ihre Sünden. 5 Einfach ausgedrückt bedeutet dies, dass bei Märtyrertod in einem heiligen Krieg sofortiger Einlass ins himmlische Paradies garantiert wird. 6 Für das königliche Ehepaar aus Frankreich bedeutete die Teilnahme an einem dieser heiligen Kriege ihre endgültige Entzweiung. 7 Nach der Heimkehr ließ Ludwig seine Ehe mit Eleonore aus Aquitanien annullieren. 8 Sie heiratete dann Heinrich aus dem Haus Plantagenet, der nach einem lang andauernden Bürgerkrieg zum englischen König bestimmt wurde. 9 Durch diese Ehe gewann England die Herrschaft über den westlichen Teil des Frankenreiches. 10 Ludwig vermittelte im Kompetenzstreit zwischen dem englischen König und dem Erzbischof von Canterbury, Thomas Becket. 11 Er festigte seine Beziehung zum Papst, indem er Papst Alexander gegen die Ambitionen des neuen Nachfolgers des Imperium Romanum, Friedrich, unterstützte. 12 Friedrich wollte die Macht über das große Territorium seines Reiches zentralisieren und den Einfluss des Adels schwächen. 13 Er konzentrierte sich vor allem auf die Kämpfe mit den norditalienischen Städten, die immer mehr Autonomie anstrebten.

 

14 Die Streitigkeiten führten zur Wahl des Gegenpapstes Paschalis, welcher dann Friedrich zum Kaiser krönte und Kaiser Karl zum Heiligen erhob. 15 Nach der Niederlage in Norditalien musste sich Friedrich jedoch wieder mit Papst Alexander versöhnen. 16 Dieser erließ auf dem Laterankonzil neue Anordnungen bezüglich der Juden. 17 So durften Juden keine christlichen Bediensteten haben, das Zeugnis eines Christen war immer gewichtiger als das Zeugnis eines Juden, die getauften Juden durften aber nicht enteignet werden. 18 Da den Juden eigentlich nur der Geldhandel als Erwerb übrigblieb, erteilte ihnen der Papst das Recht, Geld gegen Zinsen zu verleihen. 19 In Europa wurden neue Städte gegründet, viele prunkvolle Kathedralen und Paläste gebaut, Lerninstitute ins Leben gerufen, Ritterturniere ausgetragen, Hoffeste veranstaltet. 20 Als Reaktion auf das christliche Bau-, Lern- und Protzfieber entstanden einige christliche Laienbewegungen. 21 Diese setzten sich ein Leben in freiwilliger Armut sowie Übung in christlichen Tugenden zum Ziel. 22 Eine solche Bewegung gründete ein Kaufmann aus Lyon namens Valdesius. 23 Nach einem übersinnlichen Erlebnis widmete er sich dem Bibelstudium. 24 Valdesius ließ sogar die Vulgata in die Umgangssprache übersetzen, um die Bibel auch den einfachen Menschen zugänglich zu machen. 25 Er bekam zunächst die kirchliche Erlaubnis als Wanderprediger, geriet aber bald   in Konflikt mit der Kirche. 26 In der Folge wurden auf dem von Papst Lucius und Kaiser Friedrich abgehaltenen Konzil von Verona Maßnahmen zur Bekämpfung von Häretikern beschlossen. 27 Der Kirchenbann traf nicht nur die „Armen von Lyon“ und die „Freunde Gottes“, sondern auch andere Predigergruppen. 28 Papst Innozenz ging sogar so weit, dass er dem einfachen Volk das Bibellesen verbot. 29 Ungeachtet der Verfolgungen, Unruhen und Kriege, oder gerade deswegen, fühlen sich viele Christen, Muslime und Juden zur Mystik hingezogen. 30 Eine Äbtissin aus Bingen namens Hildegard schrieb ihre Visionen und Offenbarungen über die Naturheilkunde nieder. 31 Unter den Muslimen entstehen sogenannte Sufi-Orden. 32 Ein Sufi versucht auf mystischem Weg zu Gott zu gelangen. 33 Es wird viel von einem jüdischen Philosophen und Arzt erzählt, Mosche ben Maimon.  34 Seine Familie flüchtete vor den Almohaden aus Cordoba nach Ägypten. 35 Maimonides wurde dort zum Hauptrabbiner der ägyptischen Juden und schrieb Kommentare zur Mischna. 36 Er machte sich auch als Arzt im Dienst der ayyubidischen Sultansfamilie einen Namen.

 

37 Salah ad-Din Jusuf ibn Ayyub übernahm in Ägypten die Macht von den Fatimiden.  38 Durch Salah ad-Dins Bruder übten die Ayyubiden ihre Macht auch in Nordnubien, ferner im Süden der Arabischen Halbinsel sowie in Mekka und Medina aus. 39 Salah ad-Din wird von den Christen Saladin genannt, die christlichen Besatzer des Eretz Israels wiederum werden von den Muslimen Franken gerufen. 40 Saladin und die Franken sorgen für Ereignisse, welche die Nachwelt noch lange beschäftigen werden.

 

41 In Eretz Israel, im christlichen Königreich Jerusalem, lebt der aus Europa stammende Hofadel schon in der dritten Generation. 42 Sie sind durch Plünderungen während der Kriegszüge gegen die muslimischen Beherrscher des Heiligen Landes ziemlich reich geworden, führen jetzt ein gesichertes Leben und fühlen sich heimisch. 43 Für sie sind Frieden und geordnete Verhältnisse ein wichtiges Anliegen. 44 In den ständig neu ankommenden kampflustigen Adligen und Rittern aus Europa, die auch nach Ruhm und Reichtum streben, sehen sie eine Gefahr für ihren gewohnten Lebensstil. 45 Zwischen diesen beiden Lagern entwickelt sich ein Interessenkonflikt. 46 Der byzantinische Kaiser Manuel Komnenos wurde gerade von den Rum–Seldschuken besiegt. 47 Dieser muslimische Sieg ermunterte Saladin, das Königreich Jerusalem wiederholt anzugreifen. 48 Da der Kampf unentschieden blieb, schlossen Saladin und Balduin einen Friedensvertrag. 49 Nach Balduins Tod setzte sich sein Schwager, der fränkische Ritter Guy de Lusignan, als sein Nachfolger durch. 50 Während seiner Herrschaft überfiel Graf Renaud de Chatillon  öfters  arabische Karawanen und drang  auf muslimisches Territorium. 51 Dadurch wurden die Franken gegenüber Saladin vertragsbrüchig. 52 Nachdem die Karawanen mehrmals überfallen worden waren und die Franken unter Graf Renaud sich trotz des Drängens des Jerusalemer Königs weder entschuldigten noch Wiedergutmachung leisteten, war Saladins Geduld am Ende. 53 Er erklärte ihnen den Krieg und brach mit seinem Heer nach Eretz Israel auf. 54 Die Franken, innerlich zerstritten und moralisch im Unrecht, unterschätzten die Wut der Muslime. 55 Überdies waren sie siegessicher, weil sie an die Wunderkraft der Kreuzesreliquie glaubten, die sie in den Kampf mitführten. 56 Unweit vom See Genezareth in Galiläa, bei den sogenannten Hörnern von Hattin, trafen die zwei Heere aufeinander. 57 Es dauerte nur wenige Stunden, und das christliche Heer verlor nicht nur die Schlacht, sondern auch das Königreich  Jerusalem  samt  Kreuzesreliquie. 58 Es war jetzt nur noch eine Frage der Zeit, wann Saladins Heer in Jerusalem eintreffen würde. 59 Saladin lag es jedoch nicht an der Zerstörung Jerusalems und der Vernichtung der Franken. 60 Obwohl vollkommen Herr der Lage, begann er mit Verhandlungen und wollte die Franken dort treffen, wo es sie am meisten schmerzte - am Geldbeutel. 61 Und so durften die christlichen Franken gegen Geldzahlung aus Eretz Israel ausziehen, oder als Sklaven verkauft werden. 62 Jerusalem wurde wieder muslimisch.

 

63 Manche Christen begründen mit diesen Ereignissen ihre Behauptung, Gott habe nun auch das Christentum für immer verworfen, so wie Er es einst mit den Juden gemacht hätte. 64 Andere hingegen vertreten die Meinung, Gott habe weder Juden noch Christen noch Muslime verworfen, sondern wartet geduldig auf ihre Versöhnung. 65 Aber wie soll die Versöhnung stattfinden, wenn sich Zwei jahrhundertelang um das Land eines Dritten streiten und sich nur in einem Punkt einig sind - dem Streben nach Bekämpfung und Vernichtung des Dritten? 66 Das Heilige Land, Eretz Israel, das Gott für immer den Israeliten gegeben hat, wird beherrscht, zerstört, aufgebaut und wieder zerstört von jenen, die alle den gleichen Gott anbeten. 67 Die Franken und das Abendland müssten nun ihre Lektion gelernt haben. 68 Oder doch nicht? 69 Nein, doch nicht, denn schon wieder beginnen neue Eroberungszüge gegen die Muslime. 70 Kaiser Friedrich ertrinkt auf einem davon irgendwo in  Anatolien. 71 Die  Könige  Philipp und Richard  zerstreiten  sich auf dem Weg. 72 Schließlich gelingt es König Richard, Saladin gnädig zu stimmen und für die Christen den Zugang zu den Pilgerstätten in Jerusalem zu erwirken.

 

 

T e i l     F Ü N F                 KAPITEL  4

 

1 Lobet den Herrn vom Himmel her, lobt ihn in den Höhen; lobt ihn all seine Engel, lobt ihn all seine Scharen.

2 Bevor wir den Blick auf uns Menschen und unser Tun richten, wollen wir unser Herz zum Himmel erheben und Gott loben. 3 Gesegnet seist Du, Allmächtiger, Ewiger Gott, Herrscher der Welt und Schöpfer des Himmels und der Erde. 4 Gesegnet sei dein heiliger Name und der Name deines Reiches auf immer und ewig. 5 Gesegnet seist Du wegen deines Bundes mit den Menschen durch Noah. 6 Wir preisen dich, weil Du Abraham auserwählt hast. 7 Wir loben dich mit Hagar und Ismael. 8 Wir beten dich an mit Sara und Isaak. 9 Wir lieben dich mit Miriam und Jeshua. 10 Gesegnet seist Du in all deinen Erwählten. 11 Gepriesen sei dein Name und dein Reich in Mose, Jeshua und Mohammed. 12 Gesegnet seien alle Israeliten, Christen und Muslime. 13 Herr, gib ihnen die Gnade zu erkennen, dass Du ihr einziger, gemeinsamer Vater bist. 14 Öffne ihnen die Augen, damit sie sich gegenseitig als Geschenk erkennen und lieben. 15 Hilf ihnen, Vater, deinen Namen durch heldenhafte Taten der Nächstenliebe zu verkünden, durch Fasten und Beten. 16 Gib ihnen den Mut, sich lieber selbst das Auge auszustechen, die Hand abzuhacken, als dem unschuldigen, unbeteiligten Nächstbesten. 17 Dank sei dir, Vater, für die wunderschöne Welt voller Rätsel, Abwechslung und Naturwunder. 18 Dein Name sei in allen kleinen, einfachen Menschen verherrlicht, welche, von der Welt unerkannt, durch ihre Taten deine Liebe bezeugen. 19 Deine Gnade bewirke, dass die Spaltungen innerhalb des Islams, des Christentums und des Judentums überwunden werden. 20 Es sei dein gnädiger Wille, dass Friede und Versöhnung auf der ganzen Erde zur Geltung kommen, und der Satan mit seinem Hass, Spaltungs- und Gewaltstreben an Stärke verliert.

 

21 Glücklicherweise finden sich immer wieder Menschen auf Erden, die ihr Leben für dieses Ziel einsetzen. 22 Einer von ihnen ist Giovanni Battista Bernardone, Francesco gerufen. 23 Er erfuhr seine Berufung direkt von Gott, ohne andere Menschen als Mittler, und sah seine Aufgabe zuerst darin, kleine Kirchen und Kapellen zu reparieren, wozu er sich die Mittel erbettelte, aber auch Waren seines Vaters benutzte. 24 Während eines öffentlichen Gerichtsprozesses, den sein Vater gegen ihn angestrengt hatte, legte Francesco seine Kleider ab und vertraute sich ganz dem himmlischen Vater an. 25 In der Folge lebte er streng zurückgezogen, bettelte, pflegte Aussätzige und lehnte Besitz und Geld strikt ab. 26 Mit seinen Gefährten, die sich ihm angeschlossen hatten, verkündete er das Evangelium allen Geschöpfen, um die unermesslich große Liebe des himmlischen Vaters allen bekanntzumachen. 27 Ein anderer Berufener ist Dominikus, welcher „die Ketzer“ mit Argumenten anstatt mit Gewalt bekämpfen wollte. 28 Er führte ein Leben als Wanderprediger, in Armut, da seiner Meinung nach die reiche und verweltlichte Kirche die Entwicklung von Häresien begünstigte. 29 Aber auch bei den Muslimen gibt es Menschen, die die Liebe des Vaters bezeugen. 30 Genannt seien hier die Sufis: Muhyiddin Muhammad ibn Arabi, Fariduddin Attar und Muinuddin Chishti. 31 Sie waren von Liebe zum Höchsten erfüllt und erweckten diese Liebe auch in anderen Menschen. 32 Von  den  Juden  wurde  Mose  ben  Maimon  durch  seine Schriften  berühmt. 33 Diese waren jedoch für streng gläubige Juden ein Stein des Anstoßes und sie verbrannten die meisten davon; auch der christliche Predigerorden nahm Anstoß an seinen Schriften und verbrannte sie ebenfalls. 34 So wie den Schriften von Mose ben Maimon erging es auch dem Engländer Robert of Reading, nachdem er zum Judentum konvertiert war und eine jüdische Frau geheiratet hatte. 35 Viele Rabbiner ziehen zurzeit nach Eretz Israel, um die jüdischen Gemeinden neu zu beleben, welche unter den ständigen Eroberungszügen geschrumpft sind.

 

36 An vielen Orten wird gekämpft. 37 Temüdschin vom Stamm der Mongghol, der älteste Sohn des Klanchefs Yesügai, erregte Aufsehen. 38 Er hatte die mongolischen Stämme vereint und so viel Macht gewonnen, dass er einen Reichstag an der Quelle des Onon einberief und dort von den Stammesführern zum Dschingis Khan ernannt wurde. 39 Er und seine Truppen gingen brutal vor; er unterwarf die Tanguten, eroberte Zhongdu, nahm Shandong ein und unterwarf das Kara-Khitai-Reich. 40 Er eroberte auch Buchara und Samarkand als Vergeltung für den Bundesbruch  des Choresmischen  Reiches. 41 Papst  Innozenz hatte  andere Sorgen. 42 Er entsandte Truppen zum Kampf gegen die Albigenser. 43 Diese galten in seinen Augen als schlimme Häretiker. 44 Um Häresien vorzubeugen, wurde den Laien verboten, die Bibel in der Muttersprache zu lesen oder auch nur zu besitzen. 45 Der Staufer Friedrich, König von Sizilien, versprach Papst Honorius, ihm einige Gebiete zu überlassen sowie Jerusalem zurückzuerobern. 46 Im Gegenzug wurde er vom Papst zum römischen Kaiser gekrönt. 47 Als Erstes begann er mit der Stabilisierung des Reiches. 48 An seinem Hof beschäftigte er Gelehrte verschiedener Religionen. 49 Als Ankläger aus Fulda mit der Behauptung vor ihm erschienen, gewisse Juden hätten Kinder getötet, um mit ihrem Blut Matzen herzustellen, ließ Friedrich konvertierte jüdische Gelehrte aus aller Welt zu sich kommen. 50 Diesen gelang es, die Vorwürfe zu entkräften und die Freilassung der Angeklagten zu erwirken. 51 Seitdem müssen Juden aber für den kaiserlichen Schutz zahlen. 52 Nun fürchten sie sich einerseits vor unbegründeten Anklagen und andererseits vor dem Neid der Christen wegen des kaiserlichen Schutzes. 53 Nichtsdestoweniger leben sie weiterhin als Gottes auserwähltes Volk.

 

54 Friedrich wollte sein Versprechen gegenüber dem Papst einlösen und begab sich mit seinem Heer auf den Weg nach Eretz Israel. 55 Sein Militärzug war erfolgreich und er handelte mit dem Sultan al-Kamil einen zehnjährigen Waffenstillstand aus, sowie die Überlassung von Jerusalem und Betlehem. 56 Sultan al-Kamil hatte schon früher einmal den Frieden angeboten. 57 Damals nämlich, als ein Heer, das vom päpstlichen Legaten Pelagius von Albano angeführt worden war, Damiette belagerte. 58 Der Sultan hatte nicht nur die Rückgabe Jerusalems, sondern auch die Kreuzesreliquie angeboten. 59 Pelagius und die Vertreter der italienischen Seerepubliken hatten jedoch das Angebot ausgeschlagen und jede Verhandlung abgelehnt. 60 So unterschiedlich sind die Wertvorstellungen der Menschen: Manche sind bereit, für die Kreuzesreliquie ihr Leben zu opfern, andere hingegen wollen dafür nicht mal ein Gespräch führen. 61 Letztendlich hatte man weder das eine noch  das  andere  erhalten,  wofür man jedoch Kaiser Friedrich die Schuld gab.

 

62 Um seine Absetzung als Kaiser seitens der Kirche zu verhindern, nahm Friedrich ranghohe Kirchenfürsten gefangen. 63 Auch sein Schwager Richard von Cornwall unternahm einen Kriegszug ins Heilige Land. 64 Er konnte sich die Streitigkeiten zwischen den ayyubidischen Reichen Kairo und Damaskus zunutze machen. 65 Zuerst trat Damaskus Galiläa ab und dann überließ Kairo sämtliche Gebiete westlich des Jordans, einschließlich Jerusalem, bis hin zu Askalon.

 

66 Ob die Päpste mit ihren zahlreichen Aufrufen zur Bekämpfung Andersgläubiger tatsächlich das Seelenheil der Menschen im Sinn hatten, oder sich vielmehr Ruhm und Reichtum davon versprachen, bleibe dahingestellt. 67 Hatte Friedrich seine Absetzung seitens der Kirche für kurze Zeit auch verhindern können, nun war sie nicht mehr abzuwenden. 68 Auf dem Konzil in Lyon wurde das Urteil des Papstes Innozenz und der Bischöfe gegen Friedrich gefällt. 69 Vieles warf man ihm vor, auch seine Freundschaft mit Muslimen. 70 Friedrich setzte sich über das Urteil der Kirche hinweg und behielt sein Amt und seinen Kaisertitel. 71 Als wären nicht bereits genug Heere ins Heilige Land gezogen, brach nun auch noch der französische König Ludwig mit einem Heer auf, erlitt eine Niederlage und wurde von Mamelucken gefangengenommen. 72 Mit dem Lob des Höchsten haben wir diese Aufzeichnung begonnen und so wollen wir sie auch beschließen: Ehre, Lob und Dank sei dem Ewigen für alle Leiden, Freuden und Gnaden dieser Zeit!

 

 

T e i l     F Ü N F                 KAPITEL  5

 

1 Wären doch meine Schritte fest darauf gerichtet, deinen Gesetzen zu folgen!

2 Wann lassen sich die Menschen durch Gottes Wort oder zumindest durch ihre eigene Geschichte belehren? 3 Da sie stets nach Ruhm und Reichtum streben, muss Gott immer wieder eingreifen. 4 Das Nomadenvolk der Mongolen gründete ein neues Weltreich, das doppelt so groß ist, wie damals das Reich von Alexander dem Makedonier. 5 Dadurch veränderte sich nicht nur die Weltkarte, sondern auch das Leben vieler Völker sowie einzelner Menschen. 6 Die meisten Gegner wurden ohne Mitleid getötet, nur geschickte Handwerker wurden verschleppt, weil sie für den Bau der mongolischen Hauptstadt Karakorum gebraucht wurden. 7 Die Mongolen brachten die russischen Fürstentümer unter ihre Gewalt und drangen im Westen bis nach Polen und Ungarn vor. 8 Die Europäer nannten sie Tataren oder Tartaren, weil sie ihnen wie „aus der Hölle kommend“ erschienen. 9 In Wirklichkeit waren die Tataren einst die ersten Opfer der Mongolen. 10 Unter Dschingis Khans Nachkommen kam es zu Machtstreitigkeiten und das große Reich wurde in vier Khanate geteilt. 11 Man hört von einer relativen Religionsfreiheit unter der Mongolenherrschaft; die Untertanen praktizieren verschiedene Glaubenskulte:  Naturreligion, Nestorianismus, Buddhismus. 12 Im Khanat Kipcak in der Rus darf der christlich orthodoxe Glaube praktiziert werden. 13 Das Tschagatai-Khanat erstreckt sich über Zentralasien.

 

14 Khan Chubilaj herrscht im Ostteil des Mongolenreichs. 15 Er unterwarf das südchinesische Gebiet  und benannte  sein ganzes  Territorium  als  das  Reich Yuan. 16 Chubilaj bestimmte Dadu zur Hauptstadt seines Reiches und führte die quadratische Schrift phagpa als offizielle Amtsschrift ein. 17 Er unternahm auch Eroberungszüge zu den Inseln östlich von China, jedoch erfolglos. 18 Chubilajs Mutter, eine Anhängerin des Nestorianismus, wollte mehrere christliche Geistliche ins mongolische Reich einladen. 19 Es wurde ein Amt für christliche Angelegenheiten errichtet. 20 Papst Gregor schickte auf des Khans Bitte etliche Geistliche dorthin, sie kamen jedoch nie dort an.

 

21 Es gab schon einen früheren Missionsversuch des Franziskaners Wilhelm von Rubruk, der im Auftrag des französischen Königs Ludwig nach Karakorum reiste. 22 Chubilajs Bruder Hulagu unterwarf Persien und gründete das Il-Khanat. 23 Hulagu bekannte sich zum mystischen Buddhismus, seine Frau zum Christentum. 24 Die Mongolen schlossen eine Allianz mit dem christlichen Armenischen Reich von Kilikien. 25 Sie nahmen sich vor, die starke muslimische Macht in Bagdad und Jerusalem zu brechen. 26 Als Hulagus Truppen Bagdad eroberten, töteten sie den abbasidischen Kalifen. 27 Seinen Sitz bekam der nestorianische Patriarch. 28 Dann zog das mongolische Heer bis nach Gaza in der Hoffnung, vom Rest des christlichen Staates im Heiligen Land eine Hilfe gegen die Muslime zu bekommen. 29 Die Lateiner aber hielten die Mongolen für „reitende Teufel“ und waren nicht bereit, ihnen zu helfen. 30 So musste sich das mongolische Heer des Il-Khanats im Kampf gegen die neuen muslimischen Machthaber auf seine eigene Kraft verlassen. 31 Die Mamelucken, ehemalige Sklaven der ayyubidischen Dynastie, übernahmen die Macht in Ägypten und in Syrien. 32 Hulagu geriet in einen Streit mit dem Khan des Kipcak-Khanats, der inzwischen den Islam angenommen und mit den Mamelucken ein Bündnis geschlossen hatte. 33 Die Mamelucken besiegten in Galiläa das Heer von Hulagu. 34 Es war nun nur noch eine Frage der Zeit, wann die Mamelucken auch das letzte christliche Territorium bei Akkon erobern würden. 35 Und es geschah fast genau zweihundert Jahre nach dem ersten christlichen Eroberungszug gegen die Muslime. 36 Byzanz hatte von dem mongolischen Ansturm den meisten Nutzen. 37 Seine Feinde, die Seldschuken, wurden ein Vasallenstaat von Il-Khanat, und unternahmen keine Angriffe gegen Byzanz mehr. 38 Nach der Eroberung von Konstantinopel durch die Lateiner verlegten die Byzantiner ihre Hauptstadt nach Nicäa. 39 Von da aus gelang es Kaiser Michael Palaiologos, Konstantinopel wieder einzunehmen. 40 Er bemühte sich um eine Union mit der lateinischen Kirche, weil Papst Urban wieder für einen bewaffneten Zug gegen Byzanz warb.

 

41 Erst Papst Gregor machte auf dem Konzil von Lyon die Beendigung des Kirchenschismas sowie die Situation im Heiligen Land zum Thema. 42 Mit der Vorbereitung des Konzils wurde ein Franziskaner mit Ordensnamen Bonaventura beauftragt. 43 Er verteidigte auf dem Konzil die Existenz von Bettelorden. 44 Am Konzil nahm auch die mongolische Delegation des Il-Khanats teil; der Tod des Papstes nach dem Konzil unterbrach jedoch jede Zusammenarbeit zwischen Mongolen und Europäern. 45 Die Vereinigung mit den Lateinern wurde der griechischen Seite von Kaiser Michael aufgezwungen, die Mehrheit der orthodoxen Christen lehnte sie weiterhin ab. 46 Auf dem Weg zu diesem Konzil starb Bonaventuras Freund, der Dominikaner Thomas Aquinatus, welcher eine Menge von theologischen und philosophischen Schriften hinterließ. 47 In seiner Summa theologica forderte er die Exkommunikation und Todesstrafe für Häretiker. 48 Sein Orden wurde vom Papst mit der Ketzerverfolgung beauftragt. 49 Zum Erlangen eines Geständnisses durfte man auch die Folter benutzen. 50 Bizarre Verdächtigungen gegen Juden führen in Europa zu grausamen Verfolgungen. 51 Als eines der vielen Beispiele erwähnen wir die lebendig verbrannten Juden in ihrer Synagoge in Munichen. 52 Im Imperium Romanum folgte nach Friedrichs Tod eine Periode der schwachen Könige.

 

53 Der mächtigste Herrscher, auch ohne Kaiserkrone, war König von Bohemia und Herzog von Austria Ottokar Premysl. 54 Er eignete sich mehrere Gebiete des Römischen Reiches an. 55 Ottokar bestätigte manche Judenrechte, unter anderem die eigene Gemeindeverwaltung und Eigentumsschutz. 56 Andererseits lud er als einer der ersten Herrscher die Inquisition in sein Reich ein. 57 Ottokar nahm auch am Christianisierungsfeldzug gegen die Pruzzen teil. 58 Die Führung übernahm der kaiserliche Ritterorden Ordo Teutonicus, welcher sein Zentrum von Akkon nach Europa verlegt hatte. 59 Da weitere Eroberungen nach Osten hin von den Mongolen gebremst wurden, gründete der Orden auf dem Gebiet der Pruzzen einen eigenen Staat. 

 

60 Graf Rudolf von Habsburg wurde zum römischen König gewählt. 61 Mit seinem Sieg über den böhmischen König Ottokar begann die habsburgische Herrschaft in Austria und der Styria. 62 Rudolf bemühte sich jedoch vergeblich um die Kaiserwürde. 63 Er versprach Papst Gregor sogar die Teilnahme an einem neuen Kriegszug ins Heilige Land. 64 In Spanien fand eine öffentliche Disputation zwischen Juden und Christen statt. 65 Diese wurde in Anwesenheit des spanischen Königs und  der obersten  Vertreter  der  Dominikaner  und der Franziskaner  abgehalten.

 

66 Rabbi Mosche ben Nachman verteidigte erfolgreich die jüdische Sicht. 67 Trotzdem musste er aus Spanien ausreisen und stärkte dann die jüdischen Gemeinden in Jerusalem und in Akkon. 68 Für Juden wurde inzwischen auch England ein unsicheres Land. 69 König Eduard, der am letzten christlichen Eroberungszug gegen die Muslime teilnahm, war in seine Heimat zurückgekehrt. 70 Den Juden schränkte er die Geldgeschäfte ein und wollte ihnen Berufe in Landwirtschaft und Handwerk zugänglich machen. 71 Nach der neuen Papstbulle zur strikten Trennung von Juden und Christen mussten die englischen Juden ein erkennbares gelbes Zeichen an ihrer Kleidung tragen. 72 Ein paar Jahre später wurden alle Juden in England enteignet und danach vertrieben.

          

      

T e i l     F Ü N F                 KAPITEL  6

 

1 Über mich fuhr die Glut deines Zorns dahin, deine Schrecken vernichten mich.

2 Asien wird vorwiegend von Mongolen, Mamelucken und Osmanen beherrscht. 3 Der mongolische Khan Chubilaj machte vor seinem Tod den Buddhismus zur Staatsreligion im Reich Yuan. 4 Sein Nachfolger Timur förderte die Lehre des Konfuzius. 5 Er gestattete auch dem christlichen Missionar Giovanni da Montecorvino freies Wirken. 6 Dieser Franziskaner versuchte die nestorianischen Christen mit Rom zu vereinen. 7 Auch die heidnischen Mongolen wollte er zum Christentum bekehren. 8 Zu diesem Zweck übersetzte er das Neue Testament und die Psalmen in die Sprache der Mongolen. 9 In der Stadt Dadu ließ er die ersten christlichen Kirchen bauen. 10 Auf sein Ersuchen hin erlaubte der Papst Mongolisch als Liturgiesprache. 11 Giovanni da Montecorvino wurde vom Papst zum Erzbischof und  Patriarchen des Orients ernannt. 12 Im persischen Il-Khanat regiert Ghazan. 13 Der armenische König Hethum bat ihn um Hilfe im Kampf gegen die Mamelucken. 14 Daraufhin marschierte Ghazan mit seinem Heer nach Syrien. 15 Dabei rechnete er mit der Hilfe der Christen. 16 Er bat den König von Zypern und die Leiter der christlichen Orden um Unterstützung. 17 Im Kampf bei Damaskus trugen die Mamelucken den Sieg davon.

 

18 Den Versuch, eine Union mit der katholischen Kirche einzugehen, bezahlte der armenische König Hethum mit dem Leben. 19 Die Mongolen, die inzwischen den Islam angenommen hatten, brachten ihn in Anazarba um.  20 Die Armenier haben es wahrlich nicht leicht in einer Welt der Machtkämpfe zwischen Rom, Byzanz und den Muslimen. 21 In Kleinasien machte inzwischen Osman, ein neu aufgestiegener Herrscher, von sich reden. 22 Er hatte seinen Stamm von den Rum-Seldschuken befreit und Macht über die turkmenischen Stämme erlangt. 23 Durch Eroberungen vervielfachte er seinen Herrschaftsbereich. 24 Zu seinem Herrschaftszeichen machte er den Halbmond. 25 Nach ihm wurde das Reich von seinem Sohn Orhan geführt. 26 Er bestimmte Bursa zur Hauptstadt des Reiches.

 

27 In Rom rief Papst Bonifatius das Heilige Jahr aus. 28 Dies führte zu einem enormen Pilgerandrang nach Rom. 29 Es schien, als ob Rom nach dem Verlust des Jerusalemer Königreiches für die Katholiken zum Zentrum der Welt geworden wäre. 30 Mit der steigenden Pilgerzahl stiegen auch die Geldeinnahmen der Römer. 31 Nun kam es zwischen dem Papst und dem französischen König Philipp zu einer Auseinandersetzung wegen der Besteuerung der Kleriker. 32 Papst Bonifatius betonte in seiner Bulle Unam sanctam den Papstprimat und die Unterordnung der Monarchen. 33 Der nachfolgende Papst Clemens verlegte den päpstlichen Sitz und die Kurie in die Stadt Avignon. 34 Somit stand der Papst unter dem Schutz des mächtigen  Frankreichs,  welchem  das  wiederum  finanzielle  Vorteile  brachte. 35 Unter König Philipp wurden die Juden enteignet und aus Frankreich verbannt. 36 Der Templerorden wurde allmählich zum alleinigen Geldverwalter in Europa. 37 Die Templer hatten ihren Hauptsitz auf der Insel Zypern, ihre Schatzkammern befanden sich vor allem in Paris und London. 38 Sie waren sehr umstritten. 39 Es wurden Vorwürfe wegen Magie, Sodomie und Ketzerei gegen sie erhoben. 40 Auf dem Konzil in Vienne löste der Papst den Templerorden auf. 41 Das Vermögen fiel dem Johanniterorden zu. 42 Auch die französische Königskasse bekam hohe Entschädigungen für die Prozesskosten. 43 So wurden Geld, Gold und Reichtum wieder ein zentrales Thema für Könige, Kardinäle und Päpste. 44 Nach dem Tod von Papst Clemens verlangten die italienischen Kardinäle von dessen Nachfolger die Rückverlegung des päpstlichen Sitzes nach Rom. 45 Der gleichnamige Sohn des verstorbenen französischen Königs Philipp wollte die Wahl eines Franzosen zum Papst erzwingen. 46 Zu diesem Zweck ließ er die wahlberechtigten Kardinäle nach Lyon locken und für vierzig Tage einsperren. 47 So bekam er seinen Willen. 48 Der alte Kardinal Jacques Dueze wurde zum Papst gewählt und nahm den Namen Johannes an. 49 Aber er erwies sich als ein willensstarker Papst, der sich nicht manipulieren ließ. 50 Er betrachtete sein Amt als dem eines Monarchen übergeordnet und hatte keine Angst, auch gekrönte Häupter zu rügen. 51 Johannes ließ sich in Avignon eine prächtige Residenz bauen. 52 Er verurteilte die Armutslehre eines Zweiges der Franziskaner als Häresie.

 

53 Der bayrische Herzog Ludwig ließ sich zum römischen Kaiser krönen. 54 Das tat er ohne die Zustimmung des Papstes. 55 Die Krönung wurde vom Anführer der Papstgegner in der Peterskirche in Rom vollzogen. 56 Der Streit um das französische Thronerbe führte zum Krieg zwischen Philipp aus dem Hause Valois und dem englischen König Eduard. 57 Eduard landete mit seinem Heer in der Normandie. 58 Seine Bogenschützen besiegten die französischen Ritter und ihre Verbündeten in der Schlacht bei Crecy. 59 Gerade zu dieser Zeit brach eine Pestepidemie aus. 60 Es starb ein Drittel der europäischen Bevölkerung. 61 Die Juden wurden als Verursacher der Pestepidemie beschuldigt. 62 Sie wurden auch als Giftmischer und Brunnenvergifter angeklagt. 63 Der amtierende Papst erklärte in einer Bulle die Juden für unschuldig an der Pestepidemie. 64 Dies trug jedoch nicht zur Besänftigung der Gemüter bei. 65 Die Verfolgungen der Juden waren an der Tagesordnung. 66 Es kam zur Auslöschung zahlreicher jüdischer Gemeinden in Europa. 67 In Strasbourg wurden viele Hunderte von Juden öffentlich auf dem Scheiterhaufen verbrannt. 68 Ein Ende der Verfolgung ist nicht abzusehen. 69 Für sie findet sich kein Beschützer und kein Fürsprecher unter all den Völkern und Religionsgemeinschaften. 70 Der Herr und Schöpfer der Welt bleibt ihre einzige Hoffnung und Trost. 71 Vielleicht errettet Er sie einmal aus dieser Lage, oder Er lässt sie den Sinn ihrer Leiden erkennen, die ihnen derzeit so sinnlos erscheinen. 72 Nur der Herr kann sein Volk aus der tödlichen Umarmung der Feinde retten.

 

 

T e i l     F Ü N F                 KAPITEL  7

 

1 Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen: Woher kommt mir Hilfe? 2 Meine Hilfe kommt vom Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat.

3 Um zu begreifen, warum die Judenverfolgung in Europa trotz des kaiserlichen Schutzes möglich ist, muss man den Blick in die Vergangenheit werfen.  4 Schon der Theologe Augustinus von Hippo sprach von einer Knechtstellung des Judentums gegenüber dem Christentum. 5 Der studierte Rechtsanwalt und spätere Papst Innozenz, der dritte dieses Namens, übertrug dann diese Idee auf die politisch-rechtliche Ebene. 6 Er erklärte in einem Schreiben, die Juden seien von Gott für immer zu Sklaven bestimmt worden, weil sie die Schuld für Jesu Tod auf sich geladen haben.

 

7 Nachdem in Fulda unschuldige Juden wegen eines unterstellten Ritualmordes hingerichtet worden waren, führte Kaiser Friedrich den Rechtsstatus der sogenannten „Kammerknechtschaft“ ein. 8 Damit stellte er die Juden im Imperium Romanum als servi camerae nostri - unsere Kammerknechte -  unter seinen besonderen Schutz. 9 Dabei ging es jedoch nicht allein um den Schutz der Juden; für die Kammer, die Finanzinstitution des Reiches, war das eine wichtige Einkommensquelle. 10 Die Juden mussten für ihren Schutz eine besondere Steuer zahlen – das Judenregal. 11 Die Rechtssicherheit der Juden litt jedoch unter dem Handel mit dem Judenregal. 12 Die Inhaber des Regals konnten nämlich willkürlich über die Juden wie über Leibeigene verfügen. 13 Dies kam besonders unter König Rudolf von Habsburg zum Ausdruck. 14 Dieser verbot den Juden nach Eretz Israel auszuwandern und ließ ihren Besitz beschlagnahmen. 15 Unter Rudolfs Nachfolgern wurden die Merkmale des Leibeigenenstatus noch deutlicher.  

 

16 Der römische Kaiser Ludwig führte eine regelrechte Kopfsteuer für die Juden ein. 17 Er befand sich im Kirchenbann, außerdem geriet er wegen seiner Expansionspolitik immer mehr in Konflikt mit den Fürsten des Reiches. 18 Deshalb wollten sich die zur Wahl des römischen Königs berechtigten Fürsten schnell auf einen passenden Kandidaten einigen, welcher später auch den Anspruch auf die Kaiserkrone erheben dürfte. 19 So wurde durch die Kurfürsten ein Nachkomme der früheren Kaiser, Karl von Böhmen, zum römischen König gewählt. 20 Auch Karl verpfändete wegen Geldmangel öfters königliche Judenregale, was zum Verschwinden mancher Judenviertel in den Städten führte. 21 Papst Clemens, Karls ehemaliger Erzieher am französischen Hof, rief nach der Pestwelle das Heilige Jahr aus und bestimmte seine Begehung alle fünfzig Jahre. 22 Er verurteilte die Laienbewegung der Flagellanten und deren Praxis der öffentlichen Selbstgeißelung als Häresie. 23 In Rom krönte ein von dem neuen Papst Innozenz beauftragter Kardinal Karl von Böhmen zum Kaiser. 24 Als Kaiser erließ Karl das Grundgesetz für das Sacrum Imperium Romanum, wie nun die offizielle Bezeichnung für das Römische Reich lautete. 25 Dadurch wurde unter anderem die zukünftige Wahl des römischen Königs durch die Kurfürsten geregelt. 26 Die Zahl der Kurfürsten wurde auf sieben festgelegt; für die Wahl war die Stimmenmehrheit der Kurfürsten erforderlich, und nicht mehr die Zustimmung des Papstes. 27 Dem Papst verblieb jedoch die Ehrenaufgabe, die Kaiserkrönung durchzuführen. 28 Im kaiserlichen Gesetzbuch wurden auch die Rechte und Pflichten der Kurfürsten festgelegt; unter anderem sollten sie den Schutz der Juden gewährleisten.

 

29 Böhmen wurde zum Herrschaftszentrum des Kaisers. 30 Er unterstützte den umfangreichen Ausbau der Stadt Prag zur Hauptstadt. 31 Außerdem sorgte er für die Angliederung Schlesiens zum Böhmischen Königreich und weitete seine Macht über Niederlausitz und Mark Brandenburg aus. 32 Es lag ihm viel daran, im Einvernehmen mit dem Papst zu regieren. 33 Dies gelang ihm jedoch nicht immer und nicht ganz.

 

34 Papst Gregor residierte immer noch in Avignon. 35 Es kam zum Streit um die päpstlichen Ländereien in Italien. 36 Die Mystikerin Katharina von Siena bemühte sich, den Papst zur Umsiedlung nach Rom zu bewegen. 37 Um das Gleiche bemühte sie sich schon bei Papst Clemens. 38 Schließlich ließ sich Papst Gregor überreden und kam nach Rom. 39 Er versuchte im Krieg zwischen England und Frankreich zu vermitteln, aber vergeblich. 40 Papst Gregor verurteilte die Lehre des englischen Theologen John Wycliffe. 41 Wycliff kritisierte den Reichtum sowie einige offizielle Ansichten der Kirche. 42 Der englische König Richard musste nun einen Volksaufstand unterdrücken, welcher sich Wycliffs Forderung nach Ständegleichheit auf die Fahnen geschrieben hatte. 43 Die bestehende Unzufriedenheit führte sowohl in England als auch in Frankreich zu Bürgerkriegen. 44 Und dann ist da noch die alte Feindschaft zwischen den beiden Ländern. 45 Nach Gregors Tod kam es zum Streit unter den Kardinälen, was zur Wahl zweier Päpste führte; einer residierte in Rom, der andere in Avignon. 46 In Polen wurde der litauische Großfürst Jogaila zum König gewählt; er heiratete die polnische Königin Jadwiga. 47 Jogaila, polnisch Jagiello genannt, wurde in Krakow auf den Namen Vladislav getauft. 48 Unter seinem Einfluss begann die Christianisierung Litauens.

49 Der Vormarsch der Osmanen nach Europa wurde durch verschiedene Faktoren begünstigt. 50 Osmans Sohn Orhan heiratete die Tochter des byzantinischen Kaisers Johannes Kantakuzenos. 51 Da etliche osmanische Söldner in der byzantinischen Armee dienten, überließ ihnen der Kaiser eine kleine Festung nahe der Stadt Kallipolis. 52 Nach einem Erdbeben verließen die griechischen Einwohner die Stadt. 53 Die Osmanen siedelten dort Familien aus Anatolien an und sahen die Einnahme der Stadt als Gottes Geschenk an. 54 Die Einwohner von Konstantinopel gerieten in Panik, Kantakuzenos wurde abgesetzt. 55 Orhans Sohn Murad eroberte die byzantinische Stadt Adrianopel. 56 Er benannte die Stadt in Edirne um und bestimmte sie zur Hauptstadt des Osmanischen Reiches. 57 Der serbische Fürst Lazar führte eine christliche Allianz gegen die Osmanen an. 58 Diese wurde von Serben, Albanern, Kroaten, Bulgaren und Walachen gebildet. 59 Sie kämpften gegen die Osmanen in der Schlacht auf dem Kosovo Polje. 60 Dabei fanden die Heerführer der beiden Kriegsparteien den Tod. 61 Das geschwächte Byzanz wandte sich wegen der muslimischen Invasion an Rom um Hilfe.

 

62 Auch in Ostasien änderte sich die Machtkonstellation. 63 Die chinesischen Rebellen beendeten die mongolische Oberherrschaft in China. 64 Der neue Kaiser Hongwu benannte sein Reich Ta Ming und ließ Nanking zur Hauptstadt ausbauen. 65 Er bekannte sich zum Konfuzianismus, wodurch die christliche Mission in Ostasien geschwächt wurde. 66 Der Feldherr Temur ibn Taraghai Barlas versuchte den ehemaligen Ruhm der Mongolen wieder aufleben zu lassen. 67 Er erklärte sich zu Dschingis  Nachkommen;  in  Europa  wurde  er  Tamerlan oder Timur genannt. 68 Timur galt als ein grausamer Eroberer, der ganze Gebiete verwüstete. 69 Unter seiner Herrschaft nahmen weite Teile Zentralasiens den Islam an; die neue Hauptstadt Samarkand sowie die Stadt Buchara ließ er prachtvoll ausbauen. 70 Er begann mit seinen Eroberungen in Chorasan, unterwarf weite Teile Persiens und Mesopotamiens und drang bis an die Wolga vor. 71 Den Bürgerkrieg im indischen Sultanat von Delhi nutzte er aus, um es zu erobern. 72 Dann richtete er seinen Blick auf Syrien und das Osmanische Reich.

 

 

T e i l     S E C H S                  KAPITEL  1

 

1 Von deinem Angesicht ergehe mein Urteil; denn deine Augen sehen, was recht ist.

2 Im Osmanischen Reich herrscht Murads Sohn Bayezid. 3 Er ist mit der Tochter des byzantinischen Kaisers Johannes Palaiologos verheiratet. 4 Gleich nach seinem Amtsantritt ließ er seinen Bruder Yakub beseitigen. 5 Bayezid eroberte Bulgarien und machte die Walachei zum Vasallenstaat der Osmanen. 6 Außerdem gewann er die Herrschaft über Mazedonien, Teile Serbiens und Griechenlands. 7 Das Oströmische Reich ist inzwischen auf die Stadt Konstantinopel mit Umgebung geschrumpft. 8 Der ungarische König Sigismund, Sohn des Kaisers Karl, zog in den Krieg gegen die Osmanen, um deren Vordringen nach Europa zu verhindern. 9 In der Schlacht bei Nikopol erlitt Sigismunds Heer eine Niederlage. 10 In Anatolien kam es zum Kräftemessen zwischen dem Mongolenanführer Timur und Sultan Bayezid. 11 Timur hatte davor schon Bagdad, Damaskus und Aleppo erobert. 12 Bei Ankara kam es zur Schlacht. 13 Die anatolischen Fürsten, die Bayezid unlängst unterworfen hatte, waren auf Timurs Seite. 14 Auch die tatarischen Soldaten des Sultans liefen zu den Mongolen über. 15 Die Osmanen   erlitten eine schwere Niederlage, Sultan Bayezid starb in Timurs Gefangenschaft. 16 Durch den Sieg beflügelt, wollte Timur auch das Kaiserreich China erobern, starb jedoch auf diesem Feldzug und wurde in Samarkand begraben. 17 Die Osmanen hatten sich inzwischen von der Niederlage gegen die Mongolen erholt und griffen die Stadt Thessaloniki an.

 

18 Die katholische Kirche im Westen verliert immer mehr an Niveau. 19 Die unhaltbare Situation mit zwei gleichzeitig amtierenden Päpsten sollte auf der Synode in  Pisa  beendet  werden,  stattdessen  gab es nach der Synode  sogar drei Päpste. 20 Gregor  residierte  in Rom, Benedikt  in  Avignon  und  Alexander  in Bologna. 21 Der Glaube der Katholiken wurde dadurch schwer geprüft. 22 Als Papst Alexander starb, wählten seine Anhänger einen Nachfolger. 23 Sie entschieden sich für Baldassare Cossa, welcher zuerst noch die Priester- und Bischofsweihe empfangen musste. 24 Als Papst nahm er den Namen Johannes an. 25 Im gleichen Jahr wurde  der  ungarische  König Sigismund von ihm zum  römischen  König gekürt. 26 Er hatte schon lange nach diesem Titel gestrebt, seitdem die Kurfürsten seinen Halbbruder, den böhmischen König Vaclav, abgesetzt hatten. 27 Nun wollte Sigismund die Drei-Päpste-Ära beenden. 28 Wie einst Kaiser Konstantin wollte er Ordnung in die kirchlichen Angelegenheiten seines Reiches bringen, weil er auf die Kaiserkrone spekulierte.

 

29 Noch jemand war zu dem Zeitpunkt um das Ansehen der Katholischen Kirche bemüht, allerdings auf eine ganz andere Weise. 30 Es handelt sich um Jan Hus, Priester, Prediger und Rektor der Prager Universität. 31 Er war unter anderem persönlicher Beichtvater der böhmischen Königin Sophie von Bayern, die sehr gerne seine Predigten besuchte. 32 Er setzte sich für die Einführung der Landessprache in die Liturgie ein. 33 Hus forderte sowohl vom Klerus als auch von den Laien eine strenge, tugendhafte Lebensweise und prangerte Ausschweifungen, Unmoral und ein dem Zeitgeist angepasstes Leben an. 34 Seiner Ansicht nach war die Bibel, und nicht der Papst, die letzte Autorität in Gewissensfragen. 35 Hus kritisierte die Ablassbulle von Papst Johannes. 36 Die Bergpredigt Jesu erklärte er für die Richtlinie, an der sich Christen und Kirche zu orientieren hatten. 37 Er forderte die Kommunion unter beiden Gestalten auch für das einfache Volk. 38 Wegen seiner radikalen Ansichten verbot ihm der Prager Erzbischof das Predigen und die Feier der heiligen Messe. 39 Hus hielt sich nicht daran und strebte unbeirrt weiter nach einer einfachen, armen, moralischen Kirche. 40 Deshalb wandte sich der Erzbischof an Papst Johannes, welcher Hus exkommunizieren ließ. 41 Als er dann auch noch aus Prag verbannt wurde, brachen dort Unruhen aus. 42 Hus zog sich aufs Land zurück, wo er einige Schriften verfasste und sich der Mitarbeit an der Bibelübersetzung widmete. 43 Durch seine Schriften forderte er den Klerus noch mehr heraus, bei der Bevölkerung hingegen wurde er immer beliebter.

 

44 Wegen der unhaltbaren Situation in der Kirche berief der römische König Sigismund ein Konzil in Konstanz ein. 45 Als Beschützer der römischen Kirche steckte er sich das Ziel, die Kirche wieder unter die Amtsgewalt eines legitimen Papstes zu stellen. 46 Papst Johannes eröffnete das Konzil, an welchem ausschließlich die mit ihm sympathisierenden Kardinäle teilnahmen. 47 Kurz vor dem Beginn des Konzils  kam  auch  Jan  Hus  nach  Konstanz, um dort seine Lehre zu verteidigen. 48 Er war von König Sigismund eingeladen worden, der ihm freies Geleit für die Hin- und Rückreise zusicherte. 49 In Konstanz wurde der Kirchenbann gegen Hus aufgehoben, aber kurz danach wurde er trotzdem verhaftet. 50 Als Sigismund in Konstanz eintraf, bemühte er sich nicht um die Freilassung von Hus, sondern forderte ihn zunächst auf, sich mit der Kirche zu versöhnen. 51 Der König legte für das Konzil einen neuen Abstimmungsmodus fest. 52 Papst Johannes unterschrieb seine Rücktrittserklärung unter der Bedingung, dass auch die zwei anderen Päpste dies taten. 53 Trotz seiner Zusicherung, in Konstanz zu bleiben, floh Johannes als Stallknecht verkleidet aus Konstanz. 54 Das Konzil wurde dadurch beschlussunfähig. 55 Um dieses Problem zu umgehen, verabschiedete die Konzilsversammlung ein Dekret, laut dem ihre Vollmacht unmittelbar von Christus stamme. 56 Johannes wurde auf der Flucht gefangengenommen und als Papst abgesetzt. 57 Er befand sich schließlich im gleichen Gefängnis wie Jan Hus.

 

58 Nun erklärte auch der in Rom residierende Papst Gregor seine Bereitschaft abzutreten, unter der Bedingung, dass ein neues Konzil einberufen werde. 59 So wurde formell ein neues Konzil in Konstanz einberufen, auf dem auch manche Gregor treue Bischöfe anwesend waren. 60 Gregor dankte ab. 61 Jan Hus wurde von der Konzilsversammlung aufgefordert, seine Ansichten zu widerrufen, was er aber unter Berufung auf sein Gewissen ablehnte. 62 Da er die Aussagen der Konzilsväter nicht mit der Bibel übereinstimmend fand, wollte er die Lehrautorität des Konzils nicht anerkennen. 63 So wurde er als Erzketzer verurteilt, auf dem Scheiterhaufen verbrannt und seine Asche in den Rhein geworfen.

 

64 Der in Avignon residierende Benedikt weigerte sich freiwillig abzudanken, und floh nach Spanien. 65 Da etliche seiner Bischöfe zum Konzil nach Konstanz gekommen waren, erklärte ihn das Konzil offiziell für abgesetzt, was jener aber ignorierte. 66 Erst nach zwei Jahren einigten sich die Kardinäle auf einen passenden Papstkandidaten. 67 So wurde Kardinal Oddo di Colonna zum neuen Papst der katholischen Kirche gewählt, der den Namen des Tagesheiligen Martin annahm. 68 In Böhmen kam es zu einem Aufruhr, als Hieronymus von Prag das gleiche Schicksal ereilte wie seinen Lehrer Jan Hus.  69 Einen kleinen Erfolg konnten die Anhänger von Hus doch verzeichnen; auf dem Konzil von Basel wurde nämlich beschlossen, dass in Böhmen und Mähren auch Laien zum Abendmahl unter beiden Gestalten zugelassen werden dürfen. 70 Ein weiterer Beschluss ordnete getrenntes Wohnen von Juden und Christen an, was dann zur Bildung von jüdischen Stadtvierteln führte. 71 Außerdem kam auf dem Basler Konzil der Krieg zwischen England und Frankreich zur Sprache, wobei nach Friedenslösungen gesucht wurde. 72 In diesem Krieg machte sich die Bauerntochter Jeanne d`Arc einen Namen, wurde aber später aus politischer Räson auf dem Scheiterhaufen geopfert.

 

            

T e i l     S E C H S                  KAPITEL  2

 

1 Brüstet  euch  nicht  stolz  mit  eurer  Macht,  redet  nicht  so überheblich  daher! 2 Denn weder vom Osten noch vom Westen noch aus der Wüste kommt die Erhöhung. 3 Nein, der Richter ist Gott; den einen erniedrigt er, den andern erhöht er.

4 Das Basler Konzil wurde von Papst Eugen nach Ferrara verlegt, wo mit dem byzantinischen  Patriarchen  Joseph  eine  Kirchenunion angestrebt werden sollte. 5 Wegen Seuchengefahr wurde das Konzil schließlich nach Florenz verlegt. 6 Die Gesandten des byzantinischen Kaisers Johannes, der auf militärische Hilfe gegen die  Osmanen  hoffte,  gingen  in  Florenz  auf die meisten Forderungen Roms ein. 7 Eine davon war die Vorrangstellung der römisch-katholischen Kirche und des Papstes. 8 Doch nicht alle stimmten der Kirchenunion unter dem Diktat der Lateiner zu. 9 Der Erzbischof von Ephesus wollte das Konzilsdekret nicht unterzeichnen. 10 Die orientalischen Patriarchen sprachen auf der Synode in Jerusalem den Kirchenbann über die unierten Griechen aus. 11 Der Moskauer Großfürst Vasilij setzte den griechischen Metropoliten Isidor ab, weil dieser der Kirchenunion zugestimmt hatte. 12 Die russischen Bischöfe beriefen dann eine Synode und wählten ihren eigenen Metropoliten. 13 Dadurch machte sich die russisch-orthodoxe Kirche selbstständig. 14 Die syrisch-orthodoxe Kirche hatte es unter der mongolischen Herrschaft schwer, ließ sich aber nicht aufreiben. 15 Sie zehrte noch von dem Vermächtnis des Gelehrten jüdischer Abstammung Gregorius bar Hebraeus, der ihr vor zwei Jahrhunderten wertvolle theologische, geschichtliche und wissenschaftliche Schriften hinterlassen hatte. 16 Auch die orthodoxe Kirche in Georgien kämpfte um ihr Bestehen. 17 Die orthodoxen Kirchen in Bulgarien und Serbien befanden sich unter osmanischer Herrschaft und durften ihre Tätigkeit nur beschränkt ausüben. 18 Der osmanische Sultan Mehmed schickte sich an, die Hauptstadt des Oströmischen Reiches zu erobern. 19 Konstantinopel war schon mehrmals bedroht worden, doch dank der Stadtmauer und der eisernen Sperrkette vor dem Hafen konnte es den Feinden erfolgreich trotzen. 20 Diesmal jedoch stand Kaiser Konstantin einer gewaltigen Übermacht gegenüber. 21 In seiner Not suchte er Hilfe bei Papst Nikolaus und den westlichen Herrschern. 22 Lediglich der Papst versprach ihm Hilfe, die allerdings an eine Bedingung gekoppelt war: den Vollzug der Kirchenunion; Konstantin willigte  ein, doch  die  Hilfe  kam zu spät. 23 Konstantinopel wurde eingenommen. 24 Zum osmanischen Sieg trug die militärische Eliteeinheit der Janitscharen wesentlich bei. 25 Sie bestand aus verschleppten christlichen Knaben, die islamisiert, radikalisiert und zu brutalen Kämpfern ausgebildet worden waren. 26 Ein solches Schicksal traf vor allem Knaben aus Bosnien.

 

27 In den eroberten Gebieten wurde teilweise der Islam angenommen, die Mehrheit blieb aber in der Regel christlich. 28 Die Methoden der Osmanen animierten die Bevölkerung nicht gerade zur Konversion. 29 So wiederholte sich nun auch im Islam die Geschichte des Christentums, indem nämlich die guten Vorsätze und noblen Absichten der Glaubensverkündigung letztendlich an Machtmissbrauch und Ruhmsucht der Herrscher scheiterten. 30 Die eroberte, in Konstantiniye umbenannte Stadt Konstantinopel wurde zur Hauptstadt des Osmanischen Reiches. 31 Mehmed  nahm  für  sich die Befugnisse  des römischen Kaisers in Anspruch. 32 Die Kirche Hagia Sophia ließ er in eine Moschee umwandeln. 33 Das christlich-orthodoxe Patriarchat in Konstantiniye blieb erhalten. 34 Mehmed wandte sich nun gegen  die  Ungarn, um sich  einen freien Weg nach Westeuropa zu verschaffen. 35 Dazu musste er die Festung Belgrad erobern, die an einer wichtigen militärischen Straße lag. 36 Ungarn wurde zu dem Zeitpunkt vom Heerführer Hunyadi Janos regiert, der den unmündigen König Ladislav vertrat. 37 Hunyadi ließ die Belgrader Festung verstärken und aufrüsten. 38 Von den leidenschaftlichen Predigten des Franziskaners Giovanni da Capistrano angefeuert, schlossen sich auch zahlreiche Bauern Hunyadis Armee an. 39 So konnte das osmanische Heer trotz seiner Überzahl von den Ungarn besiegt werden. 40 Hunyadi selbst starb kurz danach an Pest.

 

41 Vor dem Kampf um Belgrad hatte Papst Calixtus mit einer Bulle das Mittagsläuten der Kirchenglocken angeordnet. 42 Beim Läuten der Glocken sollten die Christen um den Sieg über die Osmanen beten. 43 Obwohl diese Anordnung in manchen Gegenden erst nach dem Sieg bekannt wurde, behielt man diesen Brauch als Ausdruck der Freude über den Sieg bei. 44 Der Gelehrte Enea Silvio Piccolomini wurde zum neuen Papst gewählt. 45 Er nahm den Namen Pius an. 46 Noch bevor er Papst wurde, schrieb er über einen gewissen Johannes Gensfleisch, genannt Gutenberg, welcher in Mainz mittels beweglicher Metallbuchstaben mehrere Bibelexemplare angefertigt hatte. 47 Im gleichen Jahr, in dem Konstantinopel fiel, wurde nach mehr als hundert Jahren der Krieg zwischen England und Frankreich beendet. 48 Danach tobte der Krieg um die Krone Englands zwischen den Häusern York und Lancaster, bis schließlich Heinrich aus dem Haus Tudor zum englischen König gekrönt wurde. 49 Inzwischen gelang es Mehmed und den Osmanen die Peloponnes, den Rest Serbiens, Albanien und das Khanat der Krim zu erobern. 50 Die Republik Venedig schloss nach dem lang andauernden Krieg um die griechischen und adriatischen Inseln Frieden mit den Osmanen, musste aber auf manche Gebiete verzichten und wurde tributpflichtig. 51 Die strategisch wichtige Insel Rhodos, auf der sich der Hauptsitz des Templerordens befand, widerstand der osmanischen Belagerung. 52 Die osmanische Flotte eroberte die italienische Stadt Otranto; die dortigen Christen, die sich weigerten, zum Islam zu konvertieren, wurden geköpft.

 

53 In Rom haben inzwischen mehrere Päpste gewechselt. 54 Zurzeit amtiert Papst Sixtus, ein prunksüchtiger Nepotist. 55 Er hat die Konstanzer Dekrete über den Vorrang des Konzils vor den Papst für ungültig erklärt. 56 Von seinen Kritikern wird ihm die Haltung von Lustknaben vorgeworfen. 57 Manche behaupten, dies sei der Grund für die Ernennung seiner zahlreichen Neffen zu Kardinälen oder ihre Erhebung in den Adelsstand gewesen. 58 Er hat die Inquisition in Spanien wieder neu aufleben lassen. 59 Ihre Opfer wurden vor allem zum Christentum konvertierte Juden - conversos oder marranos genannt – die ihren jüdischen Glauben weiterhin praktizierten. 60 Aber auch zum Christentum konvertierte Mauren, moriscos, wurden nicht verschont. 61 Als Granada, die letzte Hochburg des muslimischen Reiches in Spanien, fiel, wurden sowohl Muslime als auch Juden von dort vertrieben.

 

62 Im Osten wurde die Macht der Tataren immer schwächer, während Russland an Stärke gewann. 63 Der Moskauer Großfürst Ivan, mit der Nichte des letzten byzantinischen Kaisers verheiratet, betrachtete sich als „Bewahrer des byzantinischen Throns“ und nahm den vom lateinischen Wort Caesar abgeleiteten Titel „Zar“ an. 64 Er ließ die baufällige Moskauer Burg Kreml zu seiner Residenz ausbauen. 65 Portugal und Spanien waren bemüht, einen Seeweg nach Indien zu erschließen. 66 Spanien bevollmächtigte mit dieser Aufgabe den italienischen Seefahrer Christoph Kolumbus, der Indien auf dem West Kurs zu erreichen versuchte. 67 Dort sollte er mit dem Großkhan Kontakt aufnehmen und dann, mit begehrten Kostbarkeiten beladen, die Heimreise antreten. 68 Der Profit vom Verkauf der Waren sollte der Befreiung Jerusalems von der muslimischen Herrschaft zugewandt werden. 69 Als Kolumbus auf Festland stieß, nahm er an, in Indien angekommen zu sein; er nannte die dortigen Einwohner Indios; es wunderte ihn jedoch, dass er keine Gewürzpflanzen vorfand. 70 Der portugiesische Seefahrer Vasco da Gama hingegen versuchte um Afrika herum nach Indien zu kommen, was ihm auch tatsächlich gelang. 71 Etwa um die Zeit fertigte Martin Behaim seinen „Erdapfel“, auf dem die drei bekannten Kontinente abgebildet waren: Europa, Asien und Afrika. 72 Als später der italienische Seefahrer Amerigo Vespucci etwas südlicher von der Stelle an Land ging wo vor ihm Kolumbus angelegt hatte, vermutete er sehr stark, dass Kolumbus einen neuen, unbekannten Erdteil entdeckt hatte.

 

 

T e i l     S E C H S                  KAPITEL  3

     

1 Die Völker sollen dir danken, o Gott, danken sollen dir die Völker alle!

2 Entdeckungsfieber, Missionierungsdrang, Goldrausch, Machtgier, Größenwahn. 3 All das wird man einmal als Merkmale dieser Epoche nennen können. 4 Je mehr man von der Welt entdeckt, je größer sie in den Augen der Menschen wird, umso größer wird auch die menschliche Gier. 5 Anstatt Gott zu loben, ihm zu danken, berauscht man sich an materiellen und geistigen Gütern, an Macht, ergeht sich in Rechthaberei und Besserwisserei. 6 Dies alles bezieht sich gegenwärtig in erster Linie auf das Christentum und den Islam, beziehungsweise auf deren jeweilige Führung. 7 Die  Juden  sind  nach wie vor die Prügelknaben für alle und für alles. 8 Auf der Insel Rhodos wurden sie zum Christentum gezwungen. 9 Wer sich weigerte, wurde entweder getötet, verbrannt, oder als Sklave verkauft. 10 In Brandenburg in Germanien wurden Juden wegen unterstellter Hostienschändung verbrannt, und zwar achtunddreißig an der Zahl. 11 In Venedig wurde ein jüdisches Viertel unter der Bezeichnung „Ghetto“ eingerichtet. 12 Alle Juden in den Gebieten, die unter dem Einfluss des Papstes stehen, müssen einen gelben Hut zwecks leichterer Erkennung tragen. 13 Jüdische Wohnungen werden von der römischen Inquisition nach Talmudexemplaren durchsucht. 14 Wenn Katholiken einen Talmud besitzen, werden sie exkommuniziert. 15 Die Juden wurden aus mehreren Städten Europas verbannt, unter anderem aus Neapel und Prag. 16 Die Osmanen eroberten, größtenteils unter Sultan Selim, die Arabische Halbinsel mit Mekka und Medina sowie Syrien und Ägypten. 17 Als sie von den Mamelucken  die  Herrschaft  über  Jerusalem  übernahmen,  sicherte  Selim durch einen Erlass den dortigen Christen und Juden religiöse Freiheit zu. 18 Selim war ein strenggläubiger Sunnit und verfolgte die Schiiten und Aleviten in seinem Herrschaftsbereich. 19 Er führte den Kalifentitel, den er vom letzten Kalifen der Abbasiden-Dynastie übernommen hatte. 20 Selim war ein rigoroser, manche behaupten brutaler, fast asketisch lebender, dichterisch begabter Mann, ein unermüdlicher Kämpfer für Gottes Gesetz und das Osmanische Reich. 21 Sein Sohn und Nachfolger Süleyman übernahm ein gefestigtes Reich und widmete sich der Islamverbreitung im Nordwesten.

 

22 Im christlichen Abendland und speziell in Rom widmet man sich derzeit anderen Dingen. 23 Wenn man die Förderung von Kunst, Wissenschaft, und Sport als „Kultur” bezeichnen kann, dann sind die gegenwärtigen Päpste eher kulturelle als religiöse Führer des Abendlandes. 24 Sie fördern jegliche Art von Kunst, ja sogar Wissenschaften, ungeachtet der Finanzierungsprobleme und ungeachtet der Schwierigkeiten so manche Details mit der Bibel in Einklang zu bringen. 25 Das „Gottesbild” in der Sixtinischen Kapelle in Rom ist das beste Beispiel für die Missachtung biblischer Gebote. 26 Natürlich rechnen die Kirchenoberhäupter mit Einnahmen und Schätzen aus der neu entdeckten Welt in Übersee, und um die Durststrecke bis zu ihrem Eintreffen zu überwinden, haben sie den bereits verrufenen Ablasshandel intensiviert. 27 Dies lockte die ohnehin schon zahlreichen Kritiker der klerikalen Ausschweifungen aus der Reserve. 28 Einer von ihnen, der Augustinermönch Martin Luther, sorgte für viel Aufregung. 29 Durch seine Kritik an den unlauteren Praktiken der  Kirchenführung  und  des  Klerus  führte  er  eine Kirchenspaltung herbei. 30 Manche empfanden die Spaltung als etwas Negatives, andere eher als Gelegenheit, die eigene Religiosität und Lebensweise neu zu durchdenken. 31 Luthers Lebenswerk gipfelte in der Übersetzung der Bibel, womit er das Wort Gottes auch dem einfachen Volk zugänglich machte. 32 Es gab jedoch auch dunkle Flecken in seinem Leben; ein solcher war zum Beispiel sein hasserfülltes Pamphlet gegen die Juden.

 

33 Neben Luther sorgten auch noch andere Reformatoren für Spaltungen, die bedeutendsten unter ihnen waren Calvin und Zwingli. 34 Aber auch der englische König Heinrich spaltete die Kirche, allerdings aus ganz anderen Beweggründen. 35 Der Anlass zur Abspaltung der Anglikanischen Kirche war die von ihm angestrebte Annullierung seiner Ehe. 36 Da Rom seinem Wunsch nicht entsprach, holte er sich den gewünschten Beschluss bei den anglikanischen Würdenträgern. 37 Er heiratete insgesamt sechs Frauen, von denen zwei entlassen und zwei hingerichtet wurden. 38 Es darf nicht unerwähnt bleiben, dass es innerhalb der Kirche auch mehrere Reformatoren gab, die die Kirche zu erneuern versuchten, ohne sie zu spalten. 39 Erasmus ist ja hinlänglich bekannt, ebenso der Ordensgründer Ignatius; aber auch die weniger bekannte Nonne jüdischen Ursprungs, Theresa von Avilla, verdient genannt zu werden. 40 Auch im slawischen Raum gibt es viel Bewegung. 41 Auf dem Reichstag von Radom wurde von König Alexander der „Sejm“, ein Zweikammerparlament, installiert; durch die Verfassung Nihil Novi wurde die Grundlage für die polnische Adelsrepublik geschaffen. 42 Die Großfürsten von Moskau kämpfen seit Jahrzehnten gegen die Tataren und das abtrünnige Khaganat Kasan. 43 Der Moskauer Großfürst Ivan, der als dreizehnjähriger die Macht übernahm, ließ sich mit sechszehn Jahren von dem Patriarchen zum russischen Zaren krönen. 44 Die Kroaten wechselten nach einer jahrhundertelangen Personalunion mit Ungarn das Herrscherhaus; sie nahmen Ferdinand von Habsburg als ihren König an, weil sie sich von ihm mehr Unterstützung im Kampf gegen die anstürmenden Osmanen erhofften. 45 Serbien ist schon ganz unter osmanischer Herrschaft, Ungarn unterlag auch, Bosnien schon vor langer Zeit; Teile Kroatiens befinden sich mal unter kroatischer, mal unter osmanischer Herrschaft. 46 Im fernen Spanien und in Portugal herrschen ganz andere Verhältnisse. 47 Ihr Entdeckungs- und Eroberungsgeist kennt keine Grenzen; die Herrscher beider Länder haben sich auf der Landkarte die Erde aufgeteilt und ihre jeweiligen Interessensphären bestimmt.

 

48 Die neu gewonnenen Gebiete, insbesondere die in Übersee, welche man „Amerika“ nennt, wurden oft auf grausame Weise eingenommen, kolonisiert, ausgebeutet und missioniert. 49 Unter Francisco Pizarro und Hernan Cortez wurden die einheimischen Volksgruppen der Inkas und der Azteken besiegt und ihre Gebiete besetzt. 50 In Europa wird an verschiedenen Stellen ungeduldig auf Gold und andere Schätze aus den eroberten Gebieten gewartet, um Kultur, Gelüste und Kriege zu finanzieren. 51 Das osmanische Heer erreichte Wien. 52 Sultan Süleyman ließ den Wienern verkünden, dass niemandem etwas geschehen werde, wenn der Islam angenommen und die Stadttore geöffnet werden. 53 Aber da Teile seiner Truppen in der Wiener Umgebung unvorstellbare Grausamkeiten anrichteten und die Bevölkerung ausplünderten, waren die Wiener nicht gewillt den Islam „osmanischer Art” anzunehmen. 54 Sie nahmen den Kampf auf und es gelang ihnen, trotz Tunnelgrabens und Mauersprengung  seitens  der  Osmanen, ihre  Stadt  erfolgreich  zu verteidigen. 55 Obwohl sich zurzeit in allen Teilen der Welt umwälzende Ereignisse abspielen, wollen wir dem Leser lieber zwei kleine, auf den ersten Blick unbedeutende Begebenheiten mitteilen. 56 Wie aus dem Nichts tauchte in Rom vor Papst Clemens ein Jude namens David Reubeni auf und behauptete, ein Gesandter der Nordstämme Israels aus der Wüste Chaibar zu sein, die bereit wären, zusammen mit den Christen gegen die Osmanen zu kämpfen. 57 Da die Türkengefahr in den Augen Roms groß und nahe war, störte man sich nicht an seiner jüdischen Herkunft, sondern übergab ihm ein Empfehlungsschreiben an den König von Portugal und den Kaiser von Äthiopien in der Hoffnung, dass ein neuer Kriegszug erfolgen würde. 58 Am portugiesischen Hof wurde Reubeni mit Ehren empfangen; den dort lebenden Juden versprach er die Rückkehr in das Land Israel, aber seine Mission blieb dennoch erfolglos. 59 Am königlichen Hof lebte nämlich ein Beamter, ein konvertierter Jude, der aus lauter Begeisterung über Reubeni wieder zum Judentum zurückkehrte, sich selbst beschnitt und sich in Salomo Molcho umbenannte. 60 Das war sogar für die etwas toleranteren Verhältnisse in Portugal zu viel, und so verließen beide, Reubeni und Molcho, unverrichteter Dinge Portugal. 61 Und wie das Leben so spielt, traf Salomo Molcho, der für sich messianische Ansprüche anmeldete, eines Tages Papst Clemens und gewann seine Gunst. 62 Leider machte das keinen Eindruck auf die Inquisition, die ihn wegen Judaisierens zum Tod durch Verbrennen verurteilte. 63 Mit Hilfe des Papstes konnte er jedoch Rom unerkannt verlassen, während ein anderer Mann an seiner Stelle verbrannt wurde.

 

64 Das zweite Ereignis spielte sich am anderen Ende der Welt ab, in dem von Spanien eroberten Territorium der Azteken. 65 Da die Azteken einer rohen Naturreligion angehörten, deren Ausübung grausame Menschenopfer zur Besänftigung ihrer Idole erforderte, die Spanier aber mit nicht weniger grausamen Methoden die Azteken unterwarfen, fiel die Verkündigung der christlichen Missionare bei den Azteken nicht gerade auf fruchtbaren Boden. 66 Ganz im Gegenteil, es herrschte eine tiefe Feindschaft zwischen der einheimischen Bevölkerung und den eingewanderten Europäern, und nur wenige konnten christianisiert werden. 67 Eines Tages behauptete jedoch einer von den wenigen christlichen Azteken, eine himmlische Erscheinung gehabt zu haben. 68 Nach langem hin und her konnte er den Bischof, die Christen, aber auch die eingeborene Bevölkerung von der Wahrhaftigkeit dieser Erscheinung überzeugen. 69 Die Erscheinung einer Himmlischen Frau, wie der Seher sich ausdrückte, hinterließ auf seinem Umhang ein Bildnis, so seltsam und wundersam zugleich, dass sich damit bestimmt noch Generationen beschäftigen werden. 70 Aber erst nach diesem Wunder geschah das eigentliche Wunder, weswegen wir diese Geschichte überhaupt erzählen. 71 Was weder den Soldaten noch den Missionaren gelungen war, nämlich die Azteken zur Annahme des Christentums zu bewegen, das geschah nun spontan und massenhaft, was beispiellos in der Geschichte ist. 72 Die Feindschaft gegenüber den Spaniern verschwand wie vom Winde verweht, die Azteken ließen sich massenhaft taufen, es kam zu Mischehen und aus zwei fremdartigen Naturen wurde ein Herz - wahrlich ein Wunder.

 

 

 

T e i l     S E C H S                  KAPITEL  4

 

1 Dass ich gedemütigt wurde, war für mich gut; denn so lernte ich deine Gesetze. 2 Die Weisung deines Mundes ist mir lieb, mehr als große Mengen von Gold und Silber. 3 Deine Hände haben mich gemacht und geformt. 4 Gib mir Einsicht, damit ich deine Gebote lerne.

5 Die herausragende Persönlichkeit dieser Zeit ist zweifelsohne der Osmane Sultan Süleyman. 6 Unter seiner Herrschaft erlangte das Osmanische Reich die bisher größte Ausdehnung. 7 Sein Gebiet erstreckt sich über drei Erdteile, seine Größe steht der des ehemaligen Römischen Reiches kaum nach. 8 Süleyman wurde als geschätzter Diplomat, geschickter Stratege, frommer Muslim, begabter Dichter, aber auch grausamer Tyrann berühmt. 9 In ihm sind all jene Eigenschaften vereint, welche die berühmten Persönlichkeiten aller Zeiten „auszeichnen“. 10 Namentlich wenn  es  sich  um  Persönlichkeiten  in verschiedenen  Machtpositionen  handelt. 11 Die Methoden der Machtausübung, insbesondere aber die des Machtmissbrauchs, ähneln sich in allen Religionen und Kulturen. 12 So wie die Päpste, förderte auch Süleyman die Künste, vor allem den Bau von Palästen und prunkvollen Gebetsstätten. 13 Auch er war um die Einheit des Glaubens bemüht. 14 Auch er ließ Maßstäbe und Richtlinien festsetzen, um den „rechten“ vom „verdammungswürdigen“ Glauben zu unterscheiden. 15 Süleyman ließ ausschließlich die sunnitische Deutung des ehrwürdigen Koran zu. 16 Andersglaubende wurden mittels Überredungskunst, notfalls mit Gewalt zum richtigen Glauben geführt. 17 Auch die „Knabenlese“, der Kinderraub in nichtmuslimischen Gegenden des Reiches, wurde während seiner Herrschaft fortgesetzt.

 

18 In den Anfängen des Islam nahmen ganze Bevölkerungsgruppen sozusagen über Nacht den neuen Glauben an. 19 Oft ohne jegliche Gewaltanwendung, und das sogar in den traditionell christlichen Gebieten Nordafrikas. 20 Das Gleiche geschah im Norden und Osten Asiens, wo manche Stämme allein aufgrund schriftlicher Einladung den Islam annahmen. 21 Heute wehren sich die eroberten Völker Europas mit Händen und Füßen gegen die Islamisierung. 22 Es ist ihnen klar, dass das Hauptanliegen der Osmanen nicht die Verbreitung des Glaubens an den Einen Gott ist, sondern die Ausweitung ihrer Macht. 23 Die gleiche Erfahrung haben sie nämlich einst mit den christlichen Eroberern gemacht.

 

24 Auf diese Weise haben sowohl christliche als auch muslimische Machthaber den Glauben an den Einen Wahren Gott in Verruf gebracht. 25 Die Folge davon ist, dass die Bevölkerung die Religion und den Dienst an Gott mit Knechtschaft, Frondienst, Soldatendienst und Unterdrückung identifiziert. 26 So wurde durch die Dominanz der Muslime der Glaube erneut kompromittiert. 27 Sultan Süleyman wollte die Schlagkraft seiner Armee einer Feuerprobe aussetzen. 28 Er wollte beweisen, dass er in der Lage sei, „den goldenen Apfel“ zu pflücken – die Stadt Wien zu erobern. 29 Doch eine unbedeutende Stadt, eine kleine Festung in Südungarn stoppte sein neunzigtausend Mann starkes Heer und begrub seine Ambitionen. 30 Es handelte sich um die Festung Szigetvar und ihre zweitausendfünfhundert kroatischen Verteidiger, angeführt von Nikola Subic. 31 Die Festung wurde zwar zerstört, die Verteidiger kamen um, aber die Osmanen wurden so lange aufgehalten und dermaßen strapaziert, dass sie danach zu schwach waren, um weiter nach Wien marschieren zu können. 32 Sultan Süleyman starb zwei Tage vor der Einnahme von Sziget. 33 Sein Tod wurde geheim gehalten, um die Auflösung des Heeres zu vermeiden bevor sein Nachfolger bestimmt wurde. 34 So nahmen Süleymans Pracht und Macht ein jähes Ende in einem Sumpfgebiet Mitteleuropas.

 

35 Ein anderer mächtiger Mann der Epoche war der russische Zar Ivan. 36 Auch er war ein geschickter Kriegsstratege und Diplomat, fromm und streng, laut manchen Behauptungen auch grausam. 37 Er versuchte als Nachfolger byzantinischer Kaiser anerkannt zu werden, zumindest in Glaubensangelegenheiten. 38 Auch er ließ Paläste, Kirchen und Klöster bauen, wollte Moskau in den Rang von Konstantinopel erheben. 39 Doch das allein reichte ihm nicht. 40 Da Jerusalem unter muslimischer Herrschaft stand, wollte er Moskau zum neuen Jerusalem machen, zumindest für die orthodoxen Christen. 41 Er unternahm Reformen, die dem einfachen Volk das Leben erleichterten, stutzte die Macht der Bojaren, unter denen er einst als elternloses Kind Schreckliches erlebt hatte.  42 Wenn er sich aber hintergangen fühlte, auf Widerspruch stieß oder Verrat witterte, kannte er keine Gnade. 43 Er hielt sich selbst für gerecht, in vielen Angelegenheiten war er es auch, doch sein Jähzorn, verbunden mit seinen Traumata, wurde ihm manchmal zum Verhängnis.  44 So ermordete  er  in  einem  Wutausbruch  seinen  eigenen  Sohn. 45 Diese von ihm zutiefst bereute Tat ließ ihm bis zu seinem Tod keine Ruhe mehr.

 

46 Und nun schauen wir mal, was es sonst noch Neues in der Welt gibt. 47 Die Juden, aber das ist eigentlich nichts Neues, werden weiterhin fast überall verfolgt. 48 Papst Paul ließ sie entweder in abgetrennte Siedlungen einpferchen oder vertreiben; sie durften als Lumpensammler tätig sein. 49 Als Teile Polens von den Russen erobert wurden, mussten die dort lebenden Juden den orthodoxen Glauben annehmen. 50 Wer sich weigerte, wurde ertränkt. 51 Papst Gregor verbot jüdischen Ärzten christliche Kranke zu behandeln. 52 Die Inquisition veröffentlichte Listen mit verbotenen jüdischen Schriften. 53 In Spanien gab es eine Verfolgungswelle, weil manche Amsterdamer Juden die Aufständischen im Kampf gegen die Spanier unterstützt hatten. 54 So verließen viele Juden Spanien und Portugal und siedelten nach Amsterdam um.

 

55 Der einzige Herrscher, der sich für die Juden, zumindest für einige von ihnen, einsetzte, war Sultan Süleyman. 56 Er erzwang vom Papst die Freilassung bestimmter Juden. 57 Diese betraute er mit wichtigen Posten in seinem Reich. 58 Besonders gefragt waren ihre Dienste in Diplomatie, Buchdruck, Finanzwesen und Verwaltungsorganisation. 59 Und da wäre noch ein Herrscher zu nennen, der gnädig zu den Juden war. 60 König Heinrich erlaubte den Juden in der Stadt Metz freie Ausübung ihrer Religion. 61 Die Juden nahmen diesen seltenen Glücksfall sofort wahr und ließen Metz zu einem bedeutenden Zentrum des Judentums werden.

 

62 Es gibt aber auch noch andere Neuigkeiten. 63 Portugiesen und Spanier wetteifern im Erkunden und Erobern der Neuen Welt. 64 Dabei gehen sie keineswegs feinfühlig vor, weder im Umgang mit der Konkurrenz noch mit den Ureinwohnern. 65 Ihre Taten werden jedoch in vielen Chroniken und Tagebüchern ausführlich beschrieben, sodass wir uns hier damit nicht weiter befassen wollen. 66 Verschiedene Päpste versuchten, die vielen Risse in der westlichen Christenheit zu kitten, die durch Abspaltungen  in  den  letzten  Jahrzehnten  entstanden  waren. 67 Dies gelang ihnen auch nach der Beendigung des zweimal unterbrochenen Trienter Konzils nicht. 68 So wurde der christliche Garten um viele Blüten reicher: Katholiken, Lutheraner, Calvinisten, Zwinglianer, Anglikaner, Mennoniten, Hutterer und was es sonst noch alles gibt. 69 Eigentlich dürfte das zum demütigen Nachdenken führen, sowohl bei den Würdenträgern als auch bei den Gläubigen. 70 Wenn da bloß nicht der teuflische Stolz wäre und die Überzeugung, im Besitz der alleinseligmachenden Wahrheit zu sein. 71 So aber ist aus dem duftenden Garten ein blutiges Schlachtfeld geworden. 72 Und alle Beteiligten rechtfertigen ihr Handeln, indem sie sich auf Gott berufen - ein zum Himmel schreiender Zustand!

 

 

T e i l     S E C H S                  KAPITEL  5

 

1 So geht es denen, die auf sich selbst vertrauen, und so ist das Ende derer, die sich in großen Worten gefallen. 2 Der Tod führt sie auf seine Weide wie Schafe, sie stürzen hinab zur Unterwelt. 3 Geradewegs sinken sie hinab in das Grab; ihre Gestalt zerfällt, die Unterwelt wird ihre Wohnstatt.

4 Der Habsburger Rudolf, Kaiser des „Heiligen Römischen Reiches der teutschen Nation, zog wegen drohender Gefahr osmanischer Angriffe von Wien nach Prag um. 5 Dort befasste er sich mit Kunst, Alchemie, Astronomie. 6 Auf seinem Hof lebten Gelehrte aus ganz Europa. 7 Bereits in Wien schuf er die Institution der „Hofbefreyten Juden'', auch Hofjuden oder Hoffaktoren genannt. 8 Wie der Name schon sagt, gehörten sie zum kaiserlichen Hof, brauchten kein Judenzeichen zu tragen und keine Steuern zu zahlen. 9 Manche wurden sogar in den Adelsstand erhoben.

 

10 Wie kam es zu dieser Begünstigung der Hofjuden? 11 Um das zu erläutern, müssen wir weit ausholen. 12 So wie sich einst manche Päpste Mätressen und manche spanischen Kalifen Lustknaben hielten, so wurde es inzwischen üblich, dass sich Fürsten, Könige und Kaiser Hofjuden hielten. 13 Allerdings stellten diese, im Gegensatz zu den Mätressen und Lustknaben, keinen Kostenfaktor dar, im Gegenteil, sie wurden gewinnbringend eingesetzt. 14 Die Juden besaßen dank ihres Studiums der Thora und des Talmuds schon immer einen geschulten, scharfsinnigen Verstand. 15 Durch wiederholte Verfolgungen, Vertreibungen und Enteignungen hatten sie gelernt, ihr Hab und Gut in Geld und Gold anzulegen, um mobil und  fluchbereit zu sein. 16 Notgedrungen wurden sie auf diese Weise zu virtuosen Lebenskünstlern und Finanzgenies. 17 Als die genannten Qualitäten der Juden erkannt wurden, wollte so mancher Kaiser, König oder Fürst davon profitieren und mit Hilfe der Juden zu Geld kommen. 18 Geld braucht man vornehmlich um Kriege zu finanzieren; und diese toben zurzeit kreuz und quer über den europäischen Erdteil.

19 So holen sich immer mehr Machthaber erfolgreiche Juden an den Hof, statten sie mit besonderen Privilegien aus und lassen sie für sich arbeiten, das heißt Geld besorgen. 20 Nun werden fähige Juden zwar begehrt und gesucht, aber keineswegs geliebt. 21 Man benutzt sie nur um des eigenen Vorteils willen, und man entlohnt sie entsprechend dem eingebrachten Ertrag. 22 Das einfache Fußvolk, die schlichten Glaubensbrüder oder, wie man zu sagen pflegt, die gemeinen Juden, werden weiterhin auf jede mögliche Art drangsaliert. 23 Auf diese Weise entsteht Misstrauen, Neid und Zwist unter den Juden selbst. 24 Es gibt aber auch Ausnahmen. 25 Manche Hofjuden vergessen auch dann, wenn sie aufgestiegen und vermögend geworden sind, ihre Glaubensbrüder nicht, sondern helfen ihnen tatkräftig. 26 Zu diesen gehörte der verstorbene Jacob Bassevi, dessen Hilfe sogar die Juden in Eretz Israel erreichte.

 

27 Wie schon oben erwähnt, gibt es überall in Europa Kriege. 28 Vordergründig geht es um Religion, doch der Hintergedanke dabei ist, sich noch mehr Macht und Reichtum zu verschaffen. 29 Zwei herausragende Persönlichkeiten der gegenwärtigen Zeit sollen nicht unerwähnt bleiben. 30 Eine davon ist der aus Böhmen stammende Albrecht Vaclav von Waldstein, Wallenstein genannt. 31 Bei der anderen handelt es sich um den Kalvinisten Oliver Cromwell aus England. 32 Beide haben politische und kriegerische Ereignisse entscheidend mitgeprägt. 33 Wallenstein ist schon länger tot, Cromwell herrscht und kämpft immer noch.  34 Nach dem Tod seiner Eltern wurde Wallenstein von seinem Onkel in einem Konvikt der Jesuiten untergebracht. 35 Einst Mitglied einer evangelischen Gemeinschaft, wurde er nun Katholik. 36 Kaiser Rudolf nahm ihn in sein Heer auf, das gegen die Osmanen kämpfte. 37 Nach mehreren Feldzügen wurde Wallenstein zum Hauptmann befördert. 38 Seine Heirat mit Gräfin Lukretia von Landeck brachte ihm zusätzliches Ansehen und auch gewissen Reichtum. 39 Er konnte jetzt auf eigene Kosten Landsknechte anwerben und sie dem Kaiser zur Verfügung stellen.

 

40 Als es in Prag zu einer Auseinandersetzung zwischen den protestantischen Ständen und den königlichen Statthaltern kam, wurden die Letztgenannten durch das Fenster der Burg hinausgeworfen. 41 Der neue Kaiser, Ferdinand von Habsburg, verbündete sich mit der Katholischen Liga und besiegte die aufständischen Protestanten in Prag. 42 Die protestantische Konfession wurde in Böhmen verboten, was das Auswandern vieler Protestanten zur Folge hatte. 43 Mit der Rekatholisierung des Landes wurden die Jesuiten betraut, welche davor von den protestantischen Ständen aus Böhmen ausgewiesen worden waren. 44 Die Unterdrückung des Aufstandes der böhmischen Stände führte jedoch zu weiteren Religionskriegen im Römischen Reich. 45 Auf der kaiserlichen Seite kämpfte auch Wallenstein.  46 Da der Kaiser in Geldnot steckte, wurden etliche nordböhmische Gebiete von ihm an Wallenstein verpachtet und später verkauft. 47 Wallenstein gründete darauf das Herzogtum Friedland, das unabhängig vom Böhmischen Königreich und frei von königlicher Besteuerung war. 48 Ferdinand ernannte Wallenstein zum kaiserlichen Oberbefehlshaber und erwartete von ihm einen schnellen Sieg über die Protestantische Union. 49 Die protestantischen Reichsstände schlossen daher eine Allianz mit Dänen, Engländern und Niederländern. 50 Diese Allianz sollte die Macht der Habsburger und der Katholiken im Imperium Romanum schwächen. 51 Wallenstein gelang es, die Dänen zu vertreiben. 52 Er erreichte sogar, dass diese später ein Bündnis mit dem Kaiser eingingen. 53 Den Fürsten erschien Wallenstein jedoch zu mächtig, daher nötigten sie Kaiser Ferdinand ihn zu entlassen. 54 Er wurde allerdings sehr schnell rehabilitiert, als es für die Katholiken eng wurde, weil die Schweden Norddeutschland eroberten und bis nach Bayern vordrangen. 55 Nun durfte Wallenstein wieder die „heißen Kastanien aus dem Feuer holen“. 56 Aber diesmal ging der Kampf nicht eindeutig aus. 57 Der Schwedenkönig fand den Tod und Wallenstein verließ das Schlachtfeld. 58 Nachdem er sich geweigert hatte, mitten im Winter Regensburg zu belagern, wurde er des Hochverrats beschuldigt und ermordet. 59 Die Führung der kaiserlichen Armee übernahm der gleichnamige Sohn des Kaisers, Erzherzog Ferdinand. 60 Nach seiner Krönung zum Kaiser, führte er Wallensteins Vorhaben durch. 61 Er schloss Frieden mit Frankreich und mit Schweden.

 

62 Dies änderte das Gesicht Europas, die Länder bekamen neue Grenzen und genossen mehr Selbstständigkeit. 63 Die Macht des Kaisers wurde auf sein erbliches Gebiet beschränkt. 64 Die drei Hauptkonfessionen im Heiligen Römischen Reich der deutschen Nation: Calvinismus, Katholizismus und Protestantismus, wurden gleichrangig. 65 Die Interessen des Staates wurden den kirchlichen Interessen übergeordnet, der politische Absolutismus wurde durchgesetzt. 66 In England zog eine Beschwerdeschrift des Unterhauses gegen König Karl, die auch von Cromwell mitgetragen wurde, unerwartete Folgen nach sich. 67 Mit der Beschwerde wurde die Absicht verfolgt, die Kontrolle des Parlaments über die Entscheidungen des Königs einzuführen. 68 Aber die hitzige Diskussion, die dadurch ausgelöst wurde, spaltete das Unterhaus und die Beschwerde wurde mit nur einer knappen Mehrheit angenommen. 69 Dies gab Anlass zu zwei Bürgerkriegen, in denen Cromwell mit der von ihm gegründeten Truppe, Ironsides genannt, eine entscheidende Rolle spielte. 70 Er übernahm die Macht, ließ den König exekutieren, schloss eine lockere Union mit Irland und Schottland. 71 Den Preis für seinen Erfolg mussten, insbesondere in Irland, unzählige Katholiken, darunter auch Frauen und Kinder, mit dem Leben bezahlen. 72 Es ist noch nicht absehbar, wie seine Herrschaft enden und welche Folgen sie haben wird.

 

 

T e i l     S E C H S                  KAPITEL  6

 

1 Denn, was sie reden, dient nicht dem Frieden; gegen die Stillen im Land ersinnen sie nichtige Pläne.

2 Europäische Staaten sind dabei in Amerika, Asien und Afrika möglichst viele Gebiete an sich zu reißen. 3 Während Spanien und Portugal einigermaßen gesättigt zu  sein  scheinen,  entwickeln  andere,  allen  voran  England,  Frankreich und die Niederlande, umso größeren Appetit. 4 Jeder ist bestrebt, sich einen ansehnlichen Anteil  am  „Kuchen“  zu  sichern.   Die  einheimischen  Völker werden als Ware behandelt, die entweder benutzt oder vernichtet wird. 6 Im christlichen Europa werden Freiheit und Gleichheit gepredigt, in der Neuen Welt werden sie von denselben Christen mit Füßen getreten. 7 Der in England angefangene Demokratisierungsprozess endete dank Cromwell in Tyrannei; nach seinem Tod wurde die Monarchie wiederhergestellt. 8 Die offenen Fragen blieben jedoch ungelöst, die Wunden  sind  noch  nicht  verheilt.  Auch  andere  europäische  Kriege  hinterließen Wunden, die mit den Friedensverträgen von Münster und Osnabrück notdürftig versorgt, aber keinesfalls geheilt wurden.

 

10 Zudem scheint  Europa  an  dem  „altgriechischen  Syndrom“  erkrankt zu sein. 11 Vernunftgeleitetes Denken ist angesagt, Geist und Verstand sind die Schlagwörter der Gelehrten und Philosophen.  12 Glaubenskriege hatten bei vielen Menschen zum Verdruss an der Religion geführt.  13 Die neuentstandenen christlichen Kirchen und Gemeinschaften, die vor hundert Jahren so viele positive Hoffnungen geweckt hatten, zeigten sich später nicht minder grausam als die römischen Katholiken. 14 Mancherorts gingen sie sogar noch schlimmer und grausamer vor, und das im Namen des Evangeliums. 15 Ihr Verhalten warf ein schlechtes Bild auf die heiligen Schriften und sogar auf Gott selbst, weshalb ihn Außenstehende nun ablehnen oder gar für nicht existent erklären. 16 Es hat sich eine neue Denkerelite profiliert, welche alles in Frage stellt, zugleich aber auch schon alle Antworten und Lösungen weiß. 17 Man hat sich von Gott abgewandt und sich stattdessen Ideale geschaffen. 18 Freies Denken, freies Handeln, freies Leben, all das wurde zur Ehre des Altars erhoben. 19 Kein Wunder, dass die meisten Anhänger der neuen Ideologie überzeugt sind, die absolute Freiheit für jedermann sei ein erreichbares Ziel und der richtige Weg zum Frieden in der Welt.

 

20 Alles schon mal da gewesen, alles schon von den alten Griechen ausprobiert, wahrlich, es gibt nichts Neues unter der Sonne. 21 Doch all diese Vernunftanbeter vergessen eins: Der Herr, der Schöpfer der Welt, hat die Welt und die Menschen mit bestimmten Mechanismen ausgestattet, an denen kein Weg in eine friedliche Zukunft vorbeiführt. 22 Ehre Gott und liebe den Nächsten wie dich selbst, und tu dem Nächsten nie das an, was du nicht willst, dass man dir antut! 23 Dieses Gebot ist mit gewissen Pflichten verbunden. 24 Und erst wenn der Mensch diesen Pflichten nachkommt, kann er seine Freiheit genießen. 25 Vorausgesetzt, die anderen tun es auch. 26 Aber da der Herr die Menschen kennt und weiß, wie schwach sie sind, hat Er ihnen die Thora und den Koran als Hilfe gegeben. 27 Ohne konkrete Anwendung der Thora oder des Koran kann kein gerechter Staat funktionieren, ohne die Lehre des Evangeliums in die Praxis umzusetzen, kann kein Mensch in rechter Weise leben. 28 Deswegen sind all die neumodischen Ideen wie eine Gerölllawine, geräuschvoll und destruierend, und zeitigen nichts Beständiges. 29 Zum Schluss bleibt  der  Mensch  selbst  der  Geprellte. 30 Es  ist  ein  Zeitalter der Heuchelei. 31 Religionsführer heucheln, im Namen Gottes zu handeln, dabei übertreten sie und ihre Handlanger alle Gebote Gottes. 32 Die sogenannten Freidenker versprechen Freiheit und Brot, dabei halten sich manche von ihnen Sklaven und Diener, andere wiederum befürworten die Kolonisierung fremder Länder als Fortschritt.

33 Die  osmanischen  Führer  konnten  sich  mit ihrem  Misserfolg nicht abfinden. 34 Sie versuchten immer wieder, ins Herz Europas vorzustoßen. 35 Schließlich wurde Großwesir Kara Mustafa Pascha von Sultan Mehmet beauftragt Wien zu erobern. 36 Der Marsch des osmanischen Heeres dauerte Monate. 37 Unterwegs plünderten sie und verwüsteten unzählige Dörfer, Festungen und Städte. 38 Je mehr sie sich Wien näherten, umso schlimmer wurden ihre Untaten. 39 Viele Orte im Burgenland und in Niederösterreich könnten davon ein Lied singen, aber es ist von den Bewohnern niemand mehr am Leben. 40 Als das Heer dann mitten im Sommer Wien erreichte, begann die Belagerung. 41 Da die Nachrichten über die osmanischen Gräueltaten in Windeseile Wien sowie andere europäische Städte erreichten, setzte einerseits das große Zittern ein, andererseits wurde alles Notwendige veranlasst, um den Wienern Hilfe zu leisten. 42 Aus Polen, Sachsen und Bayern wurden Regimenter in Bewegung gesetzt. 43 Aber es brauchte alles seine Zeit,  und  die  Wiener  gerieten  immer  mehr  in  Panik, zumal sich die Osmanen siegessicher  gaben  und  die  Stadt  immer  enger  und  bedrohlicher umschlossen. 44 Durch Tunnelgraben und Verminen der Befestigungsanlagen arbeiteten sich die Angreifer immer näher an die Stadt heran. 45 Außerdem beschossen sie in der Stadt selbst hohe Gebäude, unter anderem den Stephansdom und die Kapuzinerkirche. 46 In der Stadt herrschte Lebensmittelknappheit und auch manche Erkrankungen breiteten sich aus. 47 Es war absehbar, dass die Stadt in wenigen Tagen fallen würde, falls die versprochene Hilfe nicht einträfe. 48 Aber auch Kara Mustafa Pascha  wurde  ungeduldig und setzte alles daran, die Stadt endlich  einzunehmen. 49 Als er erfuhr, dass die Hilfstruppen für Wien schon nahe waren, musterte er sein Heer und machte einen Plan der Einnahme der Stadt. 50 Trotz Warnungen seiner Heerführer befahl er, überstürzt und taktisch unklug, den Angriff. 51 Das wurde den Osmanen zum Verhängnis. 52 Während sie Wien bestürmten, hatten sie plötzlich christliche Truppen im Rücken. 53 Als dann der polnische König Jan Sobjeski mit seinem Heer eintraf, entschied er die Schlacht schnell zugunsten der Christen.

54 Die Osmanen verließen Hals über Kopf das Schlachtfeld. 55 Natürlich wurde der Schuldige an der Niederlage gesucht. 56 Kara Mustafa Pascha ließ den Ibrahim Pascha hinrichten. 57 Er selbst wurde dann etwas später auf Geheiß des Sultans in Belgrad erdrosselt. 58 Aus Dankbarkeit für die Befreiung Wiens wurde in der Katholischen Kirche das Fest Mariä Namen eingeführt.

 

59 Die in der Diaspora zerstreuten jüdischen Gemeinden wurden mit Problemfällen in ihren eigenen Reihen konfrontiert. 60 Die Amsterdamer Synagoge sah sich gezwungen, Baruch Spinoza wegen seiner Äußerungen mit Bann zu belegen und aus der Gemeinde auszuschließen. 61 Da er seine Infragestellung der Glaubenslehre nicht zurücknahm und auch sonst aus jüdischer Sicht merkwürdige theologische und philosophische Standpunkte vertrat, sah sich die Gemeindeleitung zu diesem Schritt genötigt. 62 Vor einen ganz anderen Fall wurde die jüdische Gemeinde in Izmir gestellt. 63 Ein Gemeindemitglied verkündete öffentlich, ein Prophet zu sein. 64 Da solche Personen in der Regel stur sind und das Gemeindeleben erheblich beeinträchtigen, wurde er kurzerhand aus der Gemeinde verstoßen. 65 Aber eine Verkettung  von Ereignissen  bestärkte den jungen Mann in seiner Überzeugung. 66 Nach einer Begegnung mit Natan Aschkenasi in Gaza hielt er sich sogar für den Messias. 67 Die Verfolgungen und Ermordungen unzähliger Juden in Mittel- und Osteuropa weckten in vielen Gläubigen eine starke Sehnsucht nach dem Messias und damit auch die Erwartung seines nahen Kommens. 68 Diese Tatsache kam dem  „Messias“  Sabbatai  Zwi  zugute,  und  er  gewann eine Menge Anhänger. 69 Viele von ihnen blieben ihm treu, auch nachdem er zum Islam konvertiert war. 70 Sein Erscheinen verwirrte und spaltete die ohnehin gebeutelten Juden in der Diaspora noch mehr. 71 Sabbatai Zwi verstarb in Verbannung im montenegrinischen Teil des Osmanischen Reiches. 72 Seine Anhänger sorgen aber weiterhin für Verunsicherung in jüdischen und sogar manchen christlichen Kreisen Europas.

 

 

T e i l     S E C H S                  KAPITEL  7

 

1 Gott sei uns gnädig und segne uns. 2 Er lasse über uns sein Angesicht leuchten, damit auf Erden sein Weg erkannt wird und unter allen Völkern sein Heil.

3 Wenn bloß alle Völker das Heil des Herrn erkennen würden! 4 Dann hätten viele, in erster Linie die Juden, weniger zu leiden. 5 Sie sind nämlich wieder mal zur Zielscheibe europäischer Herrscher und Herrscherinnen geworden. 6 Die Beweggründe dafür sind nicht ganz klar. 7 Vielleicht ist es ihre Unmut über die Misserfolge, dem sie durch die Judenverfolgung Luft machen; vielleicht sind es finanzielle Gründe; womöglich aber liegt der Grund in der Tatsache, dass die Juden das von Gott auserwählte Volk sind. 8 In Hamburg jedenfalls scheinen die finanziellen Interessen im Vordergrund zu stehen, denn dort wurden von den neuen antijüdischen Maßnahmen nur die aschkenasischen Juden betroffen, während die Sepharden, von denen die Stadt Vorteile hatte, in den Genuss von Erleichterungen kamen. 9 Auch den Preußen Friedrich Wilhelm mögen Motive finanzieller Art bewogen haben, den Juden zu verbieten, als Konkurrenten der christlichen Gilden aufzutreten. 10 Viel schlimmer, ja tragischer ist jedoch die Verordnung des Habsburger Kaisers Karl, mit der er den Söhnen jüdischer Familien die Freiheit zu heiraten einschränkte. 11 Heiraten darf nur der älteste Sohn, und das erst nach dem Ableben des Vaters. 12 Wer denkt da nicht an Ägypten, die Hebammen und den Pharao. 13 Die Zeiten haben sich zwar geändert, aber Angst und Hass bezüglich der Juden werden weiterhin geschürt, sogar die Methoden der Drangsalierung sind nicht wesentlich anders geworden.

 

14 Vom Schicksal der Juden wechseln wir zum Schicksal der Länder und Reiche. 15 Der russische Zar Peter führte Kriege an mehreren Fronten. 16 Gegen die Türken hatte er wenig Erfolg, im Krieg gegen Schweden eroberte er jedoch neue Gebiete im Nordosten Europas. 17 Er ließ sich eine neue Residenz bauen, machte Sankt Petersburg  zur  Hauptstadt  Russlands  und  legte  sich  den  Titel Imperator zu. 18 Nach seinem Tod übernahm seine Gemahlin Katharina die Herrschaft, zumindest nominell. 19 Katharina stammte aus einfachen Kreisen, wurde als Martha Elena  Skavronska  geboren  und  nach  dem  römisch–katholischen Ritus getauft. 20 Als  Waise  wuchs  sie  in  der  Familie  eines protestantischen Theologen auf. 21 Nach der Bekanntschaft mit dem Kaiser, wechselte sie zur russisch-orthodoxen Kirche über und nahm den Namen Katharina an. 22 Als Kaiserin überließ sie die meisten Aufgaben dem Fürsten Alexsander Danilovic Menschikow, dem Vertrauten ihres Gemahls.

 

23 Während Katharina in Sankt Petersburg thronte, wurde auch in Schweden eine Frau zur Herrscherin erhoben, wenngleich nur kurzzeitig. 24 Ihr Name war Ulrike Eleonore. 25 Sie war mit den Regierungsgeschäften wohl vertraut, denn sie vertrat ihren Bruder, König Karl, wenn er dienstlich oder wegen Krankheit verhindert war. 26 So wunderte es nicht, dass sie nach seinem Ableben die Königswürde übernahm. 27 Nachdem sie ein Jahr lang selbst alle Zügel in der Hand gehalten hatte, überließ sie das Regieren ihrem Mann, während sie selbst seine Stellvertreterin wurde. 28 Davor versuchte sich Anne Stuart als Königin der Inselstaaten. 29 Sie führte zuerst den Titel der Königin von Irland, dann von England und Schottland, und schließlich, nach deren Vereinigung, von Großbritannien. 30 Inzwischen war in Russland der zwölfjährige Peter Aleksejevic Kaiser geworden. 31 Seine Herrschaft war von kurzer Dauer, er erkrankte an Pocken und starb. 32 Nun wurde Anna Ivanovna die gekrönte Herrscherin Russlands. 33 Ihr folgte Ivan Antonovic auf den russischen Thron. 34 Er war zwei Monate alt als er als Zar und Imperator inthronisiert wurde. 35 Scheinbar hatte er keine mächtigen Tutoren, da seine Herrschaft schon nach einem Jahr beendet wurde. 36 Danach bestieg Elisaweta Petrovna Romanova den Thron. 37 Es war schon zum wiederholten Male, dass eine Frau als Zarin die Nachfolge eines Kindes antrat. 38 Sie regierte mit starker Hand, reiste viel, förderte die schönen Künste. 39 Muslime und Juden ließ sie missionieren, und wenn sie nicht Folge leisteten, wurden sie bekämpft. 40 Mit Schweden schloss sie Frieden, mit dem Osmanischem Reich legte sie sich nicht an, obwohl dessen Stärke schon bröckelte. 41 Seit der verlorenen Schlacht um Belgrad, bei der der Prinz Eugen mit seinen Truppen den Sieg davontrug, konnten die Osmanen keine nennenswerten Kriegserfolge mehr erzielen. 42 Das Reich ist instabil geworden, es sind innere Spannungen und Machtkämpfe zu beobachten, was man übrigens von ganz Europa behaupten kann.

 

43 Das sogenannte „christliche Abendland“ wird von Erb- beziehungsweise Thronfolgekriegen erschüttert. 44 Es gibt kaum ein Land, das nicht davon betroffen wäre. 45 Dabei geht es immer nur um Macht, um Gebietserweiterung, ums Habenwollen. 46 Offensichtlich haben Christen eine Menge Besitztümer und Macht zu vergeben oder zu vererben. 47 Dadurch stehen sie in krassem Widerspruch zu der Lehre Jesu aus Nazareth, dem sie vermeintlich nachfolgen. 48 Er starb arm und verlassen, ohne Land und Macht. 49 Das einzige was er zu hinterlassen hatte war seine Mutter. 50 Und er vermachte sie dem einzigen Jünger, der nicht geflüchtet war, sich nicht versteckt und ihn in seinem Leiden nicht allein gelassen hatte. 51 In diesem Zusammenhang soll ein glühender katholischer Verehrer seiner Mutter und unter dem Klerus umstrittener Priester, Louis–Marie Grignion de Montfort, erwähnt werden, der unlängst einen Orden gründete. 52 Er lässt in seinem Orden Miriam aus Nazareth als Königin verehren, als Königin der Demut und Barmherzigkeit, des Friedens und der Versöhnung, der Fürsprache und der Liebe.

 

53 Da wir uns nun schon mal mit mächtigen Frauen beschäftigen, die derzeit die Geschicke der Welt mitlenken, sollen noch einige andere namhafte Frauen hier erwähnt werden. 54 Zum einen ist da die Mathematikerin Maria Gaetana Agnesi, welche in Mailand als erstes der einundzwanzig Kinder der Familie Agnesi geboren wurde. 55 Neulich veröffentlichte sie  ihr  Werk  Grundlagen  der  Analysis. 56 Zum anderen ist da die Medizinerin Dorothea Christiane Erxleben. 57 Trotz der Sorge um neun Kinder und ihrer Tätigkeit als Ärztin nutzte sie die Sondergenehmigung König Friedrichs, um an der Universität von Halle zu promovieren. 58 Und nun zur mächtigsten Frau Europas, welche schon vor ihrem Herrschaftsantritt vielen Kopfzerbrechen bereitete, angefangen bei ihren Eltern bis hin zu den Königshöfen Englands, Spaniens und noch anderer mehr. 59 Es handelt sich um die Habsburgerin Maria Theresia. 60 Sie regiert mit eisernem Willen, führt Kriege, schließt Friedensvereinbarungen, führt Reformen durch, fördert Bildung; sie legt eine schier unermüdliche Energie an den Tag, als wollte sie vor den Augen der männlichen Herrscher ihre Ebenbürtigkeit unter Beweis stellen. 61 Besonders mit einem Mann wetteifert sie - dem Preußen Friedrich, konnte bisher allerdings noch keinen Erfolg  gegen  ihn  verbuchen.  62 Aber auch Hässliches, sehr Hässliches tut sie. 63 Als sie anordnete, dass binnen vierzig Tagen alle Prager Juden aus Böhmen zu verschwinden hatten, führte sie in ihrem Edikt nur an: „...aus mehrerley bewegenden höchst triftigen Ursachen den allerhöchsten Entschluß gefaßt, daß künftighin kein Jud mehr in dem Erbkönigreich Böhmen gedultet werden soll. 64 Man kann nur raten, was für höchst triftige Gründe das waren. 65 Vielleicht bestand die Schuld der Juden in der Tatsache, dass sie nicht katholisch waren; vielleicht liefen ihre Geschäfte zu gut; vielleicht wollte sich jemand wieder mal an ihrem Vermögen bereichern. 66 Man ist versucht zu bezweifeln, ob für die böhmischen Juden die Pest, die unlängst dort wütete, tatsächlich schlimmer war als die Herrschaft der Maria Theresia von Gottes Gnaden Königin zu Hungarn, Böhmen, Dalmatien, Croatien, Slavonien, Gallizien, Lodomerien, etc. etc, Erzherzogin zu Österreich, Herzogin zu Burgund, zu Steyer, zu Kärnten und zu Crain, Großfürstin zu Siebenbürgen, Marggräfin zu Mähren, Herzogin zu Braband, zu Limburg, zu Luxenburg und zu Geldern, zu Württenberg, zu Ober- und Nieder-Schlesien, zu Mailand, zu Mantua, zu Parma, zu Piacenza, zu Guastala, zu Auschwitz und Zator, Fürstin zu Schwaben, gefürstete Gräfin zu Habsburg, zu Flandern, zu Tirol, zu Hennegau, zu Kyburg, zu Görz und zu Gradisca, Marggräfin des Heiligen Römischen Reiches, zu Burgau, zu Ober- und Nieder-Laußnitz, Gräfin zu Namur. 67 Was konnte schon irgendein Josef ben Jakob oder eine Esther bat Isaak gegen eine so mächtige Frau und ihre Titel ausrichten?

 

68 Auch der Hoffaktor des Herzogs Karl Alexander von Württemberg, Josef ben Issachar Süßkind Oppenheimer, konnte nach dem Tod seines Gönners sein Leben nicht retten. 69 Er wurde auf bestialische Weise ermordet und sein Leichnam als Abschreckung mehrere Jahre in einem Käfig zur Schau gestellt. 70 Abschließen möchten wir diesen Bericht mit den Worten einer frommen, verwitweten jüdischen Hausfrau und Mutter von zwölf Kindern, Glückel von Hameln geborene Pinkerle, einer wahren Königin des Menschengeschlechts. 71 Der große gnädige Gott straft uns, damit wir lernen weise zu werden und auf seinen Wegen zu gehen. 72 Denn alles Gute, was uns der Allmächtige Gott gibt, haben wir uns nicht verdient, und wir können ihm nicht treu genug dienen für alle seine Wohltaten.

 

 

T e i l     S I E B E N                  KAPITEL  1

 

1 Sie reißen ihr Maul bis zum Himmel auf und lassen auf Erden ihrer Zunge freien Lauf. 2 Darum wendet sich das Volk ihnen zu und schlürft ihre Worte in vollen Zügen.

3 Es gibt die Welt, in der wir leben, es gibt aber noch eine andere, der ersten immanente Welt, die wir als „die Welt“ bezeichnen wollen. 4 Mit der ersten ist also die räumlich - zeitliche Dimension gemeint, in der Menschen, Tiere und Pflanzen ein sich ständig veränderndes Miteinander bilden. 5 Darin existieren Gut und Böse, Profanes und Heiliges, Reines und Unreines nebeneinander, mit oft sehr verwischten Grenzen. 6 Menschen freuen sich, feiern, streiten, bekriegen sich, versöhnen sich wieder, wie geschrieben steht: Alles hat seine Zeit - Liebe, Hass, Krieg, Friede, Versöhnung. 7 „Die Welt“ hingegen besteht aus einer besonderen Kategorie von Menschen, Menschen, die immer alles besser wissen, die am lautesten schreien und die Fähigkeit haben, ihre eigene Unzufriedenheit auf andere zu übertragen und ihnen eigene Ideen schmackhaft zu machen. 8 Man kennt dies schon seit dem Dialog der Schlange mit Eva. 9 Alles Bestehende wird als falsch dargestellt, in einem anderen Licht gezeigt, wobei einem viel verheißende Lösungen angeboten werden. 10 Eines der bevorzugten Angriffsziele „der Welt“ ist die Religion, speziell der Glaube an den Einen Gott. 11 Schon im alten Ägypten konnten die noblen Ägypter nicht mit Juden zusammen essen, es war ihnen unerträglich, weil nämlich die Hebräer fest an den Einen Gott glaubten. 12 Zu allen Zeiten konnte man in bestimmten Kreisen jene, die Gott in besonderer Weise gehörten oder ihm treu anhingen, nicht oder nur schwer ertragen. 13 Diese Abneigung verband Gleichgesinnte und führte zur Entstehung von dem was wir als „die Welt“ bezeichnen.

 

14 So gibt es heute, aber auch schon viele, viele Generationen davor, fast in jeder Nation „die Welt“, welche die Gläubigen, seien es Juden, Christen oder Muslime, aus irgendeinem Grund widerlich finden. 15 Als Grund dafür werden verschiedene Missetaten von einzelnen Religionsgemeinschaften, an denen es wahrlich nicht mangelt, vorgeschoben. 16 Dass dies nur vorgeschoben wird, zeigt die Tatsache, dass die meisten dieser Missetaten schon Jahrzehnte oder Jahrhunderte zurückliegen, also gar nicht aktuell sind. 17 Es ist ein Leichtes, das zu durchschauen und festzustellen, dass der wahre Grund für die Aversion, ja Feindschaft, in dem Festhalten der Religionsgemeinschaften an Gottes Geboten und dem Respekt vor seiner Autorität zu suchen ist.

 

18 „Die Welt“ lehnt jegliche Ordnung, Hierarchie und moralische Norm ab. 19 Solche Menschen sind geradezu besessen vom Trieb, die bestehende Ordnung zu zerstören und der Welt ihre eigenen Regeln aufzuzwingen. 20 Es handelt sich eigentlich um arme, bemitleidenswerte Kreaturen, welche weder Menschen- noch Gottesliebe erkannt, geschweige denn angenommen haben. 21 Leider gelingt es ihnen nur zu oft, die breite Masse zu verführen, die an sich ein ordentliches Leben führt, aber durch Alltagssorgen, Ungerechtigkeiten und Armut verwirrt ist. 22 Schuld an der Misere sind teilweise auch Herrscher, Religionsführer, besonders katholische, die Oberschicht in säkularen und religiösen Kreisen. 23 Wegen ihrer Hartherzigkeit, ihres Mangels an Einfühlungsvermögen werden sie oft egoistisch, raffgierig, selbstgerecht und unnahbar für Rat-, Trost- oder Zufluchtsuchende. 24 Durch ihr halsstarriges Verhalten machen sie es den Emissären „der Welt“ leicht, die Massen an sich zu reißen und ihnen glaubhaft zu machen, dass nicht die ungerechten Gläubigen, sondern Gott und Gottesglaube an allem schuld seien. 25 So entstehen Zweifel und Verwirrung bei den Menschen, was schließlich zu chaotischen Ausschreitungen führt. 26 Gerade Menschen der Gegenwart sind Zeugen und Teilnehmer einer solchen Weltverbesserungsorgie. 27 Die Zustände in der Gesellschaft lassen sich wirklich nicht schönreden, die Verantwortungslosigkeit der Staats- und Kirchenoberhäupter ist nicht zu leugnen, die Unzufriedenheit der Menschen hat ihren berechtigten Grund. 28 Und doch ist es falsch, „der Welt“ zu folgen, die alle, und zuletzt auch noch sich selbst, in den Abgrund stürzt. 29 Bei näherem Hinschauen kann man feststellen, welche Charaktereigenschaften die Anführer „der Welt“ und die Vorläufer der gegenwärtigen Katastrophe zieren. 30 Ein Vater, der vier Kinder gezeugt, aber nicht für sie sorgen wollte, sondern sie dem Armenhaus und damit dem baldigen Tod übergab, verkündet die neue Lebensweisheit und gibt sich als Philosoph und großer Pädagoge. 31 Menschen, die Gleichheit und Brüderlichkeit predigen, nennen die Juden „berechnende Tiere“ und die Schwarzafrikaner „Kinder des Orang-Utans“. 32 Man verkündet das gleiche Recht für alle, aber man schneidet Mädchen und Frauen die Köpfe ab, nur weil sie in einer klösterlichen Gemeinschaft zusammenleben möchten. 33 Das Christentum wollen sie schon aus dem Grund abschaffen, weil sein Urheber ein Jude war. 34 Für den Propheten und den ehrwürdigen Koran haben sie nur Schimpf und Spott übrig. 35 Die Thora ist für sie der Grund allen Übels in der Welt, das türkische Volk dumm und naiv.

 

36 Man eroberte Ägypten und schickte mit den Soldaten auch Wissenschaftler dorthin, um die Eroberung in einem besseren Licht erscheinen zu lassen; aber eigentlich ging es nur darum, aus dem Land und seinen Schätzen den größtmöglichen Nutzen zu ziehen. 37 So überführt „die Welt“ sich selbst in Bezug auf Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. 38 Das alles sind deren erhabene Ziele, aber nur für sie und Gleichgesinnte, beziehungsweise Angepasste. 39 Wo ist da der Unterschied zwischen der Willkür von Kaisern, Königen, Fürsten, Bischöfen, Grafen und der Willkür der neuen Machthaber? 40 Außer dass es jetzt noch mehr Willkür, Ungerechtigkeit und Blutvergießens gibt. 41 Die abgeschnittenen Köpfe rollen in dieser Zeit zu Hunderten, Tausenden, Zehntausenden; und die meisten Opfer sind nicht Vertreter des Staates, der Kirche, der Oligarchie. 42 Mehr als achtzig von je hundert abgeschnittenen Köpfen gehören den Armen, den Bauern und Arbeitern, denen eigentlich die neue Weltordnung zugutekommen sollte.

 

43 Aber Arbeiter und Bauern, reich an Erfahrung, begriffen schnell und durchschauten bald die wahren Ziele „der Welt“. 44 Den Mutigen, die es wagten, darauf hinzuweisen, wurde es zum Verhängnis, denn ihre vermeintlichen Befreier wurden zu ihren Henkern. 45 Zurzeit ist allein schon das Denken gefährlich. 46 Der Blutrausch ist so groß, dass die Vertreter „der Welt“ sich auch gegenseitig die Köpfe abschneiden lassen – eine „kopflose neue Welt“. 47 Eine neue Welt braucht natürlich auch einen passenden Gott. 48 „Die Welt“ ist daher bemüht, eine neue Religion und eine neue Gottheit zu erschaffen: Man verkündet den Kult des „höchsten Wesens“. 49 Es werden neue Kultstätten errichtet und Feiertage eingeführt,  man  lässt  die  Menschen  einen  Eid auf das „höchste Wesen“ schwören. 50 Man gibt den Tagen neue Namen, den Monaten auch, ersinnt einen neuen Kalender; anstatt der Sieben-Tage-Woche wird die Dekade eingeführt, der Tag hat neuerdings zehn Stunden, die Stunde hundert Minuten.

 

51 Dieser ganze  Spuk  wird  einmal  ein  Ende  nehmen,  hoffentlich  in nicht allzu ferner Zukunft. 52 Aber der Schlangenbiss „der Welt“ und der Geruch des Blutes, an dem sich viele berauscht haben, werden noch lange nachwirken. 53 Es wird eine lange, finstere Nacht werden, weil zu viel Böses geschehen ist, was wieder weiter Böses zeugt. 54 Die Verfinsterung des Verstandes wird noch weit in die ferne Zukunft ihren Schatten werfen. 55 Es wird noch mehr Blut fließen, noch mehr Eroberungen, Unterdrückung, Ausbeutung und Versklavung geben. 56 So wie geschrieben steht: Du sollst dich nicht vor anderen Göttern niederwerfen und dich nicht verpflichten, ihnen zu dienen. 57 Denn ich, der Herr, dein Gott, bin ein eifersüchtiger Gott: Bei denen die mir feind sind, verfolge ich die Schuld der Väter an den Söhnen, an der dritten und vierten Generation. 58 Es gibt keinen Grund zu zweifeln, dass es so geschehen wird. 59 Man braucht kein Prophet zu sein, um zu wissen, dass der Herr seine Aussagen immer verwirklicht. 60 Damit wollen wir uns von „der Welt“ ab- und den Ereignissen in verschiedenen Teilen der Welt zuwenden. 61 Viele von diesen Ereignissen sind sattsam bekannt, deswegen wollen wir hier nur einige erwähnen, die in der Fülle der durchschlagenden Nachrichten etwas untergegangen sind.

 

62 Unter den osteuropäischen Juden entstand eine mystische Bewegung unter der Führung von Rabbi Israel ben Eliezer. 63 Die Bewegung bekam rasch sehr viele Anhänger, ist aber im traditionellen Judentum umstritten. 64 Infolge der Aufteilung Polens zwischen Russland, Österreich und Preußen wurden auch die dort ansässigen Juden Bürger anderer Reiche. 65 Die Schüler des oben erwähnten Rabbi Eliezers organisierten eine bemerkenswerte Alija - Einwanderung in das gelobte Land. 66 Es wird in Tiberias, Safed, Hebron und Jerusalem gesiedelt.

 

67 Der österreichische Kaiser Joseph  räumte  mit  seinem  Toleranzedikt  den  Juden Böhmens eine gewisse Religionsfreiheit ein. 68 Ein Jahr später erleichterte er durch sein Patent den Juden Wiens und Niederösterreichs den Zugang zu den handwerklichen und landwirtschaftlichen Berufen. 69 Die russische Zarin Katharina gestattete den wohlhabenden Juden die Mitgliedschaft in den Gilden. 70 Damit machte sie dem mittelalterlichen Berufs- und Gildenverbot für Juden ein Ende. 71 Der preußische Kriegsrat von Dohm appellierte an die Christen, die Juden als Brüder und Mitmenschen zu behandeln. 72 In der Welt wurden viele Entdeckungen gemacht und neue Maschinen konstruiert, die den Menschen die Arbeit erleichterten.

 

 

T e i l     S I E B E N                  KAPITEL  2

 

1 Der Spruch des Gottlosen lautet: „Unrecht zu tun steckt tief mir im Herzen!“ Es gibt keine Gottesfurcht vor seinen Augen.

2 Auf dem politischen Parkett spielt die Französische Republik immer noch die Hauptrolle. 3 Sie hat die Vorherrschaft in etlichen Teilen Europas. 4 Napoleon ist der Erste Konsul der Republik. 5 Europäische Monarchien gehen verschiedene Bündnisse ein und führen mehrere Kriege gegen Napoleon, um dem Vormarsch des Liberalismus Einhalt zu tun und dadurch die Macht des Adels zu sichern. 6 Es sind unruhige Zeiten. 7 Außer gegen Frankreich führen manche Staaten auch noch andere Kriege, wobei sich einige von ihnen zu einem Zeitpunkt mit mehreren Staaten zugleich im Krieg befinden. 8 Napoleon gegen den Rest Europas also, das sich uneinig ist und für das Napoleon lange eine nicht leicht zu meisternde Herausforderung bleibt. 9 Die Autorität der Katholischen Kirche ist seit der Französischen Revolution angeschlagen. 10 Napoleon bot dem Papst ein von ihm diktiertes Konkordat an, das mächtig in die kirchlichen Angelegenheiten einschneidet. 11 Der Papst unterzeichnete es, um der in Frankreich unterdrückten Kirche die Freiheit zu sichern. 12 Er war es auch, der in der Kirche von Notre-Dame in Paris Napoleon zum Kaiser krönte. 13 Nichtsdestotrotz annektierte Napoleon später den Kirchenstaat, ließ den Papst verhaften und nach Frankreich bringen. 14 Erst beim sechsten Anlauf, nachdem Napoleons Armee besiegt und geschwächt aus Russland zurückgekehrt war, gelang es den Bündnisstaaten, den Kaiser der Franzosen zu schlagen. 15 Nun wurden auf einem Kongress in Wien die Grenzen neu gezogen; das Gleichgewicht zwischen den fünf Großmächten wurde wiederhergestellt. 16 Wenig später wurde von Österreich, Preußen und Russland ein neues, auf christlichen Prinzipien gründendes Bündnis ins Leben gerufen; es wurde die Heilige Allianz genannt und sollte über den Frieden in ganz Europa wachen. 17 Doch Frieden ist nicht nur das Gegenteil  von  Krieg,  etwas  was  man  mit  Militärgewalt  durchsetzen  oder  gar bewahren kann. 18 Die Bevölkerung, insbesondere die Studentenschaft, ist von der Freiheitsidee und vom nationalen Bewusstsein angesteckt; es wird nach Freiheit der persönlichen Lebensführung, nach Bildung für alle, nach nationaler Volkssouveränität verlangt. 19 Freiheit und Liberalismus sind die neuen, „heiligen“ Schlagwörter, mit denen die „Welt“ die Gesellschaft manipuliert. 20 Unter den ersten haben sich Belgien von den Niederlanden und Griechenland vom Osmanischen Reich die Freiheit erkämpft.

 

21 Dem durch verschiedene Aufstandsherde im europäischen Teil geschwächten Osmanischen Reich droht auch noch von Ägypten her Gefahr. 22 Dort  riss  der  Statthalter  Muhammad  Ali Pascha die Macht an sich. 23 Unter dem Befehl seines Sohnes Ibrahim Pascha besetzte er das Heilige Land und Syrien, wo er seinen Sohn als Verwalter regieren ließ. 24 Dieser erwies sich als ein vernünftiger und toleranter Herrscher. 25 Er setzte die Gleichstellung von Muslimen und Christen durch, was ihm feindliche Gesinnung religiöser Institutionen einbrachte. 26 Unter seiner Regierung konnten auch Juden und Christen in den Jerusalemer Gemeinderat gewählt werden. 27 In Amerika waren die liberalen Ideen bereits vor der Französischen Revolution in die Tat umgesetzt worden; im Krieg der Siedler gegen das Mutterland Großbritannien wurden die USA geboren. 28 Nun werden in Südamerika Unabhängigkeitskriege gegen die Kolonialmacht Spanien geführt, aus denen schon eine ganze Reihe von neuen, unabhängigen Staaten hervorgegangen ist. 29 Auf dem alten Kontinent fühlen sich die dank des wirtschaftlichen Fortschritts reich gewordenen Kaufleute, Fabrikbesitzer, das sogenannte Bürgertum, in den starren feudalen Strukturen eingeengt in ihrem Streben und werden zu den Vorreitern des Liberalismus. 30 Die Heilige Allianz, die den Frieden, den Glauben und die Moral in Europa bewahren will, hat alle Hände voll zu tun. 31 Die Presse-, Vereins- und Versammlungsfreiheit  sowie  die Freiheit der Universitäten wird eingeschränkt. 32 Es wird militärisch gegen Aufstände und revolutionäre Unruhen vorgegangen.

 

33 Wenn in der Antike die geschichtliche Wandlung der Gesellschaft im Laufe eines Menschenlebens praktisch nicht wahrnehmbar war, so wird man sich ihrer nun oft schmerzhaft bewusst. 34 Der stark beschleunigte und alles durchziehende Wandel ist eine Folge von Erfindungen und Entdeckungen, die seit geraumer Zeit in immer schnellerem Tempo aufeinander folgen und auch in der Praxis Anwendung finden. 35 Dies wirkt sich nicht nur auf die Wirtschaft und die Lebensbedingungen aus, sondern prägt das Empfinden, die Denkweise und das Weltbild der Menschen in bis dahin ungeahnter Weise. 36 Es ist die Sternstunde der Europäer, die bereits die  Weltherrschaft  an  sich  gerissen  haben. 37 Ihr Selbstbewusstsein ist enorm. 38 Sie sind der festen Überzeugung, ihre Rasse sei den anderen weit überlegen, darum sehen sie sich dazu berufen, ihre Zivilisation, die Ideale der Demokratie und den historischen Fortschritt in alle Teile der Welt zu tragen. 39 Es ist sogar vom „göttlichen Auftrag“ die Rede. 40 Große Worte, die das unmenschliche Vorgehen bei der Eroberung fremder Territorien in der neu entdeckten Welt kaschieren sollen. 41 Es wird keine Rücksicht auf die Ureinwohner und deren Bedürfnisse genommen. 42 Wenn diese versuchen, ihre Existenzgrundlage zu verteidigen, haben sie keine Chance gegen die von Regierungstruppen unterstützten weißen Siedler; es werden sogleich Strafexpeditionen organisiert. 43 Dabei gibt es richtige Massaker, wobei auch Kinder nicht verschont werden.

 

44 In Amerika werden Indianerstämmen von der US-Regierung Umsiedlungsverträge angeboten; laut Gesetz ist niemand gezwungen, sein Land zu verlassen. 45 In der Praxis wird jedoch denjenigen, die nicht umsiedeln wollen, das Leben zur Hölle gemacht, bis sie schließlich aufgeben. 46 Dazu kommt noch, dass die Umsiedlungsaktionen unter unmenschlichen Bedingungen stattfinden, sodass Tausende unterwegs sterben. 47 Statt in den Genuss des zivilisatorischen Fortschritts zu kommen, verlieren die Ureinwohner alles: ihre Würde, ihre Freiheit, Grund und Boden, und Tausende von ihnen auch das Leben; und das alles im Namen der Freiheit und Demokratie. 48 Aber nicht nur für die Ureinwohner fremder Kontinente verändert sich das Leben grundlegend.

 

49 In Europa ist die Industrialisierung auf dem Vormarsch. 50 Eine neue Klasse von Menschen entsteht: die Lohnarbeiter. 51 Auf dem Land sind trotz Agrarreformen und der damit verbundenen Abschaffung der Erbuntertänigkeit und Leibeigenschaft die Lebensbedingungen sehr schwer. 52 Immer mehr Arme ziehen daher in die Städte ein, wo sie in Fabriken oder im Bergbau Arbeit suchen. 53 Dort arbeiten sie für einen Hungerlohn unter ungesunden Arbeitsbedingungen und sind nicht besser dran als früher in der Leibeigenschaft oder Schuldknechtschaft. 54 Auch Kinder müssen arbeiten, damit Familien überleben können. 55 Dazu kommen noch Missernten und Epidemien; eine Massenarmut entsteht. 56 Bewährte Traditionen, die einst den Menschen halfen, der Gegenwart Herr zu werden, greifen jetzt nicht mehr. 57 In der Ausweglosigkeit geben Arbeiter ihrer Verzweiflung Ausdruck, indem sie Maschinen oder gar ganze Fabriken zerstören. 58 Soziale Proteste werden durch Militäreinsatz blutig niedergeschlagen. 59 Zwei Philosophen und Journalisten, Friedrich Engels und Karl Marx, waren die ersten, die sich systematisch mit der Verelendung breiter Massen befassten und nach Lösungen suchten. 60 In London gründeten sie einen Geheimbund, den sie Bund der Kommunisten nannten; in dessen Auftrag veröffentlichten sie das Kommunistische Manifest, in dem sie ihre Erkenntnisse darlegten.

 

61 Schauen wir nun mal, was die Verfechtung der Freiheit den Juden in der Diaspora gebracht hat, die meistens als Kleinhändler und Geldverleiher am Rande der Gesellschaft leben. 62 In einigen europäischen Ländern wurden Edikte erlassen, in denen auch den Juden die Staatsbürgerschaft zugesprochen wurde, leider oft mit erheblichen Einschränkungen. 63 In der Bevölkerung bleiben sie jedoch weiterhin verhasst. 64 In Würzburg kam es zu schlimmen antijüdischen Ausschreitungen, die auch auf andere Städte überschwappten. 65 Der russische Zar Nikolaus erließ eine Reihe antijüdischer Bestimmungen. 66 In seinem Imperium werden die Juden massivem Bekehrungsdruck ausgesetzt. 67 Allerdings geht es den dort lebenden Katholiken und Protestanten auch nicht besser. 68 Die Sklaverei wird nach und nach offiziell verboten, inoffiziell bleibt sie jedoch weiterhin bestehen, der Sklavenhandel wird durch Schmuggel ersetzt. 69 Die Kinder der Französischen Revolution sind, was Morden, Plündern und Besetzen fremder Territorien betrifft, im Vergleich zu den Kreuzzugrittern und den muslimischen Eroberern richtige Spezialisten. 70 Dank technischer Errungenschaften sind sie in der Lage, die Schwachen nach Belieben zu manipulieren und zu unterdrücken, was sie nach Strich und Faden tun. 71 Der Liberalismus erweist sich schließlich als eine Fratze der „Welt“. 72 Wer den Wind sät, erntet halt den Sturm.

 

 

T e i l     S I E B E N                  KAPITEL  3

 

1 Sie haben ihr hartes Herz verschlossen, sie führen stolze Worte im Mund. 2 Sie lauern mir auf, jetzt kreisen sie mich ein; sie trachten danach, mich zu Boden zu strecken.

3 Die Mächtigen dieser Welt kämpfen weiterhin um Ressourcen und Absatzmärkte. 4 Sie stehen im Konkurrenzkampf miteinander, wobei es manchmal zu kriegerischen Auseinandersetzungen, eher selten aber auch zu Absprachen oder friedlichem Tausch von Kolonialgebieten kommt. 5 In Europa ist inzwischen aus dem Norddeutschen Bund eine neue Großmacht entstanden: das Deutsche Reich.

6 Es will nun auch seinen Teil vom Kolonialkuchen haben, also stürzt es sich in den Wettlauf um Kolonien, vor allem in Afrika. 7 Wenn man militärisch überlegen ist, braucht man manchmal nur die Muskeln spielen zu lassen, um an sein Ziel zu kommen. 8 Mit dieser Taktik wurden die kulturell weit überlegenen Kaiserreiche China und Japan gezwungen, die „westlichen Barbaren“ ins Land einzulassen und nach ihrer Pfeife zu tanzen. 9 In Europa stöhnen immer noch etliche Völker unter fremdem Joch. 10 Die Italiener kämpfen um die Unabhängigkeit von Österreich und von den spanischen Bourbonen und träumen vom vereinten Königreich Italien. 11 Das polnische Volk, dessen Staatsgebiet einst von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer reichte, nun aber keinen eigenen Staat mehr hat, versuchte erneut seinen russisch besetzten Teil zu befreien und musste dafür schwere Buße hinnehmen: Hinrichtungen, Verbannung, Abschaffung des Polnischen als Amtssprache. 12 Das Selbstverständnis der Polen als Opferlamm erwies sich wieder mal als zutreffend. 13 Auch die Balkanvölker, die größtenteils unter osmanischer Herrschaft lebten, strebten nach nationaler Selbstbestimmung. 14 Das Russische Kaiserreich wollte die Gelegenheit am Schopf packen und sich direkten Zugang zum Mittelmeer verschaffen, indem es die slawischen Völker in ihrem Kampf gegen die Osmanen unterstützte. 15 Im Krieg verdrängte es die Osmanen vom europäischen Kontinent. 16 Doch die europäischen Mächte verfolgten auf dem Balkan ihre eigenen  Interessen  und  wollten  nicht,  dass  Russland  ihnen in die Quere kommt. 17 Auf dem Berliner Kongress korrigierten sie daher die Vereinbarungen des russisch-türkischen Friedens von San Stefano erheblich; der Sieger auf dem Schlachtfeld wurde so zum Verlierer auf dem diplomatischen Parkett.

 

18 In lateinamerikanischen Staaten kommt es nach der Befreiung von der Kolonialherrschaft Spaniens nicht selten zu Bürgerkriegen, in denen liberale und konservative Kräfte gegeneinander um die politische Macht kämpfen. 19 Innenpolitische Konflikte werden von anderen Staaten gerne genutzt, um Einfluss im Land zu gewinnen, indem sie eine der Konfliktparteien militärisch unterstützen. 20 In den USA scheiden sich die Geister an der Frage der Sklaverei. 21 Es kam zum Austritt der Südstaaten aus der Union und zur Gründung der Konföderation der Südstaaten. 22 Ein blutiger Bruderkrieg brach aus, der schließlich mit dem Sieg der Nordstaaten endete. 23 Doch der alte Geist treibt in den Südstaaten weiterhin sein Unwesen. 24 Ein Geheimbund namens Ku-Klux-Klan verfolgt und terrorisiert die Schwarzen sowie deren Beschützer. 25 Seine Mitglieder sind außerdem extreme Katholiken-  und Judenhasser. 26 Auch die übriggebliebenen Indianer stehen den Weißen immer noch im Wege. 27 Sie wurden nach der Umsiedlung in Reservate eingepfercht; als es sich jedoch zeigte, dass der Boden dort Gold und Silber in sich barg, verkleinerte man ihnen die Reservate einfach. 28 Doch davon nicht genug; jemand kam auf die Idee, dass man die Indianerfrage elegant lösen könnte, indem man die Kinder dem Einfluss ihrer Eltern entziehen würde. 29 So werden Indianerkinder nun schon früh ihrem Kulturkreis entrissen und auf Staatskosten in Internatsschulen gesteckt, wo sie zu modernen Amerikanern erzogen werden.

 

30 Inmitten dieser Ausweglosigkeit erschien plötzlich ein Hoffnungsträger: ein Prophet namens Wovoka. 31 Er behauptete, der christliche Gott habe sich ihm offenbart und gesagt, dass die Indianer das Reich Gottes erreichen werden, unter der Bedingung, dass sie sich gegenüber den Weißen friedlich verhalten. 32 Auch einen besonderen Tanz habe Gott ihn gelehrt, der die Indianer in ein neues, friedliches Zeitalter führen sollte. 33 Diese Lehre weckte neue Hoffnungen und fand großen Anklang unter den Indianern. 34 Leider wurde sie von einem übereifrigen Schamanen als Waffe gegen die Weißen ausgelegt, was dann unzählige Indianer mit ihrem Leben bezahlen mussten.

 

35 In China behauptet ein Mann namens Hong Xiuquan, vom „Himmlischen Vater“ den Auftrag erhalten zu haben, die Welt von den Dämonen zu befreien. 36 Mit seinen zahlreichen Anhängern bekämpft er die kaiserliche Qing-Dynastie, deren Mitglieder er für die Dämonen aus seiner Vision hält. 37 Auf dem eroberten Territorium gründete er das „Himmlische Reich des höchsten Friedens“, dessen religiöser und weltlicher Führer er wurde. 38 Die Grundbesitzer wurden enteignet, die Sklaven befreit. 39 Er übersetzte die Bibel ins Chinesische, alle anderen Religionen wurden verboten. 40 Der Genuss von Alkohol, Tabak und Opium wird mit Todesstrafe geahndet, ebenso Ehebruch und homosexuelle Praktiken. 41 Für einen Berufenen hält sich auch Baha'ullah, ein im Exil lebender Prophet persischer Abstammung. 42 Er behauptet, dass Gott sich fortschreitend offenbare und dass er, Baha'ullah, die Stimme Gottes für dieses Zeitalter sei. 43 Er verkündet die grundsätzliche Einheit aller Religionen und setzt sich für den friedlichen Dialog zwischen den Religionen ein. 44 Seiner Meinung nach ist die eigentliche Berufung des Menschen der Dienst an der gesamten Menschheit. 45 Im Christentum werden  sogenannte Erweckungsbewegungen immer stärker. 46 Sie betonen die persönliche Bekehrung und eine am Evangelium orientierte Lebensweise. 47 In dem Zusammenhang sei hier der aus der Erweckungsbewegung hervorgegangene Humanist Henry Dunant erwähnt, der angesichts der Tausenden von Verwundeten und Toten auf dem Schlachtfeld bei Solferino, um die sich niemand kümmerte, im Sinne des Evangeliums handelte. 48 Auf eigene Kosten schaffte er Verbandsmaterial und Hilfsgüter herbei und versorgte mit Hilfe der dortigen Zivilbevölkerung die Verwundeten notdürftig. 49 Er erkannte den göttlichen Ruf und leistete ihm Folge. 50 Es war seine Idee, in allen Ländern Hilfsorganisationen zu gründen, die im Falle eines Krieges die Verwundeten versorgen sollten. 51 Um für seine Idee zu werben, reiste er quer durch Europa. 52 Seine Bemühungen führten schließlich zur Gründung des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz. 53 Sein gesellschaftliches Engagement brachte ihm keine persönlichen Vorteile, im Gegenteil, er wurde von Mitarbeitern verraten, aus dem Komitee ausgeschlossen und lebte in ärmlichen Verhältnissen. 54 Trotzdem blieb er seiner Berufung treu bis zu seinem Tode. 55 Er setzte sich für friedliche Lösungen von zwischenstaatlichen Konflikten und für die Verbesserung der Lage von Kriegsgefangenen ein. 56 Ein wichtiges Anliegen war ihm der Schutz der Arbeiter, die einerseits durch ihre Arbeitgeber ausgebeutet wurden und andererseits dem atheistischen und seiner Meinung nach korrumpierenden Einfluss der Internationalen Arbeiterassoziation ausgesetzt waren.

 

57 Während Einzelne sich bemühen, die Menschheit wieder in den Einklang mit ihrem Schöpfer zu bringen, sieht die Realität indes ganz anders aus. 58 Menschen werden von politischen und religiösen Machthabern unterdrückt und gegeneinander ausgespielt. 59 Sie werden von Gewinnsüchtigen gejagt, geraubt, oder es wird ihnen sonst wie Gewalt angetan. 60 In Syrien wurden so Tausende maronitische Christen von den aufgewiegelten muslimischen Drusen getötet, wobei die Behörden, anstatt einzugreifen, den Drusen indirekt Hilfe leisteten. 61 Eine Privatperson, ein gerechter Muslim namens Abd-el-Kader, setzte sich für die verfolgten Christen ein und rettete sie vor einem Massaker. 62 In Neuseeland hält sich die Regierung nicht an den mit den Maoris geschlossenen Vertrag, der diesen ungestörten Besitz von Land, landwirtschaftlichen Flächen, Wäldern und Fischereigründen garantiert. 63 Im Südpazifik werden Eingeborene durch Täuschung, Erpressung, aber auch durch rohe physische Gewalt zur Arbeit auf Plantagen oder zum Dienst auf europäischen Schiffen rekrutiert.

 

64 In Russland kommt es nach dem Attentat auf den Zaren zu Hassausbrüchen, die sich in gewaltsamen Ausschreitungen gegen Juden artikulieren. 65 Juden werden massenweise gemordet, und vergewaltigt; ihre Häuser und Geschäfte werden geplündert. 66 In Verbindung mit diesen schrecklichen Ereignissen wird ein neuer sprachlicher Begriff geprägt: „Pogrom“. 67 Die christlichen Armenier weigern sich, die doppelten Steuern zu entrichten – an die Osmanen und an die örtlichen kurdischen Stammesführer. 68 Dies wird von den Herrschenden als Gelegenheit genutzt, das Reich durch die Dominanz der Muslime über die Christen zu einigen und zu festigen. 69 Schreckliche Pogrome an den Armeniern setzen ein, wobei sowohl Europa als auch Amerika tatenlos zusehen. 70 In einem jungen, von seinem Schicksal enttäuschten Juden namens Theodor Herzl keimt die Idee auf, sich zum Verfechter eines eigenen Judenstaates als Heimat aller Juden zu machen. 71 Als er in Basel einen Kongress der Gleichgesinnten organisierte, versammelten sich dort Tausende von Juden aus aller Welt. 72 Ein hoffnungsvolles Zeichen, fürwahr, doch man freue sich nicht zu früh!

 

 

T e i l     S I E B E N                  KAPITEL  4

                                                                                                

1 Herr, wie lange noch wirst du das ansehen? Rette mein Leben vor den wilden Tieren, mein einziges Gut vor den Löwen!

2 In China kam es zu einem Aufstand, der gegen die fremden Eindringlinge gerichtet war, denen die Schuld an der Zerstörung der natürlichen Umwelt sowie der sozialen Harmonie zur Last gelegt wurde. 3 Dabei wurden auch die christianisierten Landsleute als Feinde betrachtet, verfolgt und grausam getötet. 4 Im Krieg zwischen Japan und Russland um Einfluss in der Mandschurei und Korea wurde zum ersten Mal eine europäische Großmacht von einem asiatischen Land besiegt. 5 Japan, inzwischen nach dem westlichen Vorbild modernisiert, ist zu einer Großmacht mit Expansionstendenzen geworden. 6 Vom Rausch des technologischen Fortschritts getragen, glaubt der Mensch, den Lauf der Dinge, ja sogar die Naturgewalten kontrollieren zu können. 7 Der Untergang des gefeierten und als unsinkbar geltenden größten Luxusdampfers der Welt sollte ihn eines Besseren belehren. 8 Es war ein Zeichen der Zeit, das zur Besinnung rief.

 

9 Ein weiteres Zeichen folgte in Form des Mordanschlags auf den Thronfolger Österreich-Ungarns in Sarajevo; die Zeit war unheilschwanger. 10 Doch einige Staatsoberhäupter, von Machtgier geblendet, wollten aus dem Attentat Kapital schlagen. 11 Was formell als eine den Serben zu erteilende Lektion deklariert wurde, uferte zu einem Krieg aus, der unterschiedlichste Völker in seinen Sog zog. 12 Er wurde in Europa, im Nahen Osten, in Afrika, Ostasien und auf den Weltmeeren ausgetragen. 13 Millionen getötete Soldaten, Zivilopfer, Kriegsinvaliden, unzählige Waisen und Witwen, verbrannte Erde – das waren die traurigen Folgen des verantwortungslosen menschlichen Handelns und des Missbrauchs von technischem Können.

 

14 Doch die einmal gerufenen Geister wurde man nicht so schnell wieder los; auch nach dem blutigen Kräftemessen zwischen den Großmächten im Weltkrieg setzten sie ihren Veitstanz in Russland fort. 15 Die Menschen dort teilten sich in revolutionäre Rote und konservative Weiße und brachten sich gegenseitig um. 16 Die „rote“ Ideologie war siegreich, die UdSSR wurde gegründet, doch der Totentanz hört nicht auf: Die Revolution frisst nun ihre eigenen Kinder. 17 Große Umbrüche, die mit viel Leid für einzelne Bevölkerungsgruppen verbunden waren, gab es auch im Osmanischen Reich, das schon seit längerer Zeit auf tönernen Füßen stand, fremdbestimmt war und im Weltkrieg schließlich auseinanderbrach. 18 Nach dem Befreiungskrieg proklamierte der türkische Offizier Mustafa Kemal Pascha die Republik Türkei als Nachfolgestaat des Osmanischen Reiches.

 

19 Um den Schrecken künftiger Kriege vorzubeugen, wurde ein sogenannter Völkerbund gegründet; doch was ein rein menschliches Unterfangen ist und nicht auf Gott gründet, kann keinen dauerhaften Frieden gewährleisten. 20 Die Jahre nach dem Weltkrieg waren durch Arbeitslosigkeit, Verbrauchsgüterknappheit, Hunger, Krankheiten und Elend gekennzeichnet. 21 Der Zustand verschlimmerte sich, als nach dem Zusammenbruch der New Yorker Börse auch die USA in eine schlimme Banken- und Wirtschaftskrise gerieten. 22 Die parlamentarischen Regierungen Europas waren zu schwach, um der verworrenen Lage Herr zu werden; der Ruf nach „einer starken Hand“ wurde laut. 23 Eine solche riss zuerst in Italien das Staatsruder an sich: Mussolini wurde zum Diktator. 24 In der allgemeinen Orientierungslosigkeit der Weimarer Republik profilierten sich auch unter den Deutschen Kampfverbände, die Willensstärke und Entschlusskraft propagierten, auf nationales Gefühl und Kameradschaft pochten, Zucht und Ordnung durchsetzen wollten. 25 Sie präsentierten der Bevölkerung „den Schuldigen“ am ganzen Elend: die Juden. 26 Ihnen, aber auch anderen gesellschaftlich „Minderwertigen“ sowie allen nicht Gleichgesinnten sagten sie den Kampf an. 27 Mit der Zeit erwuchs aus diesen radikalen Gruppen eine politische Partei, mit geschickten Demagogen an der Spitze, die den Massen Arbeit, Wohlstand und nationales Ansehen in Aussicht stellten, bis sie schließlich die Wahlen für sich entscheiden konnten. 28 Durch zwei Verordnungen des Reichspräsidenten und ein Ermächtigungsgesetz wurden die Bürgerrechte abgeschafft und das Parlament handlungsunfähig gemacht.

 

29 Die ganze Macht befand sich in der Hand eines Führers. 30 Im Lande herrschten Propaganda und Terror. 31 Die sogenannte „Entjudung“ begann mit dem Boykott jüdischer Geschäfte, Arztpraxen und Anwaltskanzleien, um dann in brutale Gewaltmaßnahmen gegen alle Juden überzugehen. 32 Durch Aufrüstungsmaßnahmen wurde die Wirtschaft belebt, was die Stimmung im Lande anhob und dem Führer den Wind in die Segel blies. 33 Österreich wurde vom Deutschen Reich annektiert. 34 Das  Sudetenland  wurde  eingegliedert,  die  Rest-Tschechoslowakei  besetzt. 35 Polen wurde binnen weniger Wochen von den deutschen Panzern überrollt; andere europäische Staaten fielen danach wie Dominosteine. 36 Über die Schrecken des vorangegangenen Krieges war noch nicht Gras gewachsen, als die Welt sich schon wieder mitten in einem neuen Krieg befand. 37 Ein „Großgermanisches Reich“ bis zum Ural war das Ziel, welches der Führer sich gesteckt hatte. 38 Doch in diesem Krieg ging es nicht nur um Gebietserweiterung. 39 Rassenhygiene, minderwertige Ethnien, Vernichtung „unwerten“ Lebens waren die Schlagwörter der Zeit. 40 Die „Arier“ sollten herrschen, allen anderen wurde die Menschenwürde abgesprochen. 41 Regimetreue Wissenschaftler und Ärzte übertrugen die Evolutionstheorie Darwins auf die gesellschaftliche Ebene, um der aktuellen politischen Ideologie einen wissenschaftlichen Anstrich zu verleihen. 42 Eine große Vernichtungsmaschinerie wurde in Gang gesetzt. 43 Im Deutschen Reich und in den besetzten Gebieten wurden sogenannte Konzentrationslager errichtet. 44 Millionen Menschen, die von den neuzeitlichen Ideologen als Untermenschen betrachtet wurden, allen voran die Juden, wurden dort ermordet, durch Zwangsarbeit ausgebeutet, zu medizinischen Versuchen benutzt, ausgehungert.

 

45 Der „Welt“ war es in dreitausend Jahren nicht gelungen, die Juden von der Erdoberfläche zu tilgen. 46 Diesmal griff daher der Satan selbst ein. 47 Scharfsinniger als alle Doktoren und Professoren zusammen, packte er die Sache an der Wurzel. 48 Er ließ seine Spürhunde auf jüdische Stammbäume los. 49 So wurden viele umgebracht, die bis dahin nicht mal geahnt hatten, dass jüdisches Blut in ihren Adern floss. 50 Der Satan weiß nämlich nur zu gut, dass Gott die Juden bedingungslos liebt; mögen sie in fremden Kulturen auch völlig aufgegangen sein, so bleiben sie dennoch seine auserwählten Kinder. 51 Doch eigentlich hatte er, ohne es zu wollen, dabei Gott in die Hände gespielt: Durch seine misslungene Ausrottungsaktion zeigte er nämlich der ganzen Welt das Geheimnis des Verhältnisses Gottes zu dem jüdischen Volk. 52 So gesehen, ist diese große Tragödie eine Bestätigung für die Juden und zugleich eine Offenbarung für den Rest der Welt, dass Gottes Bund mit seinem auserwählten Volk ewigen Bestand hat und das jüdische Volk daher durch nichts und niemand vernichtet werden kann. 53 Dies sollten alle beherzigen, namentlich diejenigen, die sich selbst als „das neue auserwählte Volk Gottes“ betrachten, Christen wie Muslime.

 

54 Nach dem Krieg wurde den Besiegten für ihre Verbrechen der Prozess gemacht; die Verbrechen der Sieger wurden allerdings nicht prozessiert, sondern entweder vertuscht oder als Heldentaten präsentiert. 55 Die römisch-katholische Kirche, die vor der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten vor ihrer Ideologie warnte, ließ sich später doch auf ein Konkordat mit ihnen ein, in der Hoffnung, dadurch in Ruhe gelassen zu werden. 56 Trotzdem gab es einzelne Katholiken, auch Pfarrer und Bischöfe darunter, die Widerstand leisteten. 57 Einer von ihnen, der Jesu Lehre bis zum bitteren Ende treu blieb und sein Leben bewusst für seinen Nächsten hergab, war ein polnischer Franziskaner namens Maximilian Kolbe.

 

58 Die protestantische Kirche begrüßte zunächst die neue Politik. 59 In ihren Reihen entstand die Glaubensbewegung Deutsche Christen, die nach der Schaffung einer einheitlichen Reichskirche die Kirchenwahlen gewann. 60 Die Deutschen Christen verwarfen das Alte Testament als jüdisch und wollten den Arierparagraphen auch für protestantische Geistliche einführen. 61 Das stieß auf Ablehnung bei vielen Kirchenmitgliedern, die daraufhin die Bekennende Kirche ins Leben riefen. 62 Auch diese Kirche hat einzelne Christen vorzuweisen, die in der historischen Situation ihren Glauben mit aller Konsequenz gelebt haben. 63 Hier ist zum Beispiel der Theologe Dietrich Bonhoeffer zu nennen, nach dessen Überzeugung die christliche Kirche das Wort Gottes nicht nur durch Worte, sondern vor allem durch menschliches Vorbild verkündigen sollte. 64 Seine Entschlossenheit, von den Prinzipien des Evangeliums nicht abzurücken, musste er, wie so viele andere auch, mit dem Leben bezahlen. 65 Ein konsequentes Handeln aus dem Glauben lebte auch der indische Rechtsanwalt namens Gandhi vor. 66 Er rief seine Mitmenschen zum gewaltlosen Widerstand gegen die britische Kolonialherrschaft auf. 67 Betend und fastend, predigte er friedlichen Ungehorsam gegenüber den ungerechten Gesetzen sowie friedliche Annahme des daraus resultierenden Leidens. 68 Er erreichte schließlich sein Ziel, musste es aber mit dem Leben bezahlen. 69 Immer mehr Juden begreifen, dass ein eigenes Land als Heimat aller Juden die einzige Alternative für sie ist, zumal man ihnen auch nach dem Krieg, besonders in osteuropäischen Ländern, mit der gleichen ablehnenden Gesinnung begegnet. 70 Ein Ansturm auf das „Land der Väter“ hat eingesetzt, wobei wegen der Quotenpolitik der britischen Regierung konspirativ vorgegangen wird. 71 Unmittelbar nach dem Abzug der Briten wurde der Staat Israel proklamiert. 72 Noch in derselben Nacht wurde der junge Staat von mehreren Seiten angegriffen; eine Hasswelle brach los, die die Juden ins Meer treiben und Israel von der Landkarte tilgen will. 

 

 

 T e i l     S I E B E N                  KAPITEL  5

 

1 Wenn ich dich je vergesse, Jerusalem, dann soll mir die rechte Hand verdorren. 2 Die Zunge soll mir am Gaumen kleben, wenn ich an dich nicht mehr denke, wenn ich Jerusalem nicht zu meiner höchsten Freude erhebe.

3 Bevor wir Jerusalems gedenken, möchten wir hier jene Städte, Stämme, Völker und Länder erwähnen, deren Andenken man ebenso bewahren soll. 4 Es seien hier erwähnt: der Sudan, Kenia, Somalia, Gambia, die Goldküste, Nigeria, Sierra Leone, Mauritius, Malawi.  5 Nicht vergessen sollen wir Sambia, Sansibar, Tanganjika, Senegal, die Seychellen, Simbabwe, Südafrika, Namibia, Uganda. 6 In unserer Erinnerung sollen bleiben auch Honduras, die Bahamas, Barbados, Dominica, Grenada, Jamaika, Trinidad und Tobago, Guayana, Aden. 7 Gedenken soll man auch der Länder Bahrain, Brunei, Katar, Kuwait, der Malediven, Oman, Singapur, Malta, Zypern. 8 Es sollen nicht in Vergessenheit geraten die Fidschi-Inseln, Marokko, Tunesien, Algerien, Gabun, Dschibuti, Madagaskar. 9 Wir wollen uns auch an die Komoren, Kamerun, Togo, Vietnam, Kambodscha, Laos, die Neuen Hebriden erinnern. 10 Sie alle waren Opfer der nach Reichtum und Macht gierenden europäischen Staaten. 11 Allen voran gingen hier zwei hochgepriesene Demokratien: Großbritannien und Frankreich.

 

12 Die Völker der oben angeführten Länder haben sich teils friedlich teils mit Gewalt aus den Krallen der Kolonisatoren befreit. 13 Jahrzehnte- und jahrhundertelang wurden sie ausgebeutet, ausgeplündert, unterjocht und versklavt. 14 Großbritannien und Frankreich sowie alle anderen Kolonialmächte haben darin natürlich kein Verbrechen gesehen; ihrer Meinung nach haben sie ja durch das europäische „Zivilisationsmodell“den Fortschritt ins Land gebracht. 15 Perfider kann man eigene Verbrechen nicht schönreden. 16 Gerade jene Staaten, die in ihrer Geschichte die meisten Menschenopfer verschuldet haben, zählen penibel die Opfer anderer und entrüsten sich darüber. 17 Wer soll da nicht an den Balken im eigenen und den Splitter im fremden Auge denken. 18 Die unterjochten Völker werden noch Jahrzehnte nach ihrer Befreiung keinen Frieden finden, weil die Grenzen ihrer Länder von den kaltblütigen Imperialisten am Reißbrett gezogen worden sind. 19 Dadurch wurden Stämme und Völker sinnlos und unheilvoll untereinander vermischt, sodass Fehden und Kriege schon vorprogrammiert wurden. 20 Das ist von den ehemaligen Kolonisatoren wieder mal klug berechnet worden, denn nun können sie Waffen und anderes Kriegsmaterial in Kriegsgebiete verkaufen. 21 Wenn es zum Himmel schreiende Sünden gibt, dann ist dies eine davon. 22 Nun wollen die Täter den Opfern Demokratie beibringen. 23 Nach der Katastrophe des zweiten Weltkrieges mit all seinen bösen Folgen wandten sich Menschen verstärkt Gott zu; bei den europäischen Christen, insbesondere den Katholiken, ist eine intensivere Frömmigkeit zu spüren. 24 Vor allem die Österreicher erweisen sich dankbar gegenüber Gott, weil sie überzeugt sind, dass Österreich nur dank der Fürsprache der Mutter Jesu so glimpflich davongekommen ist. 25 Aber auch anderen Völkern erwies der Allmächtige seine übergroße Gnade. 26 Die Juden bekamen nach zweitausend Jahren ihr eigenes Land wieder, wenn auch nur einen Bruchteil vom verheißenen Land und um den Preis blutiger Verteidigungskämpfe. 27 Die Muslime werden von den Mächtigen der Welt endlich ernst genommen, weil die überwiegend muslimischen Länder mit dem größten Teil der Erdölvorräte von Gott beschenkt worden sind. 28 So bekamen Juden, Christen und Muslime durch Gottes Gnade die Chance für einen Neuanfang.

 

29 Die Welt ist in zwei Blöcke geteilt. 30 Auf den Ruinen des zweiten Weltkrieges hat sich der Kommunismus als Alternative zum Kapitalismus fast über die Hälfte der Menschheit ausgebreitet. 31 Leider haben die Kommunisten, deren Vorsätze eigentlich mit den biblischen Grundsätzen identisch sind, Gott verworfen. 32 Sie leugnen seine Existenz und unterdrücken die Gläubigen. 33 Sie beurteilen den Glauben nach den Auswüchsen der jeweiligen Religionsgemeinschaft statt nach den von Gott inspirierten heiligen Schriften. 34 Auf diese Weise haben sie ihre Chance verpasst, die Ideale von Gleichheit, Solidarität und Nächstenliebe mit Gottes Hilfe in die Tat umzusetzen. 35 Stattdessen verschanzen sich die kommunistischen Länder hinter dem Eisernen Vorhang, um den aggressiven, konsumorientierten westlichen Herrschaftsdrang abzuwehren. 36 Die eigene Bevölkerung wird ausspioniert und kontrolliert, und so wie einst die Kirchen mittels Inquisition unerwünschte Personen ausschalteten, so machen es jetzt die Kommunisten, nur noch intensiver und grausamer, wobei sie sich ausgeklügelter psychischer Tortur bedienen. 37 Die zwei Blöcke sind einander feindlich gesinnt und permanent am Rande des Krieges. 38 Statt direkt anzugreifen, lässt man in Drittländern wie Korea und Vietnam die Muskeln spielen.

 

39 Jugoslawien, Indien, Ägypten und Indonesien haben eine Bewegung der blockfreien Staaten gegründet. 40 Es sollte gezeigt werden, dass eine Welt friedlicher Koexistenz, ohne Kriege und ohne militärische Blöcke möglich sei. 41 Leider hat diese Bewegung nicht viel bewirkt, weil einige Führer eher am persönlichen Ehrgeiz als am Frieden interessiert waren. 42 Während die fünfziger Jahre in Aufbruchsstimmung, Aufbau der Städte und Verdrängung der grauenvollen Ereignisse des  zweiten  Weltkrieges  verliefen, änderte  sich  dies  in den sechziger Jahren. 43 Den Menschen ging es besser, sie waren materiell abgesichert, der Krieg wurde bewusst aus der Erinnerung verdrängt. 44 Es begann eine Zeit der Suche und der Infragestellung. 45 Da „die Welt“ auch in der Neuzeit allgegenwärtig ist, hat sie die  aufkommenden Ereignisse geschickt in ihre Richtung zu lenken verstanden. 46 Rockmusik, Feminismus, Studentenunruhen, Hippiebewegung, „mein Bauch gehört mir“, New Age, Drogen, „Kunst- und Kulturwerke“ unter LSD-Einwirkung, Gay-Bewegung, all dies sind Felder, in denen „die Welt“ ihre Fühler ausgestreckt hält. 47 Die christlichen Kirchen haben indes wie meistens geschlafen, oder kamen zu spät, und „wer zu spät kommt, den bestraft die Zeit“. 48 Fast ganze Generationen wachsen gott- und orientierungslos auf, ohne Moral, und siechen dahien. 49 Kaum waren die Folgen der französischen Revolution in der vierten Generation verklungen, schon wurde die Weichen für das Verderben der kommenden Generationen gelegt. 50 Diesmal sind die Kirchen durch ihr Schweigen und ihre Untätigkeit nicht zum Opfer, sondern zum Täter geworden.

 

51 Papst Johannes hatte zwar versucht, durch Einberufung des Konzils frische Luft in die Kirche wehen zu lassen, aber dann beschäftigte man sich so sehr mit sich selbst und mit klerikalen Reformen, dass man für die wahren Probleme der Menschheit, insbesondere der jungen Generation, taub und blind war. 52 Die nicht katholischen Christen, wie zum Beispiel Martin Luther King, wurden aktiv und fingen an, für die Freiheit und gegen die Erniedrigung der modernen „Parias“ zu kämpfen. 53 King wurde ermordet, doch sein Tod bewirkte mehr Gutes als das jahrhundertelange Theoretisieren und Lamentieren der Theologen und Philosophen. 54 Auch John F. Kennedy stand jemandem im Wege; es wurde verschleiert, ob sein Katholizismus oder seine Reformfreudigkeit der Stein des Anstoßes war, oder ob ganz simple politische Motive „der Welt“ im Spiel waren. 55 Im kommunistischen China entbrannte eine Kulturrevolution, die sich die Zerstörung von allem Althergebrachten und Bewährten zum Ziel machte und durch Mord und Totschlag gekennzeichnet war. 56 Dies kam der westlichen Welt wie gerufen. 57 Nun konnten sie mit dem Finger auf die Chinesen zeigen, um die Aufmerksamkeit von sich selbst abzulenken, denn schließlich taten sie seit den Pariser Studentenunruhen selbst das Gleiche! 58 In der muslimischen Welt war das bemerkenswerteste Ereignis die Ausrufung der Islamischen Republik  Iran. 59 Ajatollah Khomeini veränderte nach seiner Rückkehr nach Teheran das Gesicht des schiitischen Islams, und - was den Westen noch mehr aus dem Konzept brachte - das Gleichgewicht der Kräfte in Asien. 60 Nun wollen wir der Eingangsstrophe des Psalmisten gerecht werden. 61 Die Beherrscher der Welt gaben den Juden einen Bruchteil des Landes zurück, welches der Herrscher und Schöpfer der Welt ihnen zugedacht hatte. 62 Nun entrüsten sie sich scheinheilig und heuchlerisch über die Teilung Berlins und den Mauerbau, obwohl sie selbst mit Jerusalem das Gleiche taten, indem sie einen Teil den Juden und den anderen Teil dem Königreich Jordanien zuwiesen. 63 Die Ereignisse der Tage verliefen jedoch anders als die Mächtigen es sich vorgestellt hatten. 64 Im Sechs-Tage-Krieg eroberte Israel das jüdische Kernland und brachte die ganze Stadt Jerusalem unter jüdische Herrschaft. 65 Für die Juden waren die Tage wie eine Reprise der Zeiten König Davids. 66 Als sich dann unter Papst Johannes Paul das Verhältnis der römisch-katholischen Kirche zu den Juden und den Muslimen normalisierte, konnten die Juden, zumindest in katholischen Gegenden, wieder aufatmen. 67 Dieser Papst hat unter anderem zwei wichtige Personen kanonisiert, Maximilian Kolbe und Edith Stein. 68 Maximilian Kolbe ist ein leuchtendes Beispiel für wahre Liebe und wahrhaftiges Leben, ein Mahnzeichen für die jetzige selbstsüchtige, „sich selbst verwirklichende“ Generation. 69 Als Mönch hat er sein Leben freiwillig und bewusst geopfert, um anstelle eines Familienvaters den Hungertod im KZ zu erleiden. 70 Auch Edith Stein, eine katholische Nonne, die nie aufgehört hatte Jüdin zu sein, kam im KZ ums Leben. 71 Sie kann als eine Art Brücke zwischen Juden und Christen angesehen werden, weil sie in ihrer Person beide Arten der Anbetung des einen Gottes vereinte. 72 Um das Unüberbrückbare zu überbrücken, starb sie, und hinterließ Liebe und Licht, wo Hass und Mord regierten.

 

 

T e i l     S I E B E N                  KAPITEL  6

 

1 Er gewährte seinem Volk Erlösung und bestimmte seinen Bund für ewige Zeiten. 2 Die Furcht des Herrn ist der Anfang der Weisheit, alle, die danach leben, sind klug. 3 Betrachtet man die gegenwärtige Welt, so wird der Blick des Betrachters zunächst von ihrer Schokoladenseite gefesselt. 4 Dem Menschen geht es so gut wie nie zuvor. 5 Es gibt ein Überangebot an allem, seien es nun Lebensmittel oder andere materielle oder geistige Güter. 6 Die Menschen leben länger als früher, die Kindersterblichkeit ist so gering wie nie. 7 Das Wissen ist schon lange nicht mehr nur einer Elite vorbehalten, dank Internet sind alle Informationen sofort abrufbar. 8 Es gibt ein breites Bildungsangebot für jedes Lebensalter, man ist aufgeklärt und selbstbewusst. 9 Physische Arbeiten werden von Maschinen erledigt, die Arbeitszeit ist flexibel, die Urlaubstage werden immer mehr. 10 Senioren können dank gesetzlicher Renten-, Gesundheits-, und Pflegeversicherung einen sorglosen Lebensabend genießen. 11 Sklaverei und jegliche Art von Unterdrückung sind gesetzlich verboten, Minderheiten genießen die gleichen Rechte wie die Mehrheit der Bevölkerung. 12 Neben den Regierungen kämpfen verschiedene Organisationen gegen die gesellschaftlichen Auswüchse wie Menschen-, und Drogenhandel, Kinderarbeit, Pädophilie usw. 13 Die Großmächte verhandeln über den Abbau von Chemiewaffen und die Minderung von umweltbelastenden und gesundheitsschädigenden Chemiesubstanzen in Landwirtschaft, Industrie und Medizin. 14 Man will die Erde gesund erhalten und macht sich Gedanken über Atomkraftwerke und Atomwaffen. 15 Es werden zunehmend alternative Energiequellen genutzt. 16 Tierhaltungsverordnungen sorgen für tiergerechte Haltung von Schlachttieren. 17 Tierschutzorganisationen kümmern sich um die vom Aussterben bedrohten Tierarten. 18 Man ist bemüht, durch verschiedene Schutzverordnungen die Pflanzenvielfalt zu erhalten.  19 Es gibt eine Menge staatlicher und privater Hilfsorganisationen, die sich um die Armen in der Dritten Welt kümmern. 20 So gesehen ist die Welt zwar noch verbesserungswürdig, aber es läuft alles in die richtige Richtung; diese Sichtweise ist vor allem in den westlichen Regierungskreisen, Organisationen und verschiedenen mächtigen Lobbys anzutreffen.

 

21 Wenden wir uns nun der Kehrseite der Medaille zu. 22 Das Recht auf Leben von der Empfängnis bist zum natürlichen Tod ist nicht mehr gewährleistet. 23 Babys im Mutterleib dürfen mit gesetzlicher Erlaubnis getötet werden. 24 Die Befürworter der Abtreibung bilden mächtige Lobbys; ob sie sich bewusst sind, dass sie selbst ihr Leben nur dem Glück verdanken, dass ihre Mütter sie nicht abgetrieben haben, bleibt zu bezweifeln. 25 Die körperliche Unversehrtheit wird nur auf dem Papier garantiert, in Wahrheit werden an Menschen Medikamente getestet, Organe werden  auch ohne Zustimmung entnommen, Embryonalversuche durchgeführt. 26 In staatlichen Bildungsinstitutionen werden Kindern Werte vermittelt, die für ihre Eltern als unmoralisch, obszön, ja krankhaft gelten. 27 Eltern, die sich das nicht gefallen lassen, werden ihre elterlichen Rechte abgesprochen und die Kinder weggenommen. 28 Auch infame Lüge wird nicht mehr gesetzlich verfolgt. 29 Dies hat der üblen Nachrede und Verleumdung Tür und Tor geöffnet. 30 Die Medien machen in großem Maße davon Gebrauch, um alle unliebsamen Menschen zu verunglimpfen, mundtot zu machen, ihnen Ansehen, Würde und Handlungsfreiheit zu rauben. 31 Dies nennt man dann Presse- und Meinungsfreiheit. 32 Dabei deklarieren ihre Lobbyisten jede gegen sie selbst   gerichtete kritische Meinungsäußerung als Hassrede und lassen ihre Kritiker gesetzlich verfolgen.  33 Auf diese Weise ist das vom Kommunismus her berüchtigte Verbaldelikt in die „freiheitlich – demokratische“ Gesellschaft implementiert worden. 34 Schlimmer noch: Was im Mittelalter die Inquisition und im Nationalsozialismus Goebbels´ Propagandamaschinerie erledigten, tut jetzt der mediale Mainstream. 35 Lügen und Verleumdung in Medien und Politik kennen keine Grenzen. 36 Dabei sind die Christen unter ihnen um keinen Deut besser.

 

37 Die Menschen Osteuropas haben ihre Reisefreiheit mit Abhängigkeit von dem neuen  Wertesystem  bezahlen müssen, welches auf Lug und Trug aufgebaut ist. 38 Unter dem Deckmantel der Demokratisierung, Zoll- und Reisefreiheit wird Neokolonialismus durch die Hintertür eingeführt. 39 Wer sich widersetzt, wird bestraft. 40 In Afrika und Asien hat der „friedliebende“ Westen eine Reihe von Kriegen entfacht: in Ägypten, Libyen, Syrien, Irak, Afghanistan usw. 41 Der Gipfel der Ironie dabei ist, dass die Waffen, mit denen diese Kriege geführt werden, von jenen  verkauft  worden  sind, die  in der Öffentlichkeit  für den Frieden eintreten. 42 Und solche „Friedensstifter“ werden für ihre „Verdienste“ dann noch mit dem Friedensnobelpreis geehrt. 43 Christentum und Judentum sind jedes in seine Weltanschauungsnische gedrängt worden, um den Eindruck des Pluralismus zu wahren. 44 Der Islam, zumindest sein größter Teil, lässt sich jedoch auf kein Nischendasein ein. 45 Aus diesem Grund haben die „Weltstrategen“ dem Islam generell den Kampf angesagt. 46 Das Zauberwort der Islamophoben heißt „Fundamentalismus“, ein  Schreckgespenst  des medialen Mainstreams für das naive Publikum. 47 Flüchtlinge aus Asien und Afrika spalten die Politik und die Menschen im Westen. 48 Es scheint vergessen worden zu sein, dass sie eigentlich das Ergebnis der „friedliebenden“ westlichen Politik und ihrer Rolle im „Arabischen Frühling“ sind.

 

49 All diese Beobachtungen führen bei manchen Menschen zu der Überzeugung, dass die Welt von der „Welt“ regiert wird, die alle Gesetze, Vorschriften und Gebote des Herrn ins Gegenteil zu verkehren sucht. 50 Um zu retten, was noch zu retten ist, versuchen sie sich zu organisieren und ihre Stimme zu erheben. 51 Die meisten Menschen der Erde schweigen jedoch und harren der Dinge. 52 Ob sie Angst haben, ihre Meinung zu äußern, oder vielleicht gar keine Meinung dazu haben? 53 Möglicherweise haben sie resigniert! 54 Allen solchen möchten wir zurufen: Fürchtet euch nicht! 55 Gott ist der Herr der Welt seit Anbeginn und wird es auch immer bleiben. 56 Und Er wird mit den Kleinen die Großen besiegen, mit den Niedrigen die Mächtigen von ihren Thronen stürzen. 57 Es gibt in allen drei Religionen  noch  sehr  viele  demütige,  fromme  und Gott tief ergebene Menschen. 58 Mekka, Medina, Jerusalem, Safed, Guadeloupe, Taize, Medjugorje und viele andere Punkte auf der Erdkugel sind Orte der Hoffnung. 59 Menschen beten, opfern, legen ihr Leben und ihre Zukunft in die Hände des Schöpfers. 60 Gebetskreise, Gruppen und Zirkel schießen wie Pilze nach dem Regen; dort wird gebetet, gefastet, über die heiligen Schriften nachgedacht.

 

61 Gebet und Fasten sind die stärksten „Waffen“ in dieser Welt. 62 Mit ihnen verdient man keinen Nobelpreis, keine öffentliche Anerkennung, dafür aber einen Seelenfrieden und ein Leben, in dem man Gott begegnet und mit ihm unterwegs ist. 63 In der Folge beginnt man dann alle Menschen, auch die die anders denken oder  sich  zu  einem anderen Glauben bekennen, zu lieben und ihnen zu helfen. 64 Hunderttausende ehrenamtliche Flüchtlingshelfer verbreiten einen frischen Duft der Nächstenliebe und Solidarität. 65 Es freunden sich immer mehr gläubige Juden, Muslime und Christen an. 66 Viele Christen und Muslime sehen ein, dass das ganze Eretz Israel den Juden gehören sollte; nicht, weil die Juden es so möchten, sondern weil Gott es so bestimmt hat. 67 Immer mehr Juden begreifen auch, dass Israel seine Politik gegenüber den Muslimen ändern, sie in Übereinstimmung mit der Thora gestalten muss: Der Fremde, der sich bei euch aufhält, soll euch wie ein Einheimischer gelten, und du sollst ihn lieben wie dich selbst; denn ihr seid selbst Fremde in Ägypten gewesen. 68 Eine Menge Juden erkennen Jesus aus Nazareth zwar nicht als Messias an, wohl aber als einen sehr weisen jüdischen Rabbi. 69 Auch westliche Christen erkennen im Islam langsam eine wahre, vollkommene Hingabe an Gott. 70 All dies und noch vieles mehr sind Zeichen, die uns hinsichtlich der Zukunft vertrauensvoll und zuversichtlich stimmen sollten, denn im Verborgenen gestaltet Gott durch all seine anonymen Diener schon heute das „Morgen“ der Welt. 71 Auch dich ruft Er zur Mitarbeit an der Realisierung seines Plans auf. 72 Wenn Du willst, wird Er dir seinen Plan offenbaren, und Du wirst deinen wertvollen, unverwechselbaren Teil dazu beitragen können.

 

 

DER  RUF  GOTTES

 

I

1 Als der Herr den Garten Eden anlegte und die Menschen erschuf, gewann Er beides lieb: die Menschen und den Garten. 2 Durch ihren Ungehorsam erwiesen sich Adam und Eva des Gartens unwürdig und wurden weggeschickt. 3 Der Garten Eden besteht jedoch im Verborgenen weiter und der Herr hat ein besonderes Augenmerk auf drei Pflanzen. 4 Die erste davon ist die Lilie, die zweite die Rose, die dritte die Olive. 5 Da die Menschen durch ihr Streben nach Erkenntnis dieselbe verloren haben, blieb der Garten Eden ihren Augen verborgen, der Himmel ihren Herzen verschlossen. 6 Den Herrn reute das Unglück und die Verlorenheit der Menschen und Er entschied es mit ihnen erneut zu versuchen, sie aufzubauen und zu pflegen, genauso wie Er sich um die drei Pflanzen kümmerte.

 

7 Wie eine Lilie in der Wüste - anmutige Blüte unter Milliarden von Sandkörnern - so bezaubernd und lieblich ist Israel unter den Völkern. 8 Die Knolle, die Wurzel der Lilie, hat der Herr einmal im Land Kanaan eingepflanzt. 9 Die Blüten vergehen, die Stängel verschwinden, aber die Wurzel bleibt und treibt immer wieder neu aus, auch nach Jahrtausenden. 10 Durch ihre Schönheit verbreitet die Lilie die Erkenntnis über ihren Schöpfer, dem Herrn des Alls, dem Gebieter über Leben und Tod. 11 Ihr Liebreiz betört die Völker, verlockt sie zur Suche nach Gott, dem Vater Israels. 12 Spuren des Ursprungs, des verlorenen Gartens Eden, des Seins, des Sinns, Spuren in der Thora, im Mitmenschen, in der Natur, im eigenen Herzen. 13 Wie Tau senkt sich die Thora ins Gedächtnis der Völker, die Offenbarung Gottes an Israel als Botschaft auf alle Menschen. 14 Mit ihren Gesetzen und Rechtsvorschriften - mit blutigen Lettern auf die Herzen geschrieben - stehen die Israeliten wie die Präambel einer noch zu schreibenden Weltverfassung für eine bessere Welt, für die Rückkehr in den Garten Eden.

 

15 Nachdem die Kunde des Gottesvolkes die Völker erreichte und die Lilie ihre erste Aufgabe erfüllt hatte, kam die robustere und widerstandsfähigere Rose. 16 Wie ein persönlicher Gruß des Höchsten an jeden einzelnen Menschen ist die Blüte der Rose, wie eine Einladung zur Begegnung mit dem Herrn. 17 Mal weiß wie die Unschuld, mal rosa wie die Geborgenheit, mal rot wie die Liebe. 18 Mal Augenweide, mal duftende Quelle, mal stechender Dorn. 19 Die Rose - das ist Jesus aus Nazareth und seine Botschaft. 20 Seine Botschaft über die rechte Lebensweise ist für jeden, der sie beherzigt, der leichteste Weg ins Himmelreich. 21 Ein jeder, der Jesus akzeptiert und seine Ratschläge annimmt, wird der persönlichen Erfahrung des Herrn, des Einzugs in den Garten Eden würdig.

 

22 Und schließlich ist da noch die Olive. 23 Sie breitet ihre Äste über die Lilie und die Rose und bringt reiche Früchte, vorzügliches Öl, Salbung für die ganze Welt. 24 In der Olive werden, Gotteserkenntnis und die Gesetze Israels -der Lilie sowie die Anleitung zur rechten Lebensweise -der Rose, zusammengefasst in einer Unterweisung für alle Nationen. 25 Die Schönheit der Lilie und der Duft der Rose münden in der Fruchtbarkeit der Olive. 26 Unter den Ästen der Olive werden Lilie und Rose geborgen und geschützt. 27 So wurde es geplant, so wird es auch durchgeführt. 28 Aber durch die Unzulänglichkeit der Menschen wurde der Plan verlangsamt. 29 Lilie, Rose und Olive, stellvertretend vor dem Herrn für Israeliten, Christen und Muslime. 30 Drei Pflanzen aus einem Garten, drei Religionen des Einen Herrn. 31 Drei Schriften eines Glaubens: Thora, Evangelium, Koran.

 

32 Der Herr schaut anders als die Menschen, Er sieht die Dinge anders als die Menschen. 33 Die Menschen nehmen Katastrophen, Unglücke, Seuchen, fremdes Fehlverhalten wahr. 34 Das alles deuten sie als Strafe, als Vergeltung für die Missetaten der Anderen, die nicht auf ihre Weise glauben und leben. 35 Der Herr schaut vor allem auf das Herz und die Nieren, auf das Verborgene im Menschen. 36 Auf seine Einstellung dem Nächsten gegenüber, sein Wirken in der Gemeinschaft, seine inneren Sehnsüchte, Stärken und Schwächen, auf seine Freude. 37 Der Mensch schreibt das Schlechte, wie Katastrophen und Schicksalsschläge, dem Herrn zu, nicht aber das Wohlergehen, Glück und Freude. 38 Alles Schöne, Gute, Angenehme, das vom Herrn kommt, betrachtet er als selbstverständlich. 39 Andererseits vergisst er, dass all das Schwere, was der Herr schickt, ausschließlich seiner Umkehr, Erbauung und seinem Wachstum dient.

 

40 Es gibt zwei Verhaltensweisen der Menschen, die den Herrn traurig stimmen. 41 Aus diesen Gründen versteckt Er sich und zieht sich zurück. 42 Das tut Er, wenn die Menschen nur zu ihm kommen, weil ihre Vorschriften sie dazu zwingen, weil sie etwas brauchen, oder weil es ihnen schlecht geht. 43 Sie vergessen ihn aber, wenn es ihnen gut geht, wenn sie feiern, glücklich sind, singen, tanzen, das Leben genießen. 44 Dabei möchte Er so gerne mit ihnen zusammen sein in ihrem Glück und ihrer Freude. 45 Werden sie ihn im Paradies überhaupt beachten, umgeben von Glück und Seligkeit, oder werden nur die Unglückseligen aus der Hölle zu ihm rufen? 46 Verstecken tut sich der Herr  auch  wegen all  den  Wissenschaftlern,  Theologen  und  Philosophen. 47 Was würden sie erst aus dem Herrn und der Welt machen, würden sie seine Geheimnisse und die Geheimnisse der Entstehung der Welt kennen? 48 Darum steckt in jedem guten alten Kindermärchen mehr Wahrheit über den Herrn und die Welt, als in allen wissenschaftlichen Formeln und Theorien, philosophischen Richtungen und theologischen Abhandlungen. 49 Der Herr offenbart den Kleinen und Unmündigen all das, was Er den Gelehrten und Klugen verbirgt. 50 Im Kleinsein, in Demut, Einfachheit und Aufrichtigkeit des Herzens ist alles Wissen enthalten, das der Mensch braucht, um glücklich zu werden, jetzt und in Ewigkeit. 51 Durch unablässiges Forschen nach den Geheimnissen des Herrn, durch festliches Feiern ohne den Herrn, verhärten sich die Herzen, der Verstand wird hochmütig, der Mensch verblendet. 52 Es sind die schwerwiegendsten Fehler der Menschen seit der Vertreibung aus dem Garten Eden und zugleich die größten Hindernisse, um wieder dorthin zu gelangen.

 

53 Deshalb sind die Lilie, die Rose und die Olive Richtungsanzeiger, Wegweiser zum Garten Eden, zum Paradies. 54 Nun sind aber auch sie verwildert und müssen beschnitten, erneuert und in die ursprüngliche Richtung gebracht werden.  55 Aus diesem Grund dieses Buch. 56 Um auf Fehler hinzuweisen und neue Anweisungen zu geben.

 

57 Nun zuerst zu dir, Volk Israel, Haus Jakobs. 58 Trotz all deiner Sünden, Verfehlungen und Treulosigkeit hat der Herr und wird der Herr dich nicht verlassen, denn du bist sein persönliches Eigentum. 59 Obwohl du oft geglaubt hast, und auch heute noch glaubst, vom Herrn gemieden zu werden. 60 Zumindest meinten und meinen dies viele deiner Hirten und Führer. 61 Aus diesem Grunde haben sie deine Geschicke in die eigene Hand genommen und das niedergeschrieben, was nie hätte niedergeschrieben werden dürfen. 62 Da der Herr Vertrauen hatte und wollte, dass manche Sachen immer nur mündlich weitergegeben werden, die Lehrer Israels es aber „besser wussten“, so hat das Niedergeschriebene die Weisungskraft und Deutungsrichtigkeit verloren. 63 Und weil sie selbst schon spürten, dass dem so sei, versuchten sie es wieder in Ordnung zu bringen, indem sie immer neue Geschichten und Vorschriften dazuschrieben, und so eine Thora um die Thora geschaffen haben. 64 Das verwirrte die Menschen immer mehr, eine Teilung und Zersplitterung begann, die Einheit ging verloren. 65 Man hat versucht, das Schicksal des Volkes Gottes selbst in die Hand zu nehmen. 66 Die Führer wurden immer selbstständiger, erfinderischer und dreister, sie missachteten die Warnungen der Propheten, die Ratschläge der Frommen. 67 In ihrer Gelehrtheit haben sie sich schließlich eingebildet, das letzte Wort des Herrn zu kennen und zu besitzen. 68 Sie setzten sich auf den Platz des Herrn im Haus Jakob. 69 Dadurch legten sie den Grundstein für ihr Straucheln und für viele Leiden des Volkes Israel.

 

70 Christen, welche der Herr durch Jesus aus Nazareth aus dem Judentum hervorgehen ließ, hatten anfangs ihre Liebe und Treue auch um den Preis der Verfolgung und des Todes erwiesen. 71 Wie eine blutrote Rose waren sie, solange sie demütige Diener der Mitmenschen und des Herrn blieben, liebenswürdig, hilfsbereit, bescheiden. 72 Bis auch unter ihnen Hirten aufstanden, welche meinten, dass es nicht möglich sei, die Herde ohne feste Zügel zu führen. 73 Auch sie fingen an, sich abzugrenzen, Zäune zu errichten, zuerst gegen die nicht jesusgläubigen Juden, später auch gegen alle anderen, denen sie eigentlich durch ihr eigenes Leben und Beispiel die Frohe Botschaft hätten verkünden sollen. 74 Das Leiden und Zeugnisgeben der Christen berührten den Herrn und Er gab ihnen einen wohlgesonnenen Herrscher aus dem Heidentum. 75 Anstatt in großer Freude und Jubel weiterhin die Grundsätze Jesu von Nazareth zu leben, ergriffen ihre Führer sofort die Gelegenheit, sich an der Macht zu beteiligen. 76 Und wie vor ihnen schon die jüdischen Führer, so setzten sich nun auch die christlichen Führer an die Stelle des Herrn für die Gläubigen. 77 Zuerst verleugneten sie das jüdische Fundament des Christentums, dann entledigten sie sich auch der jüdischen Brüder. 78 Sie haben die Tatsache verdrängt, dass der Herr schon zu Mose und zu Pharao gesagt hat: Israel ist mein erstgeborener Sohn! 79 Es war dann nur noch ein Schritt, bis sie sich und das Christentum als das neue auserwählte Volk proklamierten und die Juden als verworfen abstempelten.

 

80 Die Verfechter der Macht und der Herrschaft unter den christlichen Gelehrten und Führern wurden immer stärker, während die große Mehrheit der einfachen Menschen an den ursprünglichen Werten des Dienens und der Liebe festhielt. 81 Um sich auch ihnen als Stellvertreter des Herrn aufzudrängen, ersannen die Schrift- und Machtgelehrten immer neue Glaubenssätze, theologische Spitzfindigkeiten, verordneten den Gläubigen immer neue Verhaltensweisen. 82 Wenn die Gläubigen es nicht freiwillig annahmen, wurden sie bestraft, verbannt oder aus den Gemeinden ausgeschlossen. 83 Auch den christlichen Hirten ist es gelungen, wie früher schon den jüdischen, das Licht des Glaubens zu verschleiern, die Anleitung zur richtigen Lebensweise zu verfälschen.

 

84 Als dann der Herr seine Verheißung an Hagar zu erfüllen begann und die Muslime als einen fruchtbaren Olivenbaum entstehen ließ, begann die nächste Phase seines Planes, damit einhergehend aber auch das Zittern jüdischer und christlicher Führer. 85 Die ganze Welt sollte den Herrn kennenlernen, alle Länder der Erde - ausgenommen das Land Israel -  sollten nach den Gesetzen des Koran leben. 86 Der Anfang war verheißungsvoll, da sich der Islam mit Hilfe des Herrn blitzartig verbreitete. 87 Aber auch dort musste man nicht lange auf Schwierigkeiten warten. 88 Nach dem Tod des Propheten zerstritten sich die führenden Persönlichkeiten und manche der Hirten wurden zu reißenden Wölfen. 89 Die Koraninterpretation wurde vernebelt, was Missdeutungen und Spaltungen zur Folge hatte. 90 Trotzdem half der Herr auch weiterhin bei der Verbreitung des Islam. 91 Als aber die Führer und Hirten des Islam begannen, an ihre eigenen Vorteile, an Macht, Eroberung von Territorien und Schätzen zu denken, Juden und Christen zu drangsalieren, blieb die Hilfe des Herrn aus. 92 Anstatt sich zu besinnen und zu den Fundamenten zurückzukehren, trieben sie ihr Unwesen in der ganzen Welt und machten den Koran zu einer Waffe anstatt zu heiliger Arznei, als welche er gegeben worden war. 93 Eine Waffe, mit deren Hilfe jene Kinder Allahs umgebracht wurden, die ihren Vorstellungen nicht entsprachen, seien es nun Juden, Christen, Heiden oder sogar Muslime.

 

94 Nun sind aber alle drei Pflanzen, Olive, Rose und Lilie, verwildert, sich selbst und dem Herrn entfremdet. 95 Und es ist höchste Zeit für Umkehr, Versöhnung, Veredelung! 96 Aus diesem Grunde entstand diese Unterweisung, dieses Buch. 97 Es ist nicht mehr und nicht weniger als eine letzte Chance für alle drei, den Eingang zum Garten Eden doch noch wiederzufinden.

                                                                 

II

98 Von allen drei Gemeinschaften haben sich die Israeliten im Laufe der Geschichte am wenigsten schuldig gemacht. 99 Sie haben die wenigsten Untaten begangen, jedoch am meisten gelitten. 100 Trotzdem haben sie wegen ihrer unbeschnittenen Herzen und Sturheit zwei für ihr Schicksal entscheidende Augenblicke verpasst. 101 Zum einen war es das Auftreten Jesu von Nazareth. 102 Er vollbrachte viele Zeichen und Wunder, er redete mit Vollmacht, zu seiner Zeit lebte Israel einigermaßen in Frieden, der Tempel stand in voller Pracht. 103 Die geistigen und weltlichen Führer der Juden fürchteten aus diesem Grunde, er könnte tatsächlich der Messias sein. 104 Denn vom Messias erwarteten sie den Sieg über alle ihre weltlichen Feinde, Jesus aber predigte den Sieg eines jeden Menschen über sich selbst. 105 Für die an Luxus, Ansehen und Respekt sowie an weltliche Politik gewohnten Führer war das ein Albtraum. 106 Das war Grund genug, um Jesus zum schlimmeren Feind zu erklären, als die römischen Herrscher es waren. 107 Nun geschah mit ihnen Ähnliches wie damals mit dem Pharao, als Mose vor ihm stand und ihm erklärte, dass die Israeliten gehen sollten, ihrem Herrn zu opfern. 108 Sein Herz verhärtete sich so sehr, dass es zum Tod der Erstgeborenen kommen musste, bevor die Israeliten aus der Sklaverei erlöst werden konnten. 109 Mose musste infolge des Ungehorsams und Unglaubens der Israeliten sterben, ohne deren Einzug in das verheißene Land mitzuerleben. 110 Auch Jesus musste sterben, ohne die innere Umkehr der Juden mitzuerleben. 111 Als dann aber viele Heiden durch Jesu Evangelium zum Glauben an den Herrn kamen, war es für die  jüdischen  Führer  ein  Grund  mehr,  Jesu  Lehre  zu  verwerfen und die Anhänger derselben zu verfluchen, zumal manche von ihnen Jesus für eine Erscheinung des Herrn hielten. 112 Es war der Anfang eines Jahrtausende langen Leidensweges für beide Seiten. 113 Nun eine Frage an die heutigen Führer der Juden. 114 Ihr kennt ja die Stelle in der Thora, wo der Herr zu Mose sagt: Hiermit mache ich dich für den Pharao zum Gott; dein Bruder Aaron soll dein Prophet sein. 115 Um wieviel leichter, positiver und glücklicher wäre der Weg der Israeliten ins verheißene Land gewesen, hätte der Pharao Mose wie Gott respektiert. 116 Wäre die ganze Weltgeschichte, insbesondere aber eure, bis auf den heutigen Tag nicht anders verlaufen? 117 Was stört euch also, wenn die Gojim heute den Juden Jesus aus Nazareth als Gottessohn respektieren und  durch  ihn  zur  Erkenntnis  der Thora und  zu eurem Herrn gelangen? 118 Anstatt sie zu verfluchen, solltet ihr selbst, jeder für sich persönlich, seine Lehre beherzigen, ohne dadurch Abstriche von euren Thorapflichten zu machen. 119 Die Juden, welche schon früher Christen geworden sind und deswegen von euren Ältesten mit dem Bann belegt wurden, müsst ihr wieder in die jüdische Glaubensgemeinschaft aufnehmen. 120 Ihr müsst als Volk weiterhin die Thora befolgen, aber als einzelne Personen in eurem Privatleben versuchen, nach Jesu Lehre zu leben, um die Tür zum Garten Eden zu öffnen.

 

121 Der zweite entscheidende Augenblick, in dem ihr das Richtige zu tun verpasst habt, war damals, als der Herr die an Hagar gegebene Verheißung für die Ismaeliten zu erfüllen begann. 122 Ihr habt dem Propheten, den Er unter euren Brüdern erwählt hat, nicht geglaubt. 123 Im Gegenteil, ihr habt ihn ausgelacht und verspottet. 124 Wegen seiner Einfachheit habt ihr ihn in eurer hochmütigen Gelehrtheit verkannt, doch gerade er war als Schutz gegen die wildgewordenen Christen für euch gedacht. 125 Es war ein Angebot des Herrn an euch, aber ihr habt es abgelehnt und wurdet wegen eurer Redegewandtheit und eures Wissens zur Gefahr, welche die zarte Pflanze des Islam zu vernichten drohte. 126 Aus diesem Grund hat der Herr selbst dem Propheten und seinen Anhängern geholfen und die Folgen davon habt ihr bald zu spüren bekommen. 127 Die Ismaeliten sind eure Blutsverwandten, die Muslime sind eure Glaubensbrüder. 128 Ihr sollt sie als solche respektieren und als zum gleichen Herrn gehörende betrachten und behandeln. 129 Euch wurde die Thora gegeben, damit ihr danach lebt und damit durch euch und eure Schriften die ganze Welt zur Erkenntnis des Herrn kommt. 130 Ihnen wurde der Koran gegeben, damit sie danach leben, aber auch damit in allen Ländern der Erde seine Rechtsprechung angewandt wird. 131 Im Sinne der Unterwerfung seid Ihr selbst Muslime, die ersten, auserwählt lange bevor Mohammed auftrat. 132 Ihr müsst Mohammed als Propheten anerkennen, obgleich er nicht zu euch gesandt wurde, nicht für euch Vorschriften und Richtlinien bekommen hat, sondern für eure ismaelitischen Brüder und den Rest der Welt. 133 Ihr habt sowohl Jesus als auch Mohammed aufgrund eurer Engstirnigkeit verkannt, denn schon Mose hat über euch geklagt: Aber einen Verstand, der wirklich erkennt, Augen, die wirklich sehen, und Ohren, die wirklich hören, hat der Herr euch bis zum heutigen Tag nicht gegeben. 134 Einzig und allein deswegen, weil ihr die Ersten seid, weil euch der Herr auserwählt und erzogen hat, habt ihr den einzigartigen, bevorzugten Status in der Welt, mit eigenem Land, eigenen Vorschriften, eigener Rechtsprechung.

 

135 Und nun ein Auftrag des Herrn an euch. 136 Aus der Tanach müsstet ihr schon längst erkannt haben, und wenn nicht, dann sagt es der Herr euch jetzt, dass die Zeit der Tieropfer von vornherein begrenzt war und längst abgelaufen ist. 137 Weil ihr das nicht ernst genommen habt, ist euch der Tempel bis heute verwehrt worden. 138 Nun sollt ihr es aber erkennen und den Tempel aufbauen in dem Sinne, wie es euch der Herr durch den Propheten vorhergesagt  hat:  Mein  Haus  wird  ein  Haus des Gebets für alle Völker genannt. 139 Bevor ihr das tut, sollt ihr eure Gesetzgebung ändern.

 

140 Erinnert euch an Abram, als er dem Priester des Höchsten Gottes den Zehntel von allem gab. 141 So sollt ihr eure Opfer entrichten: Alles, was euch an Tier-, Getreide- und sonstigen Opfern vorgeschrieben war, müsst ihr in Geld und Zeit umrechnen. 142 Zuallererst ist es wichtig, ein Zehntel der Zeit zu opfern. 143 Für alle Opferarten sollt ihr entsprechende Vermögenswerte berechnen, die es ermöglichen, in gleichem Umfang dem Herrn zu opfern, wie es eure Väter einst mit Tier- und Getreideopfer taten. 144 Geistige Vorsteher, Rabbiner und Vertreter der gläubigen Juden, und zwar aus allen Glaubensrichtungen und aus allen Ländern, sollen von den Gemeinden anteilmäßig in ein Gremium von 720 Mitgliedern ernannt werden. 145 Diese 720 Vertreter sollen an Schawuot in Jerusalem zusammentreffen, die Festtage vorschriftsmäßig begehen und anschließend unter sich 72 Personen durch das Los ermitteln, welche die Umsetzung der Gesetzgebung in entsprechende Geld- und Zeitopfer ausarbeiten sollen. 146 Über die Wahl, Anteilsmäßigkeit und Sendung der 720 Vertreter sowie den Auslosungsmodus der 72 Vertreter und alle anderen Details sollt ihr Juden innerhalb kürzester Zeit selbst bestimmen, denn ihr seid auch sonst in solchen Sachen ein ausgesprochen wendiges Volk. 147 Diese 72 Vertreter sollen auch alle damit verbundenen Vorschriften bezüglich ihrer aktuellen Machbarkeit überprüfen, immer vor Augen habend, den Menschen das Joch zu erleichtern ohne die Gebote ins Gegenteil zu verkehren. 148 Ganz speziell sind da die vielen rabbinischen Vorschriften gemeint, die zum Schutz der Thoragebote verfasst wurden. 149 Diese sollen den Menschen die erforderlichen Handlungen tatsächlich erleichtern, das Leben verschönern und die Menschen dadurch dem Herrn näherbringen. 150 Alles was dieses Gremium nach der Beratung beschließt und entscheidet, soll allen Israeliten als Teil der Thora gelten, da es im Auftrag des Herrn geschehen ist. 151 Von da an sollen die Israeliten keine Ausrede mehr haben, alle Gebote erfüllen zu müssen. 152 Nachdem alles Beschlossene niedergeschrieben worden ist, soll es dem Tanach hinzugefügt werden. 153 So wie einst die Israeliten in der Wüste gestorben und nur ihre Nachkommen ins verheißene Land gekommen sind, so sollen jetzt auch die alten Vorschriften durch jüngere ersetzt werden, um dem Neuen Tempel Sinn und Inhalt zu geben.

 

154 Daraufhin müsst ihr zum Bau des Tempels schreiten. 155 Und zwar auf dem  Platz  vor  der  Mauer,  den  ihr jetzt zum Klagen und Beten benutzt. 156 Der Tempel soll die Form und die Farben einer aufgeblühten, aufrechtstehenden Lilie haben. 157 So wird er Israel symbolisieren und es müssen keine heiligen  Stätten der Muslime oder Christen weichen oder zerstört werden. 158 Der Tempel soll aus besten Baumaterialien gebaut werden, die es zurzeit gibt, nach modernsten architektonischen, technischen und ästhetischen Erkenntnissen. 159 Alle an Projektierung, Planung und Bauausführung Beteiligten müssen praktizierende gläubige Juden sein. 160 Durch den „Stängel“ der Lilie  sollen  die  Aufstiegstreppe  und  die Fahrstühle zum „Kelch“ führen 161 Ebenerdig, um den „Stängel“ herum, sollen Nassräume und rituelle Waschräume gebaut werden, sowie Sicherheitsräume, Räume für das Reinigungspersonal und andere benötigten Hilfsräume. 162 In der Mitte des Kelches soll sich der Raum mit dem Allerheiligsten befinden. 163 Im Zentrum dieses Raumes soll ein Tisch mit der Bundeslade stehen. 164 In der Bundeslade sollen sich drei kleinere Laden aus Gold befinden. 165 In der mittleren Lade soll die handgeschriebene Thorarolle verschlossen sein, in den beiden anderen jeweils die handgeschriebenen vier Evangelien und der handgeschriebene Koran. 166 Die Thora in hebräischer, die Evangelien in griechischer und der Koran in arabischer Sprache. 167 Dieser Raum soll verschlossen bleiben; ringsum soll sich ein großer Gebetsraum befinden, der auch für die Ausübung liturgischer Riten einzelner Religionen geeignet sein soll. 168 Der Raum soll so unterteilt sein, dass Juden, Christen und Muslime voneinander getrennt und ungestört beten können. 169 Alle anderen Einzelheiten bezüglich des Tempels, Verzierungen, Vorschriften und Handhabung soll das Gremium der 72 bestimmen, welches auch die modifizierten Opferungsgesetze beschließt, sowie die Art und Weise seines eigenen Weiterbestehens bestimmt. 170 Der Tempel soll als zentrale religiöse Heimstätte der Juden gelten und ihr Eigentum sein, die Christen und Muslime sollen als Besucher und Gäste immer zugelassen sein. 171 Die Höhe des Tempels soll in etwa der Höhe der benachbarten „Kuppel über dem Felsen“ entsprechen, damit sich die prophetischen Worte erfüllen: Ich werde für Israel da sein wie der Tau, damit es aufblüht wie eine Lilie und Wurzeln schlägt wie der Libanon. Seine Zweige sollen sich ausbreiten, seine Pracht soll der Pracht des Ölbaums gleichen und sein Duft dem Duft des Libanon. 172 Wenn der Tempel vollendet sein wird, sollen die Juden wieder in vollem Umfang alle Gebote, Vorschriften und Gesetze der Thora erfüllen, wie sie die 72 Autoritäten im Namen des Herrn festlegen werden. 173 Von da an sollen gläubige Israeliten aus der Diaspora verpflichtet sein, sobald es ihnen finanziell und gesundheitlich möglich sein wird, einmal jährlich Jerusalem zu besuchen, um im Tempel alle oder einen Teil der vorgeschriebenen Opferungen zu erfüllen; die Juden aus Israel dagegen sollen dreimal jährlich nach Jerusalem pilgern.

 

                                                                      III

174 Nun zu euch, ihr Christen. 175 Ihr habt Jesus als euren Erlöser und Heiland erwählt. 176 Er war Jude und hat nach jüdischer Lebensweise und Tradition gelebt. 177 Durch ihn sollte die Erkenntnis des wahren Herrn und der richtigen Lebensweise zu jedem einzelnen Menschen auf Erden kommen. 178 Er hat weder eine Religion noch eine Nation gegründet. 179 Seine Gemeinde, seine Jüngergemeinschaft, war nur ein Samenkorn, aus dem die Erkenntnis des wahren Herrn, welchen bis dahin nur die Juden kannten, auf der ganzen Erde hervorsprieße. 180 Seine Jünger und deren Nachfolger sollten immer so leben, dass andere an ihrem Beispiel Gefallen finden und dadurch den Schöpfer der Welt kennen- und liebenlernen. 181 Sie sollten die frohe Botschaft über die Liebe des Herrn zu seinem jüdischen Volk und zu allen Menschen in die ganze Welt tragen. 182 Aber sobald Jesus die Jünger verlassen hatte, begannen sie, anstatt die frohe Kunde zu verbreiten, ihre Lehre zu definieren, sie abzugrenzen, sich dann untereinander abzugrenzen und schließlich alle anderen Juden auszugrenzen. 183 Das führte notgedrungen zum Streben nach irdischer Macht, nach Siegen, nach Zwangsevangelisierung. 184 Nachdem sie das erreicht hatten, ja, spätestens dann, verloren sie den Bezug zum Ursprung, zum Fundament, zu den Wurzeln. 185 Dies hatte verheerende Folgen für die Juden, für die Christen selbst und für die ganze Welt. 186 Sie gründeten „christliche“ Reiche, Staaten, Länder, es gab „christliche“ Kaiser, Könige, Präsidenten, lauter Herrscher und Machthaber. 187 Die Lehre Jesu von Nazareth, welchen sie Christus nannten, wurde verschüttet, vergessen oder ins Gegenteil verkehrt. 188 Bis auf den heutigen Tag haben sie nicht begriffen, dass man auf dem Fundament der Lehre Jesu und der christlichen Lebensweise keine Stadt, keine Provinz, kein Land, kein Reich errichten und regieren kann, denn das wäre ein Widerspruch in sich.

 

189 Schon seit Noah verlangt der Herr von Völkern und Menschengemeinschaften die Beobachtung von Vorschriften und Gesetzen, damit das Böse bestraft wird, sich nicht ausbreitet und so die Gemeinschaften funktionieren können. 190 Die Thora, die speziell für das jüdische Volk gegeben wurde ist das beste Beispiel dafür. 191 Jesus hingegen hat ganz andere Prinzipien gelehrt, ohne Bezug auf Hierarchie und Kampf um das Recht zu nehmen. 192 Er verkündete die Liebe des Herrn zu jedem Menschen und gab, ausgehend von der Thora, Anleitung, wie der Mensch als Einzelperson leben soll, um - nachdem er alle Staatsbürgerpflichten erfüllt hat - Glück und Heil zu erlangen. 193 Wer hat mich zum Richter bestellt, dass ich über euch Brüder, über euer Vermögen urteilen sollte? 194 Du sollst dein Auge ausstechen, deine Hand abhacken - sozusagen vorbeugend - um nicht zu sündigen. 195 Du sollst demjenigen, der dir den Mantel genommen hat, auch das Hemd überlassen. 196 Du sollst, wenn du groß sein willst, der kleinste sein und anderen dienen. 197 Wie sollte auf derartigen Prinzipien jemals ein Land funktionieren (außer der Garten Eden), es sei denn, mit lauter Blinden, Invaliden und als Alten- und Krankenhelfer   umherlaufenden   Ministern,  Präsidenten  und  Kaisern!? 198 Gebt dem Kaiser, was des Kaisers, ist und dem Herrn, was dem Herrn gehört, das meinte Jesus damit. 199 Du sollst dich an die Gesetze des Kaisers halten, so wie die Juden es in allen Ländern tun, und dem Herrn sollst du dienen  mit  dem  was  ihm  gehört:  mit  deiner  Seele und deinem Herzen. 200 Doch ihr habt daraus mächtige Imperien, reiche Kirchen, Gesetze, Prunk, Ausbeutung gemacht; hundert Kamele würden leichter durch ein Nadelloch hindurchgehen, ehe aus euren Reichen ein Garten Eden oder eine gerechte Welt entstehen könnte. 201 Mohammed habt ihr verspottet, die Muslime verachtet, bekämpft und als Teufelssöhne betrachtet. 202 Und ihr habt euch nie gefragt, warum sich dieses „Teufelsreich“ so schnell und großartig ausbreiten konnte, trotz eurer „Heiligkeit“, trotz „heiliger Imperien“ und trotz „heiliger apostolischer Majestäten“. 203 Am allerschlimmsten aber ist die Tatsache, dass ihr auch die Muslime durch euer Beispiel verführt, teilweise verdorben und zu Pracht, Macht, Reichtum, Plünderung und „Stellvertretung Gottes“ auf Erden verleitet habt. 204 Untereinander zerstritten und im Krieg, andere ausbeutend und erniedrigend, so lebt ihr schon seit Jahrhunderten.

 

205 Darum hier der Auftrag des Herrn an euch alle, die ihr euch Christen nennt. 206 Als erstes sollt ihr euch untereinander versöhnen, ohne Rücksicht und ohne Verhandlungen über eure jeweilige Lehre, Auslegung, Autoritäten oder Größe. 207 Zweitens sollen alle Mohammed offiziell als Propheten des Herren anerkennen und die Muslime als ebenbürtige Gläubige. 208 Betrachtet euch als Mitglieder der großen Glaubensfamilie der Israeliten und Muslime. 209 Den Koran sollt ihr in die Bibel nach dem letzten Buch des Neuen Testaments einfügen. 210 Den Talmud - sowohl die babylonische als auch die Jerusalemer Version - und die Sammlung der Hadithe als Anhang zur erweiterten Bibel hinzufügen und allen Gläubigen zugänglich machen. 211 Setzt euch mit ganzer moralischer Autorität und allen möglichen Gebeten dafür ein, dass die Juden das ganze Land Israel als ihren Staat bekommen, weil das der Wille des Herrn ist. 212 Bemüht euch um die Erlaubnis, in Jerusalem ein gemeinsames christliches Zentrum zu etablieren, sei es unter der Führung einer Person oder unter einer kollektiven Führung. 213 Ihr sollt die Juden als die höchste Autorität in der Auslegung des Alten Testaments anerkennen. 214 Ihr sollt alle Werte, Schätze, Sammlungen, die einzelne Konfessionen angehäuft und bisher nicht an die Armen und Bedürftigen verteilt haben, dem jüdischen Volk, bzw. Staat übereignen, als eine kleine Entschädigung dafür, dass sie von euch jahrhundertelang gemordet, geplündert und drangsaliert wurden. 215 Ihr sollt die zivile Rechtsprechung, die noch unter christlicher Federführung ist, an die Muslime abtreten und die Christen dazu verpflichten, sich in allen Angelegenheiten dem Islamischen Strafrecht unterzuordnen, außer in Sachen der Religionsausübung, weil da jede der drei Religionen ihr eigenes Strafrecht hat. 216 Jeder Christ, der nach Jesu Grundsätzen lebt, kann Jude oder Muslim werden, ohne aufzuhören Christ zu sein.

 

IV

217 Und nun zu den Muslimen. 218 Als der Herr in dem demütigen Mohammed einen Mann nach seinem Herzen fand, war das ein Neuanfang für die Menschheit. 219 Der Herr wollte durch den Koran mehrere Botschaften an die Menschheit weitergeben. 220 Er bestätigte die Thora und die Evangelien sowie die Richtigkeit des Glaubens an den Einen Wahren Herrn. 221 Er tadelte die Inhaber der Thora und der Evangelien wegen Ihrer Hartherzigkeit und wegen der Nichteinhaltung der Gebote des Herrn. 222 Er offenbarte Gesetzesvorschriften für alle Länder der Erde, ohne Bezug auf die Religion des Einzelnen. 223 Er gab denen, welche die Gnade bekamen, Muslime zu werden, einen Auftrag, den bis dahin niemand zu erfüllen vermochte: den Heiligen Krieg.  224 Er wurde  dem  Propheten  als Allah offenbart. 225 Gleichzeitig verschleierte Er durch den Koran sein Wesen und seine Eigenschaften noch mehr, und entzog sich somit vollends der Enträtselung durch Philosophen, Theologen  und Wissenschaftler jeglicher Provenienz. 226 Damit sich niemand seinen Geheimnissen nähern könnte, hat Er durch den Koran für eine Art Verwirrung gesorgt, die niemand entwirren kann. 227 Es sollten endlich alle Menschen aufhören, sich mit dem Wesen des Herrn, mit seinen Geheimnissen zu beschäftigen, und anstatt dessen anfangen, seine Gebote zu erfüllen, den Nächsten zu lieben, die Botschaft des Herrn weiterzutragen. 228 Der Prophet fing an, mit Allahs Hilfe, die ersten Gemeinschaften zu bilden, seine Botschaft zu verkünden, und stieß damit bei den Arabern, Juden und Christen auf Wiederstand und Feindschaft. 229 Seine Gemeinde war klein, fromm, dem Herrn ergeben, aber in Gefahr, vernichtet zu werden. 230 Doch der Herr lässt die seinen nicht im Stich! 231 Durch Allahs Hilfe errangen sie zahlreiche Siege, wuchsen an, wurden stark, brachten die Botschaft Gottes immer weiter in die Welt. 232 Aber auch diesmal, wie so oft, wurde dem Satan erlaubt, die Menschen zu prüfen, ob es ihnen wirklich um Hingabe an den Herrn, Verkündigung der Botschaft und Vergrößerung des Reiches Allahs geht, oder nur um Erkenntnis der Gottesgeheimnisse, eigene Autorität und Vergrößerung des eigenen Machtbereichs. 233 Und wie so oft in der Geschichte unterlagen auch die Muslime immer mehr den Versuchungen des Satans und der Welt.  234 Im Laufe der Jahrhunderte machten die Führer verschiedener Islamrichtungen durch ihr lasterhaftes Leben, innere Zänkereien und Kämpfe, mörderische Plünderungs- und Kriegszüge aus dem Islam ein Schreckgespenst für die Menschen, aus dem Koran ein Buch des Anstoßes und des Grauens. 235 Aus dem Heiligen Krieg, den sie führen sollten, um die ganze Welt für Allah zu gewinnen, ist ein unendliches Blutvergießen geworden, das an Gräueltaten alles bis dahin Geschehene übertrifft. 236 Anstatt den Heiligen Krieg gegen sich selbst zu führen, um die eigenen Schwächen auszumerzen und so zur totalen Hingabe an Allah zu gelangen, anstatt die Zustände im eigenen Regierungsbereich zu verbessern, um den Menschen ein gottgefälliges Leben zu ermöglichen und die Armut zu verhindern, gingen sie lieber erobern, plündern, morden, und dazu noch unter dem Vorwand, es wäre der Wille Allahs. 237 Auf diese Weise haben sie den Auftrag des Herrn noch gröber verfehlt als die Christen es vor ihnen taten. 238 Aus der Hingabe an den Herrn und einer Religion des Friedens ist eine Gewaltbewegung geworden. 239 Aber der Herr gibt nicht auf; Er weiß, dass die Muslime dank der Millionen einfacher, vorbildlicher, friedlicher und gottergebener Gläubigen die Kraft besitzen, sich von neuem aufzuraffen, aufzustehen und wieder ein Wegweiser für die Völker zu werden.

 

240 Deswegen hier der Auftrag Allahs für euch, Muslime! 241 Als Erstes sollt ihr aufhören, euch darum zu kümmern, ob die Juden und Christen richtig glauben und richtig leben. 242 Für deren Glauben und Leben ist einzig Allah zuständig, und nicht ihr. 243 Ihr sollt euch darum kümmern, dass innerhalb des Islam der Heilige Krieg geführt wird, und zwar ohne Schwert und Waffen, allein mit Liebe und Selbstverbesserung. 244 Ihr sollt die Auswüchse unter euch abschaffen, aufhören zu philosophieren und zu theologisieren, stattdessen sollt ihr anfangen inbrünstig zu beten und vor allem die Armenabgabe voll und richtig sowie von allem zu entrichten. 245 Versöhnt euch zuerst untereinander, dann mit den Juden und den Christen, und bringt den Islam und die islamische Rechtsprechung zu allen Völkern der Erde. 246 Eure Hirten aus allen Richtungen des Islam sollen sich zusammensetzen und Teile der Scharia für die Nichtmuslime aussuchen und zusammenstellen, damit sie allen Ländern der Erde als zivile Rechtsprechung dienen können. 247 Macht ihr es gewaltsam und nach eigenem Gutdünken, so werdet ihr keinen Erfolg haben, sondern der Vernichtung ausgeliefert werden. 248 Macht ihr es mit eigenem Beispiel und Überzeugung, sowie mit Fasten und Gebet, wird Allah mit euch sein und kein Land wird euch widerstehen können.

 

249 Die Juden müsst ihr als eure Brüder annehmen und lieben, ihnen zum Land der  Verheißung  verhelfen  und  dort  mit  ihnen in Eintracht leben. 250 Ohne die Juden - keine Thora, ohne die Thora - kein Koran, ohne den Koran - keinen Islam, begreift das! 251 Stört euch nicht an den Christen und ihrer Verehrung Jesu als Gottes Sohn. 252 Wenn es Allah so zugelassen hat, dann wird das auch einen bestimmten Zweck erfüllen. 253 Damit ihr das verstehen und tolerieren könnt, gibt es für euch deutliche Hinweise im Koran, unter anderem: O Jesus, Sohn der Maria, gedenke meiner Gnade gegen dich und deine Mutter, als Ich dich mit dem Heiligen Geist stärkte, auf dass du reden solltest zu den Menschen in der Wiege als ein Erwachsener. Und als Ich dich lehrte die Schrift und die Weisheit und die Thora und das Evangelium, und als du aus Ton mit meiner Erlaubnis die Gestalt eines Vogels erschufst und in sie hineinhauchtest und sie ein Vogel war mit meiner Erlaubnis… 254 Wofür hätten die Christen Jesus halten sollen, wenn er einem Wesen aus Ton das Leben einhauchte, wie es Allah bei der Erschaffung der Welt tat? 255 War es da nicht naheliegend, ihn für den Sohn Gottes zu halten, da es Allah sonst niemals in der Geschichte jemandem erlaubt hat, so etwas zu tun? 256 Und außerdem ist es nicht eure Aufgabe, jemand zu beurteilen, der vor euch die Schrift hatte, sondern wie ihr selbst lebt und handelt. 257 Aber um das tun zu können, musst du dein Leben als Muslim vollkommen in Einklang mit Gottes Willen bringen und andere muslimische Brüder ermahnen und ihnen helfen, das gleiche zu tun.  258 Wer als Muslim das Christentum angenommen hat, darf und muss weiterhin Muslim bleiben und alle Pflichten erfüllen. 259 Sein Glaube an Jesus ist seine Privatsache, die ihm Kraft, Hoffnung und Weisheit gibt, ein besserer Muslim zu werden. 260 Dies gilt genauso für den Juden, der Christ geworden ist.

 

V

261 Hört ihr Hirten der Juden, der Christen und der Muslime, so spricht der Herr! 262 Euer Glaube ist ein und derselbe Glaube auf dreierlei Weise; begreift  endlich, dass ihr mehr seid als Brüder, ihr seid meine lieben Kinder. 263 Ich will euch nicht mehr in Krieg und Streit sehen, sondern in Eintracht im Kampf um das Leben und das Gute in der Welt. 264 Keiner von euch soll seinen Glauben ändern, sondern seine Einstellung zu mir und zu anderen Glaubensbrüdern. 265 Habt ihr immer noch nicht begriffen, dass ich vor allem auf die Lebenswandlung des Einzelnen schaue? 266 Bist du eine Lilie, sei schön wie die Lilie, bist du eine Rose, dann dufte wie die Rose, bist du eine Olive, so bringe reichlich Früchte. 267 Um dies Gott wohlgefällig zu tun, habt ihr alle das gleiche Gebot erhalten: Liebe den Herrn über alles und deinen Nächsten wie dich selbst. 268 Auch der Weg dahin bleibt der gleiche: Gebet, Studium der Schriften, Fasten, Bekenntnis der eigenen Schwäche und Sündhaftigkeit, Hilfe für Bedürftige. 269 Tut ihr das, tut ihr das Richtige, alles andere ist eurer Freiheit, Auffassungsgabe und Vorliebe überlassen. 270 Tut ihr das nicht, so besteht ihr nicht.

 

VI

271 Solange die Hirten der drei Religionen nicht handeln und so erfüllen, was der Herr von Ihnen verlangt, hier ein Wort des Herrn für dich, du einfacher Mensch,  hingebungsvoller  Jude,  demütiger Christ, bescheidener Muslim. 272 Du brauchst nicht auf Versöhnung „von oben“ zu warten, sondern kannst sofort anfangen, deine und deiner Religionsführer Urteile und Vorurteile gegenüber den Geschwisterreligionen abzubauen. 273 Für alles gibt es ein einfaches Rezept des Herrn: die Liebe.

 

274 So spricht der Herr: Zu jeder Zeit hatte ich genügend Menschen, welche mich erwählt, definiert, und festgelegt haben, was meine Anliegen sind, und mir nach ihrem Wissen und Gewissen gedient haben. 275 Ich aber habe immer nach jenen Ausschau gehalten, die meinem Ruf folgen und mir so dienen würden, wie ich es von ihnen verlange, ohne nach den Gründen zu fragen, ohne nach meinen Eigenschaften zu forschen, ohne mit mir siegen und herrschen zu wollen. 276 Viele trachten danach, mich zu erkennen, in meinem Namen zu reden, meine Pläne zu erfahren, meine Eigenschaften und meine Handlungsweise zu ergründen, meine Stellvertreter oder Verwalter zu werden. 277 Aus diesem Grunde habe ich mich hinter den Geheimnissen der Schöpfung, der Rätselhaftigkeit der heiligen Schriften, den verworrenen Offenbarungen verborgen. 278 Ja, Ich selbst habe es gewollt, dass die Natur geheimnisvoll bleibt, dass die Schriften sich augenscheinlich widersprechen, dass es verschiedene Zugänge zu mir gibt. 279 Ich habe allen verboten, Gottesbilder herzustellen, weil bereits so viele Milliarden Gottesbilder existieren, wie es Menschen auf der Welt gibt. 280 Nun, auch diejenigen, die dem Verbot scheinbar Folge leisten, erschufen durch ihre Theologien und Philosophien eine Menge Gottesbilder und sind nicht viel besser als diejenigen, die vor „künstlerischen“ Darstellungen nicht zurückschrecken. 281 Seit Adam und Eva habe Ich mich jeglicher Erkenntnis entzogen und den Menschen die ganzheitliche Erkenntnis von Gut und Böse verschleiert. 282 Denn allein die Überzeugung, eine Erkenntnis zu besitzen, führt unweigerlich in die Versuchung „wie Gott“ sein zu wollen.

 

VII

283 Aus diesem Grunde suche ich immer einfache, kleine, unscheinbare Menschen, die bereit sind, mir nach meinen Regeln zu dienen, nicht mit mir zu siegen und zu herrschen, sondern zu lieben und zu arbeiten, gegebenenfalls auch zu verlieren und zu leiden. 284 Wenn du meinst, einer von solchen zu sein, dann rufe Ich dich zu mir, werde mein Freund, mein Helfer! 285 Aber um das werden zu können, musst du die folgenden Voraussetzungen erfüllen, um in mich eindringen und meinen Willen für dich begreifen zu können.

 

286 Als Erstes sollst du zu beten anfangen, beten mit dem Herzen. 287 Dies beinhaltet, sehnsüchtig nach mir zu suchen, um die Liebe zu bitten, die heiligen Schriften aller drei Religionen zu studieren, die religiösen Pflichten deiner Religionsgemeinschaft zu erfüllen und zusätzlich im Verborgenen mit mir zu verweilen, so dass deine Gebetszeit aus allen angeführten Beispielen insgesamt mindestens 2,5 Stunden täglich beträgt, also über ein Zehntel deiner Zeit.

 

288 Zweitens sollst du anfangen zu fasten. 289 Das bedeutet, du sollst alle Fasten- und Abstinenzzeiten deiner Religionsgemeinschaft einhalten und zusätzlich mindestens drei Tage im Monat fasten, am besten bei Wasser und Brot.

 

290 Drittens sollst du mit deinem Vermögen und deiner Zeit dem Nächsten dienen: den Armen, Kranken, Einsamen, Gefangenen, Verlassenen, Vertriebenen, Fremden, Behinderten, Verzweifelten. 291 Dafür sollst du ein Zehntel deiner Zeit oder deines laufenden Nettoeinkommens opfern, oder anteilmäßig von jedem etwas.

 

292 Viertens sollst du zusätzlich zu deinen üblichen religiösen Pflichten oder Gepflogenheiten jährlich eine Pilgerreise unternehmen. 293 Diese Reise soll mindestens einen Tag lang sein, höchstens aber 30 Tage; das Ziel kann ein Ort deiner Wahl sein. 294 Dies kann eine heilige Stätte sein, die Wüste, eine schöne einsame Gegend, oder - falls es an Zeit und Geld mangelt - der nächstgelegene Obstgarten oder Wald.

 

295 Ferner sollst du deine Sündhaftigkeit und Schwächen erforschen, einsehen, bekennen, bereuen und dich entsprechend demütig und bescheiden verhalten. 296 Du sollst es vor dir selbst, vor Gott und vor dem Nächsten bekennen, und zwar täglich, zusätzlich aber noch nach Art und Weise deiner Religionsgemeinschaft. 297 Du sollst deine Probleme, Schicksalsschläge und Trauer vor den Herrn bringen, vor allem aber sollst du deine Erfolge, Freuden und Feste vor und mit dem Herrn feiern.

 

298 Du sollst dein Leben ganz und ohne Vorbehalt vor deinem Herrn leben, ohne dich zu verstecken oder zu verbergen, auch dann nicht, wenn du sündigst. 299 Machst du das alles, so wirst du mein Mitarbeiter sein und schon in deinem irdischen Leben den Garten Eden erreichen und viel mehr Erkenntnis und Glück erfahren als alle Eiferer, Theologen und Gelehrten dieser Welt. 300 Amen

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

T e i l     S I E B E N                  KAPITEL  7

 

1 Alles, was atmet, lobe den Herrn! Halleluja!

2 Am Ende der Zeit wird der Allmächtige, der Schöpfer des Himmels und der Erde, das letzte Wort haben. 3 Doch bevor dies geschieht, siehe, hier ein Auftrag für dich! 4 Fahre Du nun zu schreiben fort und vollende das letzte Kapitel der Heiligen Schrift! 5 Schreibe die Ereignisse deiner Tage auf, stelle den Plan, den Gott für dich vorgesehen hat, heraus, schildere deinen Weg mit dem Herrn!

 

6 Ohne deinen Beitrag hat die Heilige Schrift für dich wenig Sinn, Du selbst bist nämlich ihre Vollendung. 7 Und an dem Tag, an dem Du einmal in den Ewigen Sabbat eingehen wirst, wird für dich das Ende der Welt angetreten sein, das Ende der Zeit; da wird der Herr das letzte Wort für dich sprechen!

8

 

 

 

                          

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Erklärung des Verantwortlichen

 

Um allen Anfragen und Gesprächen vorzubeugen, wird hier folgendes erklärt:                               

 

Dieses Buch ist im Auftrag des Herrn durch Menschen entstanden. Alle geschichtlichen Kapitel der Chronik sind Menschenwerk, einerseits durch Eingebung, andererseits durch menschliches (Un-)wissen geschrieben.

 

Der Text DER RUF GOTTES ist ein in menschliche Worte gekleideter Aufruf des Herrn. Mangels sprachlicher Ausdrucksmöglichkeiten ist er vielleicht ungeschickt, jedoch treu und wahrhaftig wiedergegeben.

 

Alle anderen Fragen erübrigen sich, weil nur der Herr weiß, warum, warum jetzt, warum so und nicht anders, wie es zu verstehen ist, usw.  

 

Für die Ausgabe Verantwortlicher:    D. Sever

 

 

September 2017 

Das dritte Buch der Chronik

Seit der biblischen Zeit bis zur Gegenwart

 

 

 

 

 

 

 

 

Herausgegeben von

ARCHA NOACH, z.s.

Staré Hamry, CZ

www.archanoach.com

Verantwortlich: D. Sever

 

 

 

September 2017

 

 

 

 

 

 

 

 

Druck:
TISKDO1000.CZ

 

 

 

 

 

 

Keine Rechte vorbehalten

Nachdruck und Vervielfältigung ganz oder auszugsweise gestattet

 

 

 

 

I n h a l t s v e r z e i c h n i s

 

Titel                                                                                         Seite

 

Teil    E I N S:           Kapitel 1-7……………………..... .............1

 

Teil   Z W E I:           Kapitel 1-7……………………………….23

 

Teil   D R E I:            Kapitel 1-7……………………………….48

 

Teil   V I E R:            Kapitel 1-7……………………………….71

 

Teil   F Ü N F:           Kapitel 1-7……………………………….90

 

Teil   S E C H S:        Kapitel 1-7………………………..…….109

 

Teil   S I E B E N:     Kapitel 1-6…………….………………..130

 

D E R     R U F     G O T T E S……………….………….…..151

 

Teil   S I E B E N:      Kapitel 7………..…….……………......168

 

Erklärung  des  Verantwortlichen……………………………..170

 


T e i l     E I N S                  KAPITEL 1

 

1 Die Himmel rühmen die Herrlichkeit Gottes, vom Werk seiner Hände kündet das Firmament. 2 Ein Tag sagt es dem andern, eine Nacht tut es der andern kund, ohne Worte und ohne Reden, unhörbar bleibt ihre Stimme. 3 Doch ihre Botschaft geht in die ganze Welt hinaus, ihre Kunde bis zu den Enden der Erde. 

4 Es ist schon lange her, seit König Kyros die Juden nach Jerusalem zurückkehren ließ. 5 Als König Darius das Persische Reich regierte und in Makedonien König Philippus  an  der  Macht  war,  amtierte  in  Jerusalem  der  Hohepriester  Jaddus. 

6 Judäa mit Jerusalem genoss zu dieser Zeit eine Atempause und erfreute sich als persische Provinz und Tempelbezirk einer gewissen Selbstständigkeit.  7 Zwischen den Makedoniern und den griechischen Stadtstaaten gab es Rivalitäten und es herrschte ein unterschwelliger Kampf um die Vormachtstellung. 8 Da die Makedonier als neu aufsteigende Macht von den anderen griechischen Städten als Barbaren betrachtet wurden, gab es Anlass zu immer neuen Zwistigkeiten und Reibereien. 

 

9 Doch bevor wir die Ereignisse, welche sich seit damals zugetragen haben, der Reihe nach niederschreiben, müssen wir unseren Blick in die Vergangenheit schweifen lassen. 10 Geheimnisvoll und unmerkbar ist das Wirken Gottes in der Welt!  11 Aber nur dort, wo auf die Zeichen der Zeit nicht geachtet wird und diese somit nicht erkannt werden, und nur für diejenigen, welche die Liebe Gottes nicht kennengelernt oder nicht angenommen haben.  12 Offenkundig dagegen, obwohl oft schwer annehmbar, ist Gottes Wirken für diejenigen, welche Er erwählt hat und die seine Erwählung angenommen haben. 13 Die Folge der Geschehnisse seit der Erschaffung der Menschen und der Übergabe der Erde an Adam und Eva bis auf die heutige Zeit nennen wir: die Ereignisse der Tage. 14 Die Verderbtheit der Menschen und das böse Trachten ihrer Herzen hatten zur Entfremdung zwischen ihnen und ihrem Schöpfer geführt. 15 Als Folge der Entfremdung und der Verhärtung ihrer Herzen kam die Urflut über die Menschen und über alles, was auf der Erde lebte.  16 Auch nach der Flut verfielen die Nachkommen Noahs bald der gleichen Sündhaftigkeit, wie sie vor der Urflut herrschte.  17 Vielleicht war dies der Grund, warum es dem Herrn gefiel, sich einen Menschen auszusuchen, um ihn zum Stammvater eines Volkes – seines Volkes - zu machen. 18 So wurde erschaffen, so wurde berufen, so wurde auserwählt: Gottes Volk aus Abraham, Isaak und Jakob. 19 Eine Erwählung im eigentlichen Sinne war das nicht, denn es gab keine Wahl; man sollte besser von der Erschaffung des Volkes Israel sprechen, weil es als „Erstgeborener Sohn“ und „Gottes persönliches Eigentum“ durch viele, viele Jahre hindurch von ihm erschaffen wurde. 20 Gott liebte die Menschen so sehr, dass Er sie trotz bitterer Enttäuschungen als Partner in der Verwaltung der Erde einsetzte und ihnen immer wieder seine Bündnisse anbot.  21 Den ersten Bund mit Noah stiftete Er sozusagen mehr seiner selbst wegen, damit ihn der Regenbogen an  das  Versprechen  erinnerte,  nie  mehr  die ganze Menschheit zu vernichten. 22 Sein Bund mit Abram war schon ein richtiger Vertrag mit Namensänderung, Landgebung und Beschneidung.  23 Abraham und seiner Nachkommenschaft wurde für immer verbindlich auferlegt, alle männlichen Nachkommen zu beschneiden, als sichtbares Zeichen des ewigen Bundes.  24 Ferner wurde Abraham und  später  seinem  Enkel  Jakob  das  Land  Kanaan als ewiger Besitz übergeben. 25 Mit der Beschneidung fing auf der Erde ein neues Zeitalter an.  26 Seit damals erkennt man die Nachkommen Abrahams an diesem deutlichen körperlichen Zeichen. 27 Seit damals erneuern und bestätigen die Menschen von Generation zu Generation mit ihrem Blut, das bei der Beschneidung als Unterschrift vergossen wird, Gottes Bund mit Abraham.   28 Seit damals übertragen die männlichen Nachkommen Abrahams diesen Bund auf ihre Frauen, wobei bei der ersten Vereinigung wieder Blut fließt, als Unterschrift der Frauen. 29 Viele Male und auf vielerlei Weise hat Gott auf diesen Bund der Beschneidung aufgebaut, ihn erweitert, zusätzliche  Bündnisse  geschlossen,  ohne  ihn  jemals  zurückgenommen zu haben.

 

30 Aber auch die Beschnittenen, die Erwählten, wurden halsstarrig und hartherzig, und Gott suchte immer wieder neue Wege, baute neue Brücken, um ihnen zu helfen.   31 Jahrhundertelang ließ Gott sein Volk in Ägypten sich vermehren, wachsen und reifen.  32 Als dann die Zeit erfüllt war, holte Er es auf eine einmalige, wunderbare Weise in das Land der Verheißung. 33 Diese Ereignisse sind in den heiligen Schriften ausführlich beschrieben und werden deswegen hier nicht weiter ausgeführt. 34 Viele Jahre hatte Israel gebraucht, um sich zwischen Gott und der Welt zurechtzufinden. 35 Richtig gelungen war ihm das nie.  36 Viele Anführer, Helden und Richter hatten gewirkt, bis endlich einer kam, an dem Gott ein besonderes Gefallen hatte: König David.  37 Unter ihm wurden die Israeliten als Gottes Volk mit dem Heiligtum in Jerusalem gefestigt und geordnet. 38 Es schien endlich alles gut zu werden. 39 Aber schon bald nach Salomos Tod spaltete sich das Volk, entzweite sich das, was Gott zusammengefügt hatte. 40 Die Folgen der Spaltung spürten die Stämme Israels noch in den nachfolgenden Generationen.  41 Die darauffolgenden Tage, Monate und Jahre wurden regelrecht schwanger mit Ereignissen. 

 

42 Viele von diesen Ereignissen sind für immer vergessen und aus dem Gedächtnis der Israeliten verschwunden. 43 Manche wurden von den Geschichtsschreibern der damaligen Zeit festgehalten, viele fanden Eingang in die heiligen Schriften.  44 Die vorliegende Aufzeichnung der Ereignisse beginnt in einer Zeit des Umbruchs. 45 Die Reiche der Erde gehen zugrunde, Könige werden gestürzt, neue Reiche entstehen, neue Herrscher kommen, neue Sitten verbreiten sich in der Welt.  46 Die Propheten des Gottesvolkes schweigen schon seit längerem, es ist eine unsichere Zeit. 47 Althergebrachte Gewohnheiten und Denkweisen werden verworfen und durch neue ersetzt oder modifiziert, weil das nach Meinung mancher Leute der Menschheit Fortschritt bringen würde.  48 Frieden bringt es jedenfalls nicht, was auch die vielen Kämpfe und Kriege zwischen den griechischen Stadtstaaten und den Makedoniern belegen.  49 Als die Makedonier in der Schlacht von Chaironeia die Allianz von Athen und Theben besiegten, mussten beide Parteien eine Friedensvereinbarung aushandeln.  50 Die Lösung fand man im Korinthischen Bund, in dem alle griechischen Städte außer Sparta unter dem Makedonen König Philippus als Hegemon vereint waren. 51 Dieser wurde jedoch etwas später ermordet und sein junger Sohn Alexander trat die Nachfolge an. 52 Voller Tatendrang führte Alexander einen Eroberungskrieg nach dem anderen, meistens überaus erfolgreich.  53 Das bestärkte ihn umso mehr in seiner Absicht, Persien zu erobern, ja sogar sein Reich bis nach Indien auszudehnen.  54 Eigentlich wollte er bis an die Enden der Erde vorstoßen. 55 Damals ereignete sich in Judäa eine schon lange absehbare Spaltung.  56 Die Samaritaner trennten sich von den Jerusalemer Juden und brachten von nun an ihre Opfer auf dem Berg Garizim in Samaria dar.  57 Zu der Zeit besiegte Alexander das Heer des Perserkönigs Darius und nahm dessen Mutter, Frau und Kinder gefangen. 58 Über Tyros und Gaza kämpfte sich Alexander bis nach Ägypten vor.  59 Von der Priesterschaft und den Bürgern Jerusalems wurde Alexanders Heer freundlich begrüßt. 60 Diese Tatsache sicherte Jerusalem und Judäa weitere Selbstständigkeit in der Ausübung ihrer Riten sowie Befreiung von manchen Abgaben. 61 König Alexander hatte durch seine Eroberungen ein großes und mächtiges Reich geschaffen. 62 Doch verstarb er unerwartet und ohne eine fest geregelte Nachfolge.  63 Sein Reich wurde unter seinen Feldherren aufgeteilt. 64 Aber die Gier der Nachfolger, ihr Streben nach immer mehr Land und Macht, ließ sie nicht mit dem Erhaltenen zufrieden sein.

                                                                                                                  

 65 So verwickelten sie sich in zahllose Intrigen und Kriege. 66 Die Bevölkerung des ehemaligen Perserreiches konnte nicht zur Ruhe kommen. 67 Machtkämpfe und Schlachten brachten viel Elend über die Provinzen.  68 Viele Menschen verloren ihr Leben, viele wurden zu Krüppeln.  69 Auch viele jüdische Söldner kämpften für verschiedene Feldherren. 70 Manche von den Überlebenden, die aus verschiedenen Teilen der Welt heimkehrten, brachten Kunde von fremden Lebensweisen. 71 Es wurde vom Leben in Indien und Karthago erzählt, die meisten Erzählungen handelten jedoch von den hellenistischen Städten und Provinzen.  72 Man wusste von vielen weisen Menschen zu berichten, welche viel nachgedacht, tiefsinnig geredet, und von welchen manche auch über alles Mögliche in der Welt geschrieben hatten.  73 Es wurde von neuen Ideen erzählt, von Schulen, Vorträgen, Wettstreiten in Reden, von den Versuchen, die Welt neu  beziehungsweise  anders  zu  gründen,  wenn  nicht  sogar  neu  zu  erfinden.  74 Dort wurde das Denken herausgelöst aus dem Alltagsleben, aus dem Sorgen für Familie, Lebensunterhalt und Arbeit. 75 Ganz oder teilweise befreite man sich aus dem normalen Leben aller sterblichen Menschen, beobachtete Berge, Meere, Flüsse, Firmament, las in alten Schriften, schaute anderen Menschen bei ihrem Alltagstreiben zu und grübelte, grübelte, grübelte… 76 Ein jeder dieser Weisen hatte seine eigenen Gedankengänge, kreiste in den Bahnen des eigenen Geistes, zog seine eigenen Rückschlüsse.  77 Und auf einmal wurde ihnen die Welt der Begriffe und Worte neu erschlossen; in ihrem Geist taten sich „neue Welten“ auf, eine neue Lebensanschauung wurde geboren.

 

78 Und obwohl sich die meisten dieser Menschen untereinander nicht mochten und sich manchmal verbal bis aufs äußerste bekämpften, hatten sie eins gemeinsam: die neue Art und Weise auf die Welt und das Leben zu schauen.  79 Man war der festen Überzeugung, erfolgreich nach dem Himmel gegriffen zu haben und den Geheimnissen der Schöpfung auf die Spur gekommen zu sein. 80 Dies schien Grund genug, um den Menschen zumindest als Halbgottheit zu betrachten, wiewohl man das nicht laut aussprach.  81 Später sammelte man die neugewonnenen Erkenntnisse   verschiedener  Denker  und  machte  sie  zum  allgemeinen  Gedankengut. 82 Trotz immensen Fortschritts des menschlichen Geistes erkannte man den einzig wahren Gott nicht, sondern es wimmelte nur so von Göttern, Halbgöttern, Heroen und Götzen in den griechischen Städten.  83 Der Mensch selbst – seine eigene Größe, Stärke und Weisheit bewundernd, ja anbetend -  wurde zum größten Götzen. 84 Für den Untergang der auf Weisheit aufgebauten Vormacht der griechischen Städte sorgten die Makedonier. 85 Dennoch sollte man die Anstrengungen der Weisen nicht geringschätzen, geschweige denn verurteilen, auch wenn sie nicht zu den richtigen Ergebnissen geführt hatten. 86 Darin manifestierte sich ihr Sehnen nach Wahrheit, Urgrund und Sinn des Lebens und der Welt. 87 Sie hatten damit versucht, die Leere in ihren Herzen auszufüllen, jene Leere, welche in jedem Menschen als Folge der Unkenntnis des wahren Gottes besteht.  88 Den einzig wahren Gott hatten sie zwar nicht entdeckt, dafür aber viele Wege erschlossen, auf denen man weitersuchen konnte. 89 Sie hatten viele Räume des Geistes freigelegt, in denen man Gott finden konnte, wenn man demütigen Herzens und belehrbaren Geistes war.  90 In Anbetracht ihres Eifers bei der Gottsuche kann man nur ausrufen:  Wie glücklich müssten sich die Israeliten schätzen, denen Gott schon vor so langer Zeit die ganze Wahrheit offenbart hat! 

91 Die Machtkämpfe von Alexanders Nachfolgern nutzten die griechischen Städte, angeführt von Athen, um mit einem Befreiungskrieg zu beginnen.  92 Sie warteten schon lange auf die passende Gelegenheit, um die makedonische Herrschaft abzuschütteln. 93 Nach den anfänglichen Erfolgen gerieten die Griechen immer mehr in Bedrängnis.  94 Die Flotte von Athen wurde in der Seeschlacht bei Amorgos von den Makedoniern vernichtend geschlagen.  95 Dadurch verlor Athen die Vormachtstellung auf der See.  96 In der darauffolgenden Feldschlacht konnten die Griechen ihre Stellung noch halten, erlitten aber so große Verluste, dass sie den Makedoniern, angeführt von Antipater, den Frieden anbieten mussten. 97 Antipater war zwar gewillt, den Friedensvertrag zu schließen, allerdings mit jeder griechischen Stadt separat. 98 Das wurde jedoch vom Bund der  griechischen  Städte  abgelehnt. 99 Daraufhin griff Antipater zuerst die thessalischen Städte an, eroberte sie blitzschnell und diktierte ihnen die Friedensbedingungen. 100 Das Bündnis der griechischen Städte brach danach zusammen. 101 Einige Städte zogen ihre Soldaten zurück, damit sie sich zu Hause auf eine Weiterführung des Krieges vorbereiten konnten, andere wiederum schlossen separaten Frieden mit Antipater.   102 Als Antipater mit seinem Marsch nach Attika begann, schickten ihm die Athener eine Delegation entgegen, um einen Friedensvertrag auszuhandeln. 103 Antipater ließ jedoch nicht mit sich verhandeln, also wurden sie gezwungen, den Frieden zu seinen Bedingungen anzunehmen. 104 Nachdem Antipater dann auch noch die peloponnesischen Städte unterworfen hatte, kehrte er nach Makedonien zurück, um zum Krieg gegen die Aitoler zu rüsten, die sich als Einzige weigerten, den diktierten Frieden anzunehmen. 

 

105 Als er mit über dreißigtausend Soldaten in Aitolien einmarschierte und die ersten aitolischen Städte eroberte, erreichte ihn die Nachricht, dass Perdikkas in Asien die ganze Macht an sich zu reißen versucht hatte. 106 Er unterbrach seine Angriffe und zog mit dem Heer nach Asien, um gegen den Reichsregenten Perdikkas Krieg zu führen und sich so die Herrschaft als Alexanders Nachfolger zu sichern. 107 Die Aitoler nutzten seine Abwesenheit und marschierten bis in die Lokris vor,  schlugen  dort  das  makedonische  Heer und besetzten einige Städte.  108 Sie verbündeten sich mit den letzten freien Teilen Thessaliens und bildeten so ein ansehnliches Heer.  109 Dieses wurde geteilt, wobei eine Hälfte nach Aitolien marschieren, die andere, unter dem Kommando des Feldherrn Menon, in Thessalien bleiben sollte. 110 Die Letztere wurde kurz darauf von den Makedoniern unter dem Kommando von Polyperchon besiegt und Menon getötet. 111 Das war vorerst die letzte kriegerische Handlung in Griechenland. 112 Nach dem Tod von Antipater wurde Griechenland wieder Schauplatz vieler Kämpfe um die Nachfolge. 113 Aus dem zweiten Nachfolgekrieg ging Antigonos als herausragender Sieger hervor, der dann seine Macht erweiterte und festigte.  114 Die übrigen Nachfolger sahen dem mit großem Misstrauen zu und verbündeten sich gegen ihn.  115 Der Anführer der Verbündeten war Ptolemaios, der Herrscher von Ägypten.  116 Der zu ihm geflüchtete Seleukos zog mit ihm zusammen in den dritten Nachfolgekrieg, diesmal gegen Antigonos. 117 Seleukos war ein hartnäckiger und erfolgreicher Heerführer. 118 Nach dem Sieg bei Gaza gegen Demetrios Poliorketes, dem Sohn des Antigonos, marschierte er mit seinem Heer durch die syrische Wüste  und brachte  die  Städte  Mesopotamiens  unter  seine  Kontrolle. 119 Schließlich gelang es ihm auch Babylon zu erobern und die Stadt zum Ausgangspunkt für die Gründung seines eigenen Reiches zu machen.  120 Seine Eroberungen verteidigte er erfolgreich in mehreren Schlachten, bis Antigonos aufgab und mit ihm Frieden schloss. 121 Seleukos brachte auch viele griechische Städte unter seinen Einfluss.

 

122 In dem vierten Nachfolgekrieg wurde Ptolemaios´ Bruder Menelaos bei Zypern von dem Heer des Demetrios, der für Antigonos kämpfte, vernichtend geschlagen.  123 Nach diesem Sieg ließ sich Antigonos zum König über das ganze Alexanderreich ausrufen. 124 Antigonos Heer wurde nach Ägypten geschickt, um Ptolemaios in die Knie zu zwingen. 125 Ptolemaios gelang es, den Einmarsch des feindlichen Heeres am Nil zu verhindern. 126 Nun ließen sich auch Ptolemaios und seine Verbündeten - Kassander, Lysimachos und Seleukos -  zu Königen ausrufen, ohne jedoch die Grenzen des jeweiligen Königreiches zu definieren. 127 Das gab Anlass zu weiteren kriegerischen Auseinandersetzungen. 128 Demetrios und sein Vater verweigerten ihnen die Anerkennung als Könige. 129 Demetrios führte in Griechenland mehrere Eroberungskriege gegen Kassander. 130 Es gelang ihm, Athen einzunehmen und sich als „Sohn der Götter“ feiern zu lassen. 131 Kassander, Lysimachos und Seleukos schlossen sich noch fester zusammen. 132 Sie brachen mit ihrem Heer nach Osten auf.  133 Antigonos und Demetrios kamen ihnen mit einem großen  Heer entgegen. 134  Die  Schlacht  fand  bei  Ipsos statt.  135 Antigonos und Demetrios unterlagen.  136 Antigonos fiel in der Schlacht, während ein Teil seines Heeres schon während der Schlacht zur Gegenseite übergelaufen war.

 

137 Die Schlacht bei Ipsos läutete das Ende des Alexanderreiches ein.  138 Was Alexander einst gegründet und schließlich zur Weltmacht hatte werden lassen, zerfiel wegen der Uneinigkeit seiner Nachfolger.  139 Jerusalem wurde von Ptolemaios eingenommen.  140 Viele Juden wurden von ihm umgesiedelt, manche wanderten auch freiwillig aus, hauptsächlich nach Ägypten.  141 In Alexandria entstand eine sehr starke jüdische Kolonie. 142 Die Juden mussten sich verpflichten, Ptolemaios und seinen Nachfolgern die Treue zu bewahren. 143 Ein neues Zeitalter hat begonnen, was es bringen wird, wird die Zukunft zeigen. 144 In Anbetracht des Geschehenen bleibt als einziger Trost die Gewissheit, dass Gott, der Herr Israels, am Ende doch das letzte Wort haben wird.

 

 

T e i l     E I N S                  KAPITEL 2

 

1 Der Gott der Götter, der Herr spricht, er ruft der Erde zu vom Aufgang der Sonne bis zum Untergang. 2 Vom Zion her, der Krone der Schönheit, geht Gott strahlend auf.

3 Etwas Ruhe, wenn auch keine beständige, genoss Zion, nachdem Ptolemaios seine Herrschaft gefestigt hatte. 4 Aus allen vier Himmelsrichtungen wurde von neuen Kriegen, Umwälzungen und Umstürzen berichtet. 5 Der Machtdurst von Alexanders Nachfolgern war noch nicht gestillt.  6 Die Sieger des letzten Krieges und einstigen Verbündeten beherrschten nun verschiedene Teile des Reiches. 7 Im Osten herrschte Seleukos, zuerst in Babylon, später auch in Syrien. 8 Ptolemaios herrschte über Ägypten samt Koilesyrien, Lysimachos aus Thrakien über die Küstenregionen. 9 Die Verbündeten wurden nun zu Gegnern, jeder war bestrebt, mehr Land für sich selbst zu erobern. 10 Der Hauptschauplatz der Kriegshandlungen war Griechenland. 11 Demetrios kämpfte anfangs erfolgreich gegen Pyrrhos und Lysimachos, wurde jedoch bald besiegt und in Gefangenschaft geschickt, wo er auch starb. 12 Lysimachos besiegte danach auch Pyrrhos und wurde Alleinherrscher über Makedonien. 13 Er war bestrebt, seine Macht mit allen Mitteln zu festigen, und wurde so zu einem grausamen Tyrannen. 14 Seine Gewaltherrschaft wurde durch Ränkespiele seiner Frau Arsinöe, einer Tochter von Ptolemaios, noch skrupelloser. 15 Seleukos beobachtete die Herrschaft des Lysimachos mit großem Misstrauen. 16 Als Ptolemaios, der Verbündete von Lysimachos, starb, fand Seleukos, dass seine Stunde gekommen war, und begann mit dem Vormarsch nach Makedonien. 17 In der entscheidenden Schlacht wurde Lysimachos getötet und sein Heer besiegt. 18 Aber auch Seleukos, der große Sieger, fand bald sein Ende. 19 Er wurde auf dem Weg nach Makedonien, wo er seine Herrschaft festigen wollte, ermordet. 20 So endete der letzte Nachfolger Alexanders.

 

21 Ptolemaios machte noch zu Lebzeiten seinen gleichnamigen Sohn zum Mitherrscher und Nachfolger. 22 Die Söhne aus der Ehe mit Eurydike, die er verstoßen hatte, schloss er von dem Erbe aus. 23 Sein Sohn und Nachfolger Ptolemaios ließ ihn mit großen Feierlichkeiten bestatten. 24 Später erklärte er seinen verstorbenen Vater zum „rettenden Gott“ - Soter. 25 Für die Juden änderte sich unter der Herrschaft des jungen Ptolemaios einiges. 26 Viele verschleppte oder versklavte Juden wurden freigekauft und freigelassen. 27 Manche kehrten nach Judäa zurück, die meisten blieben jedoch in den fremden Ländern. 28 Zur Zeit des Hohenpriesters Eleazar wurde auch der Tempel mit königlichen Gaben beschenkt und der Tempeldienst gewissermaßen aufgewertet. 29 Trotz allen Verbesserungen blieb die Lage der Juden ungewiss. 30 Mitunter nahmen viele Juden in den fremden Ländern die hellenistische Lebensweise an, viele vergaßen sogar ihre Muttersprache. 31 Die Vorschriften der Thora wurden oberflächlich oder gar nicht beachtet, mit Jerusalem waren sie nur durch gelegentlichen Tempelbesuch verbunden. 32 Aus westlichen  Ländern  hörte  man  immer  wieder von neuen Kriegen und Umwälzungen.

33 Karthago und Rom kämpften mal als Verbündete mal als Gegner um die Vormachtstellung im Westen, mit wechselhaftem Erfolg. 34 Ptolemaios schickte mehrere Gesandtschaften nach Rom, um in Kontakt mit den immer stärker werdenden Römern zu treten. 35 Aber auch in die Länder des Ostens schickte er wiederholt seine Vertrauten, um Beziehungen aufzunehmen und Handelswege zu erkunden.

 

36 Die Lage der Landbevölkerung verbesserte sich langsam aber beständig dank neuer Gerätschaften und Hilfsmittel, die die Landbearbeitung und Erntearbeiten erleichterten.  37 Durch Berührung mit fremden Ländern gewann man neue Erkenntnisse  und  Einsichten  bezüglich  einer  besseren Nutzung des Ackerbodens.

38 Auch beim Häuserbau und der Anlage von neuen Siedlungen halfen neugewonnene Erkenntnisse und neu entwickelte Gerätschaften, um leichter und schneller voranzukommen. 39 Es gibt aber noch eine andere Art des Fortschritts, welcher nicht in die allgemeine Erleichterung alltäglicher Arbeit einzuordnen ist. 40 Dieser schlägt sich in einer Änderung der Lebenseinstellung nieder: Zuwendung zum Müßiggang, Zeitvertreib, Spiel und Unterhaltung. 41 Hellenistische Denkmuster überfluten in immer stärkerem Maße die Weltbevölkerung, somit auch die Juden. 42 Sie begeistern sich immer mehr für Sport und Theater, suchen derartige Veranstaltungen und Vorstellungen auf, vergessen die eigene Sprache, rücken immer mehr ab vom geistigen Leben, haben immer weniger Zeit für Gott, zweifeln sogar die Vorschriften der Thora an. 43 Bei Sportveranstaltungen ereifert man sich als Anhänger von bevorzugten Einzelkämpfern oder Mannschaften, lacht die Gegner aus, verspottet die Verlierer und ist selbst niedergeschlagen oder hocherfreut, je nachdem wer gewonnen hat.  44 Nun führt jeder seinen eigenen kleinen „Krieg“, sei es mit Drohgebärden oder mit Schmähungen, was oft in Schlägereien oder lokalen Kriegen endet. 45 Bei Theatervorstellungen begeistert man sich für das, was andere Menschen sich ausgedacht haben, wie andere Menschen dies dargestellt haben, lobt oder kritisiert fremdes Gedankengut; dabei vergisst man die eigene Herkunft, Tradition, Frömmigkeit; so hat fremdes Gedankengut das eigene verdrängt. 46 Dadurch sind viele Juden zunächst lau geworden, um schließlich in der Beobachtung der Thora ganz zu erkalten. 47 Die weisen jüdischen Männer machten sich viele Sorgen um das Volk Gottes, das an der eigenen Erschlaffung und Zerrissenheit zu welken und zu verdorren begann. 48 Und als die Umgestaltung von Provinzen und Reichen, ein neues „Ordnen“ der Völker, voll im Gange war, als die neue Lebensweise die Welt zu erobern schien, als der jüdische Glaube an den einen wahren Gott zu schwächeln begann und die Verwirrung den Höhepunkt erreichte, da passierte etwas Außerordentliches. 49 Es schien, als ob Israels Zeit für immer vorüber wäre, als ob die Juden ausgedient hätten, als ob sie von Gott verlassen, an sich selbst verzweifelt und gescheitert wären. 50 Da erweckte der Allmächtige die müden Geister zu neuem Leben, gab den Impuls zu einem Neuanfang in der Welt. 51 Gerade an diesem tiefsten Punkt nämlich, als sie wie ein in die Erde gefallenes Samenkorn sich zu zersetzen begannen, machte der Fels Israels sie zu einem neuen Leuchtturm der Menschheit. 52 Es hat Gott gefallen, sich durch sein Volk der ganzen Menschheit zu offenbaren.

 

53 Das Wort Gottes, seine Unterweisung – an die Juden gerichtet, den Juden gegeben - wurde nun nach Gottes Ratschluss der ganzen Menschheit offenbart. 54 Die weisen und frommen Männer Israels, zweiundsiebzig an der Zahl, übertrugen die Thora ins Griechische, zurzeit die wichtigste Weltsprache. 55 Dadurch wurde Gottes Offenbarung an sein Volk der ganzen Erde zugänglich; die Erde füllte sich mit Gotteserkenntnis, wie es in den Schriften vorausgesagt worden war. 56 Das sahen und verkündeten nämlich die Propheten in längst vergangenen Zeiten. 57 Was da geschah, konnten die Juden nur sehr schwer begreifen, die Heiden vorerst gar nicht. 58 Der Widerhall der ins Griechische übersetzten Thora wird noch nach unzähligen  Generationen  zu  spüren  sein,  ja  er wird sogar immer stärker werden.

59 Die Israeliten wurden seit dem Empfang der Thora unaufhörlich wie Gold im Feuer geläutert. 60 Es gab keine Verschnaufpause für sie, keine Zeit zum Ausruhen.

 

61 Und wenn es sie doch gab, haben die Israeliten sie meistens genützt, um in neue Sünden zu fallen. 62 Um erneut durch „Feuer“ geläutert zu werden. 63 Manchmal waren sie als Gottesvolk wirklich eine Leuchte, manchmal eine Schande, aber sie hörten nie auf, Gottes Eigentum zu sein. 64 Das wurde jetzt vor allen Völkern bestätigt. 65 Ab jetzt können alle, wenn sie es nur wollen, den Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs suchen, zu ihm beten und nach seinen Weisungen leben. 66 Ob und in welchem Maße sie die Gelegenheit nutzen werden, bleibt abzuwarten. 67 Ob die Juden, ob Israel dadurch zu Vorteilen kommt, oder ob es noch kritischer betrachtet wird von Gott und den Menschen? 68 Eines ist jedenfalls sicher: Die Juden haben ihren Glauben und ihre Weisung nie jemandem aufzwingen wollen. 69 Sie haben genug mit sich selbst und ihrem Herrn zu tun. 70 Doch nun ist ein Durchbruch passiert und es gibt es kein Zurück mehr. 71 Der Herr hat sein Wort wie den Morgentau über die ganze Erde ausgebreitet. 72 Möge es bewirken, was nach seinem heiligen Ratschluss damit beabsichtigt war.

 

 

T e i l     E I N S                  KAPITEL 3

 

1 Höre, mein Volk, ich will dich mahnen; Israel, wolltest du doch auf mich hören! 2 Für dich gibt es keinen anderen Gott; du sollst keinen fremden Gott anbeten.

3 Kaum war die Thora, ins Griechische übersetzt, der Menschheit zugänglich geworden, schon machte man sich von allen Seiten daran, die Juden von ihrer Offenbarung  abzubringen  und  ihr Sinnen auf die heidnische Götterwelt zu lenken.

4 Besonders stark war der Druck und der Einfluss der Völker hellenistischer Lebensweise. 5 Es ist deswegen nicht verwunderlich, dass ein erheblicher Teil jüdischer Priester und Schriftgelehrten die Übersetzung der Thora ins Griechische sowie die griechische Lebensweise insgesamt negativ beurteilte.

 

6 Die Mehrheit der Juden hatte indessen ganz andere Probleme. 7 Diese rührten von den kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Ptolemäern und Seleukiden her. 8 Oft ermahnte Gott sein Volk, indem Er es der fremden Herrschaft preisgab. 9 Der ptolemäisch – seleukidische Krieg um Koilesyrien wurde mit einer Friedensvereinbarung beendet. 10 Durch die Hochzeit zwischen Seleukos´ Enkel Antiochos und Ptolemaios´ Enkelin Berenike wurde der Friede besiegelt. 11 Als aber Antiochos sie nach siebenjähriger Ehe verließ und zu seiner ehemaligen Ehefrau zurückkehrte, gab das Anlass zum dritten Krieg zwischen Ptolemäern und Seleukiden. 12 Ptolemaios wollte die Ehre von Berenike wiederherstellen und brach mit Kriegsschiffen in Richtung der seleukidischen Hauptstadt Antiochia auf. 13 Als  er  ankam,  waren  Berenike  und  ihr  Sohn  bereits  ermordet worden.

14 Ptolemaios nahm dies zum Anlass, mit Hilfe seiner Armee die Herrschaft über Syrien, Mesopotamien und Kilikien zu erlangen. 15 Auf diese Weise wurde das Ptolemäerreich zu einer der einflussreichsten Mächten der Welt.

 

16 Das Seleukidenreich dagegen befand sich nach dem mit den Ptolemäern geschlossenen Friedensvertrag in einer schlechten Lage. 17 Seine Provinzen Baktrien und Parthien machten sich nacheinander unabhängig. 18 Aus Baktrien wurde das Griechisch-Baktrische Reich, das sich bis an den Hindus ausdehnte. 19 Von dort kam Kunde von der andersartigen Lebensweise der dortigen Bevölkerung und ihrer religiösen Bräuche. 20 So wurden die Griechen mit dem Buddhismus konfrontiert. 21 Der Buddhismus beeinflusste in gewissem Maße die griechisch geprägte Welt. 22 Im Westen hatte mittlerweile Rom seine Macht ausgebaut. 23 Es wurden neue Kriegstaktiken und neue Waffen entwickelt. 24 Den Römern ging es nicht um die Verbreitung ihrer Weltanschauung, sondern lediglich um mehr Land und mehr Macht. 25 Der Gegenspieler von Rom war Karthago, eine ehemalige phönizische Kolonie. 26 Die Römer nannten die Bewohner Karthagos nach deren phönizischer Herkunft Punier. 27 Das punische Gebiet um Karthago nannten sie Africa, nach dem dort ansässigen Stamm Afri. 28 Karthago war ein starker Seehandelsstaat. 29 Anfangs waren die Beziehungen zwischen Rom und Karthago freundschaftlich und es wurden zwischen ihnen verschiedene Verträge geschlossen. 30 Als es aber den Römern gelang, größere Landgebiete zu erobern, wollten sie auch eine bedeutende Seemacht werden. 31 Damit wurde der Grundstein für eine Auseinandersetzung mit Karthago gelegt. 32 Der erste Krieg begann wegen eines Konfliktes um Sizilien. 33 Die Römer hatten ihre eigene Flotte aufgebaut und damit die Flotte von Karthago zerstört. 34 Karthago verlor danach auch noch die Siedlungen auf anderen Inseln. 35 Diese Verluste wollte  Karthago  mit  den  Gebieten  auf  der Iberischen Halbinsel kompensieren. 36 Um dieses Ziel zu erreichen, wurde ein angesehener Karthager, der Feldherr Hamilkar, von den Römern Barkas genannt, nach Iberien geschickt. 37 Er sollte dort die erzreichen Gebiete für Karthago erobern, was ihm auch gelang. 38 Im Süden des Landes gründeten die Barkiden die Stadt Neu Karthago, von wo aus sie ihre Macht ausübten. 39 Mit den Römern schlossen die Barkiden eine Vereinbarung über die Grenzlinie am Fluss Iberus. 40 Diese Vereinbarung war aber nicht von langer Dauer.

 

41 Der Streit um eine Stadt gab Anlass zum Beginn des zweiten Krieges zwischen Karthago und Rom. 42 Unter dem Kommando von Hannibal entschlossen sich die Karthager zum Marsch über die Alpen bis nach Rom. 43 Dieser beschwerliche Marsch kostete Hannibal fast die Hälfte seines Heeres. 44 Sein Plan war, Rom von seinen Verbündeten abzuschneiden und es dann anzugreifen. 45 Da er Schwierigkeiten  mit  der  Versorgung  hatte,  begannen die Soldaten unterwegs zu plündern. 46 Die Kräfte der Karthager ließen trotzdem nach. 47 Die meisten der Verbündeten Roms hielten ihre Bündnistreue, wodurch Rom erstarkte. 48 Als Gegenmaßnahme bereiteten die Römer eine Kriegsexpedition nach Karthago unter dem Oberbefehl Scipios vor. 49 Hannibal war gezwungen, in seine Heimat zurückzukehren, und wurde in der Schlacht bei Zama von Scipio besiegt. 50 Dieser Triumph Roms bedeutete das Ende der Macht von Karthago, das danach zum römischen Vasallenstaat wurde. 51 Die unbedeutend gewordenen griechischen Stadtstaaten nutzten die römischen Kriege, um ihren einstigen Ruhm wieder zu erlangen. 52 Dem widersetzten sich die Makedonier, die ihre Oberherrschaft über die Stadtstaaten aufrechterhalten wollten. 53 Die Makedonier hatten seit der Zeit der Nachfolgekriege eines der stärksten Heere der Welt. 54 Ihr Herrscher Philippus schloss ein Bündnis mit Hannibal und erklärte Rom den Krieg. 55 Er verband sich auch mit dem syrischen König Antiochos. 56 Als Makedonien sich erneut in die innergriechischen Angelegenheiten einmischte, kamen die Römer den Athenern und den anderen griechischen Stadtstaaten zu Hilfe. 57 So begann Rom in den griechischen Kleinstaaten allmählich an Einfluss zu gewinnen, während das makedonische Königreich seinen Einfluss verlor. 58 Dank all dieser wechselnden Bündnisse und Kriege ist der Nachrichtenfluss reger geworden. 59 Neuigkeiten verbreiten sich schneller. 60 Eine der Neuheiten ist die Einführung des makedonisch-seleukidischen Kalenders, mit dem Jahr der Besetzung Babylons durch Seleukos als Anfangsjahr. 61 Dieser Kalender wird auch in Syrien und Judäa verwendet. 62 Nachdem die Griechen mit der Thora vertraut worden sind, lassen sie noch andere Teile der jüdischen heiligen Schriften ins Griechische übersetzen.

 

 63 Die Heiden haben erfasst, dass die Juden aufgrund der Thora sich als das auserwählte Volk betrachten und nur einen Gott anbeten. 64 Dem wollen sie entgegenwirken, wodurch für die Juden unter den Seleukiden eine schwere Zeit beginnt. 65 Zunächst wollen die Seleukiden den Juden ihre heidnischen Bräuche auf friedliche Weise nahebringen. 66 Jene Juden, welche bereit sind, die heidnische Lebensart anzunehmen, erhalten öffentliche Ämter und können sogar als Richter eingesetzt werden. 67 So bildet sich eine Gruppe von hellenisierten Juden. 68 Diese bejahen Sportveranstaltungen, Theatervorstellungen und Tanzfeierlichkeiten und nehmen aktiv daran teil. 69 Sie gehen sogar so weit, dass sie griechischen Idolen und Göttern Altäre bauen lassen. 70 Die übrigen Juden verurteilen das aufs schärfste. 71 Nun beginnt für die jüdische Bevölkerung eine Zeit der Prüfung. 72 Ob sie sie erfolgreich bestehen werden, hängt davon ab, wie standhaft sie bleiben und in welchem Maße ihnen der Fels Israels hilft.

 

 

T e i l     E I N S                  KAPITEL 4

 

1 Der Herr ist allen, die ihn anrufen, nahe, allen, die zu ihm aufrichtig rufen.

2 Die Treue zur Thora bei den Einen und die Hinwendung zu den heidnischen Gepflogenheiten bei den Anderen beginnt das jüdische Volk zu spalten und zu zerreißen. 3 Da die Juden im Weltgeschehen nichts zu sagen haben, beschäftigen sie sich mit sich selbst; so sind unter ihnen zahlreiche, wie die Regenbogenfarben divergierende Gruppierungen entstanden. 4 Darin befinden sich Interessenvertreter aller Sorten, von kopflosen Fanatikern über traditionelle Thorabeobachter bis hin zu Bewunderern heidnischer Götter. 5 Auch unter den Priestern und der politischen Führung gibt es keine einheitliche Meinung. 6 Israel scheint wieder einmal von Gott vergessen worden zu sein; allerdings handelt der Allmächtige nicht nach menschlichen Maßstäben. 7 Nur fromme und gesetzestreue Juden sind in dieser schweren Zeit nicht kopflos und verzweifelt. 8 Sie wissen sehr wohl, dass es die Sünden des Volkes sind, denen sie all die Schwierigkeiten zu verdanken haben, dass aber gerade diese Schwierigkeiten gleichzeitig eine Bewährungsprobe für die Standhaftigkeit von Gottes Erwählten darstellen. 9 Das Rad der Geschichte dreht sich inzwischen an den Juden vorbei, denn nicht das Volk Gottes hält es in Bewegung, sondern die Welt. 10 Reiche vergehen, neue Reiche entstehen, Herrscher werden inthronisiert und wieder gestürzt. 11 Mächtige werden schwach, und ganz Unbekannte betreten als neue Machtfaktoren die Weltarena. 12 Auch in Rom werden, ähnlich wie bei den Griechen, Theater und Sportveranstaltungen  hochgeschätzt;  nur  der Stil unterscheidet sich von dem griechischen. 13 Die Römer lassen Menschen gegen Tiere antreten, sie ergötzen sich beim Zuschauen, wenn Tiere mit Tieren kämpfen, oder wenn Menschen Tieren zum Fraß vorgeworfen werden. 14 Hier fließt das Blut gleich in der Arena, und nicht erst bei den Auseinandersetzungen der Zuschauer nach den Wettkämpfen wie bei den Griechen. 15 Das stellt in den Augen der Heiden sogar einen gewissen Fortschritt dar. 16 Und nun zurück zu den Ereignissen.

 

17 Die Makedonier wurden wiederholt von den Römern geschlagen, sie verloren die Herrschaft in den griechischen Stadtstaaten und müssen Entschädigungszahlungen an  Rom entrichten.  18 Rom will seine Gebiete nach Osten hin erweitern.

19 Dort, in Koilesyrien, kämpfen weiterhin die Seleukiden und die Ptolemäer um die Vorherrschaft. 20 Der seleukidische Herrscher Antiochos besiegte an den Jordanquellen den ptolemäischen Feldherrn Skopas. 21 So gewannen die Seleukiden erneut die politische Herrschaft in Koilesyrien. 22 Um den anschließend vereinbarten Frieden zwischen den beiden Dynastien zu sichern, gab Antiochos seine Tochter Kleopatra dem Ptolemaios zur Frau. 23 Als neuer Herrscher bestätigte Antiochos den Juden freie Ausübung ihres Kultes. 24 Während die Seleukiden sich ihrer Macht in Koilesyrien ganz sicher waren, brachen plötzlich die Römer dort ein. 25 In der Schlacht bei den Thermopylen wurde Antiochos von den Römern vernichtend geschlagen. 26 Nachdem er bei Magnesia noch einmal von ihnen besiegt wurde, nahmen die Römer seinen Sohn Antiochos als Geisel mit nach Rom. 27 Durch den Friedensvertrag von Apameia fielen auch die Gebiete östlich des Großen Meeres unter römische Herrschaft.

 

28 Karthagos Feldherr Hannibal, welcher vor den Römern nach Syrien geflüchtet war, musste nach der Niederlage Antiochos wieder die Flucht ergreifen. 29 Als ihm vom bithynischen König die Auslieferung an Rom drohte, beging er Selbstmord. 30 Inzwischen versuchte der makedonische König Perseus, Sohn des Philippus, die einstige Macht seines Reiches wiederzuerlangen. 31 Dies misslang ihm allerdings, und das Königreich der Antigoniden wurde in der Folge aufgelöst. 32 Nach dem Tod von Antiochos wurde sein Sohn Seleukos Herrscher des Reiches. 33 Da sich Seleukos wegen der Tributzahlungen an Rom in einer Finanzkrise befand, befahl er seinem Kanzler Heliodoros, den Jerusalemer Tempel zu plündern.  34 Heliodoros gelang diese Freveltat nicht; etwas später ermordete er den König.  35 Dem Antiochos, der einst als Geisel in Rom weilte, gelang es nämlich, in Athen und Pergamon eine politische Opposition gegen seinen Bruder Seleukos zu bilden.

 

36 Als Antiochos, der vierte mit diesem Namen aus der seleukidischen Dynastie, König wurde, unternahm er einen erfolgreichen Feldzug gegen Ägypten. 37 Die Römer verhinderten jedoch die Einnahme von ganz Ägypten, da sie bestimmte Gebiete für sich beanspruchten. 38 Antiochos musste zurückkehren, wobei er auf dem Rückmarsch den Jerusalemer Tempel plünderte. 39 Er ließ den Tempel dem Zeus weihen. 40 Unter der Regierung von Antiochos verschlimmerte sich die Lage der Juden, weil er die von seinem Vater den Juden eingeräumten Privilegien abschaffte. 41 Er war bestrebt, sein Reich mittels hellenistischer Weltanschauung politisch, sozial und religiös zu einigen. 42 Den Juden verbot er die Ausübung ihres religiösen Kultes, die Beschneidung, Sabbathaltung und Thoralesung. 43 Zum Hohenpriester bestellte er Jason, den Bruder von Onias, welcher sich für die Hellenisierung der Juden einsetzte. 44 Er ließ direkt neben dem Tempel ein Gymnasion bauen und befürwortete das Austragen von Wettkämpfen in Jerusalem. 45 Die Schändung des Jerusalemer Tempels war für die Juden das schlimmste Verbrechen, das ihnen angetan werden konnte. 46 Als das Maß der heidnischen Freveltaten in Judäa und Jerusalem erfüllt war, kam die Stunde der Juden, die Stunde ihres Gottes. 47 Nicht wie ein Blitz in den heidnischen Altar in Jerusalem schlug der Herr ein, nein, Er entzündete einen kleinen Funken im nahen Modein, und zwar durch seinen Erwählten Mattatias. 48 Was Mattatias und seine Söhne vollbrachten, war kein Akt der Verzweiflung, auch kein kopfloser Racheakt und schon gar keine Handlung aus Resignation. 49 Es war ein Geistesfunke, der in Gott ergebenen Menschen in bestimmten Momenten entzündet wird. 50 Nach allen menschlichen Maßstäben hätte die Tat des Mattatias am Opferaltar in Modein die Ausrottung seiner Sippe und aller gesetzestreuen Juden nach sich ziehen müssen. 51 Stattdessen stellt sie den Auftakt zur Wiederherstellung Israels und seiner Treue zu Gott dar, wie sie seit den Tagen von Esra und Nehemia nicht mehr zu beobachten war. 52 Ein Volk, das seine Vergangenheit kennt und Gott ehrt, kann nicht ausgerottet werden, auch wenn es noch so sündhaft sei. 53 Am Ende führt Gott selbst sein Volk gegen Frevler und Unterdrücker an, seien sie nun aus den eigenen Reihen oder aus den Reihen der Heiden. 54 Gott ist der König Israels und Er hat durch Mattatias und dessen Söhne seinen Namen verherrlicht. 55 Das jüdische Volk funktioniert nämlich folgendermaßen: Wenn die Welt es als endlich vernichtet und ausgerottet wähnt, haucht der Herr ihm wieder neues Leben ein, und es steht auf wie die toten Knochen, von denen der Prophet Ezechiel berichtet. 56 Wir brauchen uns nur den mächtigen Alexander und sein Weltreich ins Gedächtnis zu rufen! 57 Was ist im Vergleich zu ihm ein unbekannter Mattatias und ein kleiner Ort namens Modein in Judäa? 58 Und doch ist gerade dort  das  Licht  entzündet  worden,  das  Israel  und viele Völker erleuchten wird. 59 Nachdem Mattatias den, den Götzen opfernden Juden sowie den königlichen Beamten erdolcht hatte, floh er mit seinen Söhnen und anderen gesetzestreuen Juden in die Berge. 60 Von dort aus organisierten sie den Befreiungskampf. 61 Als sie erfuhren, dass die aus Jerusalem geflohenen Juden an einem Sabbat ermordet worden waren, beschlossen sie, sich künftig auch an einem Sabbat gegen die Feinde zu wehren.

 

62 Nach dem Tod von Mattatias wurde sein Sohn Juda der Anführer. 63 Er und sein Heer wurden durch heldenhafte Siege berühmt. 64 Sogar der grausame Tyrann Antiochos, der auf seinem Feldzug von Judas Erfolgen hörte, während er in Persien wegen einer schweren Krankheit ums Leben rang, ließ für die Juden ein Abkommen schreiben. 65 Juda gelang es, den Jerusalemer Tempel von den heidnischen Götzen wieder zu reinigen und den jüdischen Gottesdienst zu erneuern. 66 Dieses Ereignis wird von den Juden alljährlich als Fest begangen. 67 Juda ließ im Tempel auch ein Sühneopfer für die gefallenen Kämpfer darbringen. 68 Er schickte seine Boten nach Rom, um ein Freundschaftsabkommen zu schließen. 69 Inzwischen wurde Seleukos´ Sohn Demetrios, König. 70 Demetrios schickte Heerführer Bakchides gegen das jüdische Heer; dieser besiegte in der Schlacht bei Elasa den jüdischen Anführer Juda, genannt Makkabi. 71 Nach Judas Tod übernahm sein Bruder Jonathan die Führung, musste aber mit seinen Kämpfern vor Bakchides über den Jordan fliehen. 72 Auch Jonathan war ein gottesfürchtiger Mann, der sein volles Vertrauen in Gottes Gerechtigkeit und Barmherzigkeit gegenüber dem jüdischen Volk setzte.

 

 

T e i l     E I N S                  KAPITEL 5

 

1 Denn der Herr ist ein großer Gott, ein großer König über allen Göttern.

2 Mit der Wiedereinführung des jüdischen Kultes in den Tempel von Jerusalem beginnt für die Juden eine bessere Zeit. 3 Die Frevler gönnen ihnen die erkämpfte Freiheit jedoch nicht, sondern beginnen aufs Neue zu intrigieren. 4 Der Hohepriester Alkimos, eingesetzt vom seleukidischen Herrscher Demetrios, befiehlt, die Mauer des inneren Tempelhofes niederzureißen. 5 Da Bakchides, der Heerführer von Demetrios, die Makkabäer Jonathan und seinen Bruder Simon nicht besiegen konnte, schließt er mit ihnen einen Friedensvertrag. 6 Der Krieg in Israel scheint beendet zu sein, und Jonathan beginnt das jüdische Volk zu richten. 7 Dies findet in Mikmas statt, wo einst Saul und sein Sohn Jonathan den Kampf gegen die Philister angefangen hatten.

 

8 In dieser Zeit behauptet ein Mann aus Kilikien, Balas aus Smyrna, er sei der ermordet geglaubte Sohn des seleukidischen Tyrannen Antiochos. 9 Er findet Unterstützung beim pergamonischen König Atallos. 10 Balas, der sich den Namen Alexandros zugelegt hat, erscheint in Begleitung von Antiochos Tochter Laodike vor dem römischen Senat und überzeugt die Senatoren von seinem Anspruch auf den seleukidischen Thron. 11 Im Hafen Ptolemaios in Koilesyrien bildet er eine Gegenregierung. 12 Um sich in seiner Position zu behaupten, unternimmt sein Gegner Demetrios den Versuch, sich mit dem Makkabäer Jonathan zu verbünden. 13 Er verleiht ihm das Recht, ein eigenes Heer zu besitzen, und lässt alle jüdischen Gefangenen aus der Jerusalemer Festung frei. 14 Jonathan befestigt daraufhin den Berg Sion und beginnt Jerusalem zu erneuern. 15 Als Alexandros von der Tapferkeit der Makkabäer erfährt, will auch er einen Freundschaftsbund mit ihnen schließen. 16 Er setzt Jonathan als Hohenpriester ein; dieser tritt sein Amt am Fest Sukkot an. 17 Jonathan misstraut Demetrios wegen dessen früheren schrecklichen Taten. 18 Alexandros, unterstützt von den ptolemäischen Ägyptern, besiegt Demetrios und wird Herrscher über das Seleukidenreich. 19 Um seine Position zu festigen, heiratet er die ptolemäische Prinzessin Kleopatra.

 

20 Rom versuchte unterdessen größere Gebiete in Hispanien zu gewinnen. 21 Die keltiberischen Stämme leisteten Widerstand. 22 Der Kopf des Widerstandes war Viriathus, ein bedeutender Anführer aus dem Stamm der Lusitaner. 23 Rom schloss mit Viriathus einen Friedensvertrag, ließ ihn aber später ermorden. 24 Inzwischen kam es auch zwischen Karthago und dem westlich angrenzenden numidischen Königreich zu einer Auseinandersetzung. 25 Numidien war schon seit dem punischen Krieg innerlich gespalten: der Ostteil sympathisierte mit Rom, der Westteil mit Karthago. 26 Rom setzte König Massinissa als Herrscher über alle Numider ein; sein Königreich erstreckte sich westlich bis nach Mauretanien. 27 Massinissa, der sich der Unterstützung Roms sicher war, unternahm etliche Angriffe auf karthagische Gebiete. 28 Karthago schickte sein Heer gegen den numidischen König. 29 Damit begann ein Krieg, in welchem Karthago nach drei Jahren harter Kämpfe von den Römern völlig zerstört wurde. 30 Zur gleichen Zeit wurden auch die griechischen Stadtstaaten von Rom bezwungen. 31 Der Achaiische Bund, mit dem Sitz in Korinth, opponierte gegen Rom. 32 Als die Staaten des Achaiischen Bundes Sparta den Krieg erklärten, gerieten sie in Konflikt mit Rom. 33 Die Römer legten Korinth in Schutt und Asche, die Männer wurden hingerichtet, alle anderen wurden als Sklaven verkauft. 34 So wurden neben Macedonia und Africa auch noch die griechischen Stadtstaaten zu römischen Provinzen. 35 Die griechische Lebensweise setzt sich auch unter den Römern immer mehr durch. 36 Schon früher empfing Rom eine Philosophengesandtschaft aus Athen. 37 Nun nehmen auch Römer an den olympischen Spielen teil. 38 In Kilikien begann inzwischen Demetrios´ gleichnamiger Sohn um die Macht im Seleukidenreich zu kämpfen. 39 Sein Statthalter in Koilesyrien führte den Kampf gegen Alexandros, wurde jedoch in Gaza von Jonathan besiegt. 40 Der ägyptische Pharao Ptolemaios eilte zunächst seinem Schwiegersohn Alexandros   zu  Hilfe.  41  Unterwegs   besetzte  er  viele  Städte.

 

42 Schließlich wechselte er auf die Seite des Demetrios und bot seine Tochter Kleopatra, die er zuvor Alexandros zur Frau gegeben hatte, als Teil des Bündnisvertrages Demetrios zur Frau an. 43 Mit ägyptischer Hilfe gelang es Demetrios, Alexandros bei der seleukidischen Hauptstadt Antiochia zu schlagen. 44 Drei Tage später starb Ptolemaios, der sechste mit diesem Namen in der ptolemäischen Dynastie. 45 Er war es, der dem aus Jerusalem geflüchteten Hohenpriester Onias erlaubte, in der ägyptischen Stadt Leontopolis im Nildelta einen jüdischen Tempel zu bauen. 46 Zu jener Zeit zog sich eine Gruppe frommer Juden in die Wüste nahe am Salzmeer zurück, um dort in Verborgenheit zu leben. 47 Sie entwarfen eigene Gemeinschaftsregeln und befassten sich mit dem Abschreiben, Übersetzen oder Neuverfassen von jüdischen religiösen Schriften.  48 Darunter befand sich auch das Buch der Jubiläen, das die jüdische Geschichte seit Beginn der Welt bis zum Exodus aus Ägypten beschreibt.

 

49 Nach dem Tode von Alexandros und Ptolemaios wurde Demetrios zum Alleinherrscher über das ganze Seleukidenreich. 50 Inzwischen ernannte Antiochos, der Sohn von Alexandros und Kleopatra, den Makkabäer Jonathan zum Statthalter von  Koilesyrien  und  dessen  Bruder  Simon  zum  Feldherrn  des Küstengebiets. 51 Antiochos´ Feldherr Diodotos übernahm jedoch selbst die Führung in Syrien und ließ Jonathan durch eine List ermorden. 52 Simon erkannte Demetrios als den seleukidischen Herrscher an und wurde im Gegenzug von ihm zum Hohenpriester und Ethnarchen von Judäa ernannt. 53 Simons Sohn Johanan wurde zum Heerführer. 54 Simon erneuerte das Freundschaftsbündnis mit Rom. 55 Er wurde, zusammen mit seinen Söhnen Juda und Mattathias, in Jericho vom Schwiegersohn ermordet. 56 Der dritte Sohn, Johanan, wurde sein Nachfolger. 57 Er erreichte die politische Unabhängigkeit für die Juden und führte eine auf Expansion gerichtete Politik. 58 Im Süden schloss er Idumäa dem jüdischen Staat an. 59 Im Norden eroberte er Samarien und zerstörte den Tempel auf dem Berg Garizim. 60 Dadurch wurden die Menschen gezwungen, nach Jerusalem zu pilgern und im Tempel zu opfern.

 

61 Ein Sklavenaufstand gegen die römischen Herren wurde von den Römern niedergeschlagen; tausende von Sklaven wurden gekreuzigt. 62 Den Römern gelang es, die Provinz Gallien jenseits der Alpen zu gründen. 63 Die Stämme der Kimbern und Teutonen sahen dem nicht tatenlos zu. 64 Auch Jugurtha, der neue König von Numidien, stellte sich nun gegen Rom. 65 Das römische Heer wurde dem Feldherrn Gaius Marius unterstellt und von ihm reformiert. 66 Dieser besiegte dann die Numider sowie die Rom bedrohenden Stämme der Teutonen, Ambronen und der Kimbern. 67 In Judäa lässt sich Aristobulos, der Sohn von Johanan mit dem Beinamen Hyrkanos, zum König proklamieren. 68 Er erobert das Gebiet Galiläa und versucht dort die jüdische Lebensweise einzuführen. 69 Als er ein Jahr später plötzlich stirbt, übernimmt sein Bruder Jonathan die Regierung und das Amt des Hohenpriesters. 70 Er legt sich den Namen Alexander Jannaios zu und heiratet seine verwitwete Schwägerin Salome. 71 Die Juden haben nach langer Zeit endlich wieder ihr Königreich. 72 Ob es bei Gott Bestand haben wird, werden künftige Generationen erleben.

 

 

T e i l     E I N S                  KAPITEL 6

                                                                                       

1 Hilf doch, o Herr, die Frommen schwinden dahin, unter den Menschen gibt es keine Treue mehr.

2 Die Römer erobern immer neue Gebiete, die alten Reiche gehen zugrunde und werden zu römischen Provinzen. 3 Rom muss Lösungen finden, um solch große Gebiete erfolgreich  zu  regieren. 4 Hier wird  die römische Verwaltung gefordert.

5 Um die neu entstandenen Probleme zu bewältigen, ergänzt man alte oder verfasst neue Gesetze. 6 Jedes neue Gesetz bedarf vor seiner Verabschiedung der Zustimmung des römischen Senats, dessen Mitglieder zu den angesehensten römischen Bürgern gehören. 7 Das Volk wählt jedes Jahr zwei Konsuln, welche mit höchster ziviler und militärischer Macht betraut werden und sich gegenseitig kontrollieren sollen. 8 Nach Beendigung ihrer Amtszeit wird ihnen als Prokonsuln von dem Senat jeweils eine Provinz als Verwaltungsgebiet zugewiesen. 9 Im Falle einer militärischen Gefährdung des römischen Staates wird auf ein halbes Jahr befristet ein Diktator bestimmt, dem die absolute Macht übertragen wird.

 

10 Zu jener Zeit bekam Rom Probleme mit den verbündeten Stämmen der Italiker. 11 Sie wollten das römische Bürgerrecht für sich erzwingen und errichteten sogar ihren eigenen Senat in der Stadt Corfinium, die sie Italica nannten. 12 Nach langen Kämpfen wurde das römische Bürgerrecht jenen erteilt, die Rom treu geblieben waren. 13 Im Osten hatte Rom die neue Provinz Asia zu verwalten, deren Gebiet von  dem  letzten  pergamonischen  König  Attalos  an  Rom  übergegangen  war. 

14 Das missfiel dem pontischen König Mithridates, der deswegen die in Asia lebenden Griechen zum Aufruhr gegen die römische Regierung wegen der hohen Steuern anstiftete. 15 Aus seiner neuen Residenz in Ephesus befahl Mithridates, alle in der Provinz Asia lebenden Römer und Italiker innerhalb eines Tages zu ermorden. 16 Der Widerstandsbewegung gegen die Römer schlossen sich auch die Athener an. 17 In Rom kommt es zu einer Auseinandersetzung zwischen dem Volk und dem Senat. 18 Es geht um die Kriegsführung gegen Mithridates. 19 Das Volk will Gaius Marius das Kommando übertragen, weil er die Reform des Heeres durchgeführt hat. 20 Der Senat bevorzugt dagegen den Konsul Lucius Cornelius Sulla, der sich im Bundesgenossenkrieg ausgezeichnet hat. 21 Es kommt zum Bürgerkrieg zwischen den beiden Lagern. 22 Sulla will sich die Beauftragung des Senats zur Lösung der Krise im Osten nicht nehmen lassen und begibt sich mit seinen Truppen zuerst gegen Athen und dann in die Provinz Asia. 23 In Rom ergriffen inzwischen die Anhänger von Gaius Marius die Macht. 24 Er selbst stirbt bald danach. 25 Sulla schließt Frieden mit dem pontischen König, und so bleibt Mithridates Herrscher über Pontus. 26 Sulla selbst kehrt eilig nach Rom zurück, beendet dort den Bürgerkrieg und lässt viele politische Gegner ermorden.  27 Er lässt sich zum Diktator ernennen.  28 Der junge Gnaeus Pompeius bekommt als Sullas Anhänger dessen Stieftochter zur Frau. 29 Als Feldherr führt Pompeius Ordnung in Sicilia, Africa sowie Hispania ein. 30 Nach dem Ende seiner Amtszeit als römischer Konsul wird er aufs Meer gegen die den Handel bedrohenden Piraten geschickt. 

 

31 Das Seleukidenreich zerfiel nach dem Tod Seleukos in mehrere Gebiete, in denen die Machtkämpfe fortdauerten. 32 Diese Situation nutzten die Einwohner von Kilikien, um mit der ertragreichen Seeräuberei zu beginnen. 33 Pompeius vernichtete sie und Kilikien wurde römische Provinz. 34 Er besiegte auch den pontischen König, woraufhin das Gebiet von Pontus und Bithynien römische Provinz wurde. 35 Im Osten grenzen nun die Römer an die militärisch starken Parther, mit denen sie den Fluss Euphrat als Grenze vereinbart haben. 36 Auch im jüdischen Königreich kam es zu wesentlichen Veränderungen. 37 Während der Regierung von Alexander Jannaios lehnte sich eine Gruppe frommer Juden gegen die wachsende Hellenisierung des jüdischen Königreichs auf.  38 Sie forderten Alexander auf, sich entweder für das Amt des Herrschers oder für das Hohenpriesteramt zu entscheiden.  39 Unter Alexanders Regierung hatten die Sadduzäer die Mehrheit im Hohen Rat und beeinflussten die jüdische Politik. 40 Die Opposition konnte mit der Unterstützung des einfachen Volkes rechnen, weil sie sich unter anderem auch zu den Vermögensunterschieden zwischen Arm und Reich äußerte. 41 Sie vertrat außerdem die Ansicht, dass der Tempeldienst der Thora untergeordnet sein müsste, aber auch den Prophetenschriften, die die Sadduzäer jedoch nicht anerkannten. 42 Damals kam es zum Aufstand der Oppositionellen, der blutig niedergeschlagen wurde. 43 Erst auf dem Totenbett forderte Alexander die beiden Gruppen im Hohen Rat zur Toleranz auf. 44 Nach Alexander bestieg seine Frau Salome, die sich den griechischen Namen Alexandra zulegte, den jüdischen Thron.

 

45 Salome Alexandra war die erste jüdische Königin. 46 Da sie als Frau das Hohenpriesteramt nicht ausüben durfte, wurde ihr Sohn Johanan Hyrkanos, der designierte König, damit beauftragt. 47 Unter Alexandras Regierung wurde der Gelehrte Shimon ben Schetach Vertreter des Hohen Rates. 48 Dieser setzte die pharisäische Interpretation des jüdischen Gesetzes durch. 49 Seine Reformen betrafen das Ehegesetz und die Einrichtung der Jungenschulen für den Thoraunterricht.  50 Die immer mehr in die Ecke gedrängten Sadduzäer wurden von der Königin mit der Kontrolle von Grenzfestungen betraut. 51 Das wusste nach dem Tod der Königin ihr machtgieriger Sohn Aristobulos zu nutzen, der viele Soldaten gegen seinen Bruder Hyrkanos gewann. 52 In dieser für Hyrkanos ungünstigen Lage half ihm der Idumäer Antipater als Ratgeber. 53 Hyrkanos verband sich mit dem nabatäischen König Aretes. 54 Aristobulos wandte sich seinerseits um Hilfe an den römischen Feldherrn Pompeius, der in Syrien gegen den armenischen König Tigranes kämpfte. 55 So wurde Hyrkanos zunächst besiegt, und Aristobulos bestieg den jüdischen Thron. 56 Bald aber gewann Hyrkanos mit Hilfe von Antipater den Pompeius für sich. 57 Als die Anhänger von Hyrkanos dem Pompeius die Tore Jerusalems öffneten, verschanzte sich Aristobulos mit seiner Legion ein paar Monate lang im Jerusalemer Tempel. 58 Als ihn schließlich Pompeius besiegte, betrat dieser  zum  allgemeinem  Entsetzen  der Juden  auch das Allerheiligste des Tempels. 59 Pompeius bestätigte Hyrkanos als Hohenpriester, doch Judäa wurde von ihm in Bezirke aufgeteilt und der römischen Provinz Syria untergeordnet. 60 Aristobulos´ Familie wurde als Geisel nach Rom gebracht, mit Ausnahme von Aristobulos´ Sohn Alexander, dem es zu fliehen gelang.

61 Während Pompeius außerhalb von Rom weilte, schmiedeten in Rom andere ihre politischen Pläne. 62 Unter ihnen Gaius Julius Caesar, Feldherr, Redner und Vorsteher des sakralen Kollegiums. 63 Er hatte die langjährige Feindschaft zwischen Crassus und Pompeius geschlichtet. 64 Caesar wurde mit Hilfe von Crassus und Pompeius  zum  Konsul  gewählt  und gab Pompeius seine Tochter Julia zur Frau.

65 Danach wurde er Prokonsul in Gallien. 66 Dort führte er Krieg gegen die Helveten und Briten. 67 Auch in Ägypten kam es zu Thronstreitigkeiten. 68 Der herrschende Ptolemaios wurde vertrieben und ging nach Rom, um dort Hilfe zu erbitten.  69 Mit  römischer  Hilfe wurde er wieder als  König  von Ägypten eingesetzt.

70 Die Römer beherrschen fast die ganze Welt. 71 Das reicht ihnen allerdings immer noch nicht. 72 Israel dagegen verliert wegen innerer Uneinigkeit und römischen Druckes nach und nach an Selbständigkeit und Bedeutung.

 

                                                                                                                      

T e i l     E I N S                  KAPITEL 7

 

1 Einst hast du, Herr, dein Land begnadet und Jakobs Unglück gewendet, hast deinem Volk die Schuld vergeben, all seine Sünden zugedeckt, hast zurückgezogen deinen ganzen Grimm und deinen glühenden Zorn gedämpft.

2 Als Hyrkanos Hohepriester in Jerusalem war und Antipater dort als Statthalter wirkte, erreichte Judäa eine Nachricht, die außer Trauer auch gewisse Erleichterung brachte. 3 Aristobulos, der Bruder von Hyrkanos, war in Rom ums Leben gekommen, während seinem Sohn Antigonos Mattathias die Flucht gelungen war. 4 Im Römischen Reich kam es zu Unruhen und Kriegen, da sich Julius Caesar weigerte, dem Beschluss des Senats über seine Entmachtung Folge zu leisten. 5 Er marschierte mit seinem Heer nach Rom, wo ihm der vom Senat mit der Verteidigung Roms beauftragte Gnaeus Pompeius entgegentreten sollte. 6 Pompeius aber stellte fest, dass er nicht genügend Truppen bereit hatte, und ergriff mit seinem Heer die Flucht. 7 Caesar verfolgte ihn, und in Thessalien kam es dann zum Kampf. 8 Julius Caesar besiegte den Gegner durch List. 9 Pompeius floh nach Ägypten, wo ihn Ptolemaios aus Angst vor Caesar ermorden ließ.

 

10 Caesar, der Pompeius nach Ägypten gefolgt war, schlichtete dort den Thronstreit zwischen Ptolemaios und dessen Schwester Kleopatra. 11 Auf sein Betreiben hin wurde Kleopatra wieder als Mitregentin eingesetzt. 12 In Alexandria kam es deshalb zu einem Aufstand gegen Caesar. 13 Mithridates von Pergamon und Antipater eilten mit ihren Truppen Julius Caesar zu Hilfe, und Caesar gelang es, wieder durch List, die Schlacht für sich zu entscheiden. 14 Caesar ernannte den jüngeren Ptolemaios zum Mitregenten, da der ältere ums Leben gekommen war. 15 Zwischen Kleopatra und Caesar entwickelte sich eine Liebesbeziehung, deren Frucht Ptolemaios Caesarion war. 16 Caesar bestätigte Antipater und Hyrkanos in ihren Ämtern, und Antipater erhielt die Erlaubnis, die Mauern Jerusalems wiederaufzubauen. 17 Seinen älteren Sohn Phasael bestellte Antipater zum Befehlshaber in Jerusalem, und seinen jüngeren Sohn Herodes in Galiläa. 18 Herodes kämpfte erfolgreich gegen Räuberbanden und wurde besonders von den Syrern als Befreier gefeiert. 19 Antipater wurde vergiftet, aber auch der Anstifter zum Giftmord fand im Auftrag von Herodes den Tod. 20 Indessen hatte Julius Caesar einige Schlachten gegen die Söhne und die Anhänger von Pompeius gewonnen. 21 So kehrte er als Alleinherrscher nach Rom zurück,  wo  er  zum  Diktator ernannt wurde. 22 Er führte einen neuen Kalender ein. 23 Zu Beginn waren viele Senatoren von Caesar begeistert gewesen, nun fürchteten sie, er könnte den Senat jeglichen Mitspracherechts entheben. 24 Es kam zu einer Verschwörung gegen ihn, in der Marcus Junius Brutus und Gaius Cassius Longinus die Hauptrolle spielten. 25 Caesar wurde in der Senatssitzung im Theater des Pompeius durch mehrere Dolchstiche ermordet. 26 Die Anführer der Verschwörung flohen aus Rom. 27 Gaius Octavius, Marcus Antonius und Marcus Aemilius Lepidus schlossen sich zum zweiten Triumvirat zusammen. 28 Sie verfolgten Caesars Mörder, die nach der Niederlage Selbstmord begingen.

 

29 In  Judäa  brachte  man  der Ausrufung Caesars zum Gott Verachtung entgegen.

30 Dennoch erhoben die Judäer bei Marcus Antonius Anklage gegen Herodes und Phasael. 31 Marcus Antonius ging nicht darauf ein. 32 Vielmehr ließ er mit Gewalt gegen die Meuterer vorgehen. 33 Der Neffe des Hohenpriesters, Antigonos Mattathias, nutzte die Gunst der Stunde, um auf seine Rechnung zu kommen. 34 Mit Hilfe  der  Parther  eroberte  er  Judäa  und erklärte sich selbst zum Hohenpriester.

35 Seinem Onkel, welcher von den Parthern gefangen genommen worden war, ließ er die Ohren abschneiden, um ihn für das Amt des Hohenpriesters untauglich zu machen. 36 Nachdem die Parther Jerusalem erobert hatten, beging Phasael Selbstmord, während Herodes nach Rom flüchtete. 37 Kurze Zeit darauf kehrte er aber als Belagerer Jerusalems zurück. 38 Er war nämlich vom römischen Senat zum König von Judäa ernannt worden. 39 Herodes eroberte Jerusalem und ließ Antigonos Mattathias auf Befehl von Marcus Antonius hinrichten. 40 Herodes verstieß seine erste Frau und heiratete Mariamne, eine Enkelin des Hohenpriesters Hyrkanos, um sich dadurch beim Volk beliebt zu machen. 41 Auf Drängen seiner Schwiegermutter verlieh Herodes das Amt des Hohenpriesters seinem Schwager Aristobulos und setzte den bis dahin amtierenden Ananel ab. 42 Als er jedoch sah, wie begeistert das Volk am Laubhüttenfest dem jungen Hohenpriester zujubelte, ging ihm das wider den Strich. 43 Nachdem Aristobulos, vermutlich durch Mithilfe von Herodes’ Dienern, ertrunken war, setzte Herodes Ananel wieder in sein Amt ein. 44 Damit machte er sich beim Volk noch verhasster.  45 Im Römischen Reich gab es wieder neue Bürgerkriege. 46 Octavius besiegte in einer Seeschlacht Marcus Antonius, doch gelang es diesem, zusammen mit Kleopatra, zu fliehen. 47 Nach diesen Ereignissen ließ Kleopatra Artavasdes, dem König von Armenien, den Kopf abschlagen. 48 Enttäuscht über die Niederlage, begingen Marcus Antonius und Kleopatra Selbstmord. 49 Marcus Agrippa besiegte in einer Seeschlacht die Flotte von Sextus Pompeius, welche die Kornzufuhr nach Rom blockierte. 50 In Rom ließ er einen Tempel für alle Götter bauen. 51 In Cantabri beendete er siegreich die dortigen Unruhen und Kriege. 52 Um einem Aufstand zuvorzukommen, ließ Octavius Caesarion, den Sohn von Kleopatra und Caesar, töten.  53 Octavius  erhielt  vom Senat   den  Namen  Augustus  verliehen. 54 Herodes ließ Tempel, Theater, Städte und Häfen bauen. 55 So erfolgreich wie Herodes als Feld- und Bauherr war, so viel Unglück hatte er in der eigenen Familie. 56 Es gab Machtkämpfe, in denen gefälschte Briefe, unzählige Intrigen und Verleumdungen zum Einsatz kamen. 57 So ließ Herodes fast seine ganze Familie umbringen. 58 Um seine großartigen Bauvorhaben zu verwirklichen, saugte er das jüdische Volk wirtschaftlich aus. 59 Je mehr es aber ausgebeutet und unterdrückt wurde, um so inniger flehte es zu Gott um das Kommen des Messias.

 

60 Augustus verstand es, seine Alleinherrschaft geschickt zu festigen. 61 Er führte eine neue Währung mit Gold-, Silber-, Messing- und Kupfermünzen ein. 62 Mit den Parthern schloss er einen Friedensvertrag. 63 Der Euphrat wurde als Grenze festgelegt. 64 Bei dieser Gelegenheit wurden Gefangene ausgetauscht. 65 Der Stiefsohn von Augustus, Nero Claudius Drusus, schlug die Aufstände der Germanen nieder. 66 Ein zunächst kleiner Konflikt artete in einen Krieg gegen die Bataver aus. 67 Sie wurden von Nero Claudius Drusus und seinem Heer besiegt. 68 Das Reich ist nun immens, aber der Bevölkerungszuwachs ist schwach. 69 Darum erlässt Augustus mehrere Gesetze. 70 Eines davon setzt Strafvorschriften bei Ehebruch und abartigem Sexualverhalten fest. 71 Ein anderes sieht Sanktionen gegen Unverheiratete vor. 72 Ob dies die erhofften Resultate bringen wird, bleibt abzuwarten.

 

 

T e i l     Z W E I                  KAPITEL 1

 

1 Der Herr ist mein Licht und mein Heil: vor wem sollte ich mich fürchten? 2 Der Herr ist die Kraft meines Lebens: vor wem sollte mir bangen?

3 Zurzeit, als Octavius Augustus Kaiser von Rom war, und König Herodes über die Juden herrschte, ereigneten sich in den Provinzen des ehemaligen Israels seltsame Dinge. 4 Das Volk war wegen der drückenden Steuerlasten, der Übergriffe von römischen Soldaten und der Willkür der königlichen Beamten in großer Bedrängnis. 5 Die Bevölkerung verarmte, man schob die Schuld dafür entweder Rom oder Herodes, oder gar beiden zu; die Menschen wurden ungeduldig und unbeherrscht. 6 Es gab viele, die dem Volk mal diese mal jene Lösung der Probleme, mal den einen, mal den anderen Ausweg aus der Notlage vorschlugen. 7 Manche waren für Gehorsamsverweigerung gegenüber Rom und Herodes, andere neigten eher zur Einigung mit dem Kaiser und dem König, um wenigstens gewisser Erleichterungen teilhaftig zu werden. 8 Für die Dritten wiederum war ein Krieg und gewaltsame Befreiung des jüdischen Volkes aus der Knechtschaft der einzige Ausweg. 9 Die Stimmung war trübe und unheilvoll. 10 Zum einen wurde die Hoffnung des Volkes auf eine bessere Zukunft genährt, zum anderen tauchten Einzelne auf, die, in der Überzeugung, dass etwas getan werden muss, als der erwartete Messias auftraten,  oder  es  zumindest  nicht  abstritten,  wenn  sie  dafürgehalten  wurden.

11 Auch das Volk glaubte, dass nur ein Messias es aus dieser schier ausweglosen Lage herausführen könnte. 12 Umso einfacher war es deshalb, das Volk zu manipulieren, und es für fremde Ziele einzuspannen.

 

13 Um diese Zeit etwa brachte ein Mädchen namens Miriam, das heißt Maria, aus Nazareth in Galiläa, einen Knaben zur Welt. 14 Das Mädchen beziehungsweise die junge Frau war mit einem Mann namens Josef, aus dem Geschlecht Davids, verheiratet. 15 Die Geburt selbst erfolgte in Bethlehem in Judäa. 16 Die Mutter des Knaben und ihr Ehemann behaupteten, dass dieses Kind nicht auf natürliche Weise, sondern durch ein Wunder Gottes empfangen worden sei. 17 Man hätte den Erzählungen des Paares gewiss keine Beachtung geschenkt, wenn damals nicht noch etwas Anderes geschehen wäre. 18 In der Nacht der Geburt kamen die Schafhirten aus der Umgebung von Bethlehem zu der Mutter und dem Neugeborenen und erzählten Erstaunliches. 19 Sie hätten in dieser Nacht die Herrlichkeit Gottes erlebt, die Engel Gottes gesehen und gehört. 20 Die Engel hätten ihnen mit großem Jubel und Gesang eine Botschaft übermittelt. 21 Zur großen Freude für das ganze Volk Israel sei in jener Nacht in der Stadt Davids der Messias, der Retter – der Herr, geboren worden. 22 Und die Engel hätten sie nach Bethlehem geschickt und ihnen gesagt, sie würden dort das neugeborene Kind und seine Mutter vorfinden, genauso wie es dann auch tatsächlich geschah. 23 Als das Kind am achten Tag beschnitten wurde, gaben ihm die Eltern den Namen Jeshua, das heißt Jesus. 24 In jenen Tagen ereigneten sich noch andere merkwürdige Dinge bezüglich des Kindes. 25 Aus dem Osten kamen Sterndeuter nach Jerusalem und fragten nach dem neugeborenen König der Juden. 26 Sie hätten an den Sternen abgelesen, dass ein neuer König der Juden geboren worden sei. 27 Ihre Behauptung versetzte König Herodes und die Schriftgelehrten in große Unruhe; die Schriftkenner wiesen den Sterndeutern den Weg nach Bethlehem, weil das die Stadt war, aus welcher der Messias erwartet wurde. 28 Obwohl die Weisheit der Sterndeuter nicht hinreichte, um das Kind selbst finden zu können, versetzte ihre Erzählung die Mutter des Kindes in Staunen. 29 Als die Eltern das Kind am vierzigsten Tag in den Tempel brachten, zur Auslösung des Erstgeborenen, wurde ihnen von völlig unbekannten Personen über ihren Sohn Jesus Großes vorausgesagt. 30 Die Mutter, aber auch viele Zeugen aus Bethlehem, Jerusalem und später aus Nazareth, bewahrten diese Ereignisse in ihrem Gedächtnis. 31 Als Jesus zwölf Jahre alt war, ging seine ganze Familie, wie es üblich war, mit ihm zum Fest nach Jerusalem. 32 Als das Fest vorüber war und sie schon auf dem Rückweg waren, bemerkten sie, dass Jesus fehlte. 33 Nach langem Suchen fanden sie ihn im Tempelbezirk, in eine Diskussion mit Lehrern und Gesetzeskennern verwickelt. 34 Alle Anwesenden waren von den Kenntnissen und dem scharfen Verstand dieses Wunderkindes hingerissen. 35 Die Gesetzeslehrer wären bestimmt begeistert gewesen, ihn unter ihren Jüngern zu haben; Jesus selbst wäre auch gerne dort geblieben, aber die Mutter war unerbittlich, und so musste der Junge mit den Eltern zurück nach Nazareth. 36 In Nazareth führte er ein ganz normales Leben und half dem Vater bei allen Arbeiten im Baugewerbe.

 

37 Zu der Zeit war die Lage in und um Jerusalem sehr angespannt. 38 König Herodes war gestorben und nach seinem Tod begann ein erbitterter Kampf um seine Nachfolge. 39 Letztendlich wurde das Königreich unter seinen drei Söhnen aufgeteilt. 40 Archelaos wurde Ethnarch von Judäa und Idumäa, Antipas von Galiläa und Philippus von Ituräa und Trachonitis. 41 Archelaos wurde später vom Kaiser entmachtet und Judäa wurde römische Provinz. 42 Es gab zu der Zeit viele kleine und größere Unruhen, Kämpfe, Rebellionen; römische Soldaten wurden wegen dreister Übergriffe in Jerusalem und im Tempel immer verhasster. 43 Die Zerstrittenheit der jüdischen Parteien und die Skrupellosigkeit der römischen Soldaten führten zu einem fast unerträglichen Zustand, der unheilvolle Zeiten ankündigte. 44 Die Gemüter waren erhitzt, den Besonnenen und um einen Kompromiss mit Rom bemühten Parteien wurde kein Gehör geschenkt. 45 In dieser angespannten Lage trat ein gewisser Johanan, das heißt Johannes, auf, welcher die Umkehr predigte und das nahe Reich Gottes verkündete. 46 Seine Predigten übten eine große Wirkung auf die Menschen aus, und viele kamen zu ihm, um nach dem Sündenbekenntnis von ihm in den Jarden, das heißt Jordan, getaucht zu werden, zum Zeichen der Umkehr. 47 Er selbst sagte, er sei weder der Messias noch ein Prophet, sondern ein Rufer in der Wüste, der einen Größeren ankündige. 48 Eines Tages kam der bereits erwähnte Jesus aus Nazareth zu ihm, dem sich inzwischen mehrere Jünger beigesellt hatten, und wurde von Johannes in den Jordan getaucht. 49 Bei seinem Eintauchen ereigneten sich laut Augenzeugen mehrere Wunderzeichen, und auch Johannes behauptete, dass Jesus derjenige sei, welchen er ankündigte.

 

50 Von da an fing Jesus an, mit seinen Jüngern durch Judäa, Samaria und Galiläa zu wandern und das Nahen des Gottesreichs zu verkünden. 51 Seine Vorträge, Predigten und Belehrungen bekräftigte er mit vielen Zeichen, sodass seine Gegenwart immer größere Massen anzog. 52 Man brachte Besessene und Kranke zu ihm, und sie wurden geheilt. 53 Viele waren von seiner Lehre und der Art, wie er die Thora auslegte, begeistert, sodass sich immer mehr Jünger um ihn scharten. 54 Aber auch viele Schaulustige, Wundersüchtige, Sensationsgierige waren darunter. 55 Auch Gesetzeslehrer aus Jerusalem fehlten nicht, welche vom Hohenpriester geschickt worden waren, um zu prüfen, was da eigentlich vor sich ging, ob tatsächlich Gott am Werk sein sollte, oder ob Dämonen und Scharlatane ihr Werk trieben. 56 Es darf auch die Gruppe der Eiferer für die Befreiung Israels nicht vergessen werden, welche sich erhofften, dass Jesus sie als Messias in den Kampf führen und die Römer besiegen würde. 57 Diese wurden am bittersten enttäuscht. 58 Denn Jesus machte keine Anstalten, dass er gegen jemanden Krieg zu führen gedenke, sondern genau das Umgekehrte: immer wieder rief er zu Frieden, Versöhnung, Nächstenliebe und Umkehr zu Gott auf. 59 Sowohl im Volk als auch unter den Gesetzeslehrern kam es in Bezug auf Jesus zu einer tiefen Spaltung. 60 Hinzu kam, dass er sich während der Feste in Jerusalem sehr oft provokativ verhielt und mit Schriftgelehrten, Pharisäern und Sadduzäern stritt. 61 Der Priesterschaft und den Tempeldienern machte er zum Vorwurf, dass der Tempel wegen ihrer Nachlässigkeit verunreinigt worden sei, dass sie aus dem Gotteshaus einen Marktplatz gemacht hätten. 62 Auch Menschen aus der Bevölkerung, welche ihm folgen wollten, in der Hoffnung, dadurch der Armut und Krankheiten zu entfliehen, stieß er vor den Kopf.

 

63 Er lehnte jedwede Führungsrolle im Befreiungskampf ab. 64 Seine Jünger teilte er in zwei Gruppen: zwölf engste Vertraute und zweiundsiebzig weitere Jünger als erweiterter Kreis. 65 Den Jüngern erklärte er die Schriften, deutete die Vorschriften der Thora, legte Zitate der Propheten aus und belehrte sie über die Geheimnisse des Menschenherzens und die Verwundbarkeit der Seele. 66 Zu vertraut aber war er mit niemandem, außer mit drei Jüngern aus dem Zwölferkreis, doch auch diese missverstanden ihn meistens; oft begriffen sie gar nichts, hatten aber Angst, ihn nach Erklärungen zu fragen. 67 Jesus offenbarte niemanden seine Vorhaben und machte überhaupt keine Anstalten, sich zum Messias ausrufen zu lassen, oder sich selbst als solcher zu proklamieren. 68 Einerseits war er provokativ, streitsüchtig, leicht erregbar, schroff, manchmal auch beleidigend, andererseits voller Liebe, Mitleid und Hilfsbereitschaft, wenn die Schwächsten und Ärmsten zu ihm kamen. 69 So ging das einige Jahre hindurch, und die Bevölkerung spaltete sich immer mehr, je bekannter er wurde. 70 Die breite Masse hing an ihm, die politischen und religiösen Führer wurden immer ärgerlicher. 71 Sie hielten eine Spaltung des Volkes seinetwegen für das Letzte, was die Juden derzeit brauchten. 72 Außerdem fanden sie es unerhört, dass er die Thora anders auslegte als sie, manchmal sogar skandalös für ihre Ohren. 73 Er betonte jedoch immer wieder, dass nicht ein Punkt oder ein Strich der Thora verändert oder verfälscht werden dürfe.

 

74 Er nahm sich die Freiheit heraus, den Gesetzeslehrern und manchen Pharisäern vorzuhalten, sie würden die anderen in der Thora unterweisen, selbst aber nicht danach leben. 75 Diese wiederum kritisierten ihn wegen seiner engen Verbindung zu den Essenern, einer nicht unproblematischen Gruppierung, die streng asketisch lebte. 76 Sie waren außerdem irritiert, weil er die Wichtigkeit der persönlichen Bekehrung hervorhob, der Versöhnung mit Gott, dem Nächsten und mit sich selbst, des Gebetes in Einsamkeit, des freudigen Fastens und der Hilfsbereitschaft. 77 Es schien, als hätte Jesus nicht das Volk Israel als Adressaten gemeint, sondern jeden einzelnen Menschen, egal ob Jude oder Heide. 78 Dazu kam seine Empfehlung der Gewaltlosigkeit, des Erduldens von Demütigungen und der Feindesliebe. 79 Die Römer misstrauten ihm, weil er überall große Menschenmengen anzog, worin sie heimliche Aufstandsvorbereitungen vermuteten. 80 Dass er umstritten war, zeigt auch die Tatsache, dass sogar viele seiner Jünger ihn verließen, weil sie seine Reden und sein Handeln nicht begreifen konnten. 81 Er bemühte sich in keiner Weise, sie zum Bleiben zu überreden oder neue Jünger heranzuziehen. 82 Die ganze Sache ging so weit, dass einer seiner Jünger ihn an den Hohen Rat auslieferte, welcher ihn nach einem Verhör und internem Streit dem Statthalter Pilatus übergab, mit der Forderung, ihn zum Tod am Kreuz zu verurteilen. 83 Das Hauptargument des Hohenpriesters für die Verurteilung waren die Worte, dass es besser sei, wenn ein Mensch für das Volk sterbe, als wenn das ganze Volk zugrunde gehe. 84 Pilatus ließ Jesus auspeitschen, die Soldaten verhöhnten ihn und setzten dem „König der Juden“ einen Dornenkranz auf; am Ende verurteilte ihn der Statthalter Pilatus zum Tod durch das Aufhängen am Kreuz. 85 Die meisten seiner Jünger ergriffen die Flucht und versteckten sich an jenem Tag. 86 Jesus starb am Kreuz und wurde begraben. 87 Aber nach einigen Tagen behaupteten seine Jünger sowie einige Frauen aus seiner früheren Begleitung, Jesus sei von den Toten auferstanden und lebe. 88 Sie erzählten dies mit so viel Freude und Begeisterung, dass viele ihnen Glauben schenkten. 89 Die Zahl der Jünger, die behaupteten, ihn als den Auferstandenen gesehen und gesprochen zu haben, wurde immer größer und immer mehr Menschen glaubten daran. 90 Besonders beeindruckend war die Tatsache, dass seine Jünger, fast ausnahmslos einfache Galiläer, auf einmal fließend, gebildet und furchtlos redeten, was niemand, der sie von früher her kannte, begreifen konnte. 91 Sie bewirkten sogar manche Zeichen und Wunder, was wiederum Menschen anzog, weswegen sie mit dem Hohen Rat in Konflikt gerieten. 92 Nach und nach bildeten seine Anhänger Hausgemeinschaften, die etwa nach Art der Essener lebten. 93 Der Wortführer dieser Jünger, Simon bar Jona, genannt Kephas, wiederholte immer wieder den Vorwurf, dass der Hohe Rat und die Priesterschaft Jesus zwar aus Unkenntnis der Tatsachen, aber doch vorsätzlich dem Tod ausgeliefert hätten.

 

94 Die Priesterschaft wollte diese Vorwürfe nicht auf sich sitzen lassen und verfolgte die Jünger mit allen Mitteln. 95 Man verbot ihnen unter Schlägen und Drohungen, ihre Lehre weiter zu verbreiten, doch sie entgegneten, sie hätten Gott und nicht den Menschen zu gehorchen. 96 Als die Anführer wieder einmal verhaftet wurden, um verhört zu werden, entstand unter den Mitgliedern des Hohen Rates eine hitzige Debatte darüber, wie man mit diesen Menschen weiter verfahre sollte. 97 Am Ende der Diskussion sagte ein angesehenes Mitglied des Hohen Rates unter anderem Folgendes: 98 Lasst von diesen Männern ab, und gebt sie frei; denn, wenn dieses Vorhaben oder dieses Werk von Menschen stammt, wird es zerstört werden; stammt es aber von Gott, so könnt ihr sie nicht vernichten; sonst werdet ihr noch als Kämpfer gegen Gott dastehen. 99 Daraufhin wurden die Jünger Jesu ausgepeitscht und schließlich freigelassen, nachdem ihnen verboten worden war die Lehre weiter zu verbreiten. 100 Es war schon allein an der Reaktion der Jünger abzusehen, dass sie sich nicht daran zu halten gedachten. 101 Durch deren Verkündigung und Zeichen fühlten sich die Eiferer für traditionelle Auslegung der Thora unter den Schriftgelehrten immer mehr provoziert, und man musste nicht lange auf ihre Gegenmaßnahmen warten.

 

102 Es gab mehrere feindliche Gruppen und auch namhafte Verfolger des „Weges“, wie die neue Lehre genannt wurde, unter denen ein Pharisäer und Schriftgelehrter namens Saul besonders berüchtigt war. 103 Auf seine Initiative hin wurden die Anhänger der Jünger Jesu immer wieder verfolgt, verhaftet, manchmal sogar gesteinigt. 104 Das bekannteste Opfer von Sauls Verfolgung war Stephanus, der vor den Mauern Jerusalems gesteinigt wurde. 105 Trotzdem verbreitete sich die Lehre Jesu in allen Provinzen des Römischen Reiches. 106 Saul machte sich auf den Weg nach Damaskus, um die dortigen Anhänger der Lehre gefangen zu nehmen. 107 Unterwegs nach Damaskus geschah mit ihm etwas Außergewöhnliches, wodurch Saul aus einem eifrigen Verfolger zum Verfechter und Verkünder der neuen Lehre wurde. 108 Dieses Ereignis wurde unterschiedlich gedeutet. 109 Manche behaupteten, dass er geisteskrank geworden wäre, andere wiederum, er wäre von den Jüngern bestochen worden. 110 Er selbst beteuerte, eine Erscheinung gehabt zu haben: Jesus hätte ihn in einer Vision von der Richtigkeit seiner Lehre völlig überzeugt und ihn zu seinem Jünger berufen. 111 Durch Sauls Anschluss hatte sich die Lage der Gemeinschaft Jesu entscheidend geändert. 112 Da er der Gebildetste unter den Jüngern und Erfahrenste in der Thoraauslegung war, konnte er die Thora auf eine den Schriftgelehrten und Pharisäern verständliche Weise mit der Lehre Jesu in Verbindung bringen, und zog so wieder neue Massen an. 113 Er verkündete Jesus als den Retter und Erlöser nun auch den Heiden, was die Gemeinden vor ein Problem stellte. 114 Die Heiden kannten und befolgten die Vorschriften der Thora nicht. 115 Sie wurden daher aufgefordert, sich unterweisen und beschneiden zu lassen und die Vorschriften der Thora zu befolgen, um gleichwertige Mitglieder der Gemeinde Jesu zu werden. 116 Aber Saul und auch einige Jünger waren in dieser Angelegenheit anderer Meinung. 117 Es herrschte also Einigkeit darüber, dass es Gottes Wille sei, die Heiden in die Gemeinden aufzunehmen und sie an der Lehre Jesu teilnehmen zu lassen, jedoch nicht darüber, unter welchen Bedingungen dies geschehen sollte. 118 Es gab jahrelang Streit, Beratungen und Diskussionen darüber.

 

119 Letztendlich wurde von der Beschneidung und der Befolgung der Thoravorschriften Abstand genommen; die Heiden konnten in die Gemeinde aufgenommen werden, sobald sie Jesus als ihren Erlöser und Lehrer angenommen hatten, und sollten dann lediglich die noachidischen Gesetze befolgen. 120 Nun prallten in den Gemeinden zwei verschiedene Lebensweisen gegeneinander, und es kam zu unhaltbaren Spannungen, Neid, Streit und Eifersucht unter den Mitgliedern. 121 Als erster erkannte Saul, dass der Zustand unerträglich geworden war. 122 Er vertrat die Meinung, dass Jesus viel mehr als nur jüdischer Messias, Prophet und Lehrer war. 123 Seiner Meinung nach war er der Sohn Gottes, der alle Menschen von ihren Sünden erlöst hätte, derjenige, der jeden einzelnen Menschen zum Glauben an den wahren Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs führen würde. 124 So wie Mose den Israeliten die Thora verkündete, damit sie als Volk am Leben blieben, an den Verheißungen Gottes teilhaben und als Staat aufblühen konnten, so habe Jesus, laut Saul, seine frohe Botschaft an jeden einzelnen Menschen gerichtet, damit er umkehren, am Leben bleiben, sich voll entfalten und ewiges Leben gewinnen könnte. 125 Jesus sei als Jude, als Israelit, als Sohn Davids und Sohn Gottes für alle Menschen der Erde eine Brücke zum wahren Glauben, weg von den Götzen und hin zur Teilhabe am Paradies, so Sauls Lehre. 126 Saul erkannte aber nach und nach zwei Tatsachen. 127 An Jesus und seiner Lehre schieden sich die jüdischen Geister, und die Spaltung unter den Juden war zu tief, als dass eine baldige Versöhnung in Sicht gewesen wäre. 128 Andererseits wuchs die Zahl der Heiden, welche Jesus angenommen hatten, immer schneller, sodass sie in den Gemeinden die jüdischen Mitglieder regelrecht erdrückten.

 

129 So beschloss Saul, sich vorerst ganz den Heiden zu widmen. 130 Er nahm in Kauf, dass die Juden zurückgestellt wurden, um die Lehre Jesu erst einmal der ganzen Welt zu verkünden und sie zum Glauben an den einen Gott zu führen, damit alle gerettet werden könnten. 131 Er sah in Jesu Lehre keine Konkurrenz zur Thora, sondern eine Anleitung, wie die Thora Israels von jedem einzelnen Menschen ins Leben umgesetzt werden konnte. 132 In dieser Meinung folgten ihm, wenn auch zögernd, einige von den Jüngern Jesu. 133 Dadurch spaltete sich die ursprüngliche Gemeinschaft und folgte auf zwei unterschiedliche Weisen der Lehre Jesu beziehungsweise der Lehre seiner Nachfolger. 134 Auf der einen Seite waren die rein jüdischen Gemeinden in Jerusalem, Judäa und Galiläa, deren Autorität neben Kephas auch Jakobus war, der Vorsteher der Jerusalemer Gemeinde. 135 Auf der anderen Seite waren die überwiegend aus ehemaligen Heiden bestehenden Gemeinden, die man schon sehr bald überall in Asien, Griechenland und Rom finden konnte. 136 Saul pendelte räumlich und geistlich zwischen den beiden. 137 Die jüdischen Anhänger Jesu lebten in erbittertem Streit mit den traditionstreuen Juden und litten unter Verfolgungen des Hohen Rates. 138 Die Lehre Jesu verbreitete sich sehr schnell unter den Diasporajuden sowie unter fremden Völkern. 139 Ein Teil der Juden sah darin eine unerhörte Lästerung und Gefährdung der reinen Thoralehre, für andere war es das Geschenk Gottes, welches bereits in der Thora als Rettung für alle Völker angekündigt worden wäre.

 

140 Es kam zu einer ähnlichen Zerreißprobe unter den Gelehrten wie damals, als die Thora zum ersten Mal ins Griechische übersetzt wurde. 141 Man wusste nicht so recht, was Gottes Wille und Gottes Plan sei, denn Gott ist immer größer als alle Vorstellungen der Menschen, seien sie noch so gelehrt und weise. 142 Es bleibt die Frage, was für Folgen das alles für das Volk Gottes und seine Zukunft haben wird.

 

143 Das waren in Kürze einige Ereignisse, die sich unter den Juden zur Zeit des Kaiser Octavius zugetragen haben, zwischen dem Tod von König Herodes und dem Tod von Kaiser Claudius. 144 Andere Gruppierungen in Israel, besonders die Zeloten, haben inzwischen das angespannte Verhältnis mit Rom zum Glühen gebracht.

T e i l     Z W E I                  KAPITEL 2

 

1 Gott, die Heiden sind eingedrungen in dein Erbe, sie haben deinen heiligen Tempel entweiht und Jerusalem in Trümmer gelegt. 2 Die Leichen deiner Knechte haben sie zum Fraß gegeben den Vögeln des Himmels, die Leiber deiner Frommen den Tieren des Feldes.

3 Einst klagte der Psalmist über den Untergang Jerusalems, jetzt ist es unsere Aufgabe, die erneute Zerstörung Jerusalems und seines Tempels zu schildern. 4 Die pikanten Einzelheiten der Katastrophe, an denen sich die Heiden weiden, sind hinlänglich bekannt, daher  werden  wir uns hier damit  nicht  weiter  beschäftigen.

5 Auch den von den Siegern verbreiteten Gruselgeschichten werden wir hier keinen Raum geben. 6 Stattdessen wollen wir unser Augenmerk lieber auf die Ursachen der verheerenden Zerstörung sowie deren Folgen richten. 7 Traurige Tatsache ist, dass es keinen Tempel mehr gibt, dass Jerusalem in Trümmern liegt. 8 Es ist nicht zu leugnen, dass sich ein solches Unglück schon seit längerer Zeit anbahnte. 9 Rom ist eine Weltmacht, die sich in manchen Angelegenheiten zuverlässig und korrekt verhält, jedoch kein Erbarmen kennt und kein Verständnis hat für das Streben der unterjochten Völker nach Freiheit. 10 Den Juden wurde unter der römischen Herrschaft ein Minimum an freier Ausübung ihres Tempelkultes und religiöser Riten gestattet. 11 Von Zeit zu Zeit jedoch kam es auf dem Tempelplatz zu Übergriffen von mutwilligen römischen Soldaten sowie Exzessen mancher Statthalter bei der Bestrafung unsympathischer Juden.

 

12 Auch von jüdischer Seite her gab es Provokationen, Überfälle und Aufstandsversuche gegen die Römer. 13 Manche Hitzköpfe und Eiferer unter den Juden glaubten, sie könnten  der  größten  Weltmacht  trotzen,  sie  sogar besiegen und Israel befreien. 14 Unter diesen gab es Einzelne, denen es mehr um ihren eigenen Ruhm und persönliche Bereicherung ging, als darum, die Volksgenossen aus der schlimmen Lage zu befreien. 15 In extremen Fällen steigerte sich blinder Eifer zu religiösem Wahn, was dann mit dem jüdischen Glauben nichts mehr gemeinsam hatte, sondern nur den Feinden Israels in die Hände spielte. 16 Der Tempel wurde von solchen untereinander konkurrierenden Gruppen immer mehr in Beschlag genommen, bis er schließlich besetzt und entweiht wurde, während die gemäßigten, weisen und auf Verhandlung bedachten Menschen einfach niedergebrüllt oder niedergemetzelt wurden. 17 Eine derartige Entwicklung führte unausweichlich zu Auflösungserscheinungen, Gesetzlosigkeit und Gewaltanwendung. 18 Dabei gab es in den vergangenen Jahrzehnten durchaus Hoffnungszeichen: Es tauchten weise Männer auf, die dem jüdischen Volk den Weg in eine bessere Zukunft Israels wiesen. 19 An erster Stelle soll hier Hillel genannt werden. 20 Er war ein großer Lehrer der Thora, ein Mann der Demut, des Friedens und der Sanftmut. 21 Seine Bemühungen gingen dahin, die Israeliten zur Thora als Quelle ihrer Existenz zurückzuführen, zu Geduld und Frieden zu mahnen, zur Nächstenliebe aufzurufen. 22 Er wurde von seinen Zeitgenossen nur teilweise verstanden, noch weniger angenommen, besonders nicht von der Priesterschaft, die er wegen ihrer Unzulänglichkeiten scharf rügte. 23 Er tat alles, um die Thora und die Traditionen Israels über die kommenden Ereignisse hinwegzuretten, um sie für die künftigen Generationen zu bewahren, als hätte er die Katastrophe vorausgesehen. 24 Hillel war ein leidenschaftlicher Verfechter der Liebe  zu  Gott  und  den  Mitmenschen, ein einsamer

Rufer, der zu  Frieden und Umkehr  aufrief. 25 Nach  ihm  kam, ohne  jedoch sein Nachfolger zu sein, Jesus  von  Nazareth.26 Seine Lehre war der Lehre Hillels im Grunde sehr ähnlich, ging jedoch über die Anliegen  Israels hinaus, in den persönlichen Bereich eines jeden Menschen. 27 Er legte besonderen Wert auf innigen Dienst an Gott und dem Nächsten, auf Reinheit des Herzens, Lauterkeit der Gedanken, Vergebungsbereitschaft, Feindesliebe. 28 Auch er wurde missverstanden und endete am Kreuz. 29 Unmittelbar vor der großen Katastrophe hatten beide, Hillel und Jesus, namhafte Nachfolger.  

                                                                                                                                                                                                                         

30 Jochanan ben Sakai war ein Schüler Hillels, der sich in der Thorauslegung auszeichnete und sich für die Durchsetzung der pharisäischen Sichtweise der heiligen Schriften gegenüber der sadduzäischen verdient machte. 31 Er bemühte sich um Ausgleich und Versöhnung zwischen den unterschiedlichen jüdischen Gruppierungen; sein Versuch, zwischen Juden und Römern zu vermitteln, blieb allerdings ohne nennenswerten Erfolg. 32 Er war sich der Bedeutung des Augenblicks für Israel wohl bewusst, ebenso wie seiner eigenen Aufgabe darin. 33 Mit Gottes Hilfe gelang es ihm, in Jamnia ein neues Zentrum des Judentums zu gründen, welches jüdische Tradition und Geschichte über den drohenden Untergang hinwegretten sollte. 34 Dies war sein Lebenswerk. 35 Verschiedene Überlieferungen wurden schriftlich festgehalten, die Thora und andere heilige Schriften neu überdacht und der Gegenwart angepasst, Geschichten und Lehren gesammelt und aufgearbeitet. 36 Die kommenden Generationen werden dank der aufopfernden Arbeit des Jochanan ben Sakai und anderer Gelehrten nicht ohne Wurzeln aufwachsen.

 

37 Eine weitere herausragende Persönlichkeit war Saul aus Tarsus, der sich später Paulus nannte. 38 Ursprünglich Pharisäer, wurde er dann zum Anhänger der Lehre Jesu von Nazareth. 39 Er tat sich als ein exzellenter Lehrer hervor. 40 Unter seiner Federführung fingen die Nachfolger Jesu an, sich „Christen“ zu nennen, zumindest der größte Teil von ihnen. 41 Auch Paulus überdachte die heiligen Schriften und redefinierte teilweise ihre Deutung auf Jesus hin. 42 Er glänzte in Wissen und Redegewandtheit, wodurch er viele Heiden für die christlichen Gemeinden gewann. 43 Er machte sie mit den jüdischen Überlieferungen und Gesetzen bekannt, hielt sich dabei allerdings an seine eigene Interpretation. 44 Er war ebenso wie ben Sakai Befürworter einer friedlichen Lösung für Jerusalem. 45 Obwohl er durch seine Lehre viele Juden entzweite, lag ihm das Schicksal seines Volkes sehr am Herzen. 46 Viele seiner jüdischen Anhänger sind der Meinung, dass Paulus, wenn er während der Belagerung Jerusalems noch gelebt hätte, mit Sicherheit in den Tempel geeilt wäre, um dort zu sterben. 47 Auf diese Weise hätte er das vollendet, was an den Leiden Jesu noch fehlte, nämlich als Paschalamm innerhalb Jerusalems geschlachtet zu werden, das heißt, im Tempel als Opfer zur Vergebung der Sünden zu sterben. 48 In dem Fall hätten sich seine Reden wortwörtlich erfüllt, nämlich, dass sich der Tempel als Opferstätte erübrige, weil Jesus ein für allemal geopfert worden sei und durch sein Opfer alle Tieropfer ersetzt habe. 49 Paulus war damals aber nicht mehr am Leben und die Christen waren schon vor den schrecklichen Ereignissen aus Jerusalem geflohen. 50 Manche von ihnen retteten dadurch ihr Leben, um später zur Belustigung der Römer wilden Tieren zum Fraß vorgeworfen zu werden. 51 Auch die Essener zerstreuten sich nach und nach in alle Himmelsrichtungen. 52 Manche wechselten zu den Pharisäern über, manche suchten Zuflucht in der Wüste, andere wiederum schlossen sich den Freiheitskämpfern an. 53 Da ihre Lebensweise der christlichen sehr ähnelte, ist es nicht verwunderlich, dass sich ein Teil von ihnen den Christen anschloss. 54 Dort fanden sie manch eine Lehre, die ihnen nicht unbekannt war, unter anderem Paulus´ Empfehlung der Ehelosigkeit, die auch von einem Teil der Essener vertreten wurde.

 

55 Nach der Zerstörung Jerusalems entfernten sich die Anhänger von Jochanan ben Sakai und die Nachfolger von Jesus immer mehr voneinander, bis sie schließlich zu Feinden wurden. 56 Es fing mit gegenseitigen Schuldzuweisungen wegen der Tempelzerstörung an und endete mit der Ausgrenzung aus der jeweiligen Gemeinschaft und gegenseitigem Verfluchen. 57 Eins blieb jedoch beiden gemeinsam: die Bereitschaft, für ihre Überzeugung und zur Verherrlichung Gottes ohne zu zögern ihr Leben hinzugeben, was in den römischen Arenen in ausreichendem Maße unter Beweis gestellt wurde. 58 Beide Seiten bezahlten bereitwillig den Blutzoll für den Fortbestand des Glaubens.

                                                                                                                                                                     59 Nun soll an dieser Stelle auch einiges über die römischen Sieger gesagt werden. 60 Während der langen Besatzungszeit verhielten sie sich mitunter korrekt und wohlwollend, doch nach dem letzten Triumph über die Juden zeigten sie ihr wahres Gesicht. 61 Mit dem Sieg allein und der angerichteten Zerstörung gaben sie sich nämlich nicht zufrieden. 62 Sie wollten Rache nehmen, der Tempelschätze und des Goldes habhaft werden, des gemeinsamen Eigentums aller Juden. 63 So begingen sie nicht nur massenhaft Morde, sondern plünderten auch alles, was irgendeinen Wert darstellte. 64 Nachdem sie Jerusalem und Judäa verwüstet hatten, waren sie auch noch stolz darauf. 65 Das geplünderte Gut und die aus dem Tempel des Herrn geraubten Schätze stellten sie zur Schau und veranstalteten Triumphzüge. 66 Über ein späteres Urteil der Geschichte oder die Möglichkeit einer späteren Rache der Juden machten sie sich keine Gedanken, denn sie betrachteten die Judenfrage als endgültig gelöst. 67 Nun, so dachten sie, hätten ihre Staatsgötter keine Konkurrenz mehr. 68 Die ganze Welt würde ihnen huldigen, zujubeln, ihnen opfern. 69 Aber sie hatten sich verrechnet, sie hatten sich getäuscht, und zwar mächtig. 70 Die verbliebenen Juden und Christen schieden zum Entsetzen der Römer lieber freiwillig aus der Welt, als römischen Götzen zu opfern. 71 Ihr Blut strömte wie ein Lobgesang, färbte die Straßen und Plätze von Rom blutrot und verkündete: Der Allmächtige, der Gott Israels, lebt und wird von seinen Knechten verherrlicht. 72 Dieses Blutzeugnis wird für immer bestehen bleiben, selbst dann noch, wenn es von Rom und seinen Herrschern keine Spur mehr geben wird, keine Erinnerung mehr unter der Sonne.

 

 

T e i l     Z W E I                  KAPITEL 3

 

1 Zum Schimpf sind wir geworden in den Augen der Nachbarn, zu Spott und Hohn bei allen, die rings um uns wohnen. 2 Wie lange noch, Herr?

3 Rom  war  der  Überzeugung,  die  Judenfrage ein für alle Mal gelöst zu haben. 4 Man wähnte das Judenvolk mit seinem Ein-Gott-Glauben vernichtet und die römischen Staatsgötter konkurrenzlos. 5 Aber von irgendwoher kamen immer wieder irgendwelche Juden und sorgten für Aufruhr. 6 Als die Römer meinten, für Grabesstille gesorgt zu haben, ertönte wie aus dem Nichts von überall her Kriegsgeschrei. 7 Ob  in  Judäa,  ob  in der Diaspora - ein Aufstand folgte dem anderen. 8 Die Juden waren verwundet, aber noch lange nicht vernichtet. 9 Die Römer wurden immer verdrossener, weil so ein unbedeutendes Völkchen ihnen so viel zu schaffen machte. 10 Auf beiden Seiten gab es Verbitterung, die allmählich in Hass überging. 11 Was daraus resultierte, wurde schon von verschiedenen Geschichtsschreibern festgehalten.

 

12 Daher versuchen wir uns hier zunächst mit dem geistigen Zustand des jüdischen Volkes  zu  befassen,  mit den unterschiedlichen Strömungen  in  seinen  Reihen. 13 Durch die Absonderung der jüdischen Anhänger Jesu entstand für das Judentum eine noch nie dagewesene Situation. 14 Mit ihrer Lehre sorgten sie nämlich nicht nur für Unruhe und Spaltung in ihrem eigenen Volk, viel einschneidender war die Tatsache, dass durch sie auch Heiden zum Glauben an Jesus von Nazareth kamen.

 

15 Auf diese Weise gingen den Juden ihr „Exklusivrecht“ auf die Thora, die jüdischen Riten und Traditionen verlustig. 16 Denn plötzlich redeten Heiden über jüdische heilige Schriften und Thoravorschriften, und obschon sie selbst nicht danach lebten, maßten sie sich an, diese besser zu verstehen und deuten zu können als die Juden selbst. 17 Man möchte vielleicht annehmen, dass Juden sich in der Folge größerer Beliebtheit bei den Heiden erfreuten. 18 Leider war genau das Gegenteil der Fall. 19 Um dies dem Leser verständlicher zu machen, wollen wir die Sache hier einmal kurz und vereinfacht darlegen. 20 Zu dem Zeitpunkt gab es unter den Juden drei Gruppierungen, die beinahe keine Gemeinsamkeiten aufwiesen, bis auf eine: jede von ihnen war überzeugt, dass ihre Ziele das Beste für das jüdische Volk seien. 21 An erster Stelle seien hier die weisen Männer erwähnt, Lehrer der Pharisäerschule, Hüter des Glaubens und der Tradition, sowie deren Anhänger, eine große schweigende Mehrheit der Juden. 22 Sie wollten die Reinheit der Lehre um jeden Preis bewahren, und um das zu erreichen, produzierten sie immer mehr Vorschriften,  durch die eine Art Schutzwall um die Thora gebaut werden sollte. 23 Ihrer Meinung nach war dies die beste Art, das Erbe Israels zu bewahren und die richtige Auslegung der Thora zu sichern. 24 Dabei entfernten sie sich aber von der Thora selbst, denn ihre Vorschriften und Deutungen wurden immer mehr zu Reaktionen auf die Lehren der Sadduzäer, Christen und Essener. 25 Auf diese Weise entstanden Schriften, die ihrem Inhalt nach eher der hellenistischen als der jüdischen Denkweise entsprachen. 26 Anders denkende Juden wurden prinzipiell ausgeschlossen, gemieden, ja verflucht.

 

27 An zweiter Stelle seien die Aufständischen genannt, welche wiederum aus verschiedenen Untergruppen bestanden. 28 Die größte unter ihnen stellten die Eiferer für das Gesetz und Israel dar sowie all jene, die den Messias erwarteten; dazu zählten auch die Abenteurer und Fanatiker. 29 Die dritte Gruppe stellten jene Juden dar, die dem Weg und der Lehre Jesu von Nazareth  anhingen. 30 Sie befanden  sich  in  einer  schier  aussichtslosen Lage. 31 Einerseits wurden sie von den anderen Juden aus der Synagoge ausgeschlossen und verflucht, andererseits aber von den Christen aus dem Heidentum in erster Linie als Juden betrachtet und dafür verachtet. 32 Die Heidenchristen sind inzwischen zu einem wichtigen Faktor geworden. 33 Es sind Griechen, Parther, Römer, Ägypter und andere, die die Lehre von Paulus aus Tarsus angenommen haben und sich nun zu Jesus von Nazaret bekennen.  34 Sie verachten die traditionellen Juden, mögen aber auch die Judenchristen nicht. 35 Es gibt viele Gründe dafür. 36 Um das zu erläutern, muss hier ein wenig zurückgegriffen werden.

 

37 Rom hat die Juden nach der Niederschlagung ihres Aufstandes und der Zerstörung Jerusalems auf jegliche Art und Weise unterdrückt und schikaniert, ebenso wie die Christen, die von Rom als eine jüdische Sekte betrachtet wurden. 38 Den Heidenchristen wurde das irgendwann zu viel und sie fingen an, sich vom Judentum beziehungsweise von den Judenchristen zu distanzieren. 39 Dazu kamen die Aufstände der Diasporajuden in Cyrenaika, Ägypten, Zypern und Mesopotamien, in denen leider manch ein jüdischer Anführer zeigen wollte, dass die Juden genauso grausam, wenn nicht noch grausamer sein konnten als die Römer. 40 Je erfolgreicher die Aufständischen waren, um so zahlreicher wurden ihre sowohl an Heiden als auch an Christen vollbrachte Untaten. 41 Das löste bei den Heidenchristen Empörung und Hass auf alles Jüdische aus. 42 Die Lage wurde noch dramatischer, als Rabbi Akiva den Kämpfer Simon Bar Kochba zum Messias proklamierte. 43 Die Aufständischen um Bar Kochba brachten viele Christen um. 44 Die Juden, denen inzwischen die Beschneidung und andere Riten von Rom verboten worden waren, hielten die Christen für mitverantwortlich dafür. 45 Den Judenchristen warfen sie vor, jüdische Aufstände nicht unterstützt zu haben. 46 Dabei schienen sie ganz vergessen zu haben, dass auch die jüdischen Lehrer und die Frommen des Volkes abseitsstanden, mit Ausnahme von Rabbi Akiva. 47 Die Judenchristen entgegneten ihnen, die Aufstände wären nur Menschenwerk gewesen und hätten dem jüdischen Volk erheblich geschadet.

 

48 Die Juden sahen in den Judenchristen Verräter, in den Heidenchristen Verleumder und Mitschuldige an den Leiden der Juden, in den Heiden unrechtmäßige Besatzer. 49 Die Heidenchristen betrachteten die Juden als Mörder des Messias und Gottesverräter, während sie die Judenchristen als Zwitter betrachteten, die nicht so recht wüssten, wohin sie gehörten; in den Heiden sahen sie Gottes Werkzeug zur Bestrafung der Juden. 50 Die Judenchristen aber wurden von allen angefeindet und bedroht, von Juden, Heidenchristen, am meisten aber von Heiden. 51 Für die heidnischen Herrscher hingegen waren allesamt ein nichtsnutziges, störrisches Element, das nur Probleme schaffte. 52 Dementsprechend behandelten sie sie auch. 53 In Jerusalem folgte in dichten Abständen eine Schandtat der anderen. 54 Kaum wurde nach der Zerstörung des Tempels und der Stadt mit dem Wiederaufbau begonnen, ließ Lucius Quintus auf dem Tempelberg Götzenstatuen aufstellen.

 

55 Nun stand der unheilvolle Gräuel an dem Ort, wo er nicht hätte stehen dürfen. 56 Jetzt wäre es für die Anhänger Jesu an der Zeit, in die Berge zu fliehen. 57 In Jerusalem gab es aber keine Anhänger Jesu mehr und in Judäa nur noch wenige, denn sie waren schon früher geflohen. 58 Manche Judenchristen sehen in ihrer übereilten Flucht aus Jerusalem die Ursache dafür, dass die Lehre Jesu im jüdischen Volk nicht in größerem Ausmaß Fuß gefasst hat. 59 Nach dem gescheiterten Aufstand  Bar  Kochbas  machten  die  Römer  Jerusalem dem Erdboden gleich. 60 Auf derselben Stelle errichteten sie ihre Stadt Aelia Capitolina mit Tempeln und Götzenstatuen. 61 Um die Juden noch mehr zu demütigen, nannten sie die Provinz Judäa in Syria Palästina um, nach den Philistern, den einstigen Erzfeinden der Juden. 62 Sie konnten nicht verkraften, dass so ein kleines Volk durch sein Heldentum einer militärischen Weltmacht wie Rom so viele Niederlagen beigebracht hatte. 63 Deshalb wollten sie die Namen Jerusalem und Judäa aus der Geschichte tilgen. 64 Sie hatten vor, alles zu vernichten oder sonst wie aus der Welt zu schaffen, was in irgendeiner Weise mit Judentum zu tun hatte, um so das jüdische Volk samt seiner Wurzeln auszulöschen.

 

65 Dabei vergaßen sie aber, dass Israel nicht irgendein Völkchen am Rande der Wüste war, sondern Gottes persönliches Eigentum, sein auserwähltes Volk, um das Er sich immer kümmern wird, und möge es noch so sündhaft sein. 66 Keine Macht der Welt kann dieses Volk vernichten, weil Gott ihm die Sohnschaft bis ans Ende der Zeiten zugesichert hat. 67 Dies ist ja bisher auch noch niemandem gelungen,  weder  Ägyptern  noch  Babyloniern,  weder  Persern  noch  Makedoniern. 68 Schließlich hat Gott, der Schöpfer der Welt, immer und überall das letzte Wort. 69 Die nach der Vernichtung übrig gebliebenen Juden wurden in die ganze Welt versprengt. 70 Als hätte Gott seinen Samen in all die verschiedenen Völker ausgesät, um seine Thora, Beschneidung und Sabbat überall auf der Welt wachsen zu lassen. 71 Andererseits gingen aber auch Christen in die weite Welt hinaus, um die frohe Botschaft und die Auslegung der Thora im Sinne des Juden Jesus aus Nazareth zu verkünden. 72 Die Welt mit ihren Nöten und Alltagssorgen nimmt zurzeit wenig Notiz davon.                                                                                                            

 

 

T e i l     Z W E I                  KAPITEL 4

                                                                                        

1 Sei mir gnädig, o Gott, sei mir gnädig; denn ich flüchte mich zu dir. 2 Im Schatten deiner Flügel finde ich Zuflucht, bis das Unheil vorübergeht.

3 Hadrians Nachfolger Antoninus Pius hob das Beschneidungsverbot auf und die Lage der Juden wurde dadurch etwas erträglicher. 4 Die Römer betreiben immer noch Juden- und Christenverfolgung, aber mehr sporadisch. 5 Sie haben ziemlich viel mit Unruhen an verschiedenen Grenzen des Imperiums zu tun. 6 Im Westen haben sie die Grenze befestigt und Absperrungen und Hindernisse gegen etwaige Angreifer gebaut. 7 Im Osten führen sie Kriege mit den Parthern. 8 An der nördlichen Grenze gibt es öfters Kämpfe mit anstürmenden Volksstämmen. 9 Dies hindert die Römer daran, die Juden und Christen systematisch auszurotten. 10 Rom schickte ein Heer unter dem Kommando von Lucius Verus nach Osten, um gegen die Parther vorzugehen. 11 Die Parther nutzten nämlich jede Gelegenheit, sei es nun Thronwechsel, innere Unruhen in Rom oder irgendwelche sonstigen Zwistigkeiten, um ihr Territorium auf Kosten Roms zu vergrößern. 12 Nach dreijähriger Kriegsführung gelang es Lucius Verus und seinen Truppen bis in die parthische Doppelhauptstadt Seleukia-Ktesiphon vorzudringen. 13 Sie plünderten die Stadt und zerstörten sie teilweise. 14 In den niedergebrannten Teilen der Stadt brach eine gefährliche Seuche aus. 15 Viele römische Soldaten steckten sich an. 16 Manche starben sofort, andere überlebten und schleppten die Seuche nach Rom und in die nördlichen Provinzen ein.

 

17 Dies hatte schlimme Folgen für das ganze Imperium. 18 Unzählige Soldaten und Bauern starben, was natürlich negative Auswirkungen auf die Kampfkraft des Heeres und die Versorgung der Bevölkerung hatte. 19 Auch Lucius Verus selbst starb daran, als  er im Begriff war, die Alpen in Richtung Norden zu passieren. 20 Er musste nämlich den Krieg gegen die Parther abbrechen, weil er mit seinem Heer zurückbeordert wurde, um im Norden die anstürmenden Volksstämme aufzuhalten. 21 So schaffte er es gerade noch, den nicht vollständigen Sieg gegen die Parther in Rom als einen Triumph zu feiern; kurze Zeit danach war er tot. 22 Und während das römische Heer gegen die Markomannen und anderen Stämme kämpfte, erholten sich die Parther. 23 Da in Rom ein Bürgerkrieg herrschte, in dem rivalisierende Parteien um die Thronfolge kämpften, hatten es die Parther umso leichter, sich daraus Vorteile zu verschaffen. 24 Als ihre Aktionen in Rom als ernsthafte Bedrohung erkannt wurden, setzte Septimius Severus seine Truppen in Marsch. 25 Die Parther wurden zurückgeschlagen, aber auch Septimius Severus musste den Krieg, wie vor ihm schon Lucius Verus, vorzeitig abbrechen. 26 Er sah nämlich seinen Anspruch auf die Thronfolge gefährdet und kehrte mit den Truppen nach Rom zurück. 27 Dort besiegte er seinen Rivalen Clodius Albinus. 28 Da ihm nun der Thron gesichert schien, nahm er den Kriegszug wieder auf. 29 Er eroberte die Partherstadt Ktesiphon. 30 Damit sorgte er für einstweilige Befriedung der Ostgrenze des Imperiums. 31 In den Nordprovinzen Raetia, Pannonia, Dacia und Noricum dagegen herrschte Unruhe. 32 Trotz der befestigten Grenze ließen sich die anstürmenden Volksstämme nicht mehr aufhalten. 33 Markomannen, Quaden, Jazygen und andere bedrohten den Frieden und ließen sich durch keinerlei Friedensvereinbarungen im Zaum halten. 34 Rom führte mehrere Kriege gegen sie; eine Beruhigung der Lage war nicht in Sicht. 35 Schon während dieser Kriege vermischten sich Angehörige der einfallenden Stämme mit der einheimischen Bevölkerung. 36 Das Gewirr von Völkern und Sprachen führte in manchen Gebieten zu Chaos. 37 Zum Schluss wusste man nicht mehr, wer zu wem gehörte, wer gegen wen kämpfte. 38 Zur  gleichen  Zeit bekriegte man sich aber auch noch an einer anderen Front. 39 Zwar ging es da nicht um einen bewaffneten Krieg, wohl aber um heftige Wortgefechte. 40 Bei den Gegnern handelte es sich um Christen und Juden, besser gesagt um Heidenchristen und Juden. 41 Beide wurden von den Römern noch gelegentlich verfolgt und zu Tode gequält. 42 Beide konnten heldenhafte Glaubenszeugen aufweisen, die lieber bereitwillig in den Tod gingen, als Gott zu verleugnen.

 

43 Anstatt  sich  jedoch  gegenseitig zu helfen, verfeindeten sie sich immer mehr. 44 Es erschienen immer zahlreichere christliche Abhandlungen, in denen die Juden als falschgläubige Jesusmörder verleumdet und abgestempelt wurden. 45 Besonders massiv wurden derartige Anklagen nach der Eröffnung einer christlichen Schule in Alexandria. 46 Es handelte sich um eine Schule nach dem Modell heidnischer Philosophenschulen. 47 Ihr Gründer war ein gewisser Pantaenus, ein Stoiker. 48 Dort wurden zum Christentum konvertierte Heiden in griechischer Denkweise geschult und in der Disziplin „griechische Philosophie“ ausgebildet. 49 Es wurde auch die Thora in griechischer Übersetzung gelesen, doch wurde sie neu interpretiert; die neue Auslegung war ein Konglomerat aus Elementen der pharisäischen Lehre und griechischen Philosophie, durchsetzt mit Begriffen aus der heidnischen Götterwelt. 50 So entstand nach und nach eine neue Religion, in welcher der authentische Jesus und seine Lehre nur noch eine untergeordnete Rolle spielten. 51 Wenn nun von Jesus die Rede war, wurde der Eindruck vermittelt, als wäre Jesus gar kein Jude aus Nazareth gewesen, sondern eher ein Grieche aus Rom, Alexandria oder Athen. 52 Jüdische Rabbinnen verfolgten diese Entwicklung zunächst mit großer Sorge, später mit Entrüstung, ja sogar mit Panik. 53 Es war für die jüdischen Gelehrten keinesfalls annehmbar, dass Menschen, welche noch bis vor kurzem Idolen und Götzen Opfer darbrachten, nun die Juden, welche die Schrift und eine Jahrtausende alte Tradition besaßen, in Glaubenssachen belehren würden. 54 Diese selbsternannten Schriftkenner forderten von den Juden, die Beschneidung aufzugeben, den Sabbat abzuschaffen und manches mehr. 55 Dabei gaben sie vor, dies alles aus der Thora und den Propheten herausgelesen zu haben. 56 Sie scheuten sich sogar nicht zu behaupten, Gott hätte die Juden verworfen, und sie, die Heidenchristen, hätten die Juden als das von Gott auserwählte Volk abgelöst. 57 Alle Verheißungen aus den heiligen Schriften würden ab sofort nicht mehr für die Juden, sondern für die Heidenchristen gelten. 58 Als Beweis für die Verwerfung der Juden führten sie die Zerstörung des Tempels und die Zerstreuung der Juden an. 59 Als ob sie vergessen hätten, dass der Tempel auch schon früher zerstört worden war und dass die Juden schon früher in der Verbannung gelebt hatten, ohne deswegen von Gott verworfen worden zu sein. 60 Die Heidenchristen ignorierten einfach die Tatsache, dass auch Jesus ein Beschnittener war, der an der Thora festhielt. 61 Sie brachten die Beschneidung mit Mose am Sinai in Verbindung, obwohl es eindeutig ein Zeichen für Gottes Bund mit Abraham und allen seinen Nachkommen auf ewig war. 62 Ferner behaupteten sie, Judenverfolgung wäre Gottes Strafe für ihre Bosheit; die naheliegende Frage zu stellen, warum denn sie selbst auf die gleiche Weise verfolgt wurden, kam ihnen nicht in den Sinn. 63 Von den Juden, die der Lehre Jesu anhingen, verlangten sie, das Befolgen der Thora und ihre jüdischen Traditionen aufzugeben. 64 Schnell wurden Jesu jüdische Abstammung, seine Lebensart und seine eigentliche Lehre unter die Oberfläche geschoben. 65 Etliche heidenchristliche Eiferer und Gelehrte bauten auf diese Weise fleißig an der Trennmauer, die zwischen Jesus und seinem Judenvolk errichtet wurde.

 

66 Eine Mauer, die es einem Juden unmöglich machen sollte, Jesus nachzufolgen und dabei Jude zu bleiben. 67 Im Grunde genommen war das ein weiterer Versuch, die Juden auszurotten, diesmal vonseiten des neuen Glaubensweges. 68 Es ist nur allzu verständlich, dass sich Gott ergebene Juden von den Christen distanzierten, ja, sie sogar verfluchten. 69 Denn sie erkannten die Unzulänglichkeit der neuen Religionsphilosophie, die mehr auf Gerede und Lippenbekenntnisse aufbaute, als auf Gehorsam und Erfüllung der Gebote. 70 Sie gaben den Heidenchristen die Schuld an der entstandenen Situation. 71 Entrüstet über die Christen, verwarfen sie auch Jesus und seine Lehre, um wankelmütige Juden nicht der Gefahr des Abfalls vom Glauben der Väter auszusetzen. 72 Für christliche Eiferer war das ein willkommener Anlass, den Streit noch mehr aufzuheizen, um endgültige Entzweiung herbeizuführen.

 

 

T e i l     Z W E I                  KAPITEL 5

                                                                                                                                                                                        1 Dein Wort ist meinem Fuß eine Leuchte, ein Licht für meine Pfade.

2 Wie  ein  Lauffeuer verbreitet sich der christliche Glaube im Römischen Reich. 3 Auch Kaiser Severus kann ihm durch sein Verbot nicht Einhalt gebieten. 4 Die hoffnungsvolle Kunde vom Himmelreich spricht viele Menschen an. 5 Sie werden mit dem Leben und den Taten von Jesus aus Nazareth durch mündliche Überlieferung und die Schriften seiner Nachfolger vertraut gemacht. 6 In vielen christlichen Gemeinden werden Briefe von Paulus aus Tarsus gelesen. 7 Auch Gedanken christlicher Philosophen werden verbreitet. 8 Einer von ihnen ist Justinus, der in seinen Schriften die Unterschiede zwischen Christen und Juden definiert hat. 9 Er hat festgelegt, was ein Christ seiner Meinung nach zu glauben hat und was nicht, um nicht als Häretiker zu gelten. 10 Dies bezieht sich in erster Linie auf die Judenchristen, die  sich laut Justinus entscheiden  sollten, zu welcher Seite sie gehören.

11 Solche und ähnliche christliche Schriften veranlassen wiederum jüdische Rabbinen, auch den jüdischen Glauben genauer zu definieren. 12 Federführend in dieser Angelegenheit sind Rabbinen pharisäischer Tradierung. 13 Diese behauptet, dass Mose am Sinai außer der Thora auch die Anleitung zu ihrer Auslegung bekam. 14 Im Unterschied zu den Sadduzäern sind die Pharisäer der Ansicht, dass man die Auslegung der Thora dem Stand der gesellschaftlichen Entwicklung anpassen soll. 15 Die Sadduzäer haben nach der Tempelzerstörung ihre Obliegenheiten verloren; nun werden sie von den Pharisäern auch noch als Häretiker bezeichnet. 16 Mit der Zeit sind unterschiedliche jüdische Traditionen der Thoraauslegung entstanden, die man jetzt niederschreibt.

 

17 Auch bei den Christen entstehen neue Evangelien und Schriften, in denen Glaubensfragen behandelt und Lebensanweisungen gegeben werden. 18 Christliche Philosophen beginnen allmählich über die Wesenheit Gottes zu diskutieren, was nicht selten zu Kontroversen führt. 19 Die Lehre von dem personifizierten Wort Gottes ist unter den Juden schon lange bekannt. 20 Nun befürchten die Rabbinen, diese Lehre könnte von den Christen auf die Person Jesu von Nazareth bezogen werden.  21 Deshalb widersetzen sie sich entschieden der Gleichsetzung der Begriffe Memra und Logos. 22 Sie schaffen klare Richtlinien, um das Judentum gegen den christlichen Glauben abzugrenzen. 23 Jüdische und christliche Religionsvorsteher verunglimpfen einander und spalten die Gläubigen in zwei feindselige Religionsgemeinschaften, ungeachtet der Tatsache, dass sie alle an denselben Gott glauben. 24 Nach dem Tod des römischen Bischofs Zephyrinus wurde Callistus sein Nachfolger. 25 Er versuchte, die Kompetenzen des römischen Bischofs auch auf andere christliche Gemeinden auszudehnen. 26 Das brachte ihm die Kritik des Gelehrten Tertullian ein. 27 Callistus führte heftige Auseinandersetzungen mit Tertullian und Hippolyt, unter anderem wegen der mit bestimmten Sünden einhergehenden Buße. 28 Hippolyt wurde als Bischof einer strengen Sondergemeinde von Callistus exkommuniziert. 29 Während Christen und Juden sowohl untereinander als auch gegeneinander geistliche Kämpfe führten, tobte im Römischen Reich ein Kampf um die Macht. 30 Nach dem Tode des Kaisers Severus setzte sich sein Sohn Marcus Aurelius Severus Antoninus als Thronfolger durch. 31 Er bekam den Spitznamen Caracalla, nach seinem beliebten gallischen Kapuzenmantel. 32 Caracalla ließ seinen Bruder und  Mitkaiser  Geta,  zusammen mit  mehreren  Tausend Anhängern, ermorden. 33 Er gewährte allen freien Einwohnern des Imperiums das römische Bürgerrecht.  34 Seine Machtposition war ganz vom Heer abhängig, daher erhöhte er den Soldaten erheblich ihren Sold. 35 Da das Reich dadurch in finanzielle Schwierigkeiten geriet, führte Caracalla eine Währungsreform durch. 36 In religiöser Hinsicht war er tolerant, denn er wollte sich die Gunst aller „Götter” sichern. 37 Im Kampf gegen die Germanen sicherte er die Nordgrenze des Römischen Reiches. 38 Danach machte er sich, fasziniert von den Taten des großen Alexanders, nach Osten auf.

 

39 Im Partherreich kam es nach dem Tode von König Vologaeses zum Machtkampf zwischen seinen Söhnen und schließlich zu einem Bürgerkrieg. 40 Als Sieger ging der Artabanos hervor, dessen Tochter Caracalla zur Frau nehmen wollte. 41 Nach der Ablehnung seitens des parthischen Königs marschierte Caracalla ohne nennenswerten Widerstand nach Mesopotamien ein. 42 Ehe es jedoch zu einer Auseinandersetzung mit den Parthern kam, wurde Caracalla von seinem Wächter ermordet. 43 Im Soldatenlager wurde der Prätorianer Präfekt Macrinus zum Kaiser ausgerufen. 44 Dieser schloss Frieden mit den Parthern. 45 Macrinus gab den Armeniern und Dakern die Kriegsbeute und die Gefangenen zurück, die damals Caracalla weggeführt hatte. 46 Dies wiederum gab Anlass zu einem Soldatenaufruhr gegen Macrinus. 47 Die Situation nutzte Caracallas Mutter aus, um ihren vierzehnjährigen syrischen Verwandten Varius Avitus zum unehelichen Sohn Caracallas zu erklären. 48 Avitus wurde daraufhin in Syrien von einer gallischen Legion zum Kaiser ausgerufen. 49 Beide Gegner gerieten in der Schlacht bei Antiochia aneinander, wobei Macrinus die Flucht ergriff und später festgenommen wurde. 50 Avitus nahm als Kaiser den Namen Marcus Aurelius Antoninus an. 51 Er stammte aus einer priesterlichen syrischen Familie und war selbst ein Priester des syrischen Sonnengottes. 52 In Rom wurde Antoninus Avitus jedoch nicht mit Begeisterung empfangen, da er den verhassten Caracalla feiern ließ. 53 Er führte in Rom syrische Bräuche ein und wollte den syrischen Sonnengott über die oberste römische Gottheit stellen. 54 Avitus wurde von den aufständischen römischen Soldaten ermordet.

 

55 Nach ihm wurde sein Cousin zum Kaiser, der den Namen Marcus Aurelius Severus Alexander führte. 56 Er respektierte die römischen Bräuche; seine Mutter pflegte Umgang mit dem christlichen Theologen Origenes. 57 Im Partherreich kam es unerwartet zu einer großen Kehrtwende. 58 Der kleine Stamm der Sassaniden gewann dank Ardaschir die Führungsposition im südlichen Gebiet des Partherreiches, in der Persis. 59 Der parthische König Artabanos konnte erst nach dem römisch-parthischen Friedensabkommen gegen die Rebellen aus Persis vorgehen. 60 Er wurde von Ardaschir zurückgeschlagen, wonach sich Ardaschir in Ktesiphon zum Großkönig krönen ließ. 61 In weiteren Kämpfen eroberte Ardaschir nach und nach alle parthischen Gebiete und gründete so das neupersische Sassanidenreich. 62 Nur Armenien blieb weiterhin unter der Herrschaft einer Nebenlinie der Arsakidendynastie. 63 Ardaschir  versuchte  auch  Nordmesopotamien  zu erobern doch der Kampf gegen die Römer endete ohne einen Sieger. 64 Der römische Kaiser Severus Alexander musste seinen Feldzug im Osten beenden und in den Kampf gegen die Germanen eilen, welche erneut die römischen Nordprovinzen angegriffen hatten. 65 Der schwache, unter dem Einfluss seiner Mutter stehende Kaiser genoss keinen Respekt bei den Soldaten und wurde bei Mogontiacum von ihnen ermordet. 66 Danach wählten sie aus ihrer Mitte den Feldherrn Maximinus und riefen ihn zum neuen Kaiser aus. 67 Das Römische Reich hat nun gleichzeitig mehrere Kaiser. 68 Einer von ihnen ist der von der Armee im Osten ausgerufene Marcus Julius Philippus. 69 Er stammt aus der kaiserlichen Provinz Arabia Petraea und ist somit der erste römische Kaiser aus Arabien. 70 Philippus besiegt mit seinem Heer die Germanen und verteidigt die bedrohte Nordgrenze des Imperiums. 71 Seine Religionspolitik gegenüber Juden und Christen ist tolerant. 72 Das sollte sich aber schon bald ändern.

                                                                                 

      

T e i l     Z W E I                  KAPITEL 6

 

1 Du aber, Herr, halte dich nicht fern; Du, meine Stärke, eile mir zu Hilfe! 2 Entreiße mein Leben dem Schwert, mein einziges Gut aus der Gewalt der Hunde.

3 Der römische Kaiser Philippus ernannte den Präfekten Decius zum Statthalter von Moesia und Pannonia. 4 In diesen von den Goten ständig bedrohten Gebieten kam es inzwischen zu einem militärischen Aufruhr. 5 Die Soldaten riefen Decius zum Kaiser aus. 6 In dem darauffolgenden Bürgerkrieg schlug Decius den Kaiser Phillipus bei Verona. 7 Decius erhielt die Unterstützung des Senats. 8 Er übernahm die Macht im Römischen Reich. 9 Er kämpfte während seiner ganzen Regierungszeit gegen die Goten. 10 Dies war einer der östlichen Germanenstämme. 11 Die Germanen waren verschiedene Stämme mit ähnlichen Sprachen und Mythologien. 12 Sie trieben regen Handel mit Rom, wehrten sich aber erfolgreich gegen seine Expansion. 13 Rom deutete seine militärischen Misserfolge als Zeichen des Zorns römischer Götter. 14 Immer mehr römische Bürger hatten sich nämlich mit der Zeit von ihren traditionellen Gottheiten abgewandt, während verschiedene orientalische Kulte immer beliebter wurden. 15 Kaiser Decius bestand auf einen einheitlichem Götter- und Kaiserkult. 16 Er ließ Kommissionen einberufen, welche die Teilnahme an Opferungen beaufsichtigen sollten. 17 Die Juden wurden davon ausgenommen, weil ihre Religion als eine der geduldeten galt. 18 Christen genossen dieses Privileg nicht. 19 Aus diesem Grund mussten sie wegen ihres Glaubens schlimme Verfolgungen erdulden. 20 Manche von ihnen flohen in die Wüste, andere erwarben durch Bestechung eine Bestätigung über ihre Loyalität. 21 Eine große Zahl von Christen wählte aber lieber den Tod als Glaubensverrat. 22 Unter den vielen Märtyrern waren auch Fabian, der Bischof von Rom, Alexander, der Bischof von Jerusalem, sowie der Theologe Origenes.

 

23 Unterdessen drangen germanische Stämme, angeführt von den Goten, in die römische Provinz Dacia ein. 24 Dort machten sie jedoch nicht halt, sondern zogen in die Provinzen Moesia, Thracia und Illyricum weiter. 25 Decius fiel bei Abrittus im Kampf gegen die Goten. 26 Der neue Kaiser Trebonianus Gallus schloss mit den Goten einen Friedensvertrag. 27 Die Goten kehrten mit reicher Beute zurück, außerdem wurde Rom tributpflichtig. 28 Infolge vieler Epidemien wurde die Bevölkerung des Römischen Reiches dezimiert. 29 Zwischen Rom und den Goten kam es erneut zu einem Konflikt wegen der Nichtzahlung des Tributs. 30 Die Goten  drangen  in  die  Provinz  Macedonia  und  weiter bis nach Thessaloniki ein. 31 Zahlreiche Franken kamen über die Nordwestgrenze nach Gallien. 32 Die Alemannen stießen über die Alpen nach Italien vor. 33 Im Osten wurde das Römische Reich von den Sassaniden bedroht. 34 Die Perser eroberten Mesopotamien, Syrien und das Armenische Königreich. 35 Kaiser Valerian gelang es, die Stadt Antiochia am Orontes zurückzugewinnen. 36 Unter seiner Herrschaft kam es wieder zu einer starken Christenverfolgung. 37 Dabei wurden der römische und der karthagische Bischof, Sixtus und Cyprian, hingerichtet. 38 Valerian bestimmte seinen Sohn Gallienus zum Mitkaiser. 39 Als später Valerian von den Persern festgenommen wurde, übernahm Gallienus die Macht im ganzen Römischen Reich. 40 Im Westen erhob sich  der  niedergermanische  Statthalter  Marcus  Cassianus  Postumus gegen ihn. 41 Er bemächtigte sich der Provinzen Gallia, Britannia und Hispania. 42 Colonia Claudia Ara Agrippinensium machte er zur Hauptstadt mit eigenem Senat und eigener Währung. 43 Es gelang ihm, die Grenze gegen die Germanen zu verteidigen. 44 Im Osten eroberte die römische Armee Mesopotamien von den Sassaniden zurück. 45 Auch in der abtrünnigen Provinz Ägypten schaffte Rom wieder Ordnung. 46 Kaiser Gallienus beendete die Christenverfolgung und erteilte der christlichen Gemeinde einen legalen Status, wie ihn die Juden auch hatten. 47 Dies war unter anderem der diplomatischen Fähigkeit des neuen römischen Bischofs Dionysius zu verdanken. 48 Dieser bemühte sich außerdem die römische Kirchenverwaltung zu reorganisieren und Verbindungen zu anderen christlichen Gemeinden zu knüpfen. 49 Dionysius bekämpfte Irrlehren und berief eine Synode ein, die den Sabellianismus und Subordinationismus verurteilte. 50 Auf einer Synode in Antiochia wurde der dortige Bischof Paul von Samosata abgesetzt, weil er behauptete, Jesus sei ein bloßer Mensch gewesen, und keine Erscheinungsform Gottes. 51 Kaiser Gallienus versuchte vergeblich die westlichen Provinzen zurückzuerobern. 52 Es gelang ihm allerdings, die Goten auf ihrem Zug nach Mesopotamien aufzuhalten. 53 Gallienus wurde bei Mediolanum ermordet. 54 Auch der gallische Kaiser Postumus wurde nach einem Soldatenaufstand umgebracht. 55 Der nachfolgende Kaiser Aurelianus konnte das zerfallende Römische Reich wieder einigen. 56 Aurelianus förderte den Kult des Sonnengottes, dessen Hauptfest man drei Tage nach der Wintersonnenwende feierte. 57 Diesem Sonnenkult ähnelte der Mithraskult, der im Römerreich auch verbreitet war. 58 Ebenso hatte der Manichäismus unter den Römern Fuß gefasst. 59 Der Perser Mani verband in seiner Lehre Elemente des Christentums, Buddhismus und Zoroastrismus. 60 Er wurde unter dem sassanidischen König Bahram hingerichtet und seine Lehre verboten. 61 Die Söhne Bahrams zettelten in dem Sassanidenreich einen Bürgerkrieg an. 62 Dies nutzte der römische Kaiser Carus, um die persische Hauptstadt Seleukia-Ktesiphon zu erobern. 63 Sein Nachfolger Diokletian leitete große Reformen im Römischen Reich ein. 64 Er ernannte seinen Freund Maximian zum Mitkaiser und übertrug ihm die Verantwortung über den Westteil des Römischen Reiches. 65 Diokletian und Maximian ernannten Constantius und Galerius zu Unterkaisern. 66 Denen oblag es, einige bedrohte  Gebiete  zu  schützen, zugleich galten sie als Nachfolger der Oberkaiser. 67 Rom blieb formal die Hauptstadt des Römischen Reiches. 68 Die Ober- und Unterkaiser bauten jedoch andere Städte zu ihren Regierungssitzen aus. 69 Das ganze Reich wurde in vier Herrschaftsgebiete aufgeteilt. 70 Im Osten musste man gegen den persischen König kämpfen. 71 Diokletian gelang es, einen für Rom günstigen Friedensvertrag mit den Sassaniden zu schließen. 72 Daraufhin kündigte er sein Vorhaben an, das Reich gründlich zu reformieren.

 

 

T e i l     Z W E I                  KAPITEL 7

 

1 Gott, sei mir gnädig nach deiner Huld, tilge meine Frevel nach deinem reichen Erbarmen! 2 Denn ich erkenne meine bösen Taten, meine Sünde steht mir immer vor Augen.

3 Dank der Reformen gelang es Diokletian, das Imperium aus der Krise zu führen. 4 Dann wandte er sich der Erneuerung der religiösen Praxis zu. 5 Er forcierte das Opfern den römischen Staatsgöttern, bestand auf sakraler Verehrung des Kaisers und ließ alte heidnische Bräuche neu aufleben. 6 Dabei wurden Juden und Christen zum Störfaktor. 7 Nicht etwa durch Aufwiegelei, oder Aufstände. 8 Nein, sie weigerten sich lediglich, römischen Göttern zu opfern, weil diese für sie nichts als Götzen waren. 9 Da Juden nicht sehr zahlreich waren und dazu noch sehr versprengt lebten, richtete sich Diokletians Wut hauptsächlich gegen Christen. 10 Bei den Christen nahm die Zahl der Gläubigen stetig zu und sie waren schon eine ansehnliche Religionsgemeinschaft geworden.

 

11 Diokletian und sein Unterkaiser ordneten die Zerstörung christlicher Gebetsstätten sowie Verbrennung christlicher Schriften an. 12 Ferner sollten alle christlichen Bischöfe, Vorsteher und Presbyter inhaftiert und gefoltert werden. 13 Über alle, die sich weigerten dem Kaiser zu opfern, wurde die Todesstrafe verhängt. 14 Christen und vereinzelt auch Juden wurden eingekerkert, in Bergwerke geschickt, gefoltert und hingerichtet. 15 Der einzige Grund dafür war ihre Treue zum Einen Wahren Gott. 16 Christen und Juden hatten viel gemeinsam, was ihre Treue zu Gott und   die Ablehnung des Kaiserkultes betraf. 17 Trotz dieser Berührungspunkte fanden sie nicht zueinander. 18 Im Gegenteil, je mehr Zeit verging, desto feindseliger standen sie einander gegenüber. 19 Mit Anschuldigungen, Verspottung und Beschimpfungen wurde nicht gespart, darin waren Christen noch bissiger als Juden. 20 In einer solchen Stimmung hielten die Bischöfe und Presbyter aus den westlichen Teilen des Reiches eine Versammlung ab. 21 Sie wollten sich auf eine gemeinsame Haltung gegenüber den Heiden einigen. 22 Dabei verfassten sie aber auch Beschlüsse gegen Juden und ein Zusammenleben mit ihnen. 23 Laut diesen Beschlüssen durften Christen keine Ehe mit Juden eingehen, keine Tischgemeinschaft mit ihnen pflegen und keine Feldfrüchte von ihnen segnen lassen. 24 Bis dahin verlief gerade in diesen Provinzen das Zusammenleben zwischen Christen und Juden harmonisch, zumindest nicht feindselig. 25 Durch die erwähnten Beschlüsse wurde dem ein Ende gesetzt. 26 Nun zurück zu Kaiser Diokletian und seinem Nachfolger Galerius. 27 Nachdem sich Diokletian zur Ruhe gesetzt hatte, zeichnete sich sein Nachfolger Galerius durch massive Christenverfolgung aus. 28 Doch dann erkrankte er schwer. 29 Die Krankheit musste bei ihm wohl ein Umdenken in Gang gesetzt haben. 30 Schon fast auf dem Sterbebett sorgte er mit einem Erlass für ein Ende der Christenverfolgung. 31 Was aber die Umwelt noch mehr erstaunte, war, dass er sich selbst und das Reich in die Gebete der Christen empfohlen hatte. 32 Nun kam eine Zeit des Aufatmens für die Christen, und auch die Juden profitierten von der neu entstandenen Lage. 33 Die christlichen Gemeinden erholten sich schnell und bekamen großen Zuwachs, weil die Krankheit und Tod des Kaisers als Gottes Eingreifen zugunsten der Christen interpretiert wurden.

 

34 Nach dem Tod von Galerius brachen Kämpfe um seine Nachfolge aus. 35 Aus diesen Kämpfen ging Konstantin als Sieger hervor. 36 Konstantin pflegte eine besondere Sympathie für das Christentum. 37 Der Grund dafür war wohl sein sagenumwobener Sieg über den Rivalen Maxentius am Fluss Tiber in der Nähe von Rom. 38 Seinen Sieg führte er auf eine Vision des christlichen Kreuzsymbols zurück und auf die Verheißung, dass er in diesem Zeichen siegen wird. 39 Nun hoffte er, dass er immer siegreich bleiben würde, wenn er sich zum Christentum bekennen würde. 40 Manche Berater aus seiner Umgebung bestärkten ihn in dieser Meinung. 41 So fing der heidnische Kaiser an, mit dem Christentum zu sympathisieren und es zu favorisieren. 42 Die Christen spürten und genossen die neugewonnene Freiheit, sie waren voller Freude. 43 Aber schon bald fanden sich Vorsteher, Philosophen, Bischöfe, die durch ihre Lehren die Freude trübten und die Lehre der Thora sowie des Evangeliums verschleierten. 44 Kaum hatte man als Christ endlich die Freiheit errungen, sich frei zu Gott und Jesus zu bekennen, schon musste man sich vor eigenen Glaubensgenossen fürchten; es blieb nämlich nicht ohne Folgen, wenn man seinen Glauben und seine Hoffnung nicht „richtig“ formulierte, wenn man nicht die „richtige“ Vorstellung von Gott und Jesus im Herzen trug. 45 Je mehr die Christen untereinander stritten, umso entschiedener verlangte der Kaiser nach Einheit in Glaubensangelegenheiten. 46 Er konnte als Heide natürlich nicht begreifen, dass Gott größer ist als alle Vorstellungen, die man sich von ihm machen kann, und dass jeder Christ durch Jesus von Nazareth seinen eigenen Zugang zu Gott hat. 47 Aber leider erkannten das auch die Bischöfe nicht, die in der gerade erworbenen Freiheit ihre Autorität und ihre Macht ausbauen wollten, indem sie den Gläubigen ihre eigenen Vorstellungen und Lehren aufzwangen. 48 Schnell wechselte man vom demütigen Sklavenhabitus zum arroganten Herrschergebaren.

 

49 So kam es nun im Christentum nicht mehr darauf an, wie man leben, beten, Almosen geben, die andere Wange hinhalten, den Nächsten lieben soll; wichtig waren irgendwelche sophistischen Begriffe von Gott, Göttern, Glauben und Glaubenswahrheiten. 50 Die Gemüter erhitzten sich immer mehr, statt Einheit wurde Hass geschürt, eine Spaltung war unvermeidlich. 51 Aber der heidnische Kaiser Konstantin duldete keine Spaltung.  52 Er berief eine Versammlung der Bischöfe, zwang ihnen ein Glaubensbekenntnis auf, setzte die nicht Unterwürfigen ab und schickte sie in die Verbannung. 53 In der Praxis wurde alles mit Füßen getreten, was man als Thora und Evangelium verkündete, das Verhalten wurde jenem der Heiden ähnlich, ja, man übertraf sie sogar an Bosheit. 54 Es wurden auch einschneidende Neuerungen in das Christentum eingeführt, die es gläubigen Juden unmöglich machen sollten, das Christentum freiwillig anzunehmen. 55 Der Sabbat wurde abgeschafft und als Wochenfeiertag der Sonntag eingeführt. 56 Das Osterfest wurde von der Pessahfeier getrennt und auf einen anderen Tag verlegt. 57 Der jüdische Kalender wurde durch den Sonnenkalender ersetzt. 58 Man begann die Geburt Jesu nach dem neuen Kalender zu begehen. 59 Das Christentum wurde zur Staatsreligion. 60 Kaiser Konstantin wurde kurz vor seinem Tod getauft. 61 Seine Mutter Helena ließ in Jerusalem christliche Kirchen bauen.

 

62 Nach dem Tod von Konstantin führte insbesondere sein Sohn Constantius eine entschlossene Christianisierungspolitik durch. 63 Viele Kleriker erlagen den Verlockungen, welche die neue Stellung des Christentums mit sich brachte. 64 Man missbraucht den neugewonnenen Status, bereichert sich, versinkt in heidnischer Lebensart. 65 Eine große Mehrheit der Christen ist darüber entsetzt, nimmt Anstoß daran, aber sie kann die Entwicklung nicht aufhalten. 66 Die Amtskirche entfernt sich immer deutlicher von der apostolischen Lebenspraxis und wird immer judenfeindlicher. 67 Diejenigen unter den Christen, die Erneuerung und Rückbesinnung auf das Evangelium anstreben, werden an den Rand gedrängt oder sogar aus der Kirche ausgeschlossen. 68 Obwohl immer noch ein großer Teil der Christen an der Lehre und den Forderungen Jesu festhält, ergibt die äußere Erscheinung der Kirche und des Klerus ein ganz anderes Bild. 69 Die hierarchische Struktur der Amtskirche entspricht den politischen Strukturen des Römischen Reiches, der Ehrerbietungskodex orientiert sich am Kaiserkult. 70 Man hat eine Liturgie entwickelt, die eher an eine kaiserliche Hofzeremonie als an Jesu Abendmahl erinnert. 71 Die Juden werden in Hasspredigten immer öfter als „Gottesmörder“ dämonisiert. 72 Es hat den Anschein, als wollten die neuentstandenen Machthaber des Christentums die Juden auslöschen, um kein „Mahnmal“ vor ihren Augen zu haben, das sie an den Juden Jesus und seine Lebensweise erinnern würde.

 

 

T e i l     D R E I                   KAPITEL 1

 

1 Denn nicht mein Feind beschimpft mich, das würde ich ertragen; nicht ein Mann der  mich  hasst, tritt  frech  gegen mich auf, vor ihm könnte ich mich verbergen. 2 Nein, du bist es, ein Mensch aus meiner Umgebung, mein Freund, mein Vertrauter... 3 So wie schäumende Meereswellen bei heftigem Sturm gegen das Ufer prallen, so wild stoßen fremde Völker und Stämme an die Grenzen der etablierten Reiche. 4 Franken und Alemannen besetzten Teile des Römischen Reiches, während an der Nordgrenze des Persischen Reiches die Chioniten auftauchten. 5 Im Römischen Reich gibt es obendrein auch noch innere Spannungen. 6 Constantius besiegte in der Schlacht bei Mursa den Usurpator Magnentius. 7 Nach dem endgültigen Sieg über Magnentius bei Mons Seleukos herrschte Constantius über das gesamte Römische Reich. 8 Er nahm aktiv teil an den Auseinandersetzungen über das rechte christliche Glaubensbekenntnis und erwirkte die Verbannung von Athanasius. 9 In christlichen Kreisen kam es zu Kontroversen zwischen den Anhängern von Arius einerseits und denen von Athanasius andererseits. 10 Constantius musste sich jedoch der Verteidigung des Reiches widmen, wenn er nicht zulassen wollte, dass die einfallenden Völker es zerstückeln. 11 Er besiegte die Alemannen und schloss mit ihnen einen Friedensvertrag, konnte aber die Lage nicht vollends beruhigen. 12 Seinen möglichen Rivalen um die Kaiserwürde, Constantius Gallus, ließ er hinrichten. 13 Den Feldherrn Julian setzte Constantius als Caesar im westlichen Teil des Reiches ein. 14 Bald darauf revoltierten die Truppen in Gallien gegen Constantius und riefen Julian zum Kaiser aus. 15 Bevor es zur Schlacht zwischen den Truppen von Constantius und denen von Julian kam, starb Constantius überraschenderweise.

 

16 Julian war nun Alleinherrscher im gesamten Römischen Reich. 17 Mit einem Edikt setzte er die Verbannung der christlichen Gelehrten außer Kraft. 18 Aufgrund dessen konnte Athanasius als Bischof nach Alexandria zurückkehren. 19 Dort blieb er nicht untätig, sondern berief ein Konzil in Alexandria ein, um gegen den Arianismus vorzugehen. 20 Kaiser Julian nahm Abstand vom Christentum und begann das Heidentum zu fördern. 21 Seine freundliche Haltung den Juden gegenüber weckte in dem zersprengten Volk viele Hoffnungen. 22 Er plante sogar, den jüdischen Tempel in Jerusalem wiederaufzubauen. 23 Manche Juden sahen sich durch seine freundliche Haltung ermutigt und dazu veranlasst, mit Gewalt gegen Christen vorzugehen. 24 Im Gedächtnis der Christen prägte sich dieses feindselige Verhalten tief ein und sie sannen auf Rache. 25 Aber Kaiser Julian, bekannt als Philosoph und Feldherr, verlor überraschend schnell sein Leben im Kampf gegen die Perser. 26 Sein unerwarteter Tod bedeutete das Ende jüdischer Träume sowie den allmählichen Untergang des Heidentums und seiner Rituale. 27 Da es keinen Nachfolger aus der konstantinischen Familie gab, wurde ein christlicher Offizier namens Jovian zum Kaiser ausgerufen. 28 Die Christen gewannen nun nach und nach die Oberhand im Römischen Reich. 29 Dies nutzten sie, um dem Heidentum den Todesstoß zu versetzen und die Juden zu drangsalieren; doch sie bekämpfen sich auch untereinander in Glaubensangelegenheiten. 30 So wurden aus Gejagten wieder Jäger, und zwar nicht die rücksichtsvollsten. 31 Im Zusammenhang mit dem Christentum soll aber auch ein Mann des Glaubens und der Mission nicht unerwähnt bleiben. 32 Es handelt sich um den Gotenbischof Wulfila. 33 Er wollte seinen Gläubigen Gottes Wort zugänglich machen. 34 Um die Bibel ins Gotische übersetzen zu können, entwarf er eine neue Schriftart. 35 Auf diese Weise ermöglichte er die Verbreitung des Wortes Gottes unter fremden Sippen und Völkern. 36 Dies war für die Christianisierung der neu anrückenden Völker von größter Bedeutung. 37 Auch ein gewisser Hieronymus machte sich daran, die Bibel ins Lateinische zu übersetzen. 38 Zu diesem Zweck siedelte er sogar nach Judäa über. 39 So findet der Herr immer Mittel und Wege, sein Wort in die Welt zu senden. 40 Es ist offenbar, dass der ganze Erdkreis mit Gotteserkenntnis erfüllt werden soll. 41 Zurzeit sind es Christen des Römischen Reiches, welche dieses Unternehmen am meisten vorantreiben. 42 Leider gibt es dabei auch beklagenswerte Umstände, doch darüber etwas später.

 

43 Widmen wir uns nun den weltlichen Herrschern des Römischen Reiches. 44 Kaiser  Jovian  schloss  Frieden mit den Persern und überließ ihnen fünf Provinzen. 45 Auch er starb überraschend nach einjähriger Herrschaft. 46 Zu seinem Nachfolger wurde Valentinian ausgerufen. 47 Kurz nach seinem Herrschaftsantritt ernannte er seinen Bruder Valens zum Mitkaiser. 48 Die Sicherheit im Römischen Reich war gefährdet. 49 An den Grenzen kam es immer öfter zu Kämpfen gegen anstürmende fremde Völker. 50 Im Inneren wütete ein geistlicher Kampf zwischen rivalisierenden christlichen Strömungen. 51 In diesem Kampf wurde oft zu ganz weltlichen Mitteln gegriffen. 52 So waren Absetzungen und Vertreibungen Andersdenkender an der Tagesordnung. 53 Nach mehreren Synoden und Konzilien setzte sich eine bestimmte Richtung im Christentum immer deutlicher durch. 54 Die Arianer wurden nach und nach überstimmt, vertrieben, zu Häretikern erklärt. 55 Ebenso erging es anderen christlichen Gruppierungen, welche das sogenannte Athanasische Glaubensbekenntnis nicht annehmen wollten.

 

56 Auf dem Konzil von Konstantinopel wurde das Christentum endgültig als trinitarische Lehre definiert und durch die Autorität des Kaisers zur offiziellen Religion erklärt. 57 Kaiser Theodosius und die Kaiser Gratian und Valentinian unterschrieben ein Edikt, in dem festgesetzt wurde, welche Glaubensrichtung im Christentum als verbindlich zu gelten habe. 58 Andersdenkende Christen werden seitdem als Ketzer abgestempelt; auch Heiden und Juden verlieren ihren Status. 59 Je mehr die Christen ihre Machtposition festigen, desto deutlicher zeigen sie ein anderes Gesicht als man es von ihnen aus den vergangenen zwei Jahrhunderten gewohnt war. 60 Die Leidtragenden sind andersdenkende Christen, Heiden und allen voran Juden. 61 Die Christen scheinen vergessen zu haben, dass sie alles, was die Christenheit ausmacht, ausschließlich den Juden verdanken: das Wort und den Leib - die Bibel und Jesus. 62 Sie zeigen keinerlei Dankbarkeit dafür, noch sind sie freundschaftlich gestimmt gegenüber den Juden, vielmehr bewerfen sie sie mit Schmutz, nennen sie die Wurzel alles Bösen, verfolgen sie. 63 Die Heilige Schrift wird auf haarsträubende Art und Weise zum Nachteil der Juden ausgelegt; man könnte  meinen,  der  Versucher  Jesu  aus  der Wüste persönlich wäre am Werk. 64 Zurzeit leben viele bekannte gelehrte Männer unter den Christen: Ambrosius, Johannes, Hieronymus, Augustinus. 65 Aber keiner von ihnen nimmt sich der Sache der Juden an, keiner nimmt sie in Schutz, keiner ist bereit, ihr Anwalt zu werden. 66 Einige Bischöfe hetzen sogar ihre Gläubigen auf, die Juden zu vertreiben, ihre Synagogen zu zerstören, ihr Eigentum zu plündern oder zu vernichten. 67 Andere wiederum verhindern, dass der Kaiser das geschehene Unrecht sanktionieren und eine Wiedergutmachung anordnen würde. 68 Damals, vor dreihundertfünfzig Jahren, schrie der jüdische Pöbel, angestachelt von den Tempelpriestern, in Bezug auf den Juden Jesus: „Kreuzige ihn!“ 69 Heute schreit der christliche Pöbel, angestachelt von manchem Bischof: „Vernichte den Juden, vertreibe ihn, brenne sein Gebetshaus nieder!“ 70 Damals floss infolge des rechtswidrigen Urteils des Pilatus unschuldiges jüdisches Blut für die Erlösung der Menschheit aus der Macht der Finsternis. 71 Heute fließt vielerorts im Römischen Reich erneut unschuldiges jüdisches Blut. 72 Möge der Herr es als Unterpfand für eine bessere, gottesfürchtige, friedvolle Zukunft der Welt annehmen.

 

 

T e i l     D R E I                   KAPITEL 2

 

1 Auch der Sperling findet ein Haus und die Schwalbe ein Nest für ihre Jungen - deine Altäre, Herr der Heerscharen, mein Gott und mein König. 2 Wohl denen, die wohnen in deinem Haus, die dich allezeit loben.

3 Das weströmische Reich gerät zusehends in Bedrängnis. 4 Durch das Eindringen der  Hunnen  wurde der Weg ins Reich auch für andere Völker und Stämme frei. 5 Und während verschiedene Provinzen von Barbaren überflutet werden, reißt manch ein lokaler Stammherrscher die Macht an sich. 6 Die römische Verwaltung sah sich genötigt, in sicherere Gebiete umzuziehen. 7 Aus Mediolanum zog man nach Ravenna um, aus Treveris nach Arles. 8 Kaiser Flavius Honorius unternahm verschiedene Versuche, um zu retten, was noch zu retten war. 9 Da er kein begabter Stratege war, hatte sein Gegenspieler, der Gotenführer Alarich, es nicht besonders schwer, militärische Erfolge zu verbuchen. 10 Nachdem er mit seinen Truppen Rom geplündert hatte, fingen auch seine Ambitionen an zu wachsen. 11 Er wollte die Provinz Africa erobern. 12 Auf dem Weg dorthin starb er allerdings. 13 Die Goten zogen nun von Italien nach Südgallien. 14 Ihr Anführer war Athaulf, Schwager des verstorbenen Alarichs. 15 Kaiser Honorius gelang es schließlich, die Goten als Verbündete zu gewinnen. 16 Sie erhielten das Gebiet um Tolosa, wo das von König Theoderich  regierte  Tolosanische  Reich  entstand. 17  Der  weströmische

General Constantius  wurde  zum  Mitkaiser  des kinderlosen Honorius ernannt. 18 Der oströmische Kaiser Theodosius wollte Constantius jedoch nicht anerkennen. 19 Constantius starb bereits nach siebenmonatiger Regierungszeit und das Weströmische Reich geriet erneut in eine Krise.

 

20 Inzwischen kam es in der oströmischen Hauptstadt Konstantinopel, auch Nova Roma genannt, zu politischen und kirchlichen Unruhen. 21 Als Erzbischof wirkte hier  Johannes  von  Antiochien,  der  wegen  seiner  Rednerkunst  bekannt  war. 22 Seine Predigten waren sehr judenfeindlich, sogar die Judenchristen wurden von ihm nicht verschont. 23 Johannes unterstützte die Anhänger von Origenes, auf dessen Schriften ein kirchliches Verbot lag. 24 Nach einer Auseinandersetzung mit der Mutter des jungen Theodosius, wurde er als Erzbischof von Konstantinopel abgesetzt. 25 Das rief Unruhen in der Stadt hervor, wobei die Megale Ekklesia niedergebrannt wurde. 26 Zum Schutz vor den Hunnen ließ Kaiser Theodosius eine neue Mauer um die ausgedehnte Stadt Konstantinopel bauen. 27 Er ließ das Zeus Heiligtum in Olympia schließen und verbot offiziell die Olympischen Spiele, die schon sein gleichnamiger Großvater untersagt hatte. 28 Theodosius erließ viele neue Gesetze, die zum Teil antijüdisch waren, obwohl das Judentum als erlaubte Religion galt. 29 Es wurden Mischehen mit Juden verboten und in Erbangelegenheiten bekamen getaufte Kinder den Vorrang. 30 Ein weiteres Gesetz untersagte den Juden das Halten von Sklaven, da diese oft zur Beschneidung gezwungen wurden. 31 Theodosius verbot außerdem den Neubau von Synagogen; später legalisierte er den Umbau von Synagogen zu Kirchen. 32 Der jüdische Patriarch Gamaliel wurde abgesetzt. 33 Die Patriarchensteuer wurde in eine Kaisersteuer umgewandelt und das Amt des Sanhedrins offiziell aufgehoben.

 

34 Die antijüdischen Gesetze motivierten den Mönch Barsauma von Samosata zu recht unchristlichen Handlungen. 35 Mit seinen militanten Anhägern zerstörte er Synagogen und jagte Juden aus Jerusalem hinaus. 36 Jerusalem und Eretz Israel wurden zum Ziel vieler christlicher Pilger. 37 Auch die Frau von Theodosius, Kaiserin Eudocia, pilgerte dorthin und brachte die Reliquien des Märtyrers Stephanus nach Konstantinopel. 38 Eudocia unterstützte Theodosius beim Bau der christlichen Hochschule in Konstantinopel, an der die Dozenten nur unter staatlicher Aufsicht lehren durften. 39 In dieser Hochschule entstand eine Gesetzessammlung, die in chronologischer Reihenfolge alle Gesetze von Konstantin bis Theodosius umfasste. 40 Die sogenannte Theodosianische Gesetzessammlung wurde auch vom weströmischen Reich übernommen. 41 Dort wurde der sechsjährige Valentinian, Sohn des verstorbenen Constantius, Kaiser. 42 Valentinian heiratete später die Tochter von Theodosius und siedelte wieder von Ravenna nach Rom um.

 

43 In Teilen des Sassanidenreiches kam es zu einer Christenverfolgung, nachdem der Bischof Abdas von Susa einen zoroastrischen Tempel hatte zerstören lassen. 44 Es brach ein neuer römisch - persischer Krieg aus, welchen Theodosius und Bahram mit einem Friedensvertrag und einer Vereinbarung über gegenseitige Religionstoleranz beendeten. 45 Rom musste an die Perser Tribut für den Schutz des Kaukasusgebirges vor einem möglichen Hunneneinfall zahlen. 46 Die Juden in Mesopotamien standen in den römisch - persischen Kriegen an der Seite der Perser. 47 Mit zoroastrischen Priestern gerieten sie jedoch öfters in Konflikt. 48 Trotzdem gedieh das religiöse Leben in ihren Gemeinden. 49 Auch ihre geistigen Zentren in Sura und Pumbedita erlebten einen Aufschwung. 50 Im weströmischen Reich ist seit einiger Zeit die Zerstörung von Synagogen verboten. 51 Der christliche Theologe Augustin von Hippo betont die Notwendigkeit der Juden im Gottes Heilsplan. 52 Christliche Herrscher sollten Judengemeinschaften schützen, um an ihrem Beispiel die Überlegenheit des Christentums zu zeigen. 53 Ein anderer Theologe, Hieronymus, hat es dagegen auf die Vernichtung des Judentums abgesehen. 54 In Bethlehem übersetzte er den Tanach, welchen die Kirche als das Alte Testament bezeichnet, ins Lateinische. 55 Das bereits kanonisierte Neue Testament übersetzte er anhand der vorhandenen Übersetzung Vetus Latina in ein gebräuchliches Latein. 56 Hieronymus übersetzte und überarbeitete auch den zweiten Teil der Chronik des Eusebius von Caesarea, einen historischen Überblick von der Schöpfung bis zum Christentum als erlaubte Religion.

 

57 Inzwischen hatte der oströmische Kaiser Theodosius das Kirchenkonzil in Ephesus einberufen. 58 Dort wurde die Lehre des Erzbischofs von Konstantinopel, Nestorius, über die geteilte Natur Jesu verworfen; Maria wurde als „Gottesgebärerin“ bezeichnet. 59 Auch der Pelagianismus, der die Erbsünde negiert, wurde als häretisch verurteilt. 60 Die nestorianische Kirche in Ostassyrien erkannte jedoch die Konzilsbeschlüsse nicht an und spaltete sich ab. 61 So konnte nicht einmal der Kaiser die Religionseinheit im Römischen Reich durchsetzen. 62 Als er älter wurde, sympathisierte Theodosius mit dem Monophysitismus. 63 Diese Lehre, die nicht die menschliche, sondern nur die göttliche Natur Jesu bejaht, wurde auf einem weiteren Konzil in Ephesus durchgesetzt. 64 Viele Kirchenvorsteher stimmten dem nicht zu, und so kam es zu einer weiteren Spaltung der Kirche. 65 Der römische Bischof Leo bezeichnete dieses Konzil als „Räubersynode“. 66 Als Kaiser Theodosius starb, wurde Marcianus sein Nachfolger. 67 Die Vandalen eroberten Karthago und beherrschten bald die ganze Provinz Africa. 68 Den Großteil Hispaniens bekamen die Sueben unter ihre Kontrolle. 69 Die Angelsachsen wurden Herrscher in Britannien. 70 Nur noch Gallia wird von dem römischen General Aetius vor der Expansion der Westgoten, Franken und Burgunden erfolgreich verteidigt. 71 Infolge der Völkerwanderung zerfällt das Westreich unter Valentinian immer weiter. 72 Die Zukunft erscheint nicht allzu verheißungsvoll.

 

 

T e i l     D R E I                   KAPITEL 3

                                                                                         

1 Darum ist das Gesetz ohne Kraft und das Recht setzt sich gar nicht mehr durch: Die Bösen umstellen den Gerechten und so wird das Recht verdreht.

2 Das  Hunnenreich erstarkte und grenzte an beide Teile des Römischen Reiches. 3 Der Hunnenführer Attila kämpfte gegen das oströmische Reich vor allem wegen Nichtzahlung des Friedenstributs. 4 Es kam aber auch immer öfter zu Konflikten zwischen den Hunnen und Westrom. 5 In der Schlacht auf den Katalaunischen Feldern schlug der römische General Aetius, unterstützt von den Westgoten, die Hunnen zurück. 6 Der westgotische König Theoderich fiel im Kampf; Thorismund wurde sein Nachfolger. 7 Attila attackierte danach nochmal Norditalien und wollte gegen Rom ziehen. 8 Die oströmischen Angriffe sowie eine Pestepidemie hinderten ihn jedoch in seinem Vorhaben. 9 Manche sind der Meinung, dass Rom seine Rettung dem Treffen Attilas mit dem römischen Bischof Leo verdanke. 10 Nach Attilas Tod verlor das Hunnenreich an Stärke, und die bis dahin unterdrückten germanischen Stämme übernahmen die Herrschaft über das Gebiet. 11 In Chalcedon wurde ein neues Konzil abgehalten. 12 Etwa sechshundert Bischöfe nahmen daran teil. 13 Der jahrelange Streit um das Verhältnis zwischen der göttlichen und der menschlichen Natur in Jesus wurde entschieden. 14 Die Trinität wurde zum Dogma erklärt. 15 Die Kirchen von Ägypten, dem Heiligen Land und Syrien waren mit der Formulierung nicht einverstanden. 16 Es kam zur Abspaltung der orientalischen Kirchen. 17 Sie sahen in den Konzilsbeschlüssen eine Rückkehr in den Nestorianismus. 18 Die Westsyrer sowie die ägyptischen Kopten verstanden nämlich die Gottheit und Menschheit Jesu als eine Natur. 19 Die Ostsyrer hatten sich  wegen  dem  Nestorianismus  schon  früher von der Reichskirche getrennt. 20 Auf dem Konzil besprach man außer der Formulierung des Glaubensbekenntnisses auch noch andere Themen. 21 Eins davon war das vor allem im Osten verbreitete Mönchtum. 22 Es gab Säulenasketen in Syrien, wandernde Mönche sowie klösterliche Gemeinschaften, die auf Pachomios zurückgehen. 23 Im Westen lebte - auch noch später als Bischof - Martin von Tours zusammen mit anderen Mönchen in einer Einsiedelei vor der Stadt. 24 Im Osten ließen sich Mönche allmählich in den Städten nieder und verhielten sich oft undiszipliniert. 25 Aus diesem Grund wurden die Klöster unter die Aufsicht des zuständigen Bischofs gestellt, den Mönchen wurde freier Ausgang verboten. 26 Insgesamt behandelte das Konzil von Chalcedon achtundzwanzig Kanones, wobei der letzte zum Stolperstein für die Einheit der Reichskirche wurde. 27 Laut diesem gebühre den Bischöfen von Rom und Konstantinopel der gleiche Ehrenrang. 28 Der römische Bischof Leo war strikt dagegen; er bestand auf dem Primat Roms, wobei er sich auf die Gründung der römischen Gemeinde durch die Apostel berief. 29 Kaiser Marcianus bestätigte jedoch aus politischen Gründen alle Beschlüsse des Konzils.

 

30 Nach dem gewaltsamen Tod des weströmischen Kaisers Valentinian geriet Rom in Chaos. 31 Das nutzten die Vandalen zur Plünderung Roms aus. 32 Im römischen Auftrag kämpfte der westgotische König Theoderich, Sohn von Thorismund, gegen die Sueben und verhinderte deren weiteres Eindringen nach Hispanien. 33 Im weströmischen Reich gab es rasche Kaiserwechsel, wodurch das Reich sehr instabil wurde. 34 Im Osten wurde der Truppenführer Flavius Valerius Leo zum neuen Kaiser ausgerufen und von dem Patriarchen von Konstantinopel gekrönt. 35 Kaiser Leo befehligte dann die gemeinsame Flottenoperation Ost- und Westroms gegen die Vandalen, jedoch erfolglos. 36 Der westgotische König Theoderich wurde von seinem Bruder Eurich beseitigt. 37 Bei den Ostgoten übernahm ein gewisser Theoderich, der die gotischen Gruppen vereinigt hatte, das Königsamt. 38 Nach dem Bundesschluss mit den Goten in Thrakien wurden die Ostgoten zur Gefahr für Konstantinopel. 39 Ein Feldherr aus Isauria, welcher den griechischen Namen Zenon annahm, bestieg den kaiserlichen Thron. 40 Zenon gelang es, das oströmische Reich mit diplomatischen Mitteln zu stabilisieren. 41 Er schickte eine Delegation nach Karthago, die den Vandalenkönig Geiserich zum unabhängigen Herrscher von Africa proklamierte. 42 Damit hörte das Piratentum der Vandalen allmählich auf.

 

43 Im Westen kam es zu einem Militärputsch, in dem der germanische Feldherr Odoaker den weströmischen Kaiser Romulus absetzte. 44 Zenon, der sich um das geschrumpfte weströmische Reich wenig Sorgen machte, erkannte den Germanen Odoaker als Herrscher über Italien an. 45 Odoaker wollte aber mehr: Er pachtete Sizilien von den Vandalen und eroberte Dalmatien. 46 Kaiser Zenon schickte zunächst die Rugier gegen ihn, und nach deren Misserfolg dann die Ostgoten. 47 So entledigte sich Zenon des gefährlichen ostgotischen Königs Theoderich. 48 In der Kirchenpolitik begann mit Zenon die Verfolgung heidnischer Philosophen in Alexandria. 49 Er wollte die ägyptische monophysitische Kirche wieder in die Kirche von Konstantinopel eingliedern. 50 Dazu sollte ein Kompromiss geschlossen werden, wobei über die umstrittenen Punkte des Konzils von Chalcedon einfach hinweggesehen werden sollte. 51 Daraufhin verhängte der römische Bischof Felix gegen den Patriarchen von Konstantinopel, Akakios, einen Kirchenbann. 52 Die theodosianischen antijüdischen Gesetze wurden auch gegen die Samaritaner angewandt. 53 Deshalb kam es in Samaria zu einem Aufruhr, bei dem mehrere christliche Gemeinden ausgerottet wurden. 54 Nach der Unterdrückung des Aufstandes ließ Kaiser Zenon den samaritanischen Tempel auf dem Berg Garizim in eine christliche Kirche umbauen.

 

55 Der Vandalenkönig Hunerich, Sohn von Geiserich, berief ein kirchliches Konzil in Karthago ein, auf dem beschlossen wurde, dass nur die arianische Variante des christlichen Glaubens erlaubt sei. 56 Daraufhin verloren viele traditionelle Christen, sowohl orthodoxe als auch katholische, ihr Leben. 57 Auch in Armenien, dem ersten Land, das Christentum zur Staatsreligion erklärt hatte, kam es zu Veränderungen in Kirche und Politik. 58 Nach den römisch - persischen Kriegen fiel ein Großteil Armeniens unter Persien. 59 Der persische König Yazdegerd unterdrückte die armenischen Christen. 60 Er wollte im ganzen persischen Reich den Zoroastrismus einführen und besiegte den christlichen armenischen Adel in der Schlacht von Avarayr. 61 Trotzdem behielten die Armenier ihre christliche Identität. 62 Auf der Synode von Beth Lapat wurde die nestorianische Lehre für Christen im persischen Reich als verbindlich erklärt. 63 Die Westgoten schlugen in Gallien die fränkischen Stämme nieder.

 

64 Das Blatt wendete sich aber, als der Merowinger Chlodwig Frankenherrscher wurde. 65 Chlodwig besiegte in Gallien den römischen Feldherrn Syagrius und begründete dort das Frankenreich. 66 Die Ostgoten, unter der Führung Theoderichs, waren in Italien erfolgreich und töteten Odoaker in Ravenna. 67 Auf Kaiser Zenon folgte Anastasios, der mit dem Monophysitismus sympathisierte. 68 Aus diesem Grund schickte der römische Bischof Gelasius dem Kaiser ein Schreiben, in dem er seine überlegene Autorität in religiösen Fragen betonte. 69 Gelasius führte in der Kirche das Fest „Mariä Lichtmess“ ein, welches im Osten „Fest der Begegnung“ genannt wurde. 70 Kaiser Anastasios bestätigte den ostgotischen König Theoderich als Herrscher über Italien. 71 Der Frankenkönig Chlodwig wurde von Bischof Remigius getauft. 72 Im Unterschied zu anderen Germanenherrschern geschah seine Annahme des Christentums nicht in arianischer, sondern in katholischer Form.

T e i l     D R E I                   KAPITEL  4

 

1 Dem Herrn gehört die Erde und was sie erfüllt, der Erdkreis und seine Bewohner.

2 Nach dem Zerfall Westroms stabilisierte sich der östliche Teil des Imperiums und entwickelte sich zu einer Großmacht, Ostrom oder Byzanz genannt. 3 Der oströmische Kaiser herrschte über große Gebiete Pannoniens, über Kleinasien bis nach Ägypten sowie über Teile Mesopotamiens. 4 Nach einer sechzigjährigen Friedensperiode kam es zwischen Kaiser Anastasios und dem persischen König Kavadh zu einem militärischen Konflikt. 5 Nach dem Waffenstillstand ließ Anastasios in Dara, direkt an der syrisch-persischen Grenze, eine Festung bauen. 6 Die Könige der neuen westlichen Reiche unterwarfen sich nur zum Schein dem oströmischen Kaiser, in Wirklichkeit herrschten sie jedoch selbstständig. 7 Der ostgotische König Theoderich wollte die germanischen Stämme vereinen, wobei er sich unter anderem der Heiratspolitik bediente. 8 Er vermählte seine Töchter mit westgotischen und burgundischen Thronfolgern, seine Schwester heiratete in die Vandalendynastie ein. 9 Theoderich selbst heiratete die Schwester des Frankenkönigs Chlodwig. 10 Als jedoch Chlodwig zum Katholizismus überging, wurde Theoderichs Plan für ein germanisches, auf dem Arianismus beruhendes Bündnis, obsolet. 11 Chlodwig besiegte die Alemannen und Thüringer und brach gegen die Westgoten auf. 12 Er bestimmte Paris zur Hauptstadt des Frankenreiches anstelle von Soissons. 13 Kaiser Anastasios verlieh Chlodwig den Titel des Ehrenkonsuls.

 

14 Nachdem der westgotische König Alarich im Kampf gegen Chlodwig gefallen war, trat Theoderich öffentlich gegen Chlodwigs Expansion auf. 15 Der gallische Teil des Westgotischen Reichs kam größtenteils unter die fränkische Herrschaft. 16 Theoderich übernahm als Vormund des Kaisers auch die Herrschaft über die Westgoten. 17 Sein Herrschaftsgebiet erstreckte sich von Pannonien bis nach Hispanien. 18 Nach Chlodwigs Tod wurde das Frankenreich unter seine vier Söhne aufgeteilt, die die Königreiche von Paris, Soissons, Reims und  Orleans  gründeten.  19 In  Byzanz bestieg der neue Kaiser Justin den Thron. 20 Dieser baute auf Diplomatie  und  war  bestrebt,  die  wegen  unterschiedlicher  Glaubensformeln entstandene  Spaltung  in  der  Kirche  zu  beenden.  21 Er übernahm, zum Nachteil der  Monophysiten,  die  Glaubensformel  des  römischen  Bischofs  Hormisdas.

 

22 Es  kam  zu  einer  neuen Verfolgungswelle der Arianer im Osten. 23 Aus diesem Grund schickte der Gotenkönig Theoderich den neuen römischen Bischof Johannes nach Konstantinopel. 24 Da Johannes nicht alle Forderungen Theoderichs erfüllte, wurde er in Ravenna inhaftiert und starb bald danach. 25 Im gleichen Jahr starb auch Theoderich, der insgesamt als ein in religiösen Fragen toleranter Herrscher galt. 26 Er respektierte den jüdischen Glauben und gebot den Christen in Ravenna, die von ihnen niedergebrannte Synagoge wiederaufzubauen.

 

27 In Byzanz wurde Justinian nach seinem Onkel Justin oströmischer Kaiser. 28 Er bemühte sich gleich energisch um einheitliches römisches Recht. 29 So entstand hundert Jahre nach der Theodosianischen Gesetzessammlung der Justinianische Rechtscodex. 30 Die neuen Gesetze beinhalteten auch strenge antijüdische Vorschriften. 31 Es wurde den Juden verboten, Christen als Arbeiter und Sklaven zu  halten, was  sie  in die Unmöglichkeit versetzte Landwirtschaft zu betreiben. 32 Das zweite Konzil von Orléans verbot im Frankenreich die Heirat zwischen Juden und Christen. 33 Ein weiteres Konzil drohte mit der Exkommunikation von Christen, die mit Juden gemeinsam speisen würden. 34 Christen durften sich in der Karwoche nicht mit Juden treffen.  35 Es kam zu einem Aufruhr der Samaritaner unter der Führung von Julian ben Sabar, der jedoch von den kaiserlichen Truppen niedergeschlagen wurde. 36 Unter Justinians Regierung entstanden viele christliche Bauwerke, die vor allem zur Demonstration der geförderten Religion dienen sollten.  37  Eines  davon  ist  die  Marienkirche  auf dem Tempelberg in Jerusalem. 38 Die beschädigte, von Konstantin gebaute Geburtskirche in Bethlehem ließ der Kaiser neu bauen. 39 Den Höhepunkt von Justinians Bautätigkeit stellt jedoch die Kirche der Heiligen Weisheit, die Hagia Sophia in Konstantinopel dar. 40 Sie sollte die frühere Kirche von Theodosius ersetzen, die in einem Aufstand gegen Kaiser Justinian niedergebrannt wurde. 41 Die Hagia Sophia übertrifft an Größe sogar die vor kurzem nach dem Modell des salomonischen Tempels gebaute Polyeuktoskirche in Konstantinopel.

 

42 Der persische König Kavadh bot Kaiser Justinian seinen Sohn zur Adoption an, was dieser jedoch nicht annahm. 43 Kavadh wollte in der nördlichen, christlichen Provinz die zoroastrische Religion durchsetzen, worauf die Kämpfe mit Byzanz neu aufflammten. 44 In der Schlacht von Dara wurden die Perser von Ostrom besiegt. 45 Daraufhin schlossen die beiden Großmächte den, wie sie es nannten, „Ewigen Frieden“. 46 Nun konnte sich Justinian auf die verlorenen Gebiete Westroms konzentrieren. 47 Sein Feldherr Belisarios bezwang zuerst das Vandalenreich in Africa. 48 Danach griff er über Sizilien das Ostgotische Reich in Italien an, das nach dem Tod Theoderichs geschwächt war. 49 Nach acht Jahren brachen die Perser unter Chosrau den Frieden mit Byzanz. 50 Die Sassaniden drangen nach Syrien ein und eroberten die byzantinische Metropole Antiochia am Orontes, deren Einwohnerschaft nach einem zweimaligen Erdbeben dezimiert war. 51 Außer den Naturkatastrophen schwächte auch noch eine Pestepidemie die beiden Großmächte. 52 Selbst Kaiser Justinian wurde davon betroffen. 53 Nach seiner Genesung widmete er sich verstärkt theologischen Fragen. 54 Der Kaiser war sehr bemüht, die Monophysiten wieder in die Kirche einzugliedern, stieß aber immer wieder auf Widerstand   westlicher Bischöfe. 55 Justinian bestätigte die fünf kirchlichen Patriarchate: Rom, Konstantinopel, Alexandria, Antiochia und Jerusalem. 56 Diese sollten die Einheit der Kirche sichern, bei Unstimmigkeiten sollte ein Kirchenkonzil einberufen werden. 57 Im Westen blühte das Mönchtum. 58 Die Kirchenversammlung in Agde verbot den Bau von Klöstern für Mönche und Nonnen am selben Ort. 59 Der Asket Benedikt von Nursia gründete ein Kloster bei Cassino.  60 Die Mönche dort lebten vor  allem  von der Landwirtschaft, das Kloster war wirtschaftlich selbstständig. 61 Die wichtigsten Pfeiler der benediktinischen Regel waren Gebet, physische Arbeit  und  Gehorsam. 62 In  Rom  wirkte ein  gelehrter  Mönch und Mathematiker skytischen Ursprungs, Dionysius Exiguus. 63 Er übersetzte die Kirchenkanones aus dem Griechischen ins Lateinische und berechnete die Tabelle der Ostertermine. 64 Dionysius hielt es für unangemessen eine Jahreszählung zu benutzen, die mit der Thronbesteigung des Christenverfolgers Diokletian begann, und  nahm  die  Geburt Christi als Bezugspunkt für die christliche Zeitrechnung. 65 Schon früher unternahm der Theologe und Geschichtsschreiber Eusebius von Caesarea den Versuch einen christlichen Kalender zu schaffen. 66 Die Juden benutzten ihren eigenen Kalender mit der Erschaffung der Menschen als Ausgangspunkt. 67 Die Kirche ordnete an, dass die Juden das Passahfest nicht vor dem christlichen Ostern feiern durften. 68 Die christlichen Feiertage verlieren nach und nach jeglichen Bezug zu den jüdischen Wurzeln. 69 Die rabbinischen Diskussionen über die mündliche Thora und das jüdische Recht werden jetzt niedergeschrieben. 70 Die Schriften der Rabbinen nennt man Talmud. 71 Die frühen Niederschriften solcher Diskussionen stammen aus den jüdischen Schulen in Eretz Israel. 72 Die späteren, umfangreicheren Niederschriften entstanden vor allem in den jüdischen Akademien in Babylonien. 

 

 

T e i l     D R E I                   KAPITEL  5

 

1 Erhebe dich, Gott, und richte die Erde; denn alle Völker werden dein Erbteil sein.

2 Die Völker bemühen sich, ihr jeweiliges Territorium zu behalten oder es gar zu erweitern. 3 Die  Welt  ist  in ständiger Bewegung, wie ein riesiges Mühlenrad, das vom Strom der Zeit angetrieben wird. 4 In ständiger Bewegung wurde von Kaiser Justinian auch sein Feldherr Belisarios gehalten. 5 Er schickte den erfahrenen Feldherrn  überall  dorthin,  wo das  byzantinische  Reich  in  Gefahr  geriet.6 Belisarios reorganisierte das verwahrloste Heer. 7 Es wurden nur freie, mutige Männer rekrutiert, auch aus den besiegten Völkern. 8 Wie schon früher erwähnt, schlug  Byzanz  unter Belisarios´ Kommando die Perser in der Schlacht bei Dara. 9 Nach der Niederschlagung des Volksaufstandes in Konstantinopel wurde Belisarios in den Kampf gegen die Vandalen geschickt. 10 Nach dem Sieg in Africa wurde er von seinen Rivalen beschuldigt, dass er sich dort zum König proklamieren  lassen  wollte.  11  Als  er  in  Italien  militärische  Erfolge  feierte,  wurde  ihm die gleiche Absicht unterstellt, und er wurde nach Konstantinopel zurückbeordert. 12 Der kaiserliche Feldherr Narses durfte dann den Sieg über die Ostrogothen in Italien für sich verbuchen. 13 Byzanz eroberte von den Westgoten die südliche Küste Hispaniens mit der Stadt Neu-Karthago und bildete daraus die Provinz Hispania. 14 Dadurch wurde das alte Imperium Romanum teilweise wiederhergestellt.

 

15 Belisarios verteidigte die kaiserliche Stadt Konstantinopel vor den Angriffen der Awaren. 16 Dieses Steppenvolk ähnelte in vielem den Hunnen, deshalb wurde es manchmal auch so genannt. 17 Die Awaren mussten vor den Gök-Türken westwärts ziehen. 18 Das neue Reich der Türken vernichtete zusammen mit den Persern das Reich der Hephthaliten. 19 Bei ihrem Zug nach Westen unterwarfen die Awaren die übriggebliebenen Hunnen sowie andere nomadische und manche slawischen Stämme. 20 Kaiser Justinian bezahlte den Awaren lieber den verlangten Tribut, als gegen sie zu kämpfen. 21 Die oströmischen Diplomaten lenkten die Aufmerksamkeit der Awaren auf das Frankenreich. 22 Aber die Awaren wurden von den Franken besiegt und kehrten nach Pannonien zurück. 23 Belisarios wurde erneut einer Verschwörung gegen den Kaiser beschuldigt. 24 Der treue Belisarios und sein Kaiser starben beide im gleichen Jahr.

 

25 Der neue byzantinische Kaiser Justin, ein Neffe von Justinian, weigerte sich, den Awaren weiterhin Tribut zu zahlen. 26 Inzwischen verbündeten sich die Langobarden mit den Awaren und besiegten gemeinsam die Gepiden. 27 Die enge Nachbarschaft mit den Awaren verhieß jedoch nichts Gutes, und so zogen die Langobarden weiter nach Norditalien. 28 Mit der Ankunft der Awaren kam es zu einer Verschiebung der slawischen Stämme. 29 Diese wurden von den Römern Barbaren oder Sklaven genannt. 30 Nachdem die Langobarden nach Westen gezogen  waren, kamen die Slawen nach Pannonien, Noricum und Carantanum. 31 Manche slawischen Stämme flohen vor den Awaren nach Süden und besetzten Nordgriechenland bis Thessaloniki. 32 Weder Slawen noch Awaren konnten diese zweitwichtigste byzantinische Stadt erobern. 33 Im Unterschied zur römischen Kultur, die den Invasionen fremder Völker erlag, lebte im Osten die griechische Wissenschaft weiter. 34 Zwar löste Kaiser Justinian die heidnisch geprägte Philosophenschule in Athen auf, doch griechische Philosophen wurden in den christlichen Schulen Alexandriens immer noch hochgehalten. 35 Die Awaren, angeführt  von  Khagan  Baian,  unterjochten  die  meisten  slawischen Stämme. 36 Slawen widmeten sich mit Vorliebe der Landwirtschaft und siedelten auf fruchtbaren Landstrichen.

 

37 Die nomadischen Awaren pflegten bei ihnen zu überwintern und sich Frauen aus ihrer Mitte zu nehmen. 38 Die Langobarden begannen das Land in Norditalien landwirtschaftlich zu bestellen. 39 Das Zentrum des Langobardenreiches wurde die ehemalige römische Soldatenstadt Pavia. 40 Die langobardischen Herzöge wählten   Authari   zu   ihrem   König,  der  dann den  Namen  Flavius  annahm. 41 Leovigild, König der Westgoten, der sich zum Arianismus bekannte, verheiratete seinen älteren Sohn Hermenegild mit einer fränkischen Prinzessin katholischen Glaubens. 42 Hermenegild sollte in dem südlichen Teil des Westgotenreichs mit dem Sitz in Sevilla herrschen. 43 Da die Mehrheit der Bevölkerung katholisch war, trat auch er zum Katholizismus über. 44 Es kam zu einem Aufstand Hermenegilds gegen seinen Vater; der Aufstand wurde niedergeschlagen, Hermenegild gefangen genommen. 45 Nach dem Tode Leovigilds bestieg sein jüngerer Sohn Rekkared den westgotischen Thron. 46 Auch er konvertierte zum Katholizismus, weil er die religiöse Einheit des Reiches erstrebte. 47 Seine Konversion hatte Verschwörungen in  arianischen  Kreisen  zur Folge, die er jedoch erfolgreich bekämpfen konnte. 48 Er berief ein Konzil in Toledo ein. 49 Aber greifen wir den kirchlichen Geschehnissen nicht vor, sondern erzählen sie der Reihe nach.

 

50 Kaiser Justinian ließ das zweite Konzil in Konstantinopel einberufen, vor allem wegen der umstrittenen Schriften dreier Theologen. 51 Auf dem Konzil nahmen die  Patriarchen  von  Antiochien  und  Alexandrien  teil;  der  römische  Bischof Vigilius sowie der Jerusalemer Patriarch ließen sich durch ihre Legaten vertreten. 52 Die umstrittenen Schriften wurden schließlich als häretisch bezeichnet. 53 Die westlichen Bischöfe, vor allem jene aus Italien, sahen darin einen Sieg der Monophysiten und waren mit den Konzilsbeschlüssen nicht einverstanden. 54 In Tours wurde Georgius Florentius zum Bischof gewählt, der den Namen Gregorius annahm. 55 Er war Historiker und schrieb mehrere Geschichtswerke, unter anderem die  fränkische  Geschichte  bis  zu  den  Kämpfen  von  Chlodwigs  Nachfolgern. 56 Diese fränkische Dynastie verdankt ihren Namen Merowinger dem Großvater Chlodwigs, Merowech. 57 Chilperich, ein Enkel von Chlodwig, scheute vor nichts zurück, um die Juden zur Taufe zu zwingen. 58 Viele flohen deshalb, die übrigen konnten zwischen Taufe und Ausstechen der Augen wählen. 59 Die Situation der Juden verschlimmerte sich auch im Westgotenreich. 60 Nun zurück zum Konzil von Toledo. 61 Dort wurde die Einführung der Filioque-Formel ins Glaubensbekenntnis beschlossen. 62 Ein anderer Beschluss schrieb die Taufpflicht  für  Kinder  aus christlich-jüdischen  Verbindungen vor. 63 Als neuer römischer  Bischof  wurde  ein angesehener Römer gewählt, der Mönch Gregor. 64 Er benutzte den Titel servus servorum Dei, das heißt Diener der Diener Gottes. 65 Gregor schrieb den Titel pappas, das heißt Papst, als ausschließliche Amtsbezeichnung für den Bischof von Rom fest. 66 Er gründete auch neue Klöster und propagierte die Regel Benedikts. 67 Da die Langobarden weitere Teile Italiens bedrohten, verhandelte Gregor mit ihnen über Tributzahlung. 68 Im Sassanidenreich kam  es  zu  einem  Aufstand,  in  dem  König Hormizd vom Adel ermordet wurde. 69 Sein Sohn Chosrau floh nach Byzanz. 70 Kaiser Maurikios half ihm, im Sassanidenreich wieder Ordnung einzuführen. 71 Byzanz musste wiederholten Angriffen von Awaren und Slawen standhalten. 72 Die Awaren kamen bis vor Konstantinopel; bald danach plünderten Byzantiner wieder das awarische Territorium.

 

 

T e i l     D R E I                   KAPITEL  6

 

1 Der Löwe brüllt – wer fürchtet sich nicht; Gott, der Herr, spricht – wer wird da nicht zum Propheten?

2 Die  Juden leben zurzeit immer noch  in  der  Zerstreuung, ohne Heimat, ohne Tempel. 3 In  Sura,  in  Babylonien, amtiert Mar bar Rab Chanan als erster Gaon. 4 Persien wird von Chosrau Parviz regiert, mit welchem die Juden viele Hoffnungen verbinden. 5 Sein Gegenspieler in Konstantinopel ist Kaiser Maurikios. 6 Die Christenheit wird aus mehreren Zentren geleitet, unter denen Rom, Konstantinopel und Jerusalem führend sind. 7 Es ist die Zeit des Papstes Gregor; Kyriakos ist Patriarch in Konstantinopel, in Jerusalem residiert Patriarch Amos. 8 An die Grenzen der etablierten Reiche stoßen immer neue Völker und Völkergruppen; sie plündern, morden, versuchen Land und Macht an sich zu reißen.

 

9 Mancherorts entvölkern sie ganze Gebietsstreifen, in anderen Gegenden überfallen und plündern sie nur Städte, woanders mischen sie sich unter die einheimische Bevölkerung und werden ansässig. 10 In allen großen Reichen werden verstärkt Soldaten angeworben und größere Armeen gebildet, um die Grenzen zu sichern, Verlorenes zurückzugewinnen oder neue Gebiete zu erobern. 11 Auch Juden dienen in den Heeren verschiedener Länder und kämpfen für die jeweiligen Machthaber. 12 Juden werden, besonders in christlichen Teilen der Welt, Verfolgungen und Missionierung ausgesetzt. 13 Zwangstaufen sind in manchen Gegenden zum Alltag geworden. 14 Papst Gregor hat zwar seine Stimme dagegen erhoben und verlangt mit diesen Maßnahmen aufzuhören, aber davon spüren die Juden wenig.

 

15 Die Staatsherrscher haben nämlich andere Sorgen. 16 Kaiser Maurikios führte mehrere erfolgreiche Abwehrkriege gegen Slawen. 17 Für seine Hilfe bei der Thronbesteigung  wurde er vom persischen Kaiser mit Nordmesopotamien entlohnt. 18 Maurikios wurde jedoch bei der Meuterei des Feldherrn Phokas ermordet. 19 Phokas bestieg daraufhin den Thron, aber Chosrau war damit nicht einverstanden. 20 Er  begann  mit  einer  Invasion  auf  das römische Territorium. 21 Ein großer Feind Roms, das bis dahin bedrängte Awarenreich, konnte sich dadurch erholen, ja sogar erstarken. 22 Aber auch Phokas wollte seine Macht festigen und suchte allerseits nach Verbündeten. 23 Zu diesem Zweck schenkte er dem neugewählten Papst Bonifatius das Pantheon in Rom. 24 Der Papst ließ es zu einer Kirche umfunktionieren und den christlichen Märtyrern weihen. 25 Phokas konnte sich trotz Bemühungen nicht lange auf dem Thron halten, zumal er Gebietsverluste an die Perser erlitt. 26 Er wurde gestürzt und von den Soldaten des Herakleios verstümmelt. 27 Herakleios, Sohn des Statthalters von Karthago, wurde in Konstantinopel zum Kaiser gekrönt. 28 Die Perser nutzten die Machtkämpfe und Kaiserwechsel in Konstantinopel aus, um in Syrien einzudringen. 29 Auf dem Patriarchensitz in Konstantinopel wurde Sergios Nachfolger des Patriarchen Thomas.

 

30 Während in den westlichen Gebieten des Römischen Reiches ein Bruderkrieg zwischen den Merowingern Theudebert und Theoderich tobte, eroberte der persische  Heerführer  Schachrbaraz  Damaskus.  31  Dies  ließ  alle  Juden  aufhorchen. 32 Sie witterten darin eine Chance, mit Hilfe der Perser ihren jahrhundertelangen Traum zu verwirklichen -  die Rückkehr nach Jerusalem. 33 Sie halfen den Persern auf jegliche Art und Weise und bekamen dafür das Versprechen, im Falle eines Sieges nach Jerusalem zurückkehren zu dürfen. 34 Die Juden hätten alles getan, um wieder in Jerusalem leben zu dürfen. 35 Es brach eine messianische Stimmung an, die Luft war erfüllt mit spannungsvoller Erwartung. 36 Jahrhundertelange Vertreibung, Unterdrückung, Erniedrigung, Versklavung, Zwangschristianisierung, all das löste den Ruf nach Befreiung, nach Kampf, nach Vergeltung aus. 37 Und tatsächlich gelang es den Persern, mit Hilfe der Juden Jerusalem zu erobern. 38 Die Christenheit erlebte einen Schock, die Kreuzesreliquie wurde nach Persien verschleppt. 39 Mehrere Kirchen wurden zerstört, unzählige Christen kamen ums Leben. 40 Die Juden halfen tatkräftig mit und wurden dadurch bei den Christen noch verhasster. 41 Nach der Eroberung hielten die Perser ihr Versprechen ein, jedoch nur für kurze Zeit. 42 Den Juden erging es wie immer, wenn sie, anstatt auf den Herrn, auf sich selbst und ihre Verbündeten bauten. 43 Zuerst erhielten sie die Erlaubnis, sich in Judäa und Jerusalem niederzulassen. 44 Jerusalem bekam eine jüdische  Regierung,  an  dessen  Spitze  Nehemia  ben  Huschiel  stand. 45 Man war in  Jubelstimmung,  hatte  große  Pläne,  man  wollte den Tempel wiederaufbauen. 46 Aber die darauffolgenden Ereignisse ließen nichts Gutes ahnen.

 

47 Die Perser änderten schon bald ihr wohlwollendes Verhalten den Juden gegenüber. 48 Wegen Neuorientierung der Außenpolitik und der Druckausübung seitens der Christen verboten sie den Juden erneut Jerusalem zu betreten. 49 Als es später dem Herakleios gelang, Jerusalem zurückzuerobern, waren Juden wieder Gewaltausbrüchen ausgesetzt. 50 Trotz gegenteiligem Versprechen des Kaisers nahmen Christen in vielfacher Weise Rache an ihnen. 51 Das Verhältnis zwischen Juden und Christen war auf allerniedrigstem Stand. 52 Beide Seiten waren von Feindschaft, Verbitterung und Hass erfüllt. 53 Für Juden gab es nichts Schlimmeres, als ihr verheißenes Land wieder zu verlieren und Jerusalem, den einstigen Ruhm Israels, von Fremden besetzt zu sehen. 54 Gerade das aber war das vorrangige Ziel der Christen, nämlich, die Juden von ihrem ewigen Besitz zu vertreiben und von ihrer heiligen Stadt fernzuhalten. 55 Die Kreuzesreliquie wurde von Herakleios wieder feierlich nach Jerusalem hineingetragen. 56 Die Christen wurden immer mächtiger und fügten den Juden immer mehr Leid zu. 57 Die Juden ihrerseits waren nicht minder erbost über die Christen und fügten ihnen, wo sie nur konnten, wenigstens kleine Nadelstiche zu. 58 Meistens aber suchten sie das Weite, um wenigstens ein paar Habseligkeiten und das nackte Leben zu retten. 59 Beide Seiten taten einander Böses an im Namen des gleichen Gottes, beide überzeugt in seinem Namen zu handeln.  60 Aber da sie sich auf Gott beriefen, ließ seine Antwort nicht lange auf sich warten. 61 Und sie war ganz anders, als sie es sich erhofft hatten.

 

62 Im Südosten, im arabischen Ort Mekka, behauptete zu jener Zeit ein Mann, himmlische Botschaften zu empfangen. 63 Der Mann hieß Mohammed und stammte aus einer mekkanischen Sippe des Stammes Quraisch. 64 Er kam als Halbwaise zur Welt, und als er sechs Jahre alt war, verstarb auch noch seine Mutter. 65 Danach lebte er bei seinem Großvater. 66 Zwei Jahre später verstarb auch sein Großvater und Mohammed kam zu seinem Onkel Abu Talib, welcher ein einflussreicher Handelsmann war. 67 Nach einiger Zeit leitete er schon die Karawanen seines Onkels. 68 Mit zwanzig Jahren trat er in den Dienst der reichen Witwe Chadidscha. 69 Er behauptete sich als erfolgreicher Kaufmann. 70 Mit fünfundzwanzig  heiratete  er  die  bedeutend  ältere Witwe und zeugte mit ihr vier Kinder. 71 Er galt als ein ehrlicher, aufrichtiger und demütiger Mann. 72 Mekka war eine Handelsstadt und auch als Pilgerort bekannt. 73 Das Heiligtum in Mekka beherbergte die berühmte Kaaba, die damals einem Gott geweiht war, dazu aber auch noch hunderten von kleinen Gottheiten. 74 In Mekka lebte manch eine jüdische Sippe, und es gab dort auch christliche Gemeinden. 75 Die letztgenannten wurden von Rom als Ketzer angesehen, weil sie apokryphe, nicht von der Kirche verifizierte Schriften in ihrer Liturgie verwendeten, und auch sonst manche Besonderheiten pflegten, welche von Rom nicht gebilligt wurden.

 

76 Mohammed behauptete, ihm sei der Engel Gabriel erschienen und habe ihm eine Botschaft Gottes überbracht. 77 Laut Mohammed bezog sich die Botschaft hauptsächlich auf die Offenbarung des einzig wahren Gottes und auf die Berufung Mohammeds zum Propheten. 78 Anfänglich war Mohammed ganz abgeneigt und zweifelte an seiner Berufung, aber da die Begegnungen mit dem Engel Gabriel sich wiederholten, ging er auf die Forderung ein, als Prophet aufzutreten. 79 Aus einem zweifelnden, ja verzweifelten Mann, welcher sich anfangs das Leben nehmen wollte, wurde mit der Zeit ein selbstbewusster, unerschrockener Verkünder der empfangenen Botschaften. 80 Die erste Gläubige und seine Anhängerin war seine Frau Chadidscha. 81 Die Hauptaussage seiner Predigten, Allah sei der einzige Gott und wird eines Tages die Welt richten, war vielen Mekkanern ein Dorn im Auge. 82 Viele lebten nämlich von den Pilgern, die nach Mekka kamen, um verschiedene Gottheiten anzubeten. 83 Seine Lehre schien unvereinbar mit den Traditionen von Mekka. 84 Da er jedoch unermüdlich weiter verkündete und auch mehrere Anhänger gewann, zog er die Feindschaft der Mekkaner auf sich und seine Anhänger. 85 Manche von ihnen flohen schon sehr bald aus Mekka, auch er selbst verließ die Stadt zusammen mit einer Schar von Anhängern und ging nach Yatrib. 86 Dort wurde nach kurzer Zeit die erste muslimische Gemeinschaft gegründet.

 

87 Die Grundlage der muslimischen Glaubensverkündigung war der Glaube an den Einen, Einzig Wahren Gott, an die Engel, an die himmlischen Offenbarungen und an die Propheten, an den jüngsten Tag und an die göttliche Bestimmung beziehungsweise Lenkung aller Wesen. 88 Mohammed legte die empfangenen Botschaften auch der jüdischen sowie der christlichen Seite vor. 89 Er wurde von ihnen nicht ernst genommen, vielmehr wurde er belächelt und gar ausgelacht; man warf ihm Unkenntnis der heiligen Schriften und Unwissenheit sowie Verfälschung der biblischen Lehre vor. 90 Es muss betont werden, dass Mohammed weder lesen noch schreiben konnte. 91 Auch dies wurde zum Anlass genommen, seine Behauptungen kurzerhand abzulehnen und seine Offenbarungen als Halluzinationen abzutun. 92 Von den Mekkanern verstoßen, von Christen und Juden, deren Gott er zu verkündigen glaubte, abgelehnt, befand er sich auf dem besten Weg, das Schicksal der meisten Propheten zu erleiden:  Schmach, Verfolgung, Tod. 93 Doch in Yatrib wendete sich sein Schicksal plötzlich. 94 Nur kurze Zeit darauf aber auch die Schicksale jener, die ihn abgelehnt hatten: Mekkaner, Juden und Christen. 95 In seinen Visionen erhielt er nämlich nach seinen eigenen Angaben die Erlaubnis zur Kriegsführung. 96 Anfangs verübte Mohammed mit seinen Leuten Überfälle auf mekkanische Karawanen, bis ihm nach einigen Jahren ein glänzender Sieg über die Mekkaner gelang. 97 Diese nahmen daraufhin den neuen Glauben an, Kaaba wurde von den Götzenbildern gereinigt, Mekka wurde zur heiligen Stadt des Islam. 98 Inzwischen wurde die erste jüdische Sippe aus Yatrib vertrieben. 99 Ein Jahr später erfolgte die Vertreibung der Sippe Banu Nadir. 100 Die dritte Sippe, Banu Quaryza, leistete fünfundzwanzig Tage lang Widerstand. 101 Am Ende wurde sie besiegt, die Männer exekutiert, Frauen und Kinder in die Sklaverei verkauft.

 

102 Die anfängliche Sympathie für die Juden schlug bei Mohammed und den Muslimen in Unduldsamkeit, ja sogar Hass, um. 103 Nach Mohammeds Tod legte sich die Feindseligkeit der Muslime gegenüber den Juden wieder. 104 Auch das Verhältnis zu den Christen verlief ähnlich. 105 Aus anfänglicher Sympathie erwuchs Feindschaft, nachdem die Christen Mohammed als falschen Propheten bezeichnet hatten. 106 Nach der Ablehnung seiner Lehre von Seiten der Juden und Christen änderte Mohammed gewissermaßen die globale Ausrichtung des Islam. 107 Er schritt zu einer aktiveren und gewaltsameren Islamisierung über. 108 Er ließ an verschiedene Machthaber und bekannte Persönlichkeiten Briefe schreiben und durch  Sendboten  verschicken, in  denen  er  sie zur Islamannahme aufforderte. 109 Die  Angeschriebenen  sollten samt ihren Untergebenen dem Islam beitreten. 110 Die Einladung wurde des Öfteren auch tatsächlich angenommen und so wuchs die Anzahl der Gläubigen.  111 Wo die Einladung nicht freiwillig angenommen wurde, halfen Schwert und Kampfmut der Muslime nach. 112 Die Eroberungszüge der Islamkämpfer wurden immer gewagter und erfolgreicher. 113 Mohammed starb nach einem schweren Leiden, aber der Islam verbreitete sich dessen ungeachtet, sogar noch schneller als davor. 114 Der erstaunliche Erfolg der Islamkämpfer ist noch unbegreiflicher, wenn man bedenkt, dass es sich um in Staats- und Heeresführung ganz unerfahrene, meist ungebildete Männer handelte, die sich untereinander nicht mal kannten. 115 Es war ein wahres Wunder, wie es einem Haufen von Beduinen, Arabern und Barbaren gelang, alle bekannten Reiche jener Zeit in Bedrängnis zu bringen und ihnen große Landstriche zu entreißen.

 

116 Spätestens jetzt hätten den Christen die Worte Gamaliels in den Sinn kommen müssen, der damals in Bezug auf die Jünger Jesu und ihre Verkündigung gesagt hatte: 117 Lasst von diesen Männern ab und gebt sie frei; denn, wenn dieses Vorhaben oder dieses Werk von Menschen stammt, wird es zerstört werden; stammt es aber von Gott, so könnt ihr sie nicht vernichten; sonst werdet ihr noch als Kämpfer gegen Gott dastehen. 118 Diese Ermahnung, die der jüdische Hohe Rat   damals   beherzigt   hatte,  hielt   die   christliche   Führung  für  irrelevant. 119 Stattdessen bekämpfte man die Muslime noch intensiver. 120 Aber bald wendete sich das Blatt gänzlich. 121 Die muslimischen Kämpfer eroberten immer größere Gebiete des Perserreiches sowie des so ruhmreichen Kaisers Herakleios. 122 Der Islam breitete sich wie ein Lauffeuer aus. 123 Eine noch nie dagewesene massenhafte  Hinwendung  zu  dem  wahren  Gott,  dem  Schöpfer  der  Welt,  setzte  ein. 124 Teils durch militärische Siege, teils durch geschickte Verhandlungen brachten die Muslime unzählige persische Städte bis hin nach Ägypten unter ihre Herrschaft. 125 Bald kam auch Jerusalem an die Reihe. 126 Das Heer des syrischen Kalifats unter der Führung von Abu Ubaidah fing an Jerusalem zu belagern, ohne jedoch  anzugreifen.  127  Nach  sechsmonatiger  Belagerung  und  langwierigen Verhandlungen  übergab  Patriarch  Sophronius die Stadt freiwillig den Muslimen. 128 Laut Vertrag mit Kalif Umar wurde den Christen die Ausübung ihrer Religion unter der Bedingung gestattet, eine Sondersteuer an die muslimischen Behörden zu entrichten.

 

129 Auch den Juden wurde ein gewisses Maß an Autonomie zugestanden. 130 Nur wenige Jahre nach ihrer Vertreibung durch Perser und Christen und ein halbes Jahrtausend nach dem Verlust Jerusalems an die Römer wurde ihnen wieder erlaubt, in Jerusalem und Judäa zu siedeln. 131 Für die Juden entstand nun, trotz ihrer schroffen Ablehnung des Islam und trotz einstiger Feindschaft Mohammeds ihnen gegenüber, eine günstigere Situation als unter den Christen. 132 Für die Muslime selbst  gab  es  nach  dem  Tod  Mohammeds  keine Ruhe, keine Verschnaufpause. 133 Schon bald bekämpfte man sich untereinander wegen Meinungsverschiedenheiten über Mohammeds rechtmäßige Nachfolge. 134 Es wechselten nacheinander mehrere Kalifen, manche von ihnen wurden ermordet. 135 Es  entwickelten  sich  unterschiedliche Tradierungen in der Koranauslegung. 136 Alles schon mal da gewesen: bei den Israeliten nach dem Tod Josuas, bei den Christen nach dem Pfingstereignis. 137 Doch trotz innerer Spannungen, Machtkämpfe und Kriege wächst die Zahl der Muslime konstant, ihre Herrschaft dehnt sich über immer größere Landstriche aus, sie gewinnen immer mehr Macht und Autorität. 138 Praktisch über Nacht sind sie zu einem entscheidenden Faktor der Weltgeschichte geworden. 139 Sozusagen aus dem Nichts entstanden, wurden sie innerhalb eines Jahrzehnts zum gefürchtetsten Gegner der noch verbliebenen Weltmächte. 140 Es kann auch nicht geleugnet werden, dass sehr viele Menschen freiwillig zum Islam wechselten und glühende Verehrer Allahs wurden. 141 Für die Juden   beginnen  unter  den  Muslimen  etwas  ruhigere  und  sicherere  Zeiten. 142 Christen reagieren unterschiedlich, je nach Standort und Stärke des eigenen Reiches. 143 Es ist offensichtlich, dass ein ganz neues Zeitalter begonnen hat, und sowohl jüdische als auch christliche Religionsführer wären gut beraten, sich damit gründlich auseinanderzusetzen und schließlich im Gebet Gott zu befragen. 144 Die Zukunft wird zeigen, ob und in welchem Maße ihnen dies gelingen wird.

 

T e i l     D R E I                   KAPITEL  7

                           

1 Der Herr vereitelt die Beschlüsse der Heiden, er macht die Pläne der Völker zunichte. 2 Der Ratschluss des Herrn bleibt ewig bestehen, die Pläne seines Herzens überdauern die Zeiten.

3 Die Eroberungszüge der muslimischen Araber dauern an. 4 Das von dem langjährigen Krieg gegen Ostrom stark gebeutelte Perserreich kann ihnen nicht standhalten. 5 Der Tod Yazdegerds markiert das Ende des Sassanidenreiches, wobei die sassanidische Denk- und Lebensweise dessen Untergang überdauert. 6 Die christlichen Armenier, enttäuscht über die intolerante Haltung des Patriarchen von Konstantinopel, der ihnen keine Glaubensfreiheit gewähren will, nehmen die arabische Oberhoheit freiwillig an. 7 Die nubischen Staaten halten dem Aufprall der Araber stand; durch einen Friedensvertrag wird ihnen ihre christliche Oberhoheit garantiert. 8 Die Araber nehmen auch das aksumitische Reich ein, wobei das Christentum im Bereich Äthiopiens erhalten bleibt.

 

9 Ostrom, das seine Seeflotte für unbesiegbar hält, wird erschüttert durch den überraschenden Sieg der arabischen Flotte bei Phoinix. 10 Aus den eroberten Gebieten fließen viele erbeutete Güter in die Hauptstadt und werden hauptsächlich unter den Angehörigen der Kalifenfamilie aufgeteilt, was Unzufriedenheit der kleineren Stämme hervorruft. 11 Um seine Politik zu rechtfertigen, beruft sich Uthman, der dritte Kalif, auf den Willen Allahs. 12 Politische Opposition wird somit zur Rebellion gegen Allah erklärt; soziale Spannungen nehmen zu, was schließlich zur Ermordung Uthmans führt. 13 Nach ihm wird Ali ibn Abi Talib, Vetter und Schwiegersohn Mohammeds, zum vierten Kalifen gewählt. 14 An seiner Person entzündet sich der erste innerislamische Bürgerkrieg. 15 Eine verbissene Gegnerin von ihm ist Mohammeds jüngste Frau Aischa, die eine große Anhängerschar um sich versammelt, mit der sie gegen Ali in den Kampf zieht. 16 Der Kampfschauplatz ist Basra,  wo  Ali seine Gegner besiegt und Aischa großzügig Verzeihung gewährt. 17 Doch Alis Feind Muawiya, Statthalter von Syrien, gibt nicht auf. 18 Es kommt zur Schlacht von Siffin, in der sich Ali von Muawiya überreden lässt, sich einer Schiedsgerichtsentscheidung über die Nachfolge zu beugen. 19 Eine solche Haltung Alis verärgert die Charidschiten, die sich daraufhin abspalten, was die Position Muawiyas stärkt. 20 Nach Alis Ermordung gelingt es Muawiya, Alis Nachfolger Hasan zum Verzicht auf das Kalifenamt zu bewegen. 21 Muawiya übernimmt das Amt des Kalifen, Hasan leistet ihm den Treueid. 22 Muawiya stellt die göttliche Legitimation seiner Macht noch mehr in den Vordergrund. 23 Dadurch gelingt es ihm seinen Sohn Yazid zu seinem Nachfolger zu ernennen, wodurch das Kalifat de facto zum Königreich wird. 24 Die Religion wird immer mehr für politische Zwecke instrumentalisiert.

 

25 Trotz innerer Spaltung setzt das Kalifenreich seinen Eroberungszug fort. 26 Die Hafenstädte der Iberischen Halbinsel bekommen es bald zu spüren, insbesondere die dort ansässigen Juden, die von den Westgoten beschuldigt werden, mit den Arabern zu paktieren. 27 Die Araber haben es auf das ganze Oströmische Reich abgesehen. 28 Sie erobern im Vorfeld einige Ägäisinseln und Städte, doch um Ostrom zu Fall zu bringen, muss Konstantinopel eingenommen werden, was sich jedoch als eine zu harte Nuss für sie erweist. 29 Die byzantinische Abwehr bedient sich bei der Verteidigung der Stadt des griechischen Feuers, was sich neben den schier  uneinnehmbaren  Mauern  von  Konstantinopel als sehr effizient erweist. 30 Die Schlacht bei Sebastopolis können die Umayyaden jedoch für sich verbuchen. 31 Auch das stark befestigte Karthago fällt in ihre Hände; die einst blühende Stadt wird völlig zerstört. 32 Die Herrschaft Ostroms in Nordafrika gehört somit zur Vergangenheit. 33 Das einst so mächtige Oströmische Reich ist auf ein Drittel seines Territoriums geschrumpft. 34 Es verliert zunehmend seinen kosmopolitischen Charakter zugunsten einer immer stärkeren Gräzisierung der Gesellschaft. 35 Lediglich das Staatswesen bleibt weiterhin römisch. 36 Wegen der ständigen Bedrohung durch äußere Feinde wird das Heer umorganisiert. 37 Das steuerfinanzierte Berufsheer wird vom regional organisierten und durch Landbesitz abgegoltenen Heer abgelöst. 38 Es werden sogenannte „Themenbezirke“ gebildet, die von Militärgouverneuren geleitet werden.

 

39 Währenddessen stabilisieren sich die auf dem Gebiet des einstigen Weströmischen Reiches entstandenen neuen Reiche der vorwiegend germanischen Einwanderer. 40 Der Sieg in der Schlacht bei Tertry verhilft Pippin zur Herrschaft über das gesamte Frankenreich. 41 Auch in den neuen Reichen ist das Staatswesen nach dem römischen Modell organisiert. 42 Die herrschende Minderheit integriert sich und übernimmt die Lebensweise der alteingesessenen Mehrheit. 43 Latein, die Amtssprache des einstigen Römischen Reiches, wird in zunehmendem Maße vulgarisiert. 44 Nur wenige Menschen sind schriftkundig, fast ausschließlich Angehörige des Klerus und des Adels. 45 Papyrus wird immer öfter durch Pergament ersetzt. 46 König Rekkeswinth fördert die innere Einheit durch ein Gesetzbuch, das sowohl für den römischen als auch für den germanischen Teil im Westgotenreich gilt.

 

47 Christliche Mönche aus Irland und Schottland, die die Angelsachsen und die Franken missionieren, geraten in Konflikt mit den vom Papst geschickten römischen Missionaren. 48 Es handelt sich um Differenzen in liturgischen und rituellen Fragen. 49 Dieses Problem wird auf der Synode von Whitby gelöst, wo sich die römische Kirchenordnung durchsetzt. 50 Christliche Oberhäupter nehmen nicht nur geistliche, sondern auch weltliche Aufgaben wahr. 51 Kirchliche Institutionen sind dem jeweiligen Herrscher unterstellt, der sich sogar in geistliche Angelegenheiten einmischen darf. 52 Kaiser und Könige behalten sich nicht nur das Recht vor Konzilien einzuberufen, Kaiser Konstans erlaubt sich sogar, den amtierenden Papst verhaften, auspeitschen und in die Verbannung schicken zu lassen. 53 Herrscher und Adelige gründen auch viele Klöster, welche sie dann für ihre wirtschaftlichen, herrschaftlichen, ja sogar geistlichen Interessen nutzen. 54 Auf dem dritten Konzil von Konstantinopel wird Monotheletismus als Häresie erklärt. 55 Die vom byzantinischen Kaiser Justinian einberufene Trullanische Synode hat nachteilige Auswirkungen auf die jüdische Bevölkerung. 56 Unter anderem wird christlichen Geistlichen untersagt, sich von jüdischen Ärzten behandeln zu lassen. 57 Papst Sergius ist mit den Beschlüssen der Synode nicht einverstanden, muss sich jedoch dem Druck des Kaisers beugen. 58 Auch das Konzil von Toledo erlässt unmenschliche Gesetze gegen Juden, die es regelrecht auf das Auslöschen des Judentums absehen. 59 Unter dem Vorwand staatsfeindlicher Verschwörung mit Muslimen werden sie unter anderem zur Wegnahme ihrer Kinder und zur Vogelfreiheit verurteilt. 60 Als Grund dafür wird ihnen erneut Gottesmord zur Last gelegt. 61 Nur die Juden der gallischen Provinz Septimanien haben Glück und werden von diesen Gesetzen ausgenommen, weil man auf sie als Steuerzahler angewiesen ist.

 

62 Schauen wir nun, wie es in den eroberten Gebieten des Kalifats zugeht. 63 Die bestehende Zivil- und Finanzverwaltung bleibt erhalten. 64 Sogar hohe Posten in der Verwaltung werden mitunter von Nicht-Muslimen bekleidet. 65 Es gibt keine Zwangsislamisierung, trotzdem treten nach der Eroberung viele zum Islam über. 66 Viele Kriegsgefangene tun es, weil sie dadurch ihre Freiheit wiedererlangen können. 67 Andersgläubige müssen Kopf- und Grundsteuer entrichten. 68 Unter Kalif Abd al-Malik werden Griechisch und Persisch als Amtssprachen durch Arabisch ersetzt. 69 Der Dinar wird als Währung des Kalifenreiches eingeführt, wobei andere Zahlungsmittel nicht aus dem Verkehr gezogen werden. 70 Auf dem Tempelberg in Jerusalem lässt Abd al-Malik über dem berühmten Felsen einen monumentalen sakralen Kuppelbau errichten. 71 Er war es, der mit der Eroberung von Mekka dem innerislamischen Bürgerkrieg ein Ende setzte und die absolute Herrschaftsgewalt des Kalifen durchsetzte. 72 All die vielen Kriege und die damit verbundenen Seuchen und Hungersnöte haben einen Bevölkerungsrückgang von erschreckendem Ausmaß zur Folge.

   

 

T e i l     V I E R                 KAPITEL  1

 

1 Kommt und schaut die Werke des Herrn, der Furchtbares vollbringt auf der Erde.                                                      2  Lasst ab und erkennt, dass ich Gott bin, erhaben unter den Völkern, erhaben auf Erden!

3 Der Islam ergießt sich wie eine Flut über die Erde und der ehrwürdige Koran – die ismaelitische Variante der Bibel - wird für Millionen von Menschen zur Quelle der Gotteserkenntnis. 4 In der Schlacht bei Taharqa wurde der gemeinsame Widerstand der Berberstämme, von denen viele dem jüdischen Glauben angehörten, zerschlagen. 5 Das gesamte Nordafrika ist islamisiert; fast alle der vierhundert christlichen Bistümer, an die berühmte Namen wie Tertullian, Cyprian, Athanasios, Augustinus gebunden sind, sind untergegangen. 6 Auf Abd al-Malik folgte Al-Walid als Kalif in Damaskus; er nahm die Expansionspolitik an der persischen Ostgrenze wieder auf. 7 Von der afrikanischen Küste aus landeten muslimische Truppen, unterstützt von islamisierten Berbern, in Al-Andalus und nahmen die kleine, aber strategisch wichtige Halbinsel ein, die sie nach ihrem Feldherrn als Dschebel al-Tariq benannten. 8 In der Schlacht am Rio Guadalete schlugen sie dann die Westgoten vernichtend. 9 Die Eroberung der Iberischen Halbinsel wurde in Gang gesetzt. 10 Teodomiro, dem Herrscher der Provinz Todmir, gelang es, für seine Provinz eine gewisse innere Autonomie auszuhandeln, natürlich gegen Leistung von Tributzahlungen.

 

11 In Asien eroberten Muslime das Industal. 12 Auch Transoxanien fiel trotz hartnäckigem Widerstand in muslimische Hände. 13 Konstantinopel hatten die muslimischen Herrscher natürlich nie aus dem Augenmerk gelassen. 14 Der Feldherr Maslama, unterstützt von der Seeflotte unter dem Kommando des Kalifen Suleyman, begann mit erneuter Belagerung Konstantinopels. 15 Die Griechen waren jedoch auf den Angriff vorbereitet; es gelang ihnen, die feindliche Seeflotte zu vernichten. 16 Da die Mauern von Konstantinopel nicht zu erstürmen waren, setzten die Angreifer auf Belagerung. 17 Der strenge und lang andauernde Winter forderte jedoch eine Menge Opfer unter den Belagerern und erschwerte den Versorgungsnachschub. 18 Als sie dann noch von den Bulgaren angegriffen wurden, brachen sie die Belagerung ab. 19 Seit dieser Niederlage begann das kriegerische Glück der Muslime wechselhaft zu werden. 20 Zwar drangen sie auf der Iberischen Halbinsel immer noch weiter Richtung Pyrenäen, eroberten Septimanien, fielen in das Fränkische Reich ein, doch wurden sie immer wieder hinter die Pyrenäen zurückgedrängt.

 

21 Pelayo, der Herrscher Asturiens, besiegte die Araber in der Schlacht von Covadonga. 22 Auch die muslimische Belagerung von Nicäa blieb erfolglos; der Versuch, Syrakus zu erobern, wurde durch die Pest vereitelt. 23 In der Schlacht von Tours und Poitiers wurden sie in einer gemeinsamen Aktion der Franken, Langobarden, Sachsen und Friesen hinter die Pyrenäen zurückgeworfen. 24 Die Araber blieben jedoch hartnäckig; immer wieder entsendeten sie Truppen über die Pyrenäen, wo ihnen der Hausmeier Karl jedes Mal Einhalt gebot. 25 Im Kaukasusgebiet gelang ihnen nach jahrzehntelangen Kämpfen gegen die Chasaren der Vorstoß bis an die Wolga. 26 Kaum wurde Frieden im Kaukasus durchgesetzt, schon brannte es in Nordafrika. 27 Der Aufstand des Maysara wurde erst nach mehrjährigen Kämpfen niedergedrückt. 28 In der Schlacht bei Akroinon wurde die muslimische Armee  unter Kalif  Hischam von Ostrom besiegt und aus Kleinasien vertrieben. 29 Auf der Iberischen Halbinsel wurde ihnen von König Alfons Galicien entrissen. 30 Im Irak meuterten die Charidschiten, ihr Aufstand wurde mit Mühe und Not niedergeschlagen. 31 Militärische Misserfolge, Aufstände und Revolten wurden von schnellen Herrscherwechseln begleitet, was die umayyadische Dynastie immer mehr schwächte. 32 Der Aufstand des Abu Muslim im Ostiran läutete schließlich den Untergang der Umayyaden und den Aufstieg der Abbasiden ein.

 

33 Auch in den auf dem Gebiet des einstigen Westroms entstandenen neuen Reichen findet sich immer wieder jemand, dem es gelingt, den gerade amtierenden Herrscher zu stürzen, wenn nicht gleich umzubringen oder zu verstümmeln. 34 Es zeichnet sich aber auch ein neuer Brauch ab: Herrscher danken ab, um ein bescheidenes Mönchsleben in irgendeinem Kloster zu führen. 35 Einige werden allerdings auch dazu gezwungen hinter Klostermauern zu verschwinden. 36 Nach dem Tod Pippins wurde das Frankenreich in seinen Grundfesten erschüttert. 37 Da Pippins Söhne schon vor seinem Vater gestorben waren, sicherte Pippins Witwe Plektrudis ihrem Enkel Theudoald das Hausmeieramt. 38 Karl, den unehelichen Sohn Pippins, ließ sie verhaften, um zu verhindern, dass er möglicherweise Nachfolgeansprüche stellen würde. 39 Doch sie hatte nicht mit den Großen der Teilreiche gerechnet, die sich die Gelegenheit nicht nehmen lassen wollten, jeweils ihre eigenen Vorteile aus der Situation zu schlagen. 40 Als nach gelungener Gefängnisflucht auch noch Karl die Kampfarena betrat und siegreich aus den Schlachten gegen Neustrien hervorging, war Plektrudis endgültig aus dem Spiel. 41 Sie wurde von Karl gezwungen, ihm den Königsschatz seines Vaters abzutreten. 42 Der Schatz, zusammen mit der Kriegsbeute, ermöglichte ihm, sich die Treue seiner Gefolgsleute zu sichern. 43 Angesichts seiner zahlreichen Gegner hatte er die Loyalität seiner Leute auch bitter nötig. 44 Er führte erfolgreiche kriegerische Auseinandersetzungen mit Friesen, Sachsen, Alemannen und Bajuwaren, aber auch mit den Teilreichen Aquitanien, Burgund und Provence. 45 Er war nicht nur ein fähiger Kampfstratege, der seine Gegner durch Gewalt unterwarf, sondern traf auch kluge politische Entscheidungen. 46 So sicherte er sich die Freundschaft der Langobarden, indem er dem Langobardenkönig seinen Sohn zur Adoption anbot. 47 Auch christlichen Missionaren war er wohlgesonnen. 48 Nach dem Tod des Merowingerkönigs Theuderich erhob der Hausmeier Karl dessen Sohn nicht, wie üblich, zum König, sondern schickte ihn in ein Kloster. 49 Als Hausmeier regierte er dann das Frankenreich im eigenen Namen bis zu seinem Tode. 50 Seine Söhne Pippin und Karlmann konnten auch keinen Frieden genießen, sondern wurden immer wieder in kriegerische Auseinandersetzungen mit den Nachbarvölkern verstrickt. 51 Nachdem er den letzten Aufstand der Alemannen niedergeschlagen und deren Reich dem Fränkischen eingegliedert hatte, trat Karlmann als Hausmeier zurück und wählte das Mönchsleben. 52 Sein Bruder Pippin war dann Hausmeier über das Gesamtreich. 53 Um Auswüchse im Christentum zu stutzen, berief inzwischen der Missionar Bonifatius die germanischen Bischöfe zu einer Reformsynode, wo den Klerikern verboten wurde, Waffen zu tragen; die Klosterregel des Benedikt von Nursia wurde als verbindlich für alle Klöster vorgeschrieben.

 

54 Auch aus Byzanz gibt es nichts Erbauliches zu hören. 55 Zunächst wurden bei Anchialos die Christen von ihren Nachbarn, den Bulgaren, besiegt. 56 Kaiser Justinian  wurde  gestürzt  und  zusammen  mit  seinem sechsjährigen Sohn getötet. 57 Philippikos Bardanes, der neue Kaiser, war erfolgreich im Kampf gegen die Bulgaren. 58 Das sicherte ihm aber keine Vorteile, denn - Undank ist der Welten Lohn - er wurde durch Teile seines Heeres gestürzt und geblendet. 59 Auch sein Nachfolger Anastasios konnte sich der Kaiserwürde nicht lange erfreuen: er wurde von einem ehemaligen Finanzbeamten gestürzt, der dann als Kaiser Theodosios regierte, bis der Syrer Leo die kaiserliche Macht an sich riss. 60 Leo ordnete die Zwangstaufe für Juden und Montanisten an. 61 Da sich das Christentum immer mehr von seinen jüdischen Wurzeln entfernt, wundert es nicht, dass sich inzwischen auch im Christentum Bilderverehrung ausgebreitet hat und immer massiver wird. 62 Daher melden sich nun Kritiker zu Wort, die in der Bilderverehrung einen Rückfall ins Heidentum sehen. 63 Sie pochen auf das Zweite Gebot und verlangen das Verbot von Bilderverehrung. 64 Ihrer Meinung nach sind nämlich die vielen politischen Misserfolge sowie Naturkatastrophen und Seuchen Gottes Strafe dafür, dass die Christen gegen das Gebot verstoßen.

 

65 Und immer wieder tauchen Usurpatoren auf. 66 Auf eine Falschnachricht hin, Konstantinopel sei gefallen, wurde in Sizilien Tiberios zum Gegenkaiser erhoben. 67 Während sich Kaiser Konstantin in Anatolien aufhielt, wo er gegen die Araber kämpfte,  bemächtigte sich sein Schwager Artabasdos der Stadt Konstantinopel. 68 Nachdem Konstantin seinen Regierungssitz wieder eingenommen hatte, ließ er Artabasdos und seine Söhne blenden und ins Exil verbannen. 69 Das einzig Positive wird zurzeit aus dem Chasarenland vernommen. 70 Sein Herrscher Bulan habe den jüdischen Glauben angenommen und seinen Staat nach jüdischen religiösen Prinzipien organisiert. 71 Dort sollen Juden, Christen, Muslime und Heiden friedlich miteinander leben. 72 Niemand wird zwangsbeschnitten oder sonstwie wegen seines Glaubens unterdrückt.

 

 

T e i l     V I E R                  KAPITEL  2

 

1 Denn welcher Mensch kann Gottes Plan erkennen, oder wer begreift was der Herr will?

2 Manch einer hat den Titel eines Machthabers, aber keine Macht, ein anderer wiederum hat Macht, aber keinen Titel. 3 Pippin, der fränkische Hausmeier, wollte beides. 4 Er schickte eine Delegation zum Papst Zacharias, um die entscheidende Antwort auf seine Frage zu erhalten, ob es gut sei, dass die Könige im Frankenreich keine Macht besitzen. 5 Auf die Antwort des Papstes, es sei besser, denjenigen als König zu bezeichnen, der Macht besitzt, ließ Pippin den König Childerich absetzen, ins Kloster bringen und sich selbst zum König ausrufen.

 

6 Der Langobardenkönig Aistulf bedrängte Papst Stephan, welcher sich daraufhin an Pippin wandte und um Hilfe bat. 7 Das Verhältnis zwischen Rom und Konstantinopel war nämlich zu der Zeit infolge des Bilderstreites zerrüttet. 8 Pippin kam zu Hilfe, schlug Aistulf, und dieser verpflichtete sich, die besetzten Gebiete an den Papst zurückzugeben. 9 Kaum war Pippin abgezogen, brach Aistulf den Vertrag und belagerte Rom erneut. 10 Pippin kehrte zurück, und Aistulf musste sich unterwerfen. 11 Die eroberten Gebiete überließ Pippin dem Papst. 12 Pippin unternahm weitere Kriegszüge, um einen Aufstand der Sachsen niederzuschlagen sowie um Septimanien zu erobern. 13 Durch die Eroberung Septimaniens wurden die Mauren zurückgedrängt. 14 Als sich Herzog Waifar von Aquitanien gegen Pippin erhob, drang Pippin in dessen Reich ein und bezwang es. 15 Nach Aistulfs Tod versuchte dessen Bruder Ratchis, die Macht zu ergreifen. 16 Aber Desiderius von Tuscien, der sich mit Papst Stephan verbündete und aus dem Frankenreich militärische und diplomatische Unterstützung erhielt, kam ihm zuvor. 17 Er versprach dem Papst mehrere Städte zu schenken. 18 Ratchis zog sich daraufhin ins Kloster Monte Cassino zurück, und Desiderius wurde Langobardenkönig. 19 Desiderius versuchte vergeblich auf diplomatischem Weg, mit Byzanz ein Bündnis gegen den Papst zu schließen. 20 Papst Paulus, der sich von einer möglichen byzantinischen Invasion bedroht sah, bat die Franken um Vermittlung zwischen ihm und Desiderius. 21 Desiderius machte den fränkischen Gesandten zwar Zugeständnisse, wollte sich später aber nicht an die Vereinbarungen halten. 22 Nach jahrelangen Verhandlungen wurde der Streit beigelegt.

 

23 Der byzantinische Kaiser Konstantin war mit Kämpfen gegen die Araber und Bulgaren beschäftigt. 24 Die Chasaren unterstützten ihn im Kampf gegen die Araber. 25 Als die Bulgaren den Byzantinern eine Niederlage zufügten, wurden zwischen den beiden Friedensverhandlungen aufgenommen. 26 Den Bulgaren Khan Winech, welcher die Friedensverhandlungen führte, ließen die bulgarischen Fürsten ermorden, da er ihrer Meinung nach Byzanz zu viele Zugeständnisse machte. 27 Telez, sein Nachfolger, verwüstete danach die Grenzgebiete des Byzantinischen Reiches. 28 Konstantin sah sich dadurch veranlasst, mit seiner Streitmacht in Anchialos zu landen. 29 In dem darauffolgenden Kampf erlitten beide Seiten hohe Verluste. 30 Konstantin trug den Sieg davon und ließ alle Gefangenen töten. 31 Wegen einer Verschwörung gegen Konstantin verloren Strategios Podopaguros und sein Bruder das Leben. 32 Ihre Helfer und Mitwisser wurden geblendet und verbannt. 33 Nach Konstantins Tod wurde Leo sein Nachfolger. 34 Er kämpfte erfolgreich gegen Araber und Bulgaren. 35 Als er jedoch seinen Sohn Konstantin zum Mitkaiser machte, musste er einen Aufstand seiner Halbbrüder niederzwingen.

 

36 Das Frankenreich wurde nach Pippins Tod unter seine beiden Söhne Karl und Karlmann aufgeteilt. 37 Karlmann, welcher die Hälfte des Frankenreiches regierte, starb überraschend. 38 Karl führte viele Kriege gegen die Sachsen. 39 Er erzwang auch ihre Christianisierung. 40 Als er die Tochter des Langobardenkönigs nach einjähriger Ehe entließ, begann Desiderius die Franken zu befehden und den Papst zu bedrohen. 41 Karl zögerte nicht, Papst Hadrian zu Hilfe zu eilen, belagerte Verona und Pavia und erneuerte das Bündnis mit dem Papst. 42 Er unterhielt auch freundschaftliche Beziehungen zu Offa, dem König von England. 43 Zum Schutz vor den Muslimen gründete Karl das Teilkönigreich Aquitanien und übertrug seinem Sohn Ludwig die Herrschaft.

 

44 In der arabischen Welt wurden die herrschenden Umayyaden von den Aufständischen unter der Führung Abul Abbas as-Saffah an einem Nebenfluss des Tigris besiegt. 45 Der Prinz Abd ar-Rahman, welcher dem Massaker der Aufständischen entkommen war, gelangte mit Unterstützung der Berber nach Al-Andalus. 46 Zu dieser Zeit war Yusuf al-Fihri Statthalter in Al-Andalus. 47 Abd ar-Rahman besiegte ihn am Fluss Guadalquivir und erhob sich zum Emir von Cordoba. 48 Nach dem Tod von Abul Abbas as-Saffah beanspruchten al-Mansur und sein Onkel die Nachfolge. 49 Al-Mansur setzte sich durch. 50 Er schickte nämlich Abu Muslim, den Statthalter von Chorasan, in den Kampf, und dieser besiegte den Onkel bei Nisibis. 51 Für diese Tat wurde Abu Muslim jedoch schlecht belohnt. 52 Al-Mansur ließ ihn ermorden, weil er in ihm einen gefährlichen Konkurrenten sah. 53 Auch der Imam Dschafar as-Sadiq fand unter seiner Herrschaft den Tod. 54 Sein Tod löste viele Streitereien über den rechtmäßigen Imam aus. 55 Al-Mansur war auch im Kampf gegen die Aliden nicht zimperlich in seinen Methoden und kam schließlich zum Erfolg. 56 Sein Nachfolger al-Mahdi dagegen bemühte sich um eine Versöhnungspolitik gegenüber den Aliden. 57 In seiner Regierungszeit herrschten Frieden  und  Wohlstand,  Künste und Wirtschaft blühten und wurden gefördert. 58 Er bestimmte seinen Sohn Musa zum Thronfolger. 59 Der wiederum wurde von seinem Bruder Harun ar-Raschid nach dem ersten Regierungsjahr ermordet.

 

60 Nun zurück ins Frankenreich, wo Karl regiert, Kriege führt, mehrere Volksgruppen christianisiert hat und Diplomatie betreibt. 61 Gegenüber den Juden verhält er sich offen, er hat sogar manche in seinen Dienst genommen und es geschehen zurzeit keine Übergriffe. 62 Viel Aufsehen erregte die Konversion seines Hofkaplans Bode zur jüdischen Religion. 63 Bode zog daraufhin nach Al-Andalus, wo es den Juden erlaubt war, in allen Berufen tätig zu sein. 64 In Byzanz übernahm Irene die Regierungsgeschäfte, da ihr Sohn Konstantin noch zu jung war, um als Leos Nachfolger zu fungieren. 65 Irene ging ein Bündnis mit Karl ein und berief eine Konzilsversammlung in Nicäa ein. 66 Dort verwarf man die Beschlüsse des Konzils von Hiereia und erlaubte die Verehrung der Bilder, wodurch ein jahrzehntelanger Streit sein Ende finden sollte. 67 Um derartigen Streitigkeiten in Zukunft aus dem Weg zu gehen, ließ man das zweite biblische Gebot einfach weg und teilte das zehnte Gebot in zwei auf. 68 Als Konstantin alt genug war, um die Regierungsgeschäfte zu übernehmen, ließ seine Mutter Irene dies nicht zu. 69 Dank eines Aufstandes armenischer Soldaten gegen seine Mutter und deren Hofvorsteher gelang es ihm dann doch an die Macht zu kommen. 70 Als jedoch eine Rebellion von Irenes Verbündeten ausbrach, wurde Konstantin gefangen genommen. 71 Er wurde geblendet und erlag den Verletzungen. 72 Die Grenzen des Reiches sind weiterhin unsicher, die Lage im Inneren instabil.

 

 

T e i l     V I E R                  KAPITEL  3

 

1 Der ihre Herzen gebildet hat, er achtet auf all ihre Taten.

2 Es gibt nichts Neues unter der Sonne, auch die menschlichen Herzen sind unverändert geblieben. 3 Die kleinen Menschen feiern ihre Feste: die Juden jüdische, die Christen christliche, die Muslime muslimische, die Heiden heidnische. 4 Der kleine Mann fristet sein Dasein und hofft auf rechtzeitigen Regen, auf guten Ertrag seiner Felder und auf die Milde seines Herrschers, welchem er einen Teil seiner Erträge abliefern muss. 5 Er bangt um seine Familie, fürchtet sich vor Seuchen und hat Angst vor Kriegen. 6 Die Großen hingegen, die Mächtigen und Herrschenden, sind mit ganz anderen Sachen beschäftigt. 7 Sie denken nicht mit dem Herzen, sondern mit dem Kopf, und gieren nach Erfüllung ihrer Wünsche, die kein Ende zu haben scheinen. 8 Wir fangen jetzt mit den Großen an und schreiben für euch die Ereignisse auf, die uns interessant erscheinen. 9 Kalif Harun al-Raschid, welcher Bagdad zu einer großen Metropole werden ließ, eroberte Zypern und erzwang von der byzantinischen Kaiserin Irene hohe Tributzahlungen. 10 Er ordnete eine Kennzeichnung der Kleidung für Juden und Christen an. 11 Vielleicht wollte er seine Untertanen und Gläubigen vor Mischehen schützen, wie dem auch sei, diese Vorschrift trug sicherlich nicht zur Wertschätzung Andersgläubiger bei. 12 Harun regelte vor seinem Ableben die Thronfolge zwischen seinen beiden Söhnen al-Amin und al-Mamun. 13 Er verstarb dann auch bald im Kampf gegen die Charidschiten in Sistan. 14 Al-Amin wollte die vereinbarte Thronfolge umgehen. 15 Er designierte seinen minderjährigen Sohn als Thronfolger. 16 Al-Mamun wollte dies natürlich nicht hinnehmen. 17 Sein Feldherr Tahir konnte den Feldherrn al-Amins besiegen. 18 Tahir besetzte  Bagdad  und  stürzte al-Amin. 19 Al-Mamun erklärte sich zum Kalifen. 20 Nun ergab sich al-Amin endlich, und Tahir ließ ihn enthaupten. 21 Al-Mamun musste einen Aufstand der Aliden bewältigen, welche bereits mehrere abbasidische Gouverneure vertrieben hatten. 22 Er rief Ali ibn Musa zu seinem Nachfolger aus und ersetzte die schwarzen Banner der Abbasiden durch grüne; auch die Amtsträger wies er an grüne Kleidung zu tragen. 23 Nun waren die abbasidischen Prinzen aufgebracht und erklärten Ibrahim al-Mahdi zum Gegenkalifen. 24 Letztendlich starb Ali ibn Musa und al-Mahdi dankte ab. 25 Al-Mamun zog in Bagdad ein. 26 Er erklärte die Lehre der Mutaziliten zur Staatsdoktrin und verlangte von den Amtsträgern einen Eid auf die Erschaffenheit des Korans. 27 All jene, die dazu nicht bereit waren, mussten Misshandlungen erleiden, wenn nicht sogar den Tod. 28 Ja, so unterscheidet sich das Urteilen der Menschen vom Urteilen des Höchsten. 29 Während der Höchste über die Taten des Einzelnen richtet, maßt sich der Mensch an, über die Richtigkeit des Glaubens anderer zu urteilen. 30 Wie weit entfernt sind die Urteile dieser selbsternannten Richter vom Urteil des Höchsten! 31 Am Ende wird Er auch über sie das Urteil fällen.

 

32 Nach al-Mamuns Tod übernahm der dritte Sohn von Harun, al-Mutasim, die Würde und Bürde des Kalifenamtes. 33 Er musste einen Aufstand von Babak Khorramdin niederschlagen. 34 Babak hatte den Aufstand wegen der Ermordung Abu Muslims  organisiert. 35 Nach  der Niederschlagung flüchtete er nach Armenien. 36 Dort wurde er an abbasidische Truppen verraten und unter Folter hingerichtet. 37 Der folgende Kalif, al-Watiq, hatte gegen die Revolte der Banu Hilal und Banu Sulaym in Hedschas zu kämpfen. 38 Als al-Mutawakkil Kalif wurde, hob er die Staatsdoktrin der Mutaziliten wieder auf, weshalb dann jene leiden mussten, die zuvor anderen Leid zugefügt hatten. 39 So schnell ändert sich die Situation der Menschen.

 

40 Im Byzantinischen Reich hatte Nikephoros Kaiserin Irene abgesetzt und nach Lesbos verbannt. 41 Er erkannte Karl als Kaiser des Frankenreiches an und schloss mit ihm einen Vertrag. 42 Darin wurden einvernehmlich die Grenzen festgelegt. 43 Bardanes Turkos, der sich gegen Nikephoros erhoben hatte, wurde in ein Kloster geschickt; ähnlich erging es auch dem Patrizier Arsaber. 44 In Phrygien erlitt Nikephoros eine schwere Niederlage, und als er in Bulgarien einfiel, wurde er unter Khan Krum von den Bulgaren getötet. 45 Auch sein Sohn Staurakios, welcher ihm auf den Thron folgte, war so schwer verwundet, dass er problemlos durch eine Revolte abgesetzt werden konnte. 46 Sein Schwager Michael Rangabe wurde als Kaiser eingesetzt. 47 Auch Michael verlor eine Schlacht gegen die Bulgaren bei Adrianopel. 48 Als die Truppen Leo zum Kaiser ausriefen, zog sich Michael in ein Kloster zurück. 49 Leo konnte die Bulgaren, die bereits Konstantinopel belagerten, besiegen. 50 Er schloss mit Khan Omurtag einen dreißigjährigen Friedensvertrag. 51 Nach der Ermordung Leos bestieg Michael den Thron. 52 Thomas ernannte sich zum Gegenkaiser und belagerte mit seinen Anhängern Konstantinopel. 53 Michael rief  Khan  Omurtag  zu  Hilfe  und so gelang es ihm, Thomas zurückzudrängen. 54 Schließlich wurde Thomas von seinen eigenen Anhängern aufgepfählt. 55 Den byzantinischen Bürgerkrieg nutzten die Muslime, um Kreta zu erobern. 56 Theophillos, Michaels Sohn, folgte seinem Vater auf den Thron. 57 Er eroberte Samosata und Zapreta. 58 Im Gegenzug zerstörten die Muslime die Stadt Amorion und töteten alle Einwohner. 59 Theophillos brach den dreißigjährigen Friedensvertrag   mit   den  Bulgaren  und  verlor  somit  einige  Festungen  bei  Adrianopel. 60 Dadurch wurde die wichtige Heer- und Handelsstraße „Via Militaris“ unterbrochen. 61 Theodora, Theophilos’ Frau, übernahm nach dessen Tod die Regentschaft für den erst einige Jahre alten Michael. 62 Sie führte die Bilderverehrung, welche inzwischen unter Kaiser Leo und Kaiser Michael verboten war, wieder ein und ging gegen Bildergegner und Paulikianer hart vor. 63 Der Paulikianer Karbeas floh mit einigen tausend Glaubensbrüdern in arabisches Hoheitsgebiet. 64 So sehen wir auch hier wieder, wie Menschen allein wegen ihrer Überzeugung bestraft werden.

 

65 Im  Frankenreich  sorgte  die  Krönung  Karls zum Kaiser für viel Aufregung. 66 Sein Sohn Ludwig folgte ihm auf den Thron und verschaffte den Juden verschiedene Erleichterungen. 67 Unter anderem ordnete er an, dass die Sklaven der Juden nicht getauft werden durften, da es Juden verboten war, Christen als Sklaven zu halten. 68 Ludwig krönte seinen Sohn Lothar zum Mitkaiser, Pippin erhielt Aquitanien und Ludwig den östlichen Teil des Fränkischen Reiches. 69 Dadurch sah der Neffe Ludwigs, Bernhard, seine Herrschaft in Italien gefährdet und erhob sich gegen Ludwig. 70 Der Aufstand wurde niedergeschlagen, Ludwig ließ Bernhard blenden. 71 Da Bernhard an den Folgen starb, wurde von Ludwig ein öffentlicher Bußakt vollbracht. 72 Ludwig wurde zweimal seines Amtes enthoben und wiedereingesetzt; seine Söhne Ludwig und Karl schlossen ein Bündnis gegen Lothar. 

 

 

 T e i l     V I E R                  KAPITEL  4

 

1 Dann fürchten die Völker den Namen des Herrn und alle Könige der Erde deine Herrlichkeit.

2 Das Frankenreich wurde in Verdun dreigeteilt. 3 Lothar wiederum teilte sein Mittelreich, Lotharii Regnum, unter seine drei Söhne auf. 4 Das nördliche Gebiet, Lothringien, fiel nach dem Tod Lothars des jüngeren je zur Hälfte an das Ost- und Westfrankenreich. 5 Der Herrscher des Westfrankenreichs, Karl genannt der Kahle, eroberte Italien und wurde zum Kaiser gekrönt. 6 Nach dem Tod Ludwigs, des Rex Germaniae, wurde auch das Ostfrankenreich unter seine drei Söhne aufgeteilt. 7 Sein Sohn Karl setzte sich als Herrscher des ganzen Ostfrankenreichs und schließlich auch des Westfrankenreichs durch. 8 Das Frankenreich musste zu dieser Zeit zusammen mit anderen Staaten den normannischen Angriffen standhalten. 9 Diese großgewachsenen Männer aus dem Norden griffen mit Vorliebe die reichen Klöster in Irland, Schottland und England an. 10 Anfangs tauchten sie plötzlich  auf  und  verschwanden  wieder,  nun  begannen sie dort zu überwintern. 11 Dem angelsächsischen König Alfred gelang es, Ostengland vor den Normannen zu schützen. 12 Der normannische Stammesherrscher Guthrum, der sich taufen ließ, setzte zusammen mit den Angelsachsen die Grenzen seines Reiches Danelag fest. 13 Die Normannen entdeckten im Westen neue, zur Besiedlung geeignete Inseln. 14 Sie bauten ihre Lager auch auf dem Kontinent, vor allem an den Mündungen großer Flüsse. 15 Als sie wieder einmal Paris angriffen, zahlte ihnen der Frankenkönig Karl Tribut und gab ihnen Burgund als Pfand. 16 Das Ansiedeln der Normannen in Hispania wurde durch Muslime vereitelt, die Normannen griffen daraufhin Italien und Nordafrika an. 17 Die Seefahrer aus dem Norden, die sich selbst „Rhos“ nannten, drangen über die Flüsse ins Inland ein. 18 Sie trieben Handel mit dem Byzantinischen Reich.

 

19 In Byzanz herrschte Kaiser Michael, dessen Berater sein Onkel Bardas und der Patriarch Photios waren. 20 Nach mehreren Jahrzehnten zogen die Byzantiner wieder in den Krieg gegen die Araber. 21 Sie mussten jedoch zurückkehren, als die Rhos unerwartet vor Konstantinopel erschienen. 22 Der Angriff der Rhos veranlasste den Patriarchen von Konstantinopel zu einer Mission unter den heidnischen Feinden. 23 Die Verbreitung des Christentums diente als Vorwand für die Expansionspolitik des Reiches. 24 Auf diesem Gebiet kreuzten sich die Wege der westlichen fränkischen und der östlichen byzantinischen Missionare. 25 Der Stamm der Hunno-Bulgaren, deren Reich an Byzanz grenzte, verweigerte sich der Christianisierung. 26 Ihr Khagan Boris entschied sich schließlich aus politischen Gründen zur Annahme des Christentums byzantinischen Ritus.

 

27 Byzanz schickte auch ins Chasarenreich seine Glaubensboten: den Philosophielehrer Konstantin und seinen Bruder, Diplomaten und Rechtsanwalt Methodius aus Thessaloniki. 28 Der erfahrene Konstantin missionierte schon früher bei den Arabern und zwar bei dem Khagan al-Mutawakki. 29 Al-Mutawakki war es, der die Kaaba in Mekka reparieren und verschönern ließ. 30 Um sich keinen Gefahren auszusetzen, fuhren Konstantin und Methodius mit dem Schiff auf die Halbinsel Tauris. 31 Hier fand Konstantin das Grab des römischen Bischofs und Märtyrers Kliment. 32 Nach der Chasarenmission wurden Konstantin und Methodius nach Moravia geschickt. 33 Der mährische Herrscher Rastislav fürchtete nämlich den zunehmenden fränkischen Einfluss und bat Byzanz um Missionare. 34 Konstantin ersann eine neue Schrift für die slawische Sprache - Glagolica. 35 Die beiden Brüder übersetzten die liturgischen Bücher ins Slawische. 36 Ihre Mission hatte in Moravia Erfolg, und man fand bald zur Priesterweihe geeignete Schüler. 37 Die beiden Missionare kämpften auf dem Konzil in Venetia dafür, dass die slawische Sprache im Gottesdienst zugelassen werde. 38 Hier erhielten Konstantin und Methodius die Einladung des Papstes Nikolaus nach Rom. 39 Papst Nikolaus hatte zuvor die Wahl des byzantinischen Patriarchen Photios für ungültig erklärt. 40 Photios exkommunizierte wiederum den Papst durch einen Sendbrief an die östlichen Patriarchen. 41 Er kritisierte darin manche Gewohnheiten der westlichen Kirche, wie beispielsweise das Eheverbot für die Priester, Fasten an Samstagen und vor allem die Benutzung der Filioque-Formel im Glaubensbekenntnis. 42 Inzwischen kam es in Byzanz zu einem Regierungsumsturz; Basileios folgte dem ermordeten Kaiser Michael auf den Thron. 43 Da der Patriarch Photios dem Basileios wegen Kaisermordes die Teilnahme am Gottesdienst verbot, setzte Basileios ihn von seinem Amt ab. 44 Danach bestimmte er Ignatios zum Patriarchen. 45 Damit gewann Basileios die Radikalen sowie den neuen Papst Hadrian für sich. 46 Photios wurde ins Exil geschickt, ohne sich auf dem Konzil in Konstantinopel verteidigen zu dürfen. 47 Basileios traf verschiedene Maßnahmen, um die Juden zur Annahme der Taufe zu zwingen. 48 Als Konstantin und Methodius die Reliquien des heiligen Kliment nach Rom brachten, wurden sie von den Römern und Papst Hadrian begeistert empfangen. 49 Hadrian bestätigte in seinem Schreiben Gloria in Excelsis Deo den Gebrauch der slawischen Sprache in der Liturgie. 50 Der erkrankte Konstantin trat in Rom in ein griechisches Kloster ein, wo er den Namen Kyrillos annahm. 51 Hadrian ernannte Methodius zum Erzbischof der erneuerten Diözese Pannonia und zum päpstlichen Legaten für die slawischen Völker. 

 

52 In Moravia kam es inzwischen zu einem Umsturz; Svatopluk lieferte seinen Onkel Rastislav an die Ostfranken aus. 53 Auch Methodius wurde festgenommen und erst auf Geheiß des Papstes Johannes wieder freigelassen. 54 Nach dem Tod von Methodius wurde Bischof Wiching Verwalter des mährischen Erzbistums; er ließ alle slawischen Liturgiebücher vernichten und die Priester des slawischen Ritus vertreiben. 55 Die meisten Anhänger des Slawischen als Liturgiesprache zogen ins Bulgarische Reich, wo dann auf dem Volkskonzil in Pliska das Kirchenslawische als bulgarische Staatssprache festgelegt wurde. 56 Die Kroaten hatten schon vor langer Zeit den christlichen Glauben angenommen; ihr Fürst Branimir wurde von Papst Johannes als Fürst der Kroaten bestätigt. 57 Die Slawen nannten die nordischen Stämme der Normannen „Waräger“. 58 Die Waräger drangen über die Flüsse immer tiefer ins Inland ein und gründeten dort Handelszentren. 59 Sie lebten polygam und nahmen sich auch slawische Frauen. 60 Deren Fürst Oleg eroberte große Gebiete und so lebten in seinem Fürstentum neben den Warägern auch Ost-slawen. 61 Dadurch geriet er in Konflikt mit dem Chasarenreich, an welches die Ostslawen bis dahin Friedenstribut zahlten. 62 Die Chasaren behinderten deshalb den Handel zwischen Warägern und Arabern, wobei es vor allem um Silberhandel ging. 63 Die Chasaren kämpften auch gegen die Islamisierung; viele von ihnen praktizierten die jüdische Religion, manche, dank Konstantins Mission, auch das Christentum.

 

64 In  der  Dynastie  der  arabischen  Abbasiden  war  Zwietracht  keine Seltenheit. 65 Das wussten manche Verwalter der arabischen Provinzen zu nutzen und brachten die Verwaltungsgebiete in ihren Besitz. 66 So kam es zum Machtwechsel in Ägypten. 67 Die Aghlabiden verdrängten die Charidschiten von ihrer Machtposition in Nordafrika. 68 Die persischen Tahiriden in Chorasan wurden von den Saffariden gestürzt. 69 Danach wurden hier die Samaniden als Statthalter eingesetzt; Buchara wurde zur Hauptstadt. 70 Die schwarzen Sklaven erhoben sich mehrmals gegen die herrschenden Abbasiden. 71 Diese Sklaven aus Ostafrika mussten Schwerstarbeit verrichten - das Trockenlegen der Salzsümpfe am Unterlauf des Euphrats. 72 Während eines Aufstandes, angeführt von Ali ibn Mohammed, gelang es ihnen sogar, ihren eigenen Staat zu gründen, bevor sie von den Abbasiden besiegt wurden.

 

 

T e i l     V I E R                  KAPITEL  5

 

1 Warum toben die Völker, warum machen die Nationen vergebliche Pläne?

2 Völkerstämme und Sippen sorgen schon seit einigen Jahrhunderten für eine Veränderung der Weltkarte. 3 Es gab unendliche Wanderungen, Kriege, Eroberungen sowie Vermischungen von Völkern und Religionen. 4 Einerseits waren es schreckliche Zeiten voller Leid, Blut und Hungersnot, andererseits entstanden neue Bekanntschaften, Bündnisse und Freundschaften. 5 Die Welt ist nicht mehr, wie sie zur Zeit der römischen Kaiser war, als Rom fast die ganze Welt beherrschte. 6 Jetzt sind viele Völker sesshaft geworden, haben sich in der Gemeinschaft der Völker etabliert. 7 Sie haben den Römern, Byzantinern und Persern deren Regierungs- und Herrschaftssysteme abgeschaut, sie den eigenen Bedürfnissen  angepasst,  und sind zu wichtigen politischen Faktoren  geworden. 8 Nun will aber jedes Volk möglichst viel Land, Macht und Einfluss gewinnen; das haben sie von den Römern gelernt. 9 Ein Wettstreit beginnt. 10 Franken, Angelsachsen, Normannen, Bulgaren und viele andere Völker nehmen daran teil. 11 Die meisten von ihnen leben unter der Herrschaft eines Königs oder eines Fürsten.

 

12 Die Juden hatten inzwischen etwas ruhigere Zeiten. 13 Außer der Katholischen Kirche, welche sie ab und zu verfolgte, und der Muslime, die es sporadisch auch mal taten, war keiner mit dem auserwählten Volk beschäftigt. 14 Da die Juden das Gelobte  Land  nicht  wiedergewinnen  konnten,  zogen  sie  verstärkt  in die weite Welt  hinaus.  15 Vom  fränkischen  Kaiser  Karl  erging eine besonders verlockende Einladung an sie, die ihnen bedeutende Positionen in Aussicht stellte. 16 So strömen nun Juden aus  allen  Himmelsrichtungen  ins  Frankenreich. 17 Generationen hindurch haben sie sich sprachlich so unterschiedlich entwickelt, dass sie sich untereinander kaum verständigen können. 18 Nun beginnen sie ihr babylonisches und aramäisches Hebräisch mit den fränkischen Dialekten zu vermischen. 19 Daraus entsteht eine neue Sprache, welche fast alle hiesigen Juden und auch viele Franken verstehen können. 20 Wenn sie nicht in der Diaspora wären und wenn der byzantinische Kaiser Romanos sie nicht zur Annahme des Christentums anhalten würde, könnte man sagen, dass es eine gute Zeit für die Juden sei.

 

21 Weniger gut steht es um die christliche Kirche und ihr Ansehen unter den Völkern. 22 Denn an der Spitze der Kirche haben sich Sitten eingebürgert, die in krassem Widerspruch zum Selbstverständnis des Christentums und seiner jüdischen Wurzeln stehen. 23 Päpste haben angefangen, aus welchem Grund auch immer, sich Frauen zu halten. 24 Sie gebrauchen sie nicht nur zu ihrem Vergnügen, sondern missbrauchen sie auch für ihre Politik. 25 Manche von diesen Mätressen benutzen wiederum die Päpste und die Kirche für ihre eigenen Ziele. 26 Es ist ein Schauspiel für die Welt, ein Skandal für die aufrichtig Gläubigen. 27 Solch schlechte Sitten erhöhen  nämlich  die  Wahrscheinlichkeit  einer  weiteren  Spaltung  der Kirche. 28 Aber vielleicht wird dies auch zur Besinnung und zum Heilungsprozess in der Kirche führen.

 

29 Ganz andere Sorgen haben derzeit die Araber. 30 Sie kämpfen an mehreren Fronten um die Verbreitung ihres Glaubens. 31 Leider verfolgen sie dabei auch eigene, ganz weltliche Interessen. 32 Unter den Muslimen gibt es mehrere religiöse Strömungen, deren Vertreter sich gegenseitig bekämpfen. 33 So wie im Christentum, ist es auch im Islam verhängnisvoll, wenn eigene Interessen der Idee der Glaubensverbreitung voran- oder gleichgestellt werden. 34 Es endet immer in Schande oder einer Katastrophe. 35 Nun wollen wir uns den einzelnen Ereignissen der gegenwärtigen Epoche zuwenden. 36 Wie es schon unsere Art ist, wollen wir sie nicht detailliert und chronologisch darstellen. 37 Die an der Geschichte interessierten Leser finden diesbezüglich genug Stoff bei den zeitgenössischen Geschichtsschreibern. 38 Zu denen gehört auch der gelehrte Benediktinerabt Regino von Prüm, der in seiner Weltchronik die Zeit von Jesu Geburt bis zu den jetzigen Frankenherrschern beschreibt. 39 Die  Muslime  eroberten  die  zweitgrößte  byzantinische  Stadt  Thessaloniki. 40 Nach der arabischen Eroberung der Insel Melita wurde diese in Malta umbenannt und islamisiert. 41 Abdullah gründete in Ägypten das Kalifat der Fatimiden. 42 Abd ar-Rahman, der dritte dieses Namens in der Dynastie der Umayyaden, wurde Emir von Cordoba. 43 Ordono, aus dem Königreich Leon, wurde sein Gegner auf der Iberischen Halbinsel. 44 Er besiegte zuerst die Truppen des Abd ar-Rahman. 45 Drei Jahre später wurde das leonische christliche Heer von den Mauren  besiegt.  46 Die  muslimischen  Soldaten  überquerten  die Pyrenäen. 47 Abd ar-Rahman  eroberte  auch  Pamplona, die Hauptstadt  des  Königreichs Navarra. 48 Trotz Widerstand der Fatimiden ließ sich Abd ar-Rahman zum unabhängigen Kalifen von Cordoba ausrufen. 49 Er gewann mit seinen Truppen die Vorherrschaft im Nordwesten Afrikas. 50 Als er dann eine schwere Niederlage gegen Leon erlitt, ließ er seine Heerführer kreuzigen. 51 Abd ar-Rahman förderte die Wissenschaft, Künste und Landwirtschaft. 52 Cordoba wurde neben Konstantinopel und Bagdad eine der größten Städte. 53 In der arabischen Welt wurden inzwischen die Hadith-Sammlungen von den Gelehrten al-Buchari und Muslim ibn al-Haddschadsch bekannt. 54 Al-Buchari vertrat eine von der vorherrschenden Überzeugung abweichende theologische Meinung und musste Bagdad verlassen. 55 Der islamische Philosoph Alkindus führte die mathematische Denkweise - die Logik - in die Philosophie ein. 56 Als die persische Dynastie der Buyiden Bagdad besetzte, übernahm sie die Kontrolle über das Kalifat der Abbasiden. 57 So verlor der Kalif von Bagdad seine politische Macht und galt nur noch als geistiger Leiter der Sunniten.

 

58 In Europa wurden die nomadischen Stämme der Ungarn zu einer Gefahr für andere Völker. 59 Sie wurden unter Arpad, dem Stammesfürsten der Magyaren, vereinigt. 60 Die Magyaren besetzten nach der Verwüstung von Moravia das reiche Pannonien. 61 Von da aus unternahmen sie unzählige Beutezüge, vor allem ins Frankenreich und nach Italien. 62 Unter dem Großfürsten Zoltan erlitten sie die erste große Niederlage, die ihnen von dem ostfränkischen König Heinrich in der Schlacht bei Riade beigebracht wurde. 63 Diesem mächtigen, expansionistisch gestimmten Frankenherrscher leistete der böhmische Fürst Vaclav den Lehnseid, woraufhin ihn sein Bruder Boleslav ermorden ließ. 64 Die Magyaren trennten mit der Etablierung ihres Gebiets die Nordslawen von den südlichen Slawen. 65 Der kroatische Fürst Tomislav konnte sich gegen die magyarischen Angriffe erfolgreich behaupten. 66 Er wurde als kroatischer König auch von Papst Johannes bestätigt. 67 Tomislav war ein Bundesgenosse der Byzantiner im Kampf gegen die Bulgaren. 68 Die Bulgaren versuchten auch serbische Stämme zu unterwerfen, aber Fürst Caslav verteidigte erfolgreich ihre Eigenständigkeit. 69 Nach dem Tode des byzantinischen Kaisers Leo wurde sein unmündiger Sohn Konstantin Kaiser. 70 Konstantin widmete sich der Staatsorganisation, ließ Werke über Zeremonien am Kaiserhof und über die Regierung des Reiches verfassen. 71 Im Auftrag von Kaiser Konstantin entstand ein umfangreiches Nachschlagewerk der Sachbegriffe. 72 Latein als Zweitsprache in Armee und Verwaltung wurde unter ihm durch das Griechische abgelöst.

 

 

T e i l     V I E R                  KAPITEL  6

 

1 Rette mich, Herr, mit deiner Hand vor diesen Leuten, die im Leben schon alles haben; du füllst ihren Leib mit Gütern, auch ihre Söhne werden noch satt und hinterlassen den Enkeln, was übrigbleibt.  

2 Christentum  und  Islam werden immer intensiver unter den Völkern verbreitet. 3 Das Christentum spannt sich nun wie ein Zeltdach von den nordischen Inseln bis nach Byzanz. 4 Ein Loch in diesem Zeltdach bilden die Slawen in Ostalbingien, die weiterhin ihrer Götterwelt anhängen. 5 Die Stämme der Poljanen, manche Normannenstämme sowie die Stämme der Rus und der Ungarn wurden schließlich christlich. 6 Byzanz gelang es wieder eine wichtige Großmacht zu werden. 7 Der byzantinische Kaiser Konstantin unterhält diplomatische Beziehungen mit dem Kalifat von Cordoba sowie mit dem Frankenreich und der Rus. 8 Der ostfränkische Herrscher Otto wurde zum Kaiser gekrönt und übt nun seine politische Macht auch über das Papstamt aus. 9 Manche Päpste halten sich immer noch Mätressen, während die Kalifen von Cordoba männliche Harems unterhalten. 10 Die Fatimiden sind die dominierende Macht in Ägypten und Syrien. 11 Die Stadt al-Qahira in Ägypten wurde zu einem bedeutenden Zentrum ausgebaut. 12 Die Juden fungieren oft als Vermittler im Handel zwischen Ost und West. 

 

13 Befassen wir uns zuerst mit Byzanz. 14 Der byzantinische Kaiser Konstantin wurde mit vierzig Jahren zum Alleinherrscher. 15 Er stattete seine Höflinge und Generäle mit vielen Machtbefugnissen aus. 16 Auch erließ er Gesetze zum Schutz von Soldaten und Bauern. 17 Er schaffte es, Byzanz vor den Ungarn und den Arabern erfolgreich zu verteidigen. 18 Die verwitwete Fürstin der Rus, Olga, besuchte Konstantinopel, wo sie zum Christentum konvertierte und bei der Taufe den Namen Helena annahm. 19 Diese Handlung stieß bei den einheimischen Stämmen auf Unverständnis, deshalb wandte sich die Fürstin an den ostfränkischen Herrscher Otto und bat um Hilfe. 20 Dieser schickte einen Mönch namens Adalbert in das Land der Rus. 21 Doch Adalberts Missionierungsversuch misslang und er kehrte unverrichteter Dinge zurück. 22 Später wurde er zum Erzbischof von Magdeburg ernannt. 23 Olgas Sohn Svjatoslav eroberte das Land der Chasaren sowie die Hauptstadt der Bulgaren.

 

 24 Zum byzantinischen Kaiser wurde inzwischen ein General armenischer Herkunft, Johannes genannt Tzimiskus, ernannt. 25 Mit der Rus wurde ein Friedensvertrag ausgehandelt, durch welchen Byzanz Territorien in Bulgarien, Ungarn sowie die Handelsstadt Chersones gewann. 26 Der Großfürst der Rus, Wladimir, besetzte später die Stadt Chersones, um die Heirat mit der Schwester des byzantinischen Kaisers Basileios zu erzwingen. 27 Vor der Eheschließung musste Wladimir den orthodoxen christlichen Glauben annehmen und die Christianisierung der Rus erlauben. 28 Die Bulgaren nutzen interne Streitigkeiten in Byzanz, um ihren Freiheitskampf wiederaufzunehmen. 29 Dank seiner Erfolge in dem Unabhängigkeitskampf wurde Zar Samuel berühmt.

 

30 In Westeuropa machte sich der sächsische Herzog Otto als Herrscher einen Namen.  31 Er wurde bei seiner Krönung zum ostfränkischen König in der Kathedrale von Aachen gleichzeitig auch zum Erzbischof von Mainz ernannt. 32 Er machte seine Familienangehörigen zu Herzögen und wollte auch Bischöfe und Äbte für seine Politik einspannen. 33 Seine politischen Pläne finanzierte er mit Erträgen aus den sächsischen Silberminen. 34 Otto stoppte die Ungarn in der Schlacht auf dem Lechfeld bei Augsburg. 35 Papst Johannes bat ihn um Hilfe im Kampf gegen König Berengar. 36 Der Papst war ein Enkel der einflussreichen Mätresse Marozia. 37 Er wurde schon mit achtzehn Jahren Papst und hielt sich einen Frauenharem im Lateranpalast. 38 Otto half dem Papst und wurde dafür römischer Kaiser. 39 Dem Papst bestätigte er die Besitzrechte und -ansprüche. 40 Zugleich legte er aber fest, dass der Papst  noch  vor  der  Weihe  dem  Kaiser  einen  Treueeid leisten müsse. 41 Nachdem Otto Rom verlassen hatte, verbündete sich Papst Johannes mit dem geflohenen Sohn von Berengar. 42 Otto, verärgert darüber, machte sich erneut auf den Weg nach Rom, um den Papst zu bestrafen, doch starb dieser bevor Otto Rom erreichte. 43 Das von Otto gegründete Erzbistum von Magdeburg wurde zum Zentrum der Ostmission. 44 In Quitilingburg feierte Otto oft das Osterfest und empfing Gesandte aus ganz Europa. 45 Er war bestrebt, auch über die gesamte Reichskirche zu herrschen. 46 Dagegen trat eine Reformbewegung auf, die sich die Ideale des Klosters von Cluny zum Vorbild nahm. 47 Ihr Ziel war die Unabhängigkeit der Klöster von der herrschaftlichen Macht und eine innige Frömmigkeit. 48 Auf Otto folgte sein gleichnamiger Sohn, welcher schon vor dem Tod des Vaters zum Mitkaiser gekrönt und mit der byzantinischen Prinzessin Theophanu verheiratet wurde. 49 Während  der  Regierungszeit  Ottos kam  es zu  mehreren  Aufständen. 50 König Harald von Daniae, der das Christentum angenommen hatte, fiel in Nordalbingien ein. 51 Er heiratete die Tochter des Abodritenfürsten und unterstützte die slawischen Stämme in dem erfolgreichen Aufstand gegen die Ostfranken in Ostalbingien. 52 Kaiser Otto wurde in Süditalien von den Arabern besiegt und starb in Rom. 53 Nach seinem Tod regierte zuerst seine Witwe Theophanu und nach deren Tod die Altkaiserin Adelheid. 54 Sein Sohn Otto übernahm dann als vierzehnjähriger selbst die Herrschaft. 55 Trotz Widerstände machte er Rom zum Reichszentrum.  56 Seinen Cousin Bruno von Karantanien ernannte er zum Papst; dieser nahm als Papst den Namen Gregor an. 57 Otto bezeichnete sich selbst als „Knecht Jesu Christi“ und später als „Diener der Apostel“.

 

58 Auch in den muslimischen Gebieten gab es verschiedene politische Probleme. 59 Die Qarmaten gründeten im Nordosten der Arabischen Halbinsel ihren eigenen Staat. 60 Sie bedrohten die Pilger nach Mekka.  61 Auch entwendeten sie den schwarzen Stein der Kaaba, hadschar-ul-aswat. 62 Erst nach zwanzig Jahren gelang es den Mekkanern ihn durch Vermittlung der Fatimiden gegen hohes Lösegeld wieder zurückzugewinnen. 63 Die Fatimiden entrissen Ägypten den Ichschididen.  64 Unter Kalif Abu Tamin Maad al-Muizz beherrschten sie kurze Zeit auch Mekka und Medina. 65 Der qarmatische Heerführer Abu Ali al-Hasan eroberte Ramla und Damaskus. 66 Es kam zu mehreren Kämpfen zwischen den Qarmaten und den Fatimiden.  67 Die Fatimiden siegten und besetzten schließlich Syrien und das ehemalige Eretz Israel. 68 Kalif al-Muizz machte die Stadt al-Qahira al-Muizziya in Ägypten zu seiner Residenz und ersetzte die alte Währung durch den Golddinar. 69 Er ließ auch eine eigene Flotte zum Schutz des Seehandels bauen. 70 Ferner errichtete er in der Hauptstadt ein Ausbildungszentrum für ismailitische Missionare. 71 Gegenüber den Kopten war al-Muizz tolerant. 72 Diese durften hohe Ämter bekleiden und ihren Glauben frei ausüben.

 

 

T e i l     V I E R                  KAPITEL  7

 

1 Ich bin nur Gast auf Erden, verbirg mir nicht deine Gebote!

2 Der technische und wirtschaftliche Fortschritt trägt zu einer längeren Lebenserwartung und dadurch auch zu wachsender Bevölkerungszahl bei. 3 Das Dorf wird zu einem wichtigen wirtschaftlichen Faktor, die Bauern stellen nach Adel und Klerus eine bedeutende soziale Schicht dar. 4 Die Herrscher wollen ihre Macht auch mit Hilfe der Religion festigen. 5 Die Völker im Norden Europas und in Asien werden nach und nach christianisiert. 6 Der überwiegende Teil Europas steht unter dem Einfluss des katholischen Roms. 7 Das orthodoxe Christentum dominiert in Ost- und Südeuropa, mit Konstantinopel als Zentrum. 8 Das Reich der Fatimiden erlebt einen großen wirtschaftlichen Aufschwung. 9 Auch Kultur und Wissenschaft werden gefördert. 10 Die Seldschuken haben das persische Gebiet besetzt und bedrohen die benachbarten Länder.

 

11 Manche Leute erwarten das Weltende, andere behaupten, von diesem Tag weiß einzig und allein der Schöpfer der Welt. 12 Viele werden vom missionarischen Eifer gepackt, sind dabei aber nicht von Nächstenliebe inspiriert. 13 In Eretz Israel herrschen weiterhin Fremde. 14 Auf der Iberischen Halbinsel überschlagen sich die Ereignisse. 15 Die Umayyaden-Kalifen auf dem Thron von Cordoba wechselten schnell. 16 Anstatt des Kalifen Hischam herrschte faktisch der Kämmerer Abu Amir Muhammad ibn Abi Amir. 17 Er warb viele neue Söldner aus Berberstämmen an und plünderte mit seinem Heer christliche Reiche auf der Iberischen Halbinsel. 18 So wurde das Wallfahrtszentrum der Christen in Compostela zerstört und seine Schätze von christlichen Sklaven nach Cordoba gebracht. 19 Abu Amir Muhammad stärkte seine Herrschaft in Nordwestafrika, woraufhin er sich den Titel „al-Mansur bi-llah“ zulegte, der nur den Kalifen vorbehalten war. 20 Im andalusischen Heer kam es zu Spannungen zwischen dem arabischen Truppenteil und den slawischen Sklaven. 21 Das Kalifat von Cordoba zerfiel in kleine Königreiche und Fürstentümer. 22 Die berberischen Hammudiden verdrängten die Umayyaden aus dem Kalifat von Cordoba. 23 In Sevilla gründeten die Abbadiden ein mächtiges Reich.

 

24 Der römische Kaiser Otto unterstützte die Kandidatur des fränkischen Lehrers Gerbert von Aurillac für das Papstamt. 25 Aurillac war ein bedeutender Gelehrter und führte als Papst Silvester die arabischen Zeichen für die Zahlen ein. 26 Zusammen mit Kaiser Otto plante er eine Erneuerung des Römischen Reiches, das von Kaiser und Papst gemeinsam regiert werden sollte. 27 Beide unterstützen die Gründung der beiden christlichen Reiche -  Regnum Hungariae und Regnum Poloniae. 28 Der Prager Bischof Vojtech, auch unter dem Namen Adalbert bekannt, unternahm  eine Missionsreise nach Ungarn. 29 Dort firmte er den Herzog Stephanus.  30 Stephanus wurde durch den päpstlichen Legaten zum ungarischen König gekrönt. 31 Als Adalbert während der Mission von Pruzzen ermordet wurde, kaufte der polnische Herzog Boleslav seine Überreste und ließ sie in der Stadt Gniezno begraben. 32 Vojtech wurde bald darauf heiliggesprochen, und selbst Kaiser Otto pilgerte zu seinem Grab. 33 Hier traf er sich mit dem Herzog Boleslav. 34 Gniezno wurde zum Erzbistum, und Radim, der Halbruder von Vojtech, sein erster Erzbischof. 35 Der bayrische Herzog Heinrich folgte Otto auf den Kaiserthron. 36 Heinrichs Ziel war die Erneuerung des Frankenreichs. 37 Polen gewann das Gebiet Lusatia, das Land Bohemiae wurde in Heinrichs Reich eingegliedert. 38 Heinrich und seine  Frau  Kunigunde setzten sich für die Gründung des Bistums Bamberg ein. 39 In der Kirchenpolitik protegierte Heinrich lieber Bischöfe als unabhängige Mönchsorden. 40 Zwar schenkte er seinen Reichsapfel dem Kloster in Cluny, nichtsdestotrotz   behinderte  er  die  cluniazensische  Reform  in  seinem  Reich. 41 Odilo, ein angesehener Gelehrter, wurde zu dieser Zeit Abt in Cluny. 42 Er setzte sich für Kriegsunterbrechung während der kirchlichen Feste ein. 43 Odilo führte in Cluny den Gedenktag Allerseelen ein. 44 Er verdoppelte die Zahl der Cluny untergeordneten Klöster. 45 In der Stadt Coellen wurde mit dem Bau einer Synagoge begonnen. 46 Juden wurden nach einem Erdbeben am Karfreitag in Rom der Hostienschändung beschuldigt, gefoltert und auf dem Scheiterhaufen verbrannt.

 

47 Nach Heinrich wurde Konrad der neue Herrscher des Ostfrankenreichs. 48 An der Kaiserkrönung Konrads nahm auch der dänische Herrscher Knut teil. 49 König Knut besiegte England sowie die verbündeten Heere des Norwegers Olaf und des Schweden Jakob Anund. 50 Unter Konrads Regierung bekam die ehemalige ostfränkische Monarchie den Namen Imperium Romanum. 51 Er ließ den Dom in Speyer erbauen. 52 Konrads Sohn Heinrich unterstützte Kirchenreformen. 53 Die Rus pflegte politische und wirtschaftliche Kontakte mit dem Römischen Reich und mit Byzanz. 54 Großfürst Jaroslav schloss ein Bündnis mit dem römischen Kaiser Konrad. 55 Jaroslav herrschte zuerst in Novgorod, später setzte er sich gegen seinen Bruder Svjatopolk und dessen Verbündete auch in Kyiv durch. 56 Byzanz besiegte in der Schlacht bei Belasice die Bulgaren, danach auch noch die Georgier. 57 Nach dem Tod von Kaiser Basileios wurde Byzanz im Osten von den Seldschuken bedroht. 58 Diese lösten nach der Schlacht von Dandanaqan die Ghaznawiden als Herrscher über das iranische Gebiet ab.

 

59 Die Fatimiden haben als Oberherren in Nordafrika ihren Hauptsitz im ägyptischen al-Qahira. 60 Westlich von Ägypten, in Ifriqiya, regieren die Ziriden. 61 Es kam zum Bruch zwischen diesen beiden Dynastien, als die Ziriden die Abbasiden von Bagdad als rechtmäßige Kalifen anerkannten und somit von der schiitischen zu der sunnitischen Konfession wechselten. 62 Obwohl die Fatimiden Schiiten sind, gehört die Mehrheit der ägyptischen Bevölkerung zu den Sunniten, außerdem leben dort noch koptische Christen. 63 Der fatimidische Kalif al-Hakim bi-amri Llah ließ viele nichtmuslimische Bauten zerstören, darunter auch die Grabeskirche in Jerusalem und die Synagoge in al-Qahira. 64 Er erließ einige Dekrete über die Reinheit des islamischen Glaubens und ließ das Haus der Weisheit in al-Qahira errichten. 65 Eine Gruppe innerhalb der ismaelitischenSchia-Richtung begann Kalif al-Hakim sogar zu vergöttlichen. 66 Die Anhänger dieser Lehre wurden nach ihrem eifrigen Missionar aus Buchara als „Duruz“ bezeichnet. 67 Aus Buchara stammt auch der berühmte Arzt und Gelehrte Ibn Sina, in Europa unter dem Namen Avicenna bekannt. 68 Die arabischen Übersetzungen der griechischen Philosophen und Naturwissenschaftler werden neuerdings auch von jüdischen Gelehrten benutzt. 69 Die Rabbinen beginnen die jüdischen Lehren zu systematisieren. 70 Die Religionsphilosophie von Saadia ben Josef trägt zur Dogmatisierung des Judentums bei. 71 Die Schriftgelehrten wollen die Tanach vor Fehldeutungen bewahren. 72 Die Tanach - Version der tiberischen Schule, mit Anmerkungen und Vokalisierungszeichen versehen, setzt sich durch.

 

 

T e i l     F Ü N F                 KAPITEL  1

 

1 Auch wenn mein Leib und mein Herz verschmachten, Gott ist der Fels meines Herzens und mein Anteil auf ewig.

2 Für den Chronisten gibt es gegenwärtig sehr viel zu vermelden, doch wenig Erfreuliches. 3 Umso mehr wollen wir das Erfreuliche voranstellen und zuerst erwähnen. 4 Es gibt immer mehr Menschen auf der Erde, die an den Einen Herrn glauben. 5 Gemeint sind die Juden, die Christen und die Muslime. 6 Mancherorts entstehen zwischen ihnen sogar freundschaftliche Beziehungen, gegenseitige Achtung und Toleranz. 7 In Spanien erfreuen sich die Juden des Wohlwollens des Königs Alfonso. 8 In England gründen die Juden, welche Wilhelm aus Normandie gefolgt sind, mehrere große Siedlungen. 9 Kanaph ha aretz nennen die Juden die Insel Englands: Winkel der Erde. 10 In vielen muslimisch beherrschten Gebieten leben  Juden  unbehelligt  und  in  Eintracht  mit  der  muslimischen  Bevölkerung. 11 Und damit sind wir schon am Ende der guten Nachrichten.

 

12 Es gibt auch Anfeindungen zwischen den erwähnten Gruppen, und wo es noch keine gibt, dort sorgen Neider, falsche Eiferer und abenteuerlustige Hetzer, dass welche entstehen. 13 In Granada werden viele Juden von Muslimen umgebracht, die sie um ihren Wohlstand beneideten. 14 Der Kirchenreformer Damiani liefert in seinen Schriften fadenscheinige theologische Begründungen, mit denen er die Judenverfolgung rechtfertigen möchte. 15 Man findet in fast jeder christlichen Generation Gelehrte, welche genau zu wissen meinen, warum die Juden verfolgungswürdig seien. 16 Dabei hat die Christenheit genug interne Probleme. 17 Einerseits herrscht vielerorts Unmoral, Unordnung und Chaos, sowohl unter niederem als auch unter höherem Klerus, andererseits wachsen Spannungen und Spaltungen zwischen der Ost- und der Westkirche. 18 Die gegenseitige Exkommunikation zwischen Papst Leo und dem Patriarchen Michael ist nur ein äußeres Zeichen einer andauernden, tiefgehenden Spaltung. 19 Schon seit den ersten Jahrhunderten zeigten sich innerhalb des Christentums Unstimmigkeiten und Spaltungen zwischen Ost und West. 20 Einer der Gründe dafür war die Sprachbarriere. 21 Während im Ostteil des Reiches von Anfang an die griechische Sprache als Amtssprache der Kirche galt, setzte sich im Westteil Latein durch. 22 Die lateinische Sprache wurde jedoch von den griechisch sprechenden Gelehrten als barbarisch bezeichnet. 23 Die heiligen Schriften, Liturgiebücher und sonstige Schriften wurden je nach Region entweder griechisch oder lateinisch verfasst beziehungsweise übersetzt. 24 Auch christliche Theologen und Gelehrte hatten, je nach Region aus der sie kamen, unterschiedliche Ausbildungen und differierende Betrachtungsweisen. 25 Im Osten waren klassische Bildung und Philosophie selbstverständlich, im Westen legte man größeren Wert auf politische und juristische Bildung. 26 Überdies kam es mit der Verlegung des Kaisersitzes von Rom nach Konstantinopel zur Veränderung der Machtkonstellation. 27 Es gab unterschiedliche Meinungen in Bezug auf Zölibat, Erlösung und Glaubensbekenntnis. 28 Die entscheidende Rolle spielten jedoch Herrschaftsansprüche, Rechthaberei und Halsstarrigkeit.

 

29 Schon beim Konflikt zwischen Papst Nikolaus und dem Patriarchen Photios zeichnete sich eine Spaltung ab. 30 Der spätere Papst Johannes versöhnte sich dann wieder mit Photios. 31 Nun sind Patriarch Michael und Papst Leo wegen der Liturgiesprache, des eucharistischen Brotes und des Glaubensbekenntnisses aneinandergeraten. 32 Man hat sich verfeindet, sich gegenseitig verflucht, und versucht nun dies alles den einfachen Gläubigen zu erklären. 33 Die Machthaber und der Klerus haben auch die islamische Gefahr nicht aus den Augen verloren. 34 Die Christen haben im Kampf gegen die Muslime viele Gebietsverluste hinnehmen müssen. 35 Im Westen bereiten ihnen die Muslime Kopfzerbrechen, im Osten die anrückenden Seldschuken. 36 Seit der Entzweiung versuchen die christlichen Machthaber der Situation, so gut es geht, Herr zu werden. 37 Einerseits versuchen sie die Muslime aufzuhalten, andererseits ist jede der beiden Seiten bemüht zu beweisen, dass sie in Glaubensangelegenheiten recht habe. 38 Man versucht durch Machtausübung und Kriegserfolge zu belegen, dass Gott auf seiner Seite sei. 39 In Jerusalem vertrieben Muslime Hunderte von Christen aus der Stadt und verboten ihnen den Zutritt zu ihren heiligen Stätten. 40 Die Seldschuken eroberten Bagdad und preschten nach Westen vor. 41 Als sie Jerusalem eroberten, töteten sie dort viele Einwohner. 42 Auch in Armenien wurden viele Christen umgebracht. 43 In Spanien lieferten sich Muslime und Christen erbitterte Kämpfe. 44 Die Seldschuken behinderten christliche Pilgerreisen nach Jerusalem. 45 Ein byzantinisches christliches  Heer wurde von einem muslimischen  Heer vernichtend  geschlagen. 46 Kaiser Michael bat sogar Papst Gregor um Unterstützung. 47 Der Papst war jedoch zu sehr mit dem Investiturstreit beschäftigt. 48 Im Westen verbreitet sich unter den Christen rasch eine feindselige Stimmung gegenüber den Muslimen. 49 Von einigen übereifrigen Predigern wird sie noch zusätzlich aufgeheizt. 50 Man will Jerusalem um jeden Preis der muslimischen Hand entreißen. 51 Die Kriegsbereitschaft wächst in allen Schichten der Bevölkerung, in der Kirche sowie unter den Staats- und Landesführern. 52 Einige von ihnen sehen in einem Krieg die Chance, Herrschaft über Byzanz und die Muslime zu erlangen sowie die Judenfrage weltweit zu lösen. 53 Andere sind bereit, das eigene Leben aufs Spiel zu setzen, um die heiligen christlichen Stätten zu befreien und sie allen Christen wieder zugänglich zu machen. 54 Die Dritten träumen von Abenteuern, Kostbarkeiten des Orients, Kriegsbeute.

 

55 Als Kaiser Alexios Komnenos seinen Hilferuf gen Westen richtete und sogar bereit war, die orthodoxe Kirche mit der römisch-katholischen wieder zu vereinen, wurde sein Ruf ernster genommen. 56 Der Westen antwortete auf seine Art und Weise. 57 Papst Urban, und mit ihm die Kardinäle, Bischöfe und Äbte, beschlossen, ein Heer nach Osten zu entsenden. 58 Begeisterung kam auf, sowohl unter dem  Volk als  auch unter dem Adel, aber  auch unter  Abenteurern und Ganoven. 59 Kirchlicherseits war man von der Richtigkeit und Heiligkeit dieses Unternehmens überzeugt. 60 Den Teilnehmern des Kriegszuges wurden viele geistige Vergünstigungen diesseits und jenseits zugesichert. 61 So sammelten sich Hals über Kopf große Menschenmengen aus allen Schichten der Bevölkerung, die dann als ein ziemlich ungeordnetes Heer in Richtung Osten aufbrachen. 62 An Begeisterung und christlichem Eifer fehlte es nicht.

 

63 Unterwegs benahm sich dieses Heer weder menschlich noch christlich. 64 Von einigen Predigern angestachelt, mordeten sie unterwegs die jüdische Bevölkerung, wo sie nur konnten. 65 Ferner plünderten sie Burgen und Klöster, aber auch vor der einfachen Bevölkerung machten sie nicht halt. 66 Als sie Konstantinopel erreichten, ließ Kaiser Alexios aus Angst um die Stadt sie schnellstens über den Bosporus bringen.  67 Kurz darauf wurde dieses Heer bei Nicäa von den Seldschuken vernichtet. 68 Inzwischen wurden im Westen organisierte und geordnete Heere zusammengestellt, die sich in Konstantinopel vereinigten. 69 Dieses Heer schlug sich dann erfolgreich bis nach Jerusalem durch. 70 Von Kämpfen und Hunger halb verwildert, begingen viele Soldaten grausame Gräueltaten  und  richteten viel Leid  unter der  einheimischen  Bevölkerung an. 71 Schließlich eroberte dieses Heer Jerusalem. 72 Auch dort wurden unzählige Muslime, Juden und sogar syrische und koptische Christen von den Soldaten ermordet.

 

 

 

T e i l     F Ü N F                 KAPITEL  2

 

1 Die Verständigen werden strahlen, wie der Himmel strahlt; und die Männer, die viele zum rechten Tun geführt haben, werden immer und ewig wie die Sterne leuchten.

2 Die gegenwärtige Epoche ist durch christliche Glaubenskriegszüge gekennzeichnet. 3 Es  wird  geplündert und gemordet,  im Namen welcher  Ziele auch immer. 4 In der Folge entstanden nach und nach vier neue christliche Staaten. 5 Zuerst die Grafschaft Edessa und das Fürstentum Antiochia. 6 Nach der Eroberung Jerusalems entstand das Königreich Jerusalem. 7 Um das neue Königreich zu stärken, rief Papst Paschalis zu einem weiteren Glaubenskriegszug auf. 8 Dieser scheiterte jedoch in Anatolien an der Allianz der sonst verfeindeten Seldschuken und Danischmenden. 9 Das Sultanat der Rum-Seldschuken entstand infolge der Teilung des Großseldschukenreiches in mehrere kleinere Staaten. 10 Nach der Niederlage des seldschukischen Emir von Tripolis wurde hier der vierte christliche Staat gegründet, die Grafschaft Tripolis. 11 Das Königreich Jerusalem gewann schrittweise die Oberhand.

 

12 Durch Glaubenskriegszüge bedingt, kam es zu einer Belebung des Seehandels zwischen Europa und Asien. 13 Der Hauptverbündete der christlichen Heere war das unabhängige Armenische Königreich von Kilikien, das von jenen Armeniern gegründet wurde, die vor den Seldschuken geflüchtet waren. 14 In den neu entstandenen christlichen  Staaten  wächst  die Zahl  der europäischen  Einwohner. 15 Viele von ihnen nehmen die orientalische Lebensweise an. 16 Die Einheimischen bezeichnen sie als „Franken“. 17 Die Patriarchate in Antiochia und in Jerusalem werden von lateinischen Patriarchen geleitet. 18 Während der Glaubenskriege entstanden mehrere Ritterorden. 19 Die Grundaufgaben dieser Orden sind Krankenpflege und Schutz der Pilger. 20 Papst Paschalis stellte sie unter seinen Schutz und erließ ihnen die Zehntabgabe. 21 Heinrich, der gleichnamige Sohn des römischen Kaisers, nahm den Papst und mehrere Kardinäle in der Peterskirche in Rom gefangen. 22 Dadurch erhoffte er sich das Investiturrecht und die eigene Kaiserkrönung zu erzwingen.

 

23 Doch erst unter Papst Calixtus gelang es ihm, in Worms einen Vertrag zu schließen, wodurch der langjährige Streit über die Investitur beendet wurde. 24 Der Vertrag wurde auf dem Laterankonzil bestätigt. 25 Das zweite Laterankonzil verbot die Simonie und führte das Zölibat für römisch - katholische Priester ein. 26 In Europa entstehen  derzeit  neue  kirchliche  Orden. 27 Manche bereits bestehende

werden reformiert. 28 Papst Calixtus bestätigt den aus der Reformbewegung des Benediktinerordens in Citeaux hervorgegangenen Zisterzienserorden. 29 Die von Norbert aus Xanten gegründete Gemeinschaft im Tal Premontre wird vom Papst anerkannt. 30 Die Gemeinschaft lebt nach der Augustinerregel und dem Vorbild der Urkirche. 31 Manche Gläubige bilden Gemeinschaften, die nicht an der offiziellen Lehre der Kirche festhalten. 32 In Westeuropa ist es vor allem die Laienbewegung, die sich selbst den Namen „Freunde Gottes“ zugelegt hat. 33 Ihre Lehre ähnelt der Lehre der aus Bulgarien stammenden „Bogomilen“, welche in Byzanz verfolgt werden. 34 Die Bogomilen lehnen das Alte Testament ab, sind vermutlich vom Manichäismus beeinflusst. 35 In Byzanz bestieg Johannes aus der Dynastie Komnenos als Kaiser den Thron. 36 Er besiegte die einfallenden Petschenegen sowie die aufständischen Serben. 37 Johannes heiratete die Tochter des ungarischen Königs Ladislav, die als Kaiserin den Namen Eirena annahm. 38 Er konzentrierte sich auf die Wiedereroberung der verlorenen Gebiete in Anatolien. 39 Mit Hilfe der Rum-Seldschuken verteidigte er die Ostgrenze und versuchte, die Herrschaft über das armenische Königreich von Kilikien sowie über die neuen christlichen Staaten Antiochia und Edessa zu erlangen. 40 Johannes griff auch die Araber in Syrien an, wurde aber bei Aleppo zurückgeschlagen. 41 Etwas Bemerkenswertes ereignete sich im muslimisch beherrschten Nordwestafrika.  42 Im Hochgebirge Atlas wirkte ein einheimischer islamischer Reformator Abu Abdallah Muhammed ibn Tumart. 43 Er studierte in Cordoba und bereiste Alexandria, Mekka und Bagdad. 44 Nach seiner Rückkehr verbreitete er unter den Berbern seine Lehre über die absolute Einheit Gottes und die Vorherbestimmung. 45 Ibn Tumart wollte nach seinen Angaben den Islam zu seiner ursprünglichen Form und die Muslime zu innerer Tiefe führen. 46 Zwar gelang es ihm nicht, die Almoraviden von der Richtigkeit seiner Theologie zu überzeugen, aber er vereinigte manche Stämme in Gemeinschaft al-muwahhidun. 47 Ibn Tumart war überzeugt, der unfehlbare Mahdi zu sein, der dazu berufen worden sei, den Glauben und die Gerechtigkeit in der Welt zu erneuern. 48 Sein Tod wurde eine Zeitlang geheim gehalten.  49 Sein Nachfolger Abd al-Mumin führte die Almohaden zum Sieg  über  die  Almoraviden. 50 Abd  al-Mumin  eignete  sich den Kalifentitel an. 51 Die Almohaden beherrschen Nordwestafrika, Ifriqiya und Al-Andalus. 52 Für die Juden auf der Iberischen Halbinsel beginnen nun noch schlechtere Zeiten. 53 Im Norden treten die alten antijüdischen Maßnahmen wieder in Kraft, in Al-Andalus droht ihnen die Zwangsislamisierung. 54 Juden in einer bestimmten bürgerlichen Position müssen gelbe Kleidung tragen, alle anderen blaue Kleidung mit Mütze in Form eines Eselsattels. 55 Die Betroffenen bevorzugen entweder in christliche Gebiete zu fliehen, oder eine neue Heimat unter etwas milderen islamischen Herrschern in Afrika zu suchen.

56 Sie wagen es nicht, nach Eretz Israel zurückzukehren, da dort die feindlichen christlichen Ritter ihre Macht ausüben.  57 Papst Eugen rief zu einem neuen Kriegszug auf, als Antwort auf die Eroberung der  Grafschaft  Edessa  durch den  muslimischen Verwalter  Zengi von Mossul. 58 An diesem Kriegszug nahmen die Heere des Frankenkönigs Ludwig und des neuen römischen Königs Konrad teil. 59 Unter ihrem Schutz machten sich auch viele einfache Pilger mit Frauen und Kindern auf den Weg. 60 Der Papst fasste den Entschluss, den Kriegszug auch noch auf andere Gebiete auszuweiten: gegen die Araber  auf der Iberischen  Halbinsel und  gegen die Heiden  in  Nordosteuropa. 61 England, das sich zwar schon längere Zeit im Bürgerkrieg befand, nahm mit seiner Seeflotte daran teil. 62 Diese befreite Almeria und Lissabon von der Herrschaft der Araber und half der Grafschaft Portugal, sich zum unabhängigen Königreich zu proklamieren. 63 Viele Adlige und Ritter aus dem Nordteil des Römischen  Reiches  nahmen  an dem Kriegszug  gegen die Heiden  in Osteuropa teil.

 

64 Die Heere von Konrad und Ludwig trafen sich nach langen Strapazen bei Nicäa in Anatolien. 65 Da der byzantinische Kaiser Manuel Komnenos mit dem Sultan der Rum-Seldschuken einen Friedensvertrag geschlossen hatte, bekamen die christlichen Krieger keine militärische Hilfe von Byzanz. 66 Sie verbanden jedoch ihre Kräfte mit dem Heer von König Balduin aus Jerusalem und belagerten Damaskus. 67 Streitigkeiten unter den drei christlichen Königen sowie die Überlegenheit des Gegners führten zum Abbruch des Kriegszuges und zur Heimkehr der Heere. 68 König Ludwig machte Byzanz für das Scheitern verantwortlich und plante einen Vergeltungszug gegen Byzanz. 69 Viele Krieger und Pilger blieben im Heiligen Land, da sie sich dort ein besseres Leben erhofften. 70 Manche schlossen sich einer Eremitengemeinschaft auf dem Berge Karmel an. 71 Immer noch gibt es Menschen, die nach den Prinzipen der heiligen Schriften leben. 72 Es bleibt zu hoffen, dass sie einmal im Himmel wie die Sterne in alle Ewigkeit leuchten werden.

 

T e i l     F Ü N F                 KAPITEL  3

 

1 Ist Reichtum begehrenswerter Besitz im Leben, was ist dann reicher als die Weisheit, die in allem wirkt?

2 Sowohl Christen als auch Muslime sind überzeugt, im Namen Gottes heilige Kriege gegeneinander   führen zu müssen. 3 Auch die Judenverfolgung versuchen sie mit heiligen Schriften zu rechtfertigen. 4 Päpste versprechen allen, die am Krieg gegen den Islam teilnehmen, Straferlass für ihre Sünden. 5 Einfach ausgedrückt bedeutet dies, dass bei Märtyrertod in einem heiligen Krieg sofortiger Einlass ins himmlische Paradies garantiert wird. 6 Für das königliche Ehepaar aus Frankreich bedeutete die Teilnahme an einem dieser heiligen Kriege ihre endgültige Entzweiung. 7 Nach der Heimkehr ließ Ludwig seine Ehe mit Eleonore aus Aquitanien annullieren. 8 Sie heiratete dann Heinrich aus dem Haus Plantagenet, der nach einem lang andauernden Bürgerkrieg zum englischen König bestimmt wurde. 9 Durch diese Ehe gewann England die Herrschaft über den westlichen Teil des Frankenreiches. 10 Ludwig vermittelte im Kompetenzstreit zwischen dem englischen König und dem Erzbischof von Canterbury, Thomas Becket. 11 Er festigte seine Beziehung zum Papst, indem er Papst Alexander gegen die Ambitionen des neuen Nachfolgers des Imperium Romanum, Friedrich, unterstützte. 12 Friedrich wollte die Macht über das große Territorium seines Reiches zentralisieren und den Einfluss des Adels schwächen. 13 Er konzentrierte sich vor allem auf die Kämpfe mit den norditalienischen Städten, die immer mehr Autonomie anstrebten.

 

14 Die Streitigkeiten führten zur Wahl des Gegenpapstes Paschalis, welcher dann Friedrich zum Kaiser krönte und Kaiser Karl zum Heiligen erhob. 15 Nach der Niederlage in Norditalien musste sich Friedrich jedoch wieder mit Papst Alexander versöhnen. 16 Dieser erließ auf dem Laterankonzil neue Anordnungen bezüglich der Juden. 17 So durften Juden keine christlichen Bediensteten haben, das Zeugnis eines Christen war immer gewichtiger als das Zeugnis eines Juden, die getauften Juden durften aber nicht enteignet werden. 18 Da den Juden eigentlich nur der Geldhandel als Erwerb übrigblieb, erteilte ihnen der Papst das Recht, Geld gegen Zinsen zu verleihen. 19 In Europa wurden neue Städte gegründet, viele prunkvolle Kathedralen und Paläste gebaut, Lerninstitute ins Leben gerufen, Ritterturniere ausgetragen, Hoffeste veranstaltet. 20 Als Reaktion auf das christliche Bau-, Lern- und Protzfieber entstanden einige christliche Laienbewegungen. 21 Diese setzten sich ein Leben in freiwilliger Armut sowie Übung in christlichen Tugenden zum Ziel. 22 Eine solche Bewegung gründete ein Kaufmann aus Lyon namens Valdesius. 23 Nach einem übersinnlichen Erlebnis widmete er sich dem Bibelstudium. 24 Valdesius ließ sogar die Vulgata in die Umgangssprache übersetzen, um die Bibel auch den einfachen Menschen zugänglich zu machen. 25 Er bekam zunächst die kirchliche Erlaubnis als Wanderprediger, geriet aber bald   in Konflikt mit der Kirche. 26 In der Folge wurden auf dem von Papst Lucius und Kaiser Friedrich abgehaltenen Konzil von Verona Maßnahmen zur Bekämpfung von Häretikern beschlossen. 27 Der Kirchenbann traf nicht nur die „Armen von Lyon“ und die „Freunde Gottes“, sondern auch andere Predigergruppen. 28 Papst Innozenz ging sogar so weit, dass er dem einfachen Volk das Bibellesen verbot. 29 Ungeachtet der Verfolgungen, Unruhen und Kriege, oder gerade deswegen, fühlen sich viele Christen, Muslime und Juden zur Mystik hingezogen. 30 Eine Äbtissin aus Bingen namens Hildegard schrieb ihre Visionen und Offenbarungen über die Naturheilkunde nieder. 31 Unter den Muslimen entstehen sogenannte Sufi-Orden. 32 Ein Sufi versucht auf mystischem Weg zu Gott zu gelangen. 33 Es wird viel von einem jüdischen Philosophen und Arzt erzählt, Mosche ben Maimon.  34 Seine Familie flüchtete vor den Almohaden aus Cordoba nach Ägypten. 35 Maimonides wurde dort zum Hauptrabbiner der ägyptischen Juden und schrieb Kommentare zur Mischna. 36 Er machte sich auch als Arzt im Dienst der ayyubidischen Sultansfamilie einen Namen.

 

37 Salah ad-Din Jusuf ibn Ayyub übernahm in Ägypten die Macht von den Fatimiden.  38 Durch Salah ad-Dins Bruder übten die Ayyubiden ihre Macht auch in Nordnubien, ferner im Süden der Arabischen Halbinsel sowie in Mekka und Medina aus. 39 Salah ad-Din wird von den Christen Saladin genannt, die christlichen Besatzer des Eretz Israels wiederum werden von den Muslimen Franken gerufen. 40 Saladin und die Franken sorgen für Ereignisse, welche die Nachwelt noch lange beschäftigen werden.

 

41 In Eretz Israel, im christlichen Königreich Jerusalem, lebt der aus Europa stammende Hofadel schon in der dritten Generation. 42 Sie sind durch Plünderungen während der Kriegszüge gegen die muslimischen Beherrscher des Heiligen Landes ziemlich reich geworden, führen jetzt ein gesichertes Leben und fühlen sich heimisch. 43 Für sie sind Frieden und geordnete Verhältnisse ein wichtiges Anliegen. 44 In den ständig neu ankommenden kampflustigen Adligen und Rittern aus Europa, die auch nach Ruhm und Reichtum streben, sehen sie eine Gefahr für ihren gewohnten Lebensstil. 45 Zwischen diesen beiden Lagern entwickelt sich ein Interessenkonflikt. 46 Der byzantinische Kaiser Manuel Komnenos wurde gerade von den Rum–Seldschuken besiegt. 47 Dieser muslimische Sieg ermunterte Saladin, das Königreich Jerusalem wiederholt anzugreifen. 48 Da der Kampf unentschieden blieb, schlossen Saladin und Balduin einen Friedensvertrag. 49 Nach Balduins Tod setzte sich sein Schwager, der fränkische Ritter Guy de Lusignan, als sein Nachfolger durch. 50 Während seiner Herrschaft überfiel Graf Renaud de Chatillon  öfters  arabische Karawanen und drang  auf muslimisches Territorium. 51 Dadurch wurden die Franken gegenüber Saladin vertragsbrüchig. 52 Nachdem die Karawanen mehrmals überfallen worden waren und die Franken unter Graf Renaud sich trotz des Drängens des Jerusalemer Königs weder entschuldigten noch Wiedergutmachung leisteten, war Saladins Geduld am Ende. 53 Er erklärte ihnen den Krieg und brach mit seinem Heer nach Eretz Israel auf. 54 Die Franken, innerlich zerstritten und moralisch im Unrecht, unterschätzten die Wut der Muslime. 55 Überdies waren sie siegessicher, weil sie an die Wunderkraft der Kreuzesreliquie glaubten, die sie in den Kampf mitführten. 56 Unweit vom See Genezareth in Galiläa, bei den sogenannten Hörnern von Hattin, trafen die zwei Heere aufeinander. 57 Es dauerte nur wenige Stunden, und das christliche Heer verlor nicht nur die Schlacht, sondern auch das Königreich  Jerusalem  samt  Kreuzesreliquie. 58 Es war jetzt nur noch eine Frage der Zeit, wann Saladins Heer in Jerusalem eintreffen würde. 59 Saladin lag es jedoch nicht an der Zerstörung Jerusalems und der Vernichtung der Franken. 60 Obwohl vollkommen Herr der Lage, begann er mit Verhandlungen und wollte die Franken dort treffen, wo es sie am meisten schmerzte - am Geldbeutel. 61 Und so durften die christlichen Franken gegen Geldzahlung aus Eretz Israel ausziehen, oder als Sklaven verkauft werden. 62 Jerusalem wurde wieder muslimisch.

 

63 Manche Christen begründen mit diesen Ereignissen ihre Behauptung, Gott habe nun auch das Christentum für immer verworfen, so wie Er es einst mit den Juden gemacht hätte. 64 Andere hingegen vertreten die Meinung, Gott habe weder Juden noch Christen noch Muslime verworfen, sondern wartet geduldig auf ihre Versöhnung. 65 Aber wie soll die Versöhnung stattfinden, wenn sich Zwei jahrhundertelang um das Land eines Dritten streiten und sich nur in einem Punkt einig sind - dem Streben nach Bekämpfung und Vernichtung des Dritten? 66 Das Heilige Land, Eretz Israel, das Gott für immer den Israeliten gegeben hat, wird beherrscht, zerstört, aufgebaut und wieder zerstört von jenen, die alle den gleichen Gott anbeten. 67 Die Franken und das Abendland müssten nun ihre Lektion gelernt haben. 68 Oder doch nicht? 69 Nein, doch nicht, denn schon wieder beginnen neue Eroberungszüge gegen die Muslime. 70 Kaiser Friedrich ertrinkt auf einem davon irgendwo in  Anatolien. 71 Die  Könige  Philipp und Richard  zerstreiten  sich auf dem Weg. 72 Schließlich gelingt es König Richard, Saladin gnädig zu stimmen und für die Christen den Zugang zu den Pilgerstätten in Jerusalem zu erwirken.

 

 

T e i l     F Ü N F                 KAPITEL  4

 

1 Lobet den Herrn vom Himmel her, lobt ihn in den Höhen; lobt ihn all seine Engel, lobt ihn all seine Scharen.

2 Bevor wir den Blick auf uns Menschen und unser Tun richten, wollen wir unser Herz zum Himmel erheben und Gott loben. 3 Gesegnet seist Du, Allmächtiger, Ewiger Gott, Herrscher der Welt und Schöpfer des Himmels und der Erde. 4 Gesegnet sei dein heiliger Name und der Name deines Reiches auf immer und ewig. 5 Gesegnet seist Du wegen deines Bundes mit den Menschen durch Noah. 6 Wir preisen dich, weil Du Abraham auserwählt hast. 7 Wir loben dich mit Hagar und Ismael. 8 Wir beten dich an mit Sara und Isaak. 9 Wir lieben dich mit Miriam und Jeshua. 10 Gesegnet seist Du in all deinen Erwählten. 11 Gepriesen sei dein Name und dein Reich in Mose, Jeshua und Mohammed. 12 Gesegnet seien alle Israeliten, Christen und Muslime. 13 Herr, gib ihnen die Gnade zu erkennen, dass Du ihr einziger, gemeinsamer Vater bist. 14 Öffne ihnen die Augen, damit sie sich gegenseitig als Geschenk erkennen und lieben. 15 Hilf ihnen, Vater, deinen Namen durch heldenhafte Taten der Nächstenliebe zu verkünden, durch Fasten und Beten. 16 Gib ihnen den Mut, sich lieber selbst das Auge auszustechen, die Hand abzuhacken, als dem unschuldigen, unbeteiligten Nächstbesten. 17 Dank sei dir, Vater, für die wunderschöne Welt voller Rätsel, Abwechslung und Naturwunder. 18 Dein Name sei in allen kleinen, einfachen Menschen verherrlicht, welche, von der Welt unerkannt, durch ihre Taten deine Liebe bezeugen. 19 Deine Gnade bewirke, dass die Spaltungen innerhalb des Islams, des Christentums und des Judentums überwunden werden. 20 Es sei dein gnädiger Wille, dass Friede und Versöhnung auf der ganzen Erde zur Geltung kommen, und der Satan mit seinem Hass, Spaltungs- und Gewaltstreben an Stärke verliert.

 

21 Glücklicherweise finden sich immer wieder Menschen auf Erden, die ihr Leben für dieses Ziel einsetzen. 22 Einer von ihnen ist Giovanni Battista Bernardone, Francesco gerufen. 23 Er erfuhr seine Berufung direkt von Gott, ohne andere Menschen als Mittler, und sah seine Aufgabe zuerst darin, kleine Kirchen und Kapellen zu reparieren, wozu er sich die Mittel erbettelte, aber auch Waren seines Vaters benutzte. 24 Während eines öffentlichen Gerichtsprozesses, den sein Vater gegen ihn angestrengt hatte, legte Francesco seine Kleider ab und vertraute sich ganz dem himmlischen Vater an. 25 In der Folge lebte er streng zurückgezogen, bettelte, pflegte Aussätzige und lehnte Besitz und Geld strikt ab. 26 Mit seinen Gefährten, die sich ihm angeschlossen hatten, verkündete er das Evangelium allen Geschöpfen, um die unermesslich große Liebe des himmlischen Vaters allen bekanntzumachen. 27 Ein anderer Berufener ist Dominikus, welcher „die Ketzer“ mit Argumenten anstatt mit Gewalt bekämpfen wollte. 28 Er führte ein Leben als Wanderprediger, in Armut, da seiner Meinung nach die reiche und verweltlichte Kirche die Entwicklung von Häresien begünstigte. 29 Aber auch bei den Muslimen gibt es Menschen, die die Liebe des Vaters bezeugen. 30 Genannt seien hier die Sufis: Muhyiddin Muhammad ibn Arabi, Fariduddin Attar und Muinuddin Chishti. 31 Sie waren von Liebe zum Höchsten erfüllt und erweckten diese Liebe auch in anderen Menschen. 32 Von  den  Juden  wurde  Mose  ben  Maimon  durch  seine Schriften  berühmt. 33 Diese waren jedoch für streng gläubige Juden ein Stein des Anstoßes und sie verbrannten die meisten davon; auch der christliche Predigerorden nahm Anstoß an seinen Schriften und verbrannte sie ebenfalls. 34 So wie den Schriften von Mose ben Maimon erging es auch dem Engländer Robert of Reading, nachdem er zum Judentum konvertiert war und eine jüdische Frau geheiratet hatte. 35 Viele Rabbiner ziehen zurzeit nach Eretz Israel, um die jüdischen Gemeinden neu zu beleben, welche unter den ständigen Eroberungszügen geschrumpft sind.

 

36 An vielen Orten wird gekämpft. 37 Temüdschin vom Stamm der Mongghol, der älteste Sohn des Klanchefs Yesügai, erregte Aufsehen. 38 Er hatte die mongolischen Stämme vereint und so viel Macht gewonnen, dass er einen Reichstag an der Quelle des Onon einberief und dort von den Stammesführern zum Dschingis Khan ernannt wurde. 39 Er und seine Truppen gingen brutal vor; er unterwarf die Tanguten, eroberte Zhongdu, nahm Shandong ein und unterwarf das Kara-Khitai-Reich. 40 Er eroberte auch Buchara und Samarkand als Vergeltung für den Bundesbruch  des Choresmischen  Reiches. 41 Papst  Innozenz hatte  andere Sorgen. 42 Er entsandte Truppen zum Kampf gegen die Albigenser. 43 Diese galten in seinen Augen als schlimme Häretiker. 44 Um Häresien vorzubeugen, wurde den Laien verboten, die Bibel in der Muttersprache zu lesen oder auch nur zu besitzen. 45 Der Staufer Friedrich, König von Sizilien, versprach Papst Honorius, ihm einige Gebiete zu überlassen sowie Jerusalem zurückzuerobern. 46 Im Gegenzug wurde er vom Papst zum römischen Kaiser gekrönt. 47 Als Erstes begann er mit der Stabilisierung des Reiches. 48 An seinem Hof beschäftigte er Gelehrte verschiedener Religionen. 49 Als Ankläger aus Fulda mit der Behauptung vor ihm erschienen, gewisse Juden hätten Kinder getötet, um mit ihrem Blut Matzen herzustellen, ließ Friedrich konvertierte jüdische Gelehrte aus aller Welt zu sich kommen. 50 Diesen gelang es, die Vorwürfe zu entkräften und die Freilassung der Angeklagten zu erwirken. 51 Seitdem müssen Juden aber für den kaiserlichen Schutz zahlen. 52 Nun fürchten sie sich einerseits vor unbegründeten Anklagen und andererseits vor dem Neid der Christen wegen des kaiserlichen Schutzes. 53 Nichtsdestoweniger leben sie weiterhin als Gottes auserwähltes Volk.

 

54 Friedrich wollte sein Versprechen gegenüber dem Papst einlösen und begab sich mit seinem Heer auf den Weg nach Eretz Israel. 55 Sein Militärzug war erfolgreich und er handelte mit dem Sultan al-Kamil einen zehnjährigen Waffenstillstand aus, sowie die Überlassung von Jerusalem und Betlehem. 56 Sultan al-Kamil hatte schon früher einmal den Frieden angeboten. 57 Damals nämlich, als ein Heer, das vom päpstlichen Legaten Pelagius von Albano angeführt worden war, Damiette belagerte. 58 Der Sultan hatte nicht nur die Rückgabe Jerusalems, sondern auch die Kreuzesreliquie angeboten. 59 Pelagius und die Vertreter der italienischen Seerepubliken hatten jedoch das Angebot ausgeschlagen und jede Verhandlung abgelehnt. 60 So unterschiedlich sind die Wertvorstellungen der Menschen: Manche sind bereit, für die Kreuzesreliquie ihr Leben zu opfern, andere hingegen wollen dafür nicht mal ein Gespräch führen. 61 Letztendlich hatte man weder das eine noch  das  andere  erhalten,  wofür man jedoch Kaiser Friedrich die Schuld gab.

 

62 Um seine Absetzung als Kaiser seitens der Kirche zu verhindern, nahm Friedrich ranghohe Kirchenfürsten gefangen. 63 Auch sein Schwager Richard von Cornwall unternahm einen Kriegszug ins Heilige Land. 64 Er konnte sich die Streitigkeiten zwischen den ayyubidischen Reichen Kairo und Damaskus zunutze machen. 65 Zuerst trat Damaskus Galiläa ab und dann überließ Kairo sämtliche Gebiete westlich des Jordans, einschließlich Jerusalem, bis hin zu Askalon.

 

66 Ob die Päpste mit ihren zahlreichen Aufrufen zur Bekämpfung Andersgläubiger tatsächlich das Seelenheil der Menschen im Sinn hatten, oder sich vielmehr Ruhm und Reichtum davon versprachen, bleibe dahingestellt. 67 Hatte Friedrich seine Absetzung seitens der Kirche für kurze Zeit auch verhindern können, nun war sie nicht mehr abzuwenden. 68 Auf dem Konzil in Lyon wurde das Urteil des Papstes Innozenz und der Bischöfe gegen Friedrich gefällt. 69 Vieles warf man ihm vor, auch seine Freundschaft mit Muslimen. 70 Friedrich setzte sich über das Urteil der Kirche hinweg und behielt sein Amt und seinen Kaisertitel. 71 Als wären nicht bereits genug Heere ins Heilige Land gezogen, brach nun auch noch der französische König Ludwig mit einem Heer auf, erlitt eine Niederlage und wurde von Mamelucken gefangengenommen. 72 Mit dem Lob des Höchsten haben wir diese Aufzeichnung begonnen und so wollen wir sie auch beschließen: Ehre, Lob und Dank sei dem Ewigen für alle Leiden, Freuden und Gnaden dieser Zeit!

 

 

T e i l     F Ü N F                 KAPITEL  5

 

1 Wären doch meine Schritte fest darauf gerichtet, deinen Gesetzen zu folgen!

2 Wann lassen sich die Menschen durch Gottes Wort oder zumindest durch ihre eigene Geschichte belehren? 3 Da sie stets nach Ruhm und Reichtum streben, muss Gott immer wieder eingreifen. 4 Das Nomadenvolk der Mongolen gründete ein neues Weltreich, das doppelt so groß ist, wie damals das Reich von Alexander dem Makedonier. 5 Dadurch veränderte sich nicht nur die Weltkarte, sondern auch das Leben vieler Völker sowie einzelner Menschen. 6 Die meisten Gegner wurden ohne Mitleid getötet, nur geschickte Handwerker wurden verschleppt, weil sie für den Bau der mongolischen Hauptstadt Karakorum gebraucht wurden. 7 Die Mongolen brachten die russischen Fürstentümer unter ihre Gewalt und drangen im Westen bis nach Polen und Ungarn vor. 8 Die Europäer nannten sie Tataren oder Tartaren, weil sie ihnen wie „aus der Hölle kommend“ erschienen. 9 In Wirklichkeit waren die Tataren einst die ersten Opfer der Mongolen. 10 Unter Dschingis Khans Nachkommen kam es zu Machtstreitigkeiten und das große Reich wurde in vier Khanate geteilt. 11 Man hört von einer relativen Religionsfreiheit unter der Mongolenherrschaft; die Untertanen praktizieren verschiedene Glaubenskulte:  Naturreligion, Nestorianismus, Buddhismus. 12 Im Khanat Kipcak in der Rus darf der christlich orthodoxe Glaube praktiziert werden. 13 Das Tschagatai-Khanat erstreckt sich über Zentralasien.

 

14 Khan Chubilaj herrscht im Ostteil des Mongolenreichs. 15 Er unterwarf das südchinesische Gebiet  und benannte  sein ganzes  Territorium  als  das  Reich Yuan. 16 Chubilaj bestimmte Dadu zur Hauptstadt seines Reiches und führte die quadratische Schrift phagpa als offizielle Amtsschrift ein. 17 Er unternahm auch Eroberungszüge zu den Inseln östlich von China, jedoch erfolglos. 18 Chubilajs Mutter, eine Anhängerin des Nestorianismus, wollte mehrere christliche Geistliche ins mongolische Reich einladen. 19 Es wurde ein Amt für christliche Angelegenheiten errichtet. 20 Papst Gregor schickte auf des Khans Bitte etliche Geistliche dorthin, sie kamen jedoch nie dort an.

 

21 Es gab schon einen früheren Missionsversuch des Franziskaners Wilhelm von Rubruk, der im Auftrag des französischen Königs Ludwig nach Karakorum reiste. 22 Chubilajs Bruder Hulagu unterwarf Persien und gründete das Il-Khanat. 23 Hulagu bekannte sich zum mystischen Buddhismus, seine Frau zum Christentum. 24 Die Mongolen schlossen eine Allianz mit dem christlichen Armenischen Reich von Kilikien. 25 Sie nahmen sich vor, die starke muslimische Macht in Bagdad und Jerusalem zu brechen. 26 Als Hulagus Truppen Bagdad eroberten, töteten sie den abbasidischen Kalifen. 27 Seinen Sitz bekam der nestorianische Patriarch. 28 Dann zog das mongolische Heer bis nach Gaza in der Hoffnung, vom Rest des christlichen Staates im Heiligen Land eine Hilfe gegen die Muslime zu bekommen. 29 Die Lateiner aber hielten die Mongolen für „reitende Teufel“ und waren nicht bereit, ihnen zu helfen. 30 So musste sich das mongolische Heer des Il-Khanats im Kampf gegen die neuen muslimischen Machthaber auf seine eigene Kraft verlassen. 31 Die Mamelucken, ehemalige Sklaven der ayyubidischen Dynastie, übernahmen die Macht in Ägypten und in Syrien. 32 Hulagu geriet in einen Streit mit dem Khan des Kipcak-Khanats, der inzwischen den Islam angenommen und mit den Mamelucken ein Bündnis geschlossen hatte. 33 Die Mamelucken besiegten in Galiläa das Heer von Hulagu. 34 Es war nun nur noch eine Frage der Zeit, wann die Mamelucken auch das letzte christliche Territorium bei Akkon erobern würden. 35 Und es geschah fast genau zweihundert Jahre nach dem ersten christlichen Eroberungszug gegen die Muslime. 36 Byzanz hatte von dem mongolischen Ansturm den meisten Nutzen. 37 Seine Feinde, die Seldschuken, wurden ein Vasallenstaat von Il-Khanat, und unternahmen keine Angriffe gegen Byzanz mehr. 38 Nach der Eroberung von Konstantinopel durch die Lateiner verlegten die Byzantiner ihre Hauptstadt nach Nicäa. 39 Von da aus gelang es Kaiser Michael Palaiologos, Konstantinopel wieder einzunehmen. 40 Er bemühte sich um eine Union mit der lateinischen Kirche, weil Papst Urban wieder für einen bewaffneten Zug gegen Byzanz warb.

 

41 Erst Papst Gregor machte auf dem Konzil von Lyon die Beendigung des Kirchenschismas sowie die Situation im Heiligen Land zum Thema. 42 Mit der Vorbereitung des Konzils wurde ein Franziskaner mit Ordensnamen Bonaventura beauftragt. 43 Er verteidigte auf dem Konzil die Existenz von Bettelorden. 44 Am Konzil nahm auch die mongolische Delegation des Il-Khanats teil; der Tod des Papstes nach dem Konzil unterbrach jedoch jede Zusammenarbeit zwischen Mongolen und Europäern. 45 Die Vereinigung mit den Lateinern wurde der griechischen Seite von Kaiser Michael aufgezwungen, die Mehrheit der orthodoxen Christen lehnte sie weiterhin ab. 46 Auf dem Weg zu diesem Konzil starb Bonaventuras Freund, der Dominikaner Thomas Aquinatus, welcher eine Menge von theologischen und philosophischen Schriften hinterließ. 47 In seiner Summa theologica forderte er die Exkommunikation und Todesstrafe für Häretiker. 48 Sein Orden wurde vom Papst mit der Ketzerverfolgung beauftragt. 49 Zum Erlangen eines Geständnisses durfte man auch die Folter benutzen. 50 Bizarre Verdächtigungen gegen Juden führen in Europa zu grausamen Verfolgungen. 51 Als eines der vielen Beispiele erwähnen wir die lebendig verbrannten Juden in ihrer Synagoge in Munichen. 52 Im Imperium Romanum folgte nach Friedrichs Tod eine Periode der schwachen Könige.

 

53 Der mächtigste Herrscher, auch ohne Kaiserkrone, war König von Bohemia und Herzog von Austria Ottokar Premysl. 54 Er eignete sich mehrere Gebiete des Römischen Reiches an. 55 Ottokar bestätigte manche Judenrechte, unter anderem die eigene Gemeindeverwaltung und Eigentumsschutz. 56 Andererseits lud er als einer der ersten Herrscher die Inquisition in sein Reich ein. 57 Ottokar nahm auch am Christianisierungsfeldzug gegen die Pruzzen teil. 58 Die Führung übernahm der kaiserliche Ritterorden Ordo Teutonicus, welcher sein Zentrum von Akkon nach Europa verlegt hatte. 59 Da weitere Eroberungen nach Osten hin von den Mongolen gebremst wurden, gründete der Orden auf dem Gebiet der Pruzzen einen eigenen Staat. 

 

60 Graf Rudolf von Habsburg wurde zum römischen König gewählt. 61 Mit seinem Sieg über den böhmischen König Ottokar begann die habsburgische Herrschaft in Austria und der Styria. 62 Rudolf bemühte sich jedoch vergeblich um die Kaiserwürde. 63 Er versprach Papst Gregor sogar die Teilnahme an einem neuen Kriegszug ins Heilige Land. 64 In Spanien fand eine öffentliche Disputation zwischen Juden und Christen statt. 65 Diese wurde in Anwesenheit des spanischen Königs und  der obersten  Vertreter  der  Dominikaner  und der Franziskaner  abgehalten.

 

66 Rabbi Mosche ben Nachman verteidigte erfolgreich die jüdische Sicht. 67 Trotzdem musste er aus Spanien ausreisen und stärkte dann die jüdischen Gemeinden in Jerusalem und in Akkon. 68 Für Juden wurde inzwischen auch England ein unsicheres Land. 69 König Eduard, der am letzten christlichen Eroberungszug gegen die Muslime teilnahm, war in seine Heimat zurückgekehrt. 70 Den Juden schränkte er die Geldgeschäfte ein und wollte ihnen Berufe in Landwirtschaft und Handwerk zugänglich machen. 71 Nach der neuen Papstbulle zur strikten Trennung von Juden und Christen mussten die englischen Juden ein erkennbares gelbes Zeichen an ihrer Kleidung tragen. 72 Ein paar Jahre später wurden alle Juden in England enteignet und danach vertrieben.

          

      

T e i l     F Ü N F                 KAPITEL  6

 

1 Über mich fuhr die Glut deines Zorns dahin, deine Schrecken vernichten mich.

2 Asien wird vorwiegend von Mongolen, Mamelucken und Osmanen beherrscht. 3 Der mongolische Khan Chubilaj machte vor seinem Tod den Buddhismus zur Staatsreligion im Reich Yuan. 4 Sein Nachfolger Timur förderte die Lehre des Konfuzius. 5 Er gestattete auch dem christlichen Missionar Giovanni da Montecorvino freies Wirken. 6 Dieser Franziskaner versuchte die nestorianischen Christen mit Rom zu vereinen. 7 Auch die heidnischen Mongolen wollte er zum Christentum bekehren. 8 Zu diesem Zweck übersetzte er das Neue Testament und die Psalmen in die Sprache der Mongolen. 9 In der Stadt Dadu ließ er die ersten christlichen Kirchen bauen. 10 Auf sein Ersuchen hin erlaubte der Papst Mongolisch als Liturgiesprache. 11 Giovanni da Montecorvino wurde vom Papst zum Erzbischof und  Patriarchen des Orients ernannt. 12 Im persischen Il-Khanat regiert Ghazan. 13 Der armenische König Hethum bat ihn um Hilfe im Kampf gegen die Mamelucken. 14 Daraufhin marschierte Ghazan mit seinem Heer nach Syrien. 15 Dabei rechnete er mit der Hilfe der Christen. 16 Er bat den König von Zypern und die Leiter der christlichen Orden um Unterstützung. 17 Im Kampf bei Damaskus trugen die Mamelucken den Sieg davon.

 

18 Den Versuch, eine Union mit der katholischen Kirche einzugehen, bezahlte der armenische König Hethum mit dem Leben. 19 Die Mongolen, die inzwischen den Islam angenommen hatten, brachten ihn in Anazarba um.  20 Die Armenier haben es wahrlich nicht leicht in einer Welt der Machtkämpfe zwischen Rom, Byzanz und den Muslimen. 21 In Kleinasien machte inzwischen Osman, ein neu aufgestiegener Herrscher, von sich reden. 22 Er hatte seinen Stamm von den Rum-Seldschuken befreit und Macht über die turkmenischen Stämme erlangt. 23 Durch Eroberungen vervielfachte er seinen Herrschaftsbereich. 24 Zu seinem Herrschaftszeichen machte er den Halbmond. 25 Nach ihm wurde das Reich von seinem Sohn Orhan geführt. 26 Er bestimmte Bursa zur Hauptstadt des Reiches.

 

27 In Rom rief Papst Bonifatius das Heilige Jahr aus. 28 Dies führte zu einem enormen Pilgerandrang nach Rom. 29 Es schien, als ob Rom nach dem Verlust des Jerusalemer Königreiches für die Katholiken zum Zentrum der Welt geworden wäre. 30 Mit der steigenden Pilgerzahl stiegen auch die Geldeinnahmen der Römer. 31 Nun kam es zwischen dem Papst und dem französischen König Philipp zu einer Auseinandersetzung wegen der Besteuerung der Kleriker. 32 Papst Bonifatius betonte in seiner Bulle Unam sanctam den Papstprimat und die Unterordnung der Monarchen. 33 Der nachfolgende Papst Clemens verlegte den päpstlichen Sitz und die Kurie in die Stadt Avignon. 34 Somit stand der Papst unter dem Schutz des mächtigen  Frankreichs,  welchem  das  wiederum  finanzielle  Vorteile  brachte. 35 Unter König Philipp wurden die Juden enteignet und aus Frankreich verbannt. 36 Der Templerorden wurde allmählich zum alleinigen Geldverwalter in Europa. 37 Die Templer hatten ihren Hauptsitz auf der Insel Zypern, ihre Schatzkammern befanden sich vor allem in Paris und London. 38 Sie waren sehr umstritten. 39 Es wurden Vorwürfe wegen Magie, Sodomie und Ketzerei gegen sie erhoben. 40 Auf dem Konzil in Vienne löste der Papst den Templerorden auf. 41 Das Vermögen fiel dem Johanniterorden zu. 42 Auch die französische Königskasse bekam hohe Entschädigungen für die Prozesskosten. 43 So wurden Geld, Gold und Reichtum wieder ein zentrales Thema für Könige, Kardinäle und Päpste. 44 Nach dem Tod von Papst Clemens verlangten die italienischen Kardinäle von dessen Nachfolger die Rückverlegung des päpstlichen Sitzes nach Rom. 45 Der gleichnamige Sohn des verstorbenen französischen Königs Philipp wollte die Wahl eines Franzosen zum Papst erzwingen. 46 Zu diesem Zweck ließ er die wahlberechtigten Kardinäle nach Lyon locken und für vierzig Tage einsperren. 47 So bekam er seinen Willen. 48 Der alte Kardinal Jacques Dueze wurde zum Papst gewählt und nahm den Namen Johannes an. 49 Aber er erwies sich als ein willensstarker Papst, der sich nicht manipulieren ließ. 50 Er betrachtete sein Amt als dem eines Monarchen übergeordnet und hatte keine Angst, auch gekrönte Häupter zu rügen. 51 Johannes ließ sich in Avignon eine prächtige Residenz bauen. 52 Er verurteilte die Armutslehre eines Zweiges der Franziskaner als Häresie.

 

53 Der bayrische Herzog Ludwig ließ sich zum römischen Kaiser krönen. 54 Das tat er ohne die Zustimmung des Papstes. 55 Die Krönung wurde vom Anführer der Papstgegner in der Peterskirche in Rom vollzogen. 56 Der Streit um das französische Thronerbe führte zum Krieg zwischen Philipp aus dem Hause Valois und dem englischen König Eduard. 57 Eduard landete mit seinem Heer in der Normandie. 58 Seine Bogenschützen besiegten die französischen Ritter und ihre Verbündeten in der Schlacht bei Crecy. 59 Gerade zu dieser Zeit brach eine Pestepidemie aus. 60 Es starb ein Drittel der europäischen Bevölkerung. 61 Die Juden wurden als Verursacher der Pestepidemie beschuldigt. 62 Sie wurden auch als Giftmischer und Brunnenvergifter angeklagt. 63 Der amtierende Papst erklärte in einer Bulle die Juden für unschuldig an der Pestepidemie. 64 Dies trug jedoch nicht zur Besänftigung der Gemüter bei. 65 Die Verfolgungen der Juden waren an der Tagesordnung. 66 Es kam zur Auslöschung zahlreicher jüdischer Gemeinden in Europa. 67 In Strasbourg wurden viele Hunderte von Juden öffentlich auf dem Scheiterhaufen verbrannt. 68 Ein Ende der Verfolgung ist nicht abzusehen. 69 Für sie findet sich kein Beschützer und kein Fürsprecher unter all den Völkern und Religionsgemeinschaften. 70 Der Herr und Schöpfer der Welt bleibt ihre einzige Hoffnung und Trost. 71 Vielleicht errettet Er sie einmal aus dieser Lage, oder Er lässt sie den Sinn ihrer Leiden erkennen, die ihnen derzeit so sinnlos erscheinen. 72 Nur der Herr kann sein Volk aus der tödlichen Umarmung der Feinde retten.

 

 

T e i l     F Ü N F                 KAPITEL  7

 

1 Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen: Woher kommt mir Hilfe? 2 Meine Hilfe kommt vom Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat.

3 Um zu begreifen, warum die Judenverfolgung in Europa trotz des kaiserlichen Schutzes möglich ist, muss man den Blick in die Vergangenheit werfen.  4 Schon der Theologe Augustinus von Hippo sprach von einer Knechtstellung des Judentums gegenüber dem Christentum. 5 Der studierte Rechtsanwalt und spätere Papst Innozenz, der dritte dieses Namens, übertrug dann diese Idee auf die politisch-rechtliche Ebene. 6 Er erklärte in einem Schreiben, die Juden seien von Gott für immer zu Sklaven bestimmt worden, weil sie die Schuld für Jesu Tod auf sich geladen haben.

 

7 Nachdem in Fulda unschuldige Juden wegen eines unterstellten Ritualmordes hingerichtet worden waren, führte Kaiser Friedrich den Rechtsstatus der sogenannten „Kammerknechtschaft“ ein. 8 Damit stellte er die Juden im Imperium Romanum als servi camerae nostri - unsere Kammerknechte -  unter seinen besonderen Schutz. 9 Dabei ging es jedoch nicht allein um den Schutz der Juden; für die Kammer, die Finanzinstitution des Reiches, war das eine wichtige Einkommensquelle. 10 Die Juden mussten für ihren Schutz eine besondere Steuer zahlen – das Judenregal. 11 Die Rechtssicherheit der Juden litt jedoch unter dem Handel mit dem Judenregal. 12 Die Inhaber des Regals konnten nämlich willkürlich über die Juden wie über Leibeigene verfügen. 13 Dies kam besonders unter König Rudolf von Habsburg zum Ausdruck. 14 Dieser verbot den Juden nach Eretz Israel auszuwandern und ließ ihren Besitz beschlagnahmen. 15 Unter Rudolfs Nachfolgern wurden die Merkmale des Leibeigenenstatus noch deutlicher.  

 

16 Der römische Kaiser Ludwig führte eine regelrechte Kopfsteuer für die Juden ein. 17 Er befand sich im Kirchenbann, außerdem geriet er wegen seiner Expansionspolitik immer mehr in Konflikt mit den Fürsten des Reiches. 18 Deshalb wollten sich die zur Wahl des römischen Königs berechtigten Fürsten schnell auf einen passenden Kandidaten einigen, welcher später auch den Anspruch auf die Kaiserkrone erheben dürfte. 19 So wurde durch die Kurfürsten ein Nachkomme der früheren Kaiser, Karl von Böhmen, zum römischen König gewählt. 20 Auch Karl verpfändete wegen Geldmangel öfters königliche Judenregale, was zum Verschwinden mancher Judenviertel in den Städten führte. 21 Papst Clemens, Karls ehemaliger Erzieher am französischen Hof, rief nach der Pestwelle das Heilige Jahr aus und bestimmte seine Begehung alle fünfzig Jahre. 22 Er verurteilte die Laienbewegung der Flagellanten und deren Praxis der öffentlichen Selbstgeißelung als Häresie. 23 In Rom krönte ein von dem neuen Papst Innozenz beauftragter Kardinal Karl von Böhmen zum Kaiser. 24 Als Kaiser erließ Karl das Grundgesetz für das Sacrum Imperium Romanum, wie nun die offizielle Bezeichnung für das Römische Reich lautete. 25 Dadurch wurde unter anderem die zukünftige Wahl des römischen Königs durch die Kurfürsten geregelt. 26 Die Zahl der Kurfürsten wurde auf sieben festgelegt; für die Wahl war die Stimmenmehrheit der Kurfürsten erforderlich, und nicht mehr die Zustimmung des Papstes. 27 Dem Papst verblieb jedoch die Ehrenaufgabe, die Kaiserkrönung durchzuführen. 28 Im kaiserlichen Gesetzbuch wurden auch die Rechte und Pflichten der Kurfürsten festgelegt; unter anderem sollten sie den Schutz der Juden gewährleisten.

 

29 Böhmen wurde zum Herrschaftszentrum des Kaisers. 30 Er unterstützte den umfangreichen Ausbau der Stadt Prag zur Hauptstadt. 31 Außerdem sorgte er für die Angliederung Schlesiens zum Böhmischen Königreich und weitete seine Macht über Niederlausitz und Mark Brandenburg aus. 32 Es lag ihm viel daran, im Einvernehmen mit dem Papst zu regieren. 33 Dies gelang ihm jedoch nicht immer und nicht ganz.

 

34 Papst Gregor residierte immer noch in Avignon. 35 Es kam zum Streit um die päpstlichen Ländereien in Italien. 36 Die Mystikerin Katharina von Siena bemühte sich, den Papst zur Umsiedlung nach Rom zu bewegen. 37 Um das Gleiche bemühte sie sich schon bei Papst Clemens. 38 Schließlich ließ sich Papst Gregor überreden und kam nach Rom. 39 Er versuchte im Krieg zwischen England und Frankreich zu vermitteln, aber vergeblich. 40 Papst Gregor verurteilte die Lehre des englischen Theologen John Wycliffe. 41 Wycliff kritisierte den Reichtum sowie einige offizielle Ansichten der Kirche. 42 Der englische König Richard musste nun einen Volksaufstand unterdrücken, welcher sich Wycliffs Forderung nach Ständegleichheit auf die Fahnen geschrieben hatte. 43 Die bestehende Unzufriedenheit führte sowohl in England als auch in Frankreich zu Bürgerkriegen. 44 Und dann ist da noch die alte Feindschaft zwischen den beiden Ländern. 45 Nach Gregors Tod kam es zum Streit unter den Kardinälen, was zur Wahl zweier Päpste führte; einer residierte in Rom, der andere in Avignon. 46 In Polen wurde der litauische Großfürst Jogaila zum König gewählt; er heiratete die polnische Königin Jadwiga. 47 Jogaila, polnisch Jagiello genannt, wurde in Krakow auf den Namen Vladislav getauft. 48 Unter seinem Einfluss begann die Christianisierung Litauens.

49 Der Vormarsch der Osmanen nach Europa wurde durch verschiedene Faktoren begünstigt. 50 Osmans Sohn Orhan heiratete die Tochter des byzantinischen Kaisers Johannes Kantakuzenos. 51 Da etliche osmanische Söldner in der byzantinischen Armee dienten, überließ ihnen der Kaiser eine kleine Festung nahe der Stadt Kallipolis. 52 Nach einem Erdbeben verließen die griechischen Einwohner die Stadt. 53 Die Osmanen siedelten dort Familien aus Anatolien an und sahen die Einnahme der Stadt als Gottes Geschenk an. 54 Die Einwohner von Konstantinopel gerieten in Panik, Kantakuzenos wurde abgesetzt. 55 Orhans Sohn Murad eroberte die byzantinische Stadt Adrianopel. 56 Er benannte die Stadt in Edirne um und bestimmte sie zur Hauptstadt des Osmanischen Reiches. 57 Der serbische Fürst Lazar führte eine christliche Allianz gegen die Osmanen an. 58 Diese wurde von Serben, Albanern, Kroaten, Bulgaren und Walachen gebildet. 59 Sie kämpften gegen die Osmanen in der Schlacht auf dem Kosovo Polje. 60 Dabei fanden die Heerführer der beiden Kriegsparteien den Tod. 61 Das geschwächte Byzanz wandte sich wegen der muslimischen Invasion an Rom um Hilfe.

 

62 Auch in Ostasien änderte sich die Machtkonstellation. 63 Die chinesischen Rebellen beendeten die mongolische Oberherrschaft in China. 64 Der neue Kaiser Hongwu benannte sein Reich Ta Ming und ließ Nanking zur Hauptstadt ausbauen. 65 Er bekannte sich zum Konfuzianismus, wodurch die christliche Mission in Ostasien geschwächt wurde. 66 Der Feldherr Temur ibn Taraghai Barlas versuchte den ehemaligen Ruhm der Mongolen wieder aufleben zu lassen. 67 Er erklärte sich zu Dschingis  Nachkommen;  in  Europa  wurde  er  Tamerlan oder Timur genannt. 68 Timur galt als ein grausamer Eroberer, der ganze Gebiete verwüstete. 69 Unter seiner Herrschaft nahmen weite Teile Zentralasiens den Islam an; die neue Hauptstadt Samarkand sowie die Stadt Buchara ließ er prachtvoll ausbauen. 70 Er begann mit seinen Eroberungen in Chorasan, unterwarf weite Teile Persiens und Mesopotamiens und drang bis an die Wolga vor. 71 Den Bürgerkrieg im indischen Sultanat von Delhi nutzte er aus, um es zu erobern. 72 Dann richtete er seinen Blick auf Syrien und das Osmanische Reich.

 

 

T e i l     S E C H S                  KAPITEL  1

 

1 Von deinem Angesicht ergehe mein Urteil; denn deine Augen sehen, was recht ist.

2 Im Osmanischen Reich herrscht Murads Sohn Bayezid. 3 Er ist mit der Tochter des byzantinischen Kaisers Johannes Palaiologos verheiratet. 4 Gleich nach seinem Amtsantritt ließ er seinen Bruder Yakub beseitigen. 5 Bayezid eroberte Bulgarien und machte die Walachei zum Vasallenstaat der Osmanen. 6 Außerdem gewann er die Herrschaft über Mazedonien, Teile Serbiens und Griechenlands. 7 Das Oströmische Reich ist inzwischen auf die Stadt Konstantinopel mit Umgebung geschrumpft. 8 Der ungarische König Sigismund, Sohn des Kaisers Karl, zog in den Krieg gegen die Osmanen, um deren Vordringen nach Europa zu verhindern. 9 In der Schlacht bei Nikopol erlitt Sigismunds Heer eine Niederlage. 10 In Anatolien kam es zum Kräftemessen zwischen dem Mongolenanführer Timur und Sultan Bayezid. 11 Timur hatte davor schon Bagdad, Damaskus und Aleppo erobert. 12 Bei Ankara kam es zur Schlacht. 13 Die anatolischen Fürsten, die Bayezid unlängst unterworfen hatte, waren auf Timurs Seite. 14 Auch die tatarischen Soldaten des Sultans liefen zu den Mongolen über. 15 Die Osmanen   erlitten eine schwere Niederlage, Sultan Bayezid starb in Timurs Gefangenschaft. 16 Durch den Sieg beflügelt, wollte Timur auch das Kaiserreich China erobern, starb jedoch auf diesem Feldzug und wurde in Samarkand begraben. 17 Die Osmanen hatten sich inzwischen von der Niederlage gegen die Mongolen erholt und griffen die Stadt Thessaloniki an.

 

18 Die katholische Kirche im Westen verliert immer mehr an Niveau. 19 Die unhaltbare Situation mit zwei gleichzeitig amtierenden Päpsten sollte auf der Synode in  Pisa  beendet  werden,  stattdessen  gab es nach der Synode  sogar drei Päpste. 20 Gregor  residierte  in Rom, Benedikt  in  Avignon  und  Alexander  in Bologna. 21 Der Glaube der Katholiken wurde dadurch schwer geprüft. 22 Als Papst Alexander starb, wählten seine Anhänger einen Nachfolger. 23 Sie entschieden sich für Baldassare Cossa, welcher zuerst noch die Priester- und Bischofsweihe empfangen musste. 24 Als Papst nahm er den Namen Johannes an. 25 Im gleichen Jahr wurde  der  ungarische  König Sigismund von ihm zum  römischen  König gekürt. 26 Er hatte schon lange nach diesem Titel gestrebt, seitdem die Kurfürsten seinen Halbbruder, den böhmischen König Vaclav, abgesetzt hatten. 27 Nun wollte Sigismund die Drei-Päpste-Ära beenden. 28 Wie einst Kaiser Konstantin wollte er Ordnung in die kirchlichen Angelegenheiten seines Reiches bringen, weil er auf die Kaiserkrone spekulierte.

 

29 Noch jemand war zu dem Zeitpunkt um das Ansehen der Katholischen Kirche bemüht, allerdings auf eine ganz andere Weise. 30 Es handelt sich um Jan Hus, Priester, Prediger und Rektor der Prager Universität. 31 Er war unter anderem persönlicher Beichtvater der böhmischen Königin Sophie von Bayern, die sehr gerne seine Predigten besuchte. 32 Er setzte sich für die Einführung der Landessprache in die Liturgie ein. 33 Hus forderte sowohl vom Klerus als auch von den Laien eine strenge, tugendhafte Lebensweise und prangerte Ausschweifungen, Unmoral und ein dem Zeitgeist angepasstes Leben an. 34 Seiner Ansicht nach war die Bibel, und nicht der Papst, die letzte Autorität in Gewissensfragen. 35 Hus kritisierte die Ablassbulle von Papst Johannes. 36 Die Bergpredigt Jesu erklärte er für die Richtlinie, an der sich Christen und Kirche zu orientieren hatten. 37 Er forderte die Kommunion unter beiden Gestalten auch für das einfache Volk. 38 Wegen seiner radikalen Ansichten verbot ihm der Prager Erzbischof das Predigen und die Feier der heiligen Messe. 39 Hus hielt sich nicht daran und strebte unbeirrt weiter nach einer einfachen, armen, moralischen Kirche. 40 Deshalb wandte sich der Erzbischof an Papst Johannes, welcher Hus exkommunizieren ließ. 41 Als er dann auch noch aus Prag verbannt wurde, brachen dort Unruhen aus. 42 Hus zog sich aufs Land zurück, wo er einige Schriften verfasste und sich der Mitarbeit an der Bibelübersetzung widmete. 43 Durch seine Schriften forderte er den Klerus noch mehr heraus, bei der Bevölkerung hingegen wurde er immer beliebter.

 

44 Wegen der unhaltbaren Situation in der Kirche berief der römische König Sigismund ein Konzil in Konstanz ein. 45 Als Beschützer der römischen Kirche steckte er sich das Ziel, die Kirche wieder unter die Amtsgewalt eines legitimen Papstes zu stellen. 46 Papst Johannes eröffnete das Konzil, an welchem ausschließlich die mit ihm sympathisierenden Kardinäle teilnahmen. 47 Kurz vor dem Beginn des Konzils  kam  auch  Jan  Hus  nach  Konstanz, um dort seine Lehre zu verteidigen. 48 Er war von König Sigismund eingeladen worden, der ihm freies Geleit für die Hin- und Rückreise zusicherte. 49 In Konstanz wurde der Kirchenbann gegen Hus aufgehoben, aber kurz danach wurde er trotzdem verhaftet. 50 Als Sigismund in Konstanz eintraf, bemühte er sich nicht um die Freilassung von Hus, sondern forderte ihn zunächst auf, sich mit der Kirche zu versöhnen. 51 Der König legte für das Konzil einen neuen Abstimmungsmodus fest. 52 Papst Johannes unterschrieb seine Rücktrittserklärung unter der Bedingung, dass auch die zwei anderen Päpste dies taten. 53 Trotz seiner Zusicherung, in Konstanz zu bleiben, floh Johannes als Stallknecht verkleidet aus Konstanz. 54 Das Konzil wurde dadurch beschlussunfähig. 55 Um dieses Problem zu umgehen, verabschiedete die Konzilsversammlung ein Dekret, laut dem ihre Vollmacht unmittelbar von Christus stamme. 56 Johannes wurde auf der Flucht gefangengenommen und als Papst abgesetzt. 57 Er befand sich schließlich im gleichen Gefängnis wie Jan Hus.

 

58 Nun erklärte auch der in Rom residierende Papst Gregor seine Bereitschaft abzutreten, unter der Bedingung, dass ein neues Konzil einberufen werde. 59 So wurde formell ein neues Konzil in Konstanz einberufen, auf dem auch manche Gregor treue Bischöfe anwesend waren. 60 Gregor dankte ab. 61 Jan Hus wurde von der Konzilsversammlung aufgefordert, seine Ansichten zu widerrufen, was er aber unter Berufung auf sein Gewissen ablehnte. 62 Da er die Aussagen der Konzilsväter nicht mit der Bibel übereinstimmend fand, wollte er die Lehrautorität des Konzils nicht anerkennen. 63 So wurde er als Erzketzer verurteilt, auf dem Scheiterhaufen verbrannt und seine Asche in den Rhein geworfen.

 

64 Der in Avignon residierende Benedikt weigerte sich freiwillig abzudanken, und floh nach Spanien. 65 Da etliche seiner Bischöfe zum Konzil nach Konstanz gekommen waren, erklärte ihn das Konzil offiziell für abgesetzt, was jener aber ignorierte. 66 Erst nach zwei Jahren einigten sich die Kardinäle auf einen passenden Papstkandidaten. 67 So wurde Kardinal Oddo di Colonna zum neuen Papst der katholischen Kirche gewählt, der den Namen des Tagesheiligen Martin annahm. 68 In Böhmen kam es zu einem Aufruhr, als Hieronymus von Prag das gleiche Schicksal ereilte wie seinen Lehrer Jan Hus.  69 Einen kleinen Erfolg konnten die Anhänger von Hus doch verzeichnen; auf dem Konzil von Basel wurde nämlich beschlossen, dass in Böhmen und Mähren auch Laien zum Abendmahl unter beiden Gestalten zugelassen werden dürfen. 70 Ein weiterer Beschluss ordnete getrenntes Wohnen von Juden und Christen an, was dann zur Bildung von jüdischen Stadtvierteln führte. 71 Außerdem kam auf dem Basler Konzil der Krieg zwischen England und Frankreich zur Sprache, wobei nach Friedenslösungen gesucht wurde. 72 In diesem Krieg machte sich die Bauerntochter Jeanne d`Arc einen Namen, wurde aber später aus politischer Räson auf dem Scheiterhaufen geopfert.

 

            

T e i l     S E C H S                  KAPITEL  2

 

1 Brüstet  euch  nicht  stolz  mit  eurer  Macht,  redet  nicht  so überheblich  daher! 2 Denn weder vom Osten noch vom Westen noch aus der Wüste kommt die Erhöhung. 3 Nein, der Richter ist Gott; den einen erniedrigt er, den andern erhöht er.

4 Das Basler Konzil wurde von Papst Eugen nach Ferrara verlegt, wo mit dem byzantinischen  Patriarchen  Joseph  eine  Kirchenunion angestrebt werden sollte. 5 Wegen Seuchengefahr wurde das Konzil schließlich nach Florenz verlegt. 6 Die Gesandten des byzantinischen Kaisers Johannes, der auf militärische Hilfe gegen die  Osmanen  hoffte,  gingen  in  Florenz  auf die meisten Forderungen Roms ein. 7 Eine davon war die Vorrangstellung der römisch-katholischen Kirche und des Papstes. 8 Doch nicht alle stimmten der Kirchenunion unter dem Diktat der Lateiner zu. 9 Der Erzbischof von Ephesus wollte das Konzilsdekret nicht unterzeichnen. 10 Die orientalischen Patriarchen sprachen auf der Synode in Jerusalem den Kirchenbann über die unierten Griechen aus. 11 Der Moskauer Großfürst Vasilij setzte den griechischen Metropoliten Isidor ab, weil dieser der Kirchenunion zugestimmt hatte. 12 Die russischen Bischöfe beriefen dann eine Synode und wählten ihren eigenen Metropoliten. 13 Dadurch machte sich die russisch-orthodoxe Kirche selbstständig. 14 Die syrisch-orthodoxe Kirche hatte es unter der mongolischen Herrschaft schwer, ließ sich aber nicht aufreiben. 15 Sie zehrte noch von dem Vermächtnis des Gelehrten jüdischer Abstammung Gregorius bar Hebraeus, der ihr vor zwei Jahrhunderten wertvolle theologische, geschichtliche und wissenschaftliche Schriften hinterlassen hatte. 16 Auch die orthodoxe Kirche in Georgien kämpfte um ihr Bestehen. 17 Die orthodoxen Kirchen in Bulgarien und Serbien befanden sich unter osmanischer Herrschaft und durften ihre Tätigkeit nur beschränkt ausüben. 18 Der osmanische Sultan Mehmed schickte sich an, die Hauptstadt des Oströmischen Reiches zu erobern. 19 Konstantinopel war schon mehrmals bedroht worden, doch dank der Stadtmauer und der eisernen Sperrkette vor dem Hafen konnte es den Feinden erfolgreich trotzen. 20 Diesmal jedoch stand Kaiser Konstantin einer gewaltigen Übermacht gegenüber. 21 In seiner Not suchte er Hilfe bei Papst Nikolaus und den westlichen Herrschern. 22 Lediglich der Papst versprach ihm Hilfe, die allerdings an eine Bedingung gekoppelt war: den Vollzug der Kirchenunion; Konstantin willigte  ein, doch  die  Hilfe  kam zu spät. 23 Konstantinopel wurde eingenommen. 24 Zum osmanischen Sieg trug die militärische Eliteeinheit der Janitscharen wesentlich bei. 25 Sie bestand aus verschleppten christlichen Knaben, die islamisiert, radikalisiert und zu brutalen Kämpfern ausgebildet worden waren. 26 Ein solches Schicksal traf vor allem Knaben aus Bosnien.

 

27 In den eroberten Gebieten wurde teilweise der Islam angenommen, die Mehrheit blieb aber in der Regel christlich. 28 Die Methoden der Osmanen animierten die Bevölkerung nicht gerade zur Konversion. 29 So wiederholte sich nun auch im Islam die Geschichte des Christentums, indem nämlich die guten Vorsätze und noblen Absichten der Glaubensverkündigung letztendlich an Machtmissbrauch und Ruhmsucht der Herrscher scheiterten. 30 Die eroberte, in Konstantiniye umbenannte Stadt Konstantinopel wurde zur Hauptstadt des Osmanischen Reiches. 31 Mehmed  nahm  für  sich die Befugnisse  des römischen Kaisers in Anspruch. 32 Die Kirche Hagia Sophia ließ er in eine Moschee umwandeln. 33 Das christlich-orthodoxe Patriarchat in Konstantiniye blieb erhalten. 34 Mehmed wandte sich nun gegen  die  Ungarn, um sich  einen freien Weg nach Westeuropa zu verschaffen. 35 Dazu musste er die Festung Belgrad erobern, die an einer wichtigen militärischen Straße lag. 36 Ungarn wurde zu dem Zeitpunkt vom Heerführer Hunyadi Janos regiert, der den unmündigen König Ladislav vertrat. 37 Hunyadi ließ die Belgrader Festung verstärken und aufrüsten. 38 Von den leidenschaftlichen Predigten des Franziskaners Giovanni da Capistrano angefeuert, schlossen sich auch zahlreiche Bauern Hunyadis Armee an. 39 So konnte das osmanische Heer trotz seiner Überzahl von den Ungarn besiegt werden. 40 Hunyadi selbst starb kurz danach an Pest.

 

41 Vor dem Kampf um Belgrad hatte Papst Calixtus mit einer Bulle das Mittagsläuten der Kirchenglocken angeordnet. 42 Beim Läuten der Glocken sollten die Christen um den Sieg über die Osmanen beten. 43 Obwohl diese Anordnung in manchen Gegenden erst nach dem Sieg bekannt wurde, behielt man diesen Brauch als Ausdruck der Freude über den Sieg bei. 44 Der Gelehrte Enea Silvio Piccolomini wurde zum neuen Papst gewählt. 45 Er nahm den Namen Pius an. 46 Noch bevor er Papst wurde, schrieb er über einen gewissen Johannes Gensfleisch, genannt Gutenberg, welcher in Mainz mittels beweglicher Metallbuchstaben mehrere Bibelexemplare angefertigt hatte. 47 Im gleichen Jahr, in dem Konstantinopel fiel, wurde nach mehr als hundert Jahren der Krieg zwischen England und Frankreich beendet. 48 Danach tobte der Krieg um die Krone Englands zwischen den Häusern York und Lancaster, bis schließlich Heinrich aus dem Haus Tudor zum englischen König gekrönt wurde. 49 Inzwischen gelang es Mehmed und den Osmanen die Peloponnes, den Rest Serbiens, Albanien und das Khanat der Krim zu erobern. 50 Die Republik Venedig schloss nach dem lang andauernden Krieg um die griechischen und adriatischen Inseln Frieden mit den Osmanen, musste aber auf manche Gebiete verzichten und wurde tributpflichtig. 51 Die strategisch wichtige Insel Rhodos, auf der sich der Hauptsitz des Templerordens befand, widerstand der osmanischen Belagerung. 52 Die osmanische Flotte eroberte die italienische Stadt Otranto; die dortigen Christen, die sich weigerten, zum Islam zu konvertieren, wurden geköpft.

 

53 In Rom haben inzwischen mehrere Päpste gewechselt. 54 Zurzeit amtiert Papst Sixtus, ein prunksüchtiger Nepotist. 55 Er hat die Konstanzer Dekrete über den Vorrang des Konzils vor den Papst für ungültig erklärt. 56 Von seinen Kritikern wird ihm die Haltung von Lustknaben vorgeworfen. 57 Manche behaupten, dies sei der Grund für die Ernennung seiner zahlreichen Neffen zu Kardinälen oder ihre Erhebung in den Adelsstand gewesen. 58 Er hat die Inquisition in Spanien wieder neu aufleben lassen. 59 Ihre Opfer wurden vor allem zum Christentum konvertierte Juden - conversos oder marranos genannt – die ihren jüdischen Glauben weiterhin praktizierten. 60 Aber auch zum Christentum konvertierte Mauren, moriscos, wurden nicht verschont. 61 Als Granada, die letzte Hochburg des muslimischen Reiches in Spanien, fiel, wurden sowohl Muslime als auch Juden von dort vertrieben.

 

62 Im Osten wurde die Macht der Tataren immer schwächer, während Russland an Stärke gewann. 63 Der Moskauer Großfürst Ivan, mit der Nichte des letzten byzantinischen Kaisers verheiratet, betrachtete sich als „Bewahrer des byzantinischen Throns“ und nahm den vom lateinischen Wort Caesar abgeleiteten Titel „Zar“ an. 64 Er ließ die baufällige Moskauer Burg Kreml zu seiner Residenz ausbauen. 65 Portugal und Spanien waren bemüht, einen Seeweg nach Indien zu erschließen. 66 Spanien bevollmächtigte mit dieser Aufgabe den italienischen Seefahrer Christoph Kolumbus, der Indien auf dem West Kurs zu erreichen versuchte. 67 Dort sollte er mit dem Großkhan Kontakt aufnehmen und dann, mit begehrten Kostbarkeiten beladen, die Heimreise antreten. 68 Der Profit vom Verkauf der Waren sollte der Befreiung Jerusalems von der muslimischen Herrschaft zugewandt werden. 69 Als Kolumbus auf Festland stieß, nahm er an, in Indien angekommen zu sein; er nannte die dortigen Einwohner Indios; es wunderte ihn jedoch, dass er keine Gewürzpflanzen vorfand. 70 Der portugiesische Seefahrer Vasco da Gama hingegen versuchte um Afrika herum nach Indien zu kommen, was ihm auch tatsächlich gelang. 71 Etwa um die Zeit fertigte Martin Behaim seinen „Erdapfel“, auf dem die drei bekannten Kontinente abgebildet waren: Europa, Asien und Afrika. 72 Als später der italienische Seefahrer Amerigo Vespucci etwas südlicher von der Stelle an Land ging wo vor ihm Kolumbus angelegt hatte, vermutete er sehr stark, dass Kolumbus einen neuen, unbekannten Erdteil entdeckt hatte.

 

 

T e i l     S E C H S                  KAPITEL  3

     

1 Die Völker sollen dir danken, o Gott, danken sollen dir die Völker alle!

2 Entdeckungsfieber, Missionierungsdrang, Goldrausch, Machtgier, Größenwahn. 3 All das wird man einmal als Merkmale dieser Epoche nennen können. 4 Je mehr man von der Welt entdeckt, je größer sie in den Augen der Menschen wird, umso größer wird auch die menschliche Gier. 5 Anstatt Gott zu loben, ihm zu danken, berauscht man sich an materiellen und geistigen Gütern, an Macht, ergeht sich in Rechthaberei und Besserwisserei. 6 Dies alles bezieht sich gegenwärtig in erster Linie auf das Christentum und den Islam, beziehungsweise auf deren jeweilige Führung. 7 Die  Juden  sind  nach wie vor die Prügelknaben für alle und für alles. 8 Auf der Insel Rhodos wurden sie zum Christentum gezwungen. 9 Wer sich weigerte, wurde entweder getötet, verbrannt, oder als Sklave verkauft. 10 In Brandenburg in Germanien wurden Juden wegen unterstellter Hostienschändung verbrannt, und zwar achtunddreißig an der Zahl. 11 In Venedig wurde ein jüdisches Viertel unter der Bezeichnung „Ghetto“ eingerichtet. 12 Alle Juden in den Gebieten, die unter dem Einfluss des Papstes stehen, müssen einen gelben Hut zwecks leichterer Erkennung tragen. 13 Jüdische Wohnungen werden von der römischen Inquisition nach Talmudexemplaren durchsucht. 14 Wenn Katholiken einen Talmud besitzen, werden sie exkommuniziert. 15 Die Juden wurden aus mehreren Städten Europas verbannt, unter anderem aus Neapel und Prag. 16 Die Osmanen eroberten, größtenteils unter Sultan Selim, die Arabische Halbinsel mit Mekka und Medina sowie Syrien und Ägypten. 17 Als sie von den Mamelucken  die  Herrschaft  über  Jerusalem  übernahmen,  sicherte  Selim durch einen Erlass den dortigen Christen und Juden religiöse Freiheit zu. 18 Selim war ein strenggläubiger Sunnit und verfolgte die Schiiten und Aleviten in seinem Herrschaftsbereich. 19 Er führte den Kalifentitel, den er vom letzten Kalifen der Abbasiden-Dynastie übernommen hatte. 20 Selim war ein rigoroser, manche behaupten brutaler, fast asketisch lebender, dichterisch begabter Mann, ein unermüdlicher Kämpfer für Gottes Gesetz und das Osmanische Reich. 21 Sein Sohn und Nachfolger Süleyman übernahm ein gefestigtes Reich und widmete sich der Islamverbreitung im Nordwesten.

 

22 Im christlichen Abendland und speziell in Rom widmet man sich derzeit anderen Dingen. 23 Wenn man die Förderung von Kunst, Wissenschaft, und Sport als „Kultur” bezeichnen kann, dann sind die gegenwärtigen Päpste eher kulturelle als religiöse Führer des Abendlandes. 24 Sie fördern jegliche Art von Kunst, ja sogar Wissenschaften, ungeachtet der Finanzierungsprobleme und ungeachtet der Schwierigkeiten so manche Details mit der Bibel in Einklang zu bringen. 25 Das „Gottesbild” in der Sixtinischen Kapelle in Rom ist das beste Beispiel für die Missachtung biblischer Gebote. 26 Natürlich rechnen die Kirchenoberhäupter mit Einnahmen und Schätzen aus der neu entdeckten Welt in Übersee, und um die Durststrecke bis zu ihrem Eintreffen zu überwinden, haben sie den bereits verrufenen Ablasshandel intensiviert. 27 Dies lockte die ohnehin schon zahlreichen Kritiker der klerikalen Ausschweifungen aus der Reserve. 28 Einer von ihnen, der Augustinermönch Martin Luther, sorgte für viel Aufregung. 29 Durch seine Kritik an den unlauteren Praktiken der  Kirchenführung  und  des  Klerus  führte  er  eine Kirchenspaltung herbei. 30 Manche empfanden die Spaltung als etwas Negatives, andere eher als Gelegenheit, die eigene Religiosität und Lebensweise neu zu durchdenken. 31 Luthers Lebenswerk gipfelte in der Übersetzung der Bibel, womit er das Wort Gottes auch dem einfachen Volk zugänglich machte. 32 Es gab jedoch auch dunkle Flecken in seinem Leben; ein solcher war zum Beispiel sein hasserfülltes Pamphlet gegen die Juden.

 

33 Neben Luther sorgten auch noch andere Reformatoren für Spaltungen, die bedeutendsten unter ihnen waren Calvin und Zwingli. 34 Aber auch der englische König Heinrich spaltete die Kirche, allerdings aus ganz anderen Beweggründen. 35 Der Anlass zur Abspaltung der Anglikanischen Kirche war die von ihm angestrebte Annullierung seiner Ehe. 36 Da Rom seinem Wunsch nicht entsprach, holte er sich den gewünschten Beschluss bei den anglikanischen Würdenträgern. 37 Er heiratete insgesamt sechs Frauen, von denen zwei entlassen und zwei hingerichtet wurden. 38 Es darf nicht unerwähnt bleiben, dass es innerhalb der Kirche auch mehrere Reformatoren gab, die die Kirche zu erneuern versuchten, ohne sie zu spalten. 39 Erasmus ist ja hinlänglich bekannt, ebenso der Ordensgründer Ignatius; aber auch die weniger bekannte Nonne jüdischen Ursprungs, Theresa von Avilla, verdient genannt zu werden. 40 Auch im slawischen Raum gibt es viel Bewegung. 41 Auf dem Reichstag von Radom wurde von König Alexander der „Sejm“, ein Zweikammerparlament, installiert; durch die Verfassung Nihil Novi wurde die Grundlage für die polnische Adelsrepublik geschaffen. 42 Die Großfürsten von Moskau kämpfen seit Jahrzehnten gegen die Tataren und das abtrünnige Khaganat Kasan. 43 Der Moskauer Großfürst Ivan, der als dreizehnjähriger die Macht übernahm, ließ sich mit sechszehn Jahren von dem Patriarchen zum russischen Zaren krönen. 44 Die Kroaten wechselten nach einer jahrhundertelangen Personalunion mit Ungarn das Herrscherhaus; sie nahmen Ferdinand von Habsburg als ihren König an, weil sie sich von ihm mehr Unterstützung im Kampf gegen die anstürmenden Osmanen erhofften. 45 Serbien ist schon ganz unter osmanischer Herrschaft, Ungarn unterlag auch, Bosnien schon vor langer Zeit; Teile Kroatiens befinden sich mal unter kroatischer, mal unter osmanischer Herrschaft. 46 Im fernen Spanien und in Portugal herrschen ganz andere Verhältnisse. 47 Ihr Entdeckungs- und Eroberungsgeist kennt keine Grenzen; die Herrscher beider Länder haben sich auf der Landkarte die Erde aufgeteilt und ihre jeweiligen Interessensphären bestimmt.

 

48 Die neu gewonnenen Gebiete, insbesondere die in Übersee, welche man „Amerika“ nennt, wurden oft auf grausame Weise eingenommen, kolonisiert, ausgebeutet und missioniert. 49 Unter Francisco Pizarro und Hernan Cortez wurden die einheimischen Volksgruppen der Inkas und der Azteken besiegt und ihre Gebiete besetzt. 50 In Europa wird an verschiedenen Stellen ungeduldig auf Gold und andere Schätze aus den eroberten Gebieten gewartet, um Kultur, Gelüste und Kriege zu finanzieren. 51 Das osmanische Heer erreichte Wien. 52 Sultan Süleyman ließ den Wienern verkünden, dass niemandem etwas geschehen werde, wenn der Islam angenommen und die Stadttore geöffnet werden. 53 Aber da Teile seiner Truppen in der Wiener Umgebung unvorstellbare Grausamkeiten anrichteten und die Bevölkerung ausplünderten, waren die Wiener nicht gewillt den Islam „osmanischer Art” anzunehmen. 54 Sie nahmen den Kampf auf und es gelang ihnen, trotz Tunnelgrabens und Mauersprengung  seitens  der  Osmanen, ihre  Stadt  erfolgreich  zu verteidigen. 55 Obwohl sich zurzeit in allen Teilen der Welt umwälzende Ereignisse abspielen, wollen wir dem Leser lieber zwei kleine, auf den ersten Blick unbedeutende Begebenheiten mitteilen. 56 Wie aus dem Nichts tauchte in Rom vor Papst Clemens ein Jude namens David Reubeni auf und behauptete, ein Gesandter der Nordstämme Israels aus der Wüste Chaibar zu sein, die bereit wären, zusammen mit den Christen gegen die Osmanen zu kämpfen. 57 Da die Türkengefahr in den Augen Roms groß und nahe war, störte man sich nicht an seiner jüdischen Herkunft, sondern übergab ihm ein Empfehlungsschreiben an den König von Portugal und den Kaiser von Äthiopien in der Hoffnung, dass ein neuer Kriegszug erfolgen würde. 58 Am portugiesischen Hof wurde Reubeni mit Ehren empfangen; den dort lebenden Juden versprach er die Rückkehr in das Land Israel, aber seine Mission blieb dennoch erfolglos. 59 Am königlichen Hof lebte nämlich ein Beamter, ein konvertierter Jude, der aus lauter Begeisterung über Reubeni wieder zum Judentum zurückkehrte, sich selbst beschnitt und sich in Salomo Molcho umbenannte. 60 Das war sogar für die etwas toleranteren Verhältnisse in Portugal zu viel, und so verließen beide, Reubeni und Molcho, unverrichteter Dinge Portugal. 61 Und wie das Leben so spielt, traf Salomo Molcho, der für sich messianische Ansprüche anmeldete, eines Tages Papst Clemens und gewann seine Gunst. 62 Leider machte das keinen Eindruck auf die Inquisition, die ihn wegen Judaisierens zum Tod durch Verbrennen verurteilte. 63 Mit Hilfe des Papstes konnte er jedoch Rom unerkannt verlassen, während ein anderer Mann an seiner Stelle verbrannt wurde.

 

64 Das zweite Ereignis spielte sich am anderen Ende der Welt ab, in dem von Spanien eroberten Territorium der Azteken. 65 Da die Azteken einer rohen Naturreligion angehörten, deren Ausübung grausame Menschenopfer zur Besänftigung ihrer Idole erforderte, die Spanier aber mit nicht weniger grausamen Methoden die Azteken unterwarfen, fiel die Verkündigung der christlichen Missionare bei den Azteken nicht gerade auf fruchtbaren Boden. 66 Ganz im Gegenteil, es herrschte eine tiefe Feindschaft zwischen der einheimischen Bevölkerung und den eingewanderten Europäern, und nur wenige konnten christianisiert werden. 67 Eines Tages behauptete jedoch einer von den wenigen christlichen Azteken, eine himmlische Erscheinung gehabt zu haben. 68 Nach langem hin und her konnte er den Bischof, die Christen, aber auch die eingeborene Bevölkerung von der Wahrhaftigkeit dieser Erscheinung überzeugen. 69 Die Erscheinung einer Himmlischen Frau, wie der Seher sich ausdrückte, hinterließ auf seinem Umhang ein Bildnis, so seltsam und wundersam zugleich, dass sich damit bestimmt noch Generationen beschäftigen werden. 70 Aber erst nach diesem Wunder geschah das eigentliche Wunder, weswegen wir diese Geschichte überhaupt erzählen. 71 Was weder den Soldaten noch den Missionaren gelungen war, nämlich die Azteken zur Annahme des Christentums zu bewegen, das geschah nun spontan und massenhaft, was beispiellos in der Geschichte ist. 72 Die Feindschaft gegenüber den Spaniern verschwand wie vom Winde verweht, die Azteken ließen sich massenhaft taufen, es kam zu Mischehen und aus zwei fremdartigen Naturen wurde ein Herz - wahrlich ein Wunder.

 

 

 

T e i l     S E C H S                  KAPITEL  4

 

1 Dass ich gedemütigt wurde, war für mich gut; denn so lernte ich deine Gesetze. 2 Die Weisung deines Mundes ist mir lieb, mehr als große Mengen von Gold und Silber. 3 Deine Hände haben mich gemacht und geformt. 4 Gib mir Einsicht, damit ich deine Gebote lerne.

5 Die herausragende Persönlichkeit dieser Zeit ist zweifelsohne der Osmane Sultan Süleyman. 6 Unter seiner Herrschaft erlangte das Osmanische Reich die bisher größte Ausdehnung. 7 Sein Gebiet erstreckt sich über drei Erdteile, seine Größe steht der des ehemaligen Römischen Reiches kaum nach. 8 Süleyman wurde als geschätzter Diplomat, geschickter Stratege, frommer Muslim, begabter Dichter, aber auch grausamer Tyrann berühmt. 9 In ihm sind all jene Eigenschaften vereint, welche die berühmten Persönlichkeiten aller Zeiten „auszeichnen“. 10 Namentlich wenn  es  sich  um  Persönlichkeiten  in verschiedenen  Machtpositionen  handelt. 11 Die Methoden der Machtausübung, insbesondere aber die des Machtmissbrauchs, ähneln sich in allen Religionen und Kulturen. 12 So wie die Päpste, förderte auch Süleyman die Künste, vor allem den Bau von Palästen und prunkvollen Gebetsstätten. 13 Auch er war um die Einheit des Glaubens bemüht. 14 Auch er ließ Maßstäbe und Richtlinien festsetzen, um den „rechten“ vom „verdammungswürdigen“ Glauben zu unterscheiden. 15 Süleyman ließ ausschließlich die sunnitische Deutung des ehrwürdigen Koran zu. 16 Andersglaubende wurden mittels Überredungskunst, notfalls mit Gewalt zum richtigen Glauben geführt. 17 Auch die „Knabenlese“, der Kinderraub in nichtmuslimischen Gegenden des Reiches, wurde während seiner Herrschaft fortgesetzt.

 

18 In den Anfängen des Islam nahmen ganze Bevölkerungsgruppen sozusagen über Nacht den neuen Glauben an. 19 Oft ohne jegliche Gewaltanwendung, und das sogar in den traditionell christlichen Gebieten Nordafrikas. 20 Das Gleiche geschah im Norden und Osten Asiens, wo manche Stämme allein aufgrund schriftlicher Einladung den Islam annahmen. 21 Heute wehren sich die eroberten Völker Europas mit Händen und Füßen gegen die Islamisierung. 22 Es ist ihnen klar, dass das Hauptanliegen der Osmanen nicht die Verbreitung des Glaubens an den Einen Gott ist, sondern die Ausweitung ihrer Macht. 23 Die gleiche Erfahrung haben sie nämlich einst mit den christlichen Eroberern gemacht.

 

24 Auf diese Weise haben sowohl christliche als auch muslimische Machthaber den Glauben an den Einen Wahren Gott in Verruf gebracht. 25 Die Folge davon ist, dass die Bevölkerung die Religion und den Dienst an Gott mit Knechtschaft, Frondienst, Soldatendienst und Unterdrückung identifiziert. 26 So wurde durch die Dominanz der Muslime der Glaube erneut kompromittiert. 27 Sultan Süleyman wollte die Schlagkraft seiner Armee einer Feuerprobe aussetzen. 28 Er wollte beweisen, dass er in der Lage sei, „den goldenen Apfel“ zu pflücken – die Stadt Wien zu erobern. 29 Doch eine unbedeutende Stadt, eine kleine Festung in Südungarn stoppte sein neunzigtausend Mann starkes Heer und begrub seine Ambitionen. 30 Es handelte sich um die Festung Szigetvar und ihre zweitausendfünfhundert kroatischen Verteidiger, angeführt von Nikola Subic. 31 Die Festung wurde zwar zerstört, die Verteidiger kamen um, aber die Osmanen wurden so lange aufgehalten und dermaßen strapaziert, dass sie danach zu schwach waren, um weiter nach Wien marschieren zu können. 32 Sultan Süleyman starb zwei Tage vor der Einnahme von Sziget. 33 Sein Tod wurde geheim gehalten, um die Auflösung des Heeres zu vermeiden bevor sein Nachfolger bestimmt wurde. 34 So nahmen Süleymans Pracht und Macht ein jähes Ende in einem Sumpfgebiet Mitteleuropas.

 

35 Ein anderer mächtiger Mann der Epoche war der russische Zar Ivan. 36 Auch er war ein geschickter Kriegsstratege und Diplomat, fromm und streng, laut manchen Behauptungen auch grausam. 37 Er versuchte als Nachfolger byzantinischer Kaiser anerkannt zu werden, zumindest in Glaubensangelegenheiten. 38 Auch er ließ Paläste, Kirchen und Klöster bauen, wollte Moskau in den Rang von Konstantinopel erheben. 39 Doch das allein reichte ihm nicht. 40 Da Jerusalem unter muslimischer Herrschaft stand, wollte er Moskau zum neuen Jerusalem machen, zumindest für die orthodoxen Christen. 41 Er unternahm Reformen, die dem einfachen Volk das Leben erleichterten, stutzte die Macht der Bojaren, unter denen er einst als elternloses Kind Schreckliches erlebt hatte.  42 Wenn er sich aber hintergangen fühlte, auf Widerspruch stieß oder Verrat witterte, kannte er keine Gnade. 43 Er hielt sich selbst für gerecht, in vielen Angelegenheiten war er es auch, doch sein Jähzorn, verbunden mit seinen Traumata, wurde ihm manchmal zum Verhängnis.  44 So ermordete  er  in  einem  Wutausbruch  seinen  eigenen  Sohn. 45 Diese von ihm zutiefst bereute Tat ließ ihm bis zu seinem Tod keine Ruhe mehr.

 

46 Und nun schauen wir mal, was es sonst noch Neues in der Welt gibt. 47 Die Juden, aber das ist eigentlich nichts Neues, werden weiterhin fast überall verfolgt. 48 Papst Paul ließ sie entweder in abgetrennte Siedlungen einpferchen oder vertreiben; sie durften als Lumpensammler tätig sein. 49 Als Teile Polens von den Russen erobert wurden, mussten die dort lebenden Juden den orthodoxen Glauben annehmen. 50 Wer sich weigerte, wurde ertränkt. 51 Papst Gregor verbot jüdischen Ärzten christliche Kranke zu behandeln. 52 Die Inquisition veröffentlichte Listen mit verbotenen jüdischen Schriften. 53 In Spanien gab es eine Verfolgungswelle, weil manche Amsterdamer Juden die Aufständischen im Kampf gegen die Spanier unterstützt hatten. 54 So verließen viele Juden Spanien und Portugal und siedelten nach Amsterdam um.

 

55 Der einzige Herrscher, der sich für die Juden, zumindest für einige von ihnen, einsetzte, war Sultan Süleyman. 56 Er erzwang vom Papst die Freilassung bestimmter Juden. 57 Diese betraute er mit wichtigen Posten in seinem Reich. 58 Besonders gefragt waren ihre Dienste in Diplomatie, Buchdruck, Finanzwesen und Verwaltungsorganisation. 59 Und da wäre noch ein Herrscher zu nennen, der gnädig zu den Juden war. 60 König Heinrich erlaubte den Juden in der Stadt Metz freie Ausübung ihrer Religion. 61 Die Juden nahmen diesen seltenen Glücksfall sofort wahr und ließen Metz zu einem bedeutenden Zentrum des Judentums werden.

 

62 Es gibt aber auch noch andere Neuigkeiten. 63 Portugiesen und Spanier wetteifern im Erkunden und Erobern der Neuen Welt. 64 Dabei gehen sie keineswegs feinfühlig vor, weder im Umgang mit der Konkurrenz noch mit den Ureinwohnern. 65 Ihre Taten werden jedoch in vielen Chroniken und Tagebüchern ausführlich beschrieben, sodass wir uns hier damit nicht weiter befassen wollen. 66 Verschiedene Päpste versuchten, die vielen Risse in der westlichen Christenheit zu kitten, die durch Abspaltungen  in  den  letzten  Jahrzehnten  entstanden  waren. 67 Dies gelang ihnen auch nach der Beendigung des zweimal unterbrochenen Trienter Konzils nicht. 68 So wurde der christliche Garten um viele Blüten reicher: Katholiken, Lutheraner, Calvinisten, Zwinglianer, Anglikaner, Mennoniten, Hutterer und was es sonst noch alles gibt. 69 Eigentlich dürfte das zum demütigen Nachdenken führen, sowohl bei den Würdenträgern als auch bei den Gläubigen. 70 Wenn da bloß nicht der teuflische Stolz wäre und die Überzeugung, im Besitz der alleinseligmachenden Wahrheit zu sein. 71 So aber ist aus dem duftenden Garten ein blutiges Schlachtfeld geworden. 72 Und alle Beteiligten rechtfertigen ihr Handeln, indem sie sich auf Gott berufen - ein zum Himmel schreiender Zustand!

 

 

T e i l     S E C H S                  KAPITEL  5

 

1 So geht es denen, die auf sich selbst vertrauen, und so ist das Ende derer, die sich in großen Worten gefallen. 2 Der Tod führt sie auf seine Weide wie Schafe, sie stürzen hinab zur Unterwelt. 3 Geradewegs sinken sie hinab in das Grab; ihre Gestalt zerfällt, die Unterwelt wird ihre Wohnstatt.

4 Der Habsburger Rudolf, Kaiser des „Heiligen Römischen Reiches der teutschen Nation, zog wegen drohender Gefahr osmanischer Angriffe von Wien nach Prag um. 5 Dort befasste er sich mit Kunst, Alchemie, Astronomie. 6 Auf seinem Hof lebten Gelehrte aus ganz Europa. 7 Bereits in Wien schuf er die Institution der „Hofbefreyten Juden'', auch Hofjuden oder Hoffaktoren genannt. 8 Wie der Name schon sagt, gehörten sie zum kaiserlichen Hof, brauchten kein Judenzeichen zu tragen und keine Steuern zu zahlen. 9 Manche wurden sogar in den Adelsstand erhoben.

 

10 Wie kam es zu dieser Begünstigung der Hofjuden? 11 Um das zu erläutern, müssen wir weit ausholen. 12 So wie sich einst manche Päpste Mätressen und manche spanischen Kalifen Lustknaben hielten, so wurde es inzwischen üblich, dass sich Fürsten, Könige und Kaiser Hofjuden hielten. 13 Allerdings stellten diese, im Gegensatz zu den Mätressen und Lustknaben, keinen Kostenfaktor dar, im Gegenteil, sie wurden gewinnbringend eingesetzt. 14 Die Juden besaßen dank ihres Studiums der Thora und des Talmuds schon immer einen geschulten, scharfsinnigen Verstand. 15 Durch wiederholte Verfolgungen, Vertreibungen und Enteignungen hatten sie gelernt, ihr Hab und Gut in Geld und Gold anzulegen, um mobil und  fluchbereit zu sein. 16 Notgedrungen wurden sie auf diese Weise zu virtuosen Lebenskünstlern und Finanzgenies. 17 Als die genannten Qualitäten der Juden erkannt wurden, wollte so mancher Kaiser, König oder Fürst davon profitieren und mit Hilfe der Juden zu Geld kommen. 18 Geld braucht man vornehmlich um Kriege zu finanzieren; und diese toben zurzeit kreuz und quer über den europäischen Erdteil.

19 So holen sich immer mehr Machthaber erfolgreiche Juden an den Hof, statten sie mit besonderen Privilegien aus und lassen sie für sich arbeiten, das heißt Geld besorgen. 20 Nun werden fähige Juden zwar begehrt und gesucht, aber keineswegs geliebt. 21 Man benutzt sie nur um des eigenen Vorteils willen, und man entlohnt sie entsprechend dem eingebrachten Ertrag. 22 Das einfache Fußvolk, die schlichten Glaubensbrüder oder, wie man zu sagen pflegt, die gemeinen Juden, werden weiterhin auf jede mögliche Art drangsaliert. 23 Auf diese Weise entsteht Misstrauen, Neid und Zwist unter den Juden selbst. 24 Es gibt aber auch Ausnahmen. 25 Manche Hofjuden vergessen auch dann, wenn sie aufgestiegen und vermögend geworden sind, ihre Glaubensbrüder nicht, sondern helfen ihnen tatkräftig. 26 Zu diesen gehörte der verstorbene Jacob Bassevi, dessen Hilfe sogar die Juden in Eretz Israel erreichte.

 

27 Wie schon oben erwähnt, gibt es überall in Europa Kriege. 28 Vordergründig geht es um Religion, doch der Hintergedanke dabei ist, sich noch mehr Macht und Reichtum zu verschaffen. 29 Zwei herausragende Persönlichkeiten der gegenwärtigen Zeit sollen nicht unerwähnt bleiben. 30 Eine davon ist der aus Böhmen stammende Albrecht Vaclav von Waldstein, Wallenstein genannt. 31 Bei der anderen handelt es sich um den Kalvinisten Oliver Cromwell aus England. 32 Beide haben politische und kriegerische Ereignisse entscheidend mitgeprägt. 33 Wallenstein ist schon länger tot, Cromwell herrscht und kämpft immer noch.  34 Nach dem Tod seiner Eltern wurde Wallenstein von seinem Onkel in einem Konvikt der Jesuiten untergebracht. 35 Einst Mitglied einer evangelischen Gemeinschaft, wurde er nun Katholik. 36 Kaiser Rudolf nahm ihn in sein Heer auf, das gegen die Osmanen kämpfte. 37 Nach mehreren Feldzügen wurde Wallenstein zum Hauptmann befördert. 38 Seine Heirat mit Gräfin Lukretia von Landeck brachte ihm zusätzliches Ansehen und auch gewissen Reichtum. 39 Er konnte jetzt auf eigene Kosten Landsknechte anwerben und sie dem Kaiser zur Verfügung stellen.

 

40 Als es in Prag zu einer Auseinandersetzung zwischen den protestantischen Ständen und den königlichen Statthaltern kam, wurden die Letztgenannten durch das Fenster der Burg hinausgeworfen. 41 Der neue Kaiser, Ferdinand von Habsburg, verbündete sich mit der Katholischen Liga und besiegte die aufständischen Protestanten in Prag. 42 Die protestantische Konfession wurde in Böhmen verboten, was das Auswandern vieler Protestanten zur Folge hatte. 43 Mit der Rekatholisierung des Landes wurden die Jesuiten betraut, welche davor von den protestantischen Ständen aus Böhmen ausgewiesen worden waren. 44 Die Unterdrückung des Aufstandes der böhmischen Stände führte jedoch zu weiteren Religionskriegen im Römischen Reich. 45 Auf der kaiserlichen Seite kämpfte auch Wallenstein.  46 Da der Kaiser in Geldnot steckte, wurden etliche nordböhmische Gebiete von ihm an Wallenstein verpachtet und später verkauft. 47 Wallenstein gründete darauf das Herzogtum Friedland, das unabhängig vom Böhmischen Königreich und frei von königlicher Besteuerung war. 48 Ferdinand ernannte Wallenstein zum kaiserlichen Oberbefehlshaber und erwartete von ihm einen schnellen Sieg über die Protestantische Union. 49 Die protestantischen Reichsstände schlossen daher eine Allianz mit Dänen, Engländern und Niederländern. 50 Diese Allianz sollte die Macht der Habsburger und der Katholiken im Imperium Romanum schwächen. 51 Wallenstein gelang es, die Dänen zu vertreiben. 52 Er erreichte sogar, dass diese später ein Bündnis mit dem Kaiser eingingen. 53 Den Fürsten erschien Wallenstein jedoch zu mächtig, daher nötigten sie Kaiser Ferdinand ihn zu entlassen. 54 Er wurde allerdings sehr schnell rehabilitiert, als es für die Katholiken eng wurde, weil die Schweden Norddeutschland eroberten und bis nach Bayern vordrangen. 55 Nun durfte Wallenstein wieder die „heißen Kastanien aus dem Feuer holen“. 56 Aber diesmal ging der Kampf nicht eindeutig aus. 57 Der Schwedenkönig fand den Tod und Wallenstein verließ das Schlachtfeld. 58 Nachdem er sich geweigert hatte, mitten im Winter Regensburg zu belagern, wurde er des Hochverrats beschuldigt und ermordet. 59 Die Führung der kaiserlichen Armee übernahm der gleichnamige Sohn des Kaisers, Erzherzog Ferdinand. 60 Nach seiner Krönung zum Kaiser, führte er Wallensteins Vorhaben durch. 61 Er schloss Frieden mit Frankreich und mit Schweden.

 

62 Dies änderte das Gesicht Europas, die Länder bekamen neue Grenzen und genossen mehr Selbstständigkeit. 63 Die Macht des Kaisers wurde auf sein erbliches Gebiet beschränkt. 64 Die drei Hauptkonfessionen im Heiligen Römischen Reich der deutschen Nation: Calvinismus, Katholizismus und Protestantismus, wurden gleichrangig. 65 Die Interessen des Staates wurden den kirchlichen Interessen übergeordnet, der politische Absolutismus wurde durchgesetzt. 66 In England zog eine Beschwerdeschrift des Unterhauses gegen König Karl, die auch von Cromwell mitgetragen wurde, unerwartete Folgen nach sich. 67 Mit der Beschwerde wurde die Absicht verfolgt, die Kontrolle des Parlaments über die Entscheidungen des Königs einzuführen. 68 Aber die hitzige Diskussion, die dadurch ausgelöst wurde, spaltete das Unterhaus und die Beschwerde wurde mit nur einer knappen Mehrheit angenommen. 69 Dies gab Anlass zu zwei Bürgerkriegen, in denen Cromwell mit der von ihm gegründeten Truppe, Ironsides genannt, eine entscheidende Rolle spielte. 70 Er übernahm die Macht, ließ den König exekutieren, schloss eine lockere Union mit Irland und Schottland. 71 Den Preis für seinen Erfolg mussten, insbesondere in Irland, unzählige Katholiken, darunter auch Frauen und Kinder, mit dem Leben bezahlen. 72 Es ist noch nicht absehbar, wie seine Herrschaft enden und welche Folgen sie haben wird.

 

 

T e i l     S E C H S                  KAPITEL  6

 

1 Denn, was sie reden, dient nicht dem Frieden; gegen die Stillen im Land ersinnen sie nichtige Pläne.

2 Europäische Staaten sind dabei in Amerika, Asien und Afrika möglichst viele Gebiete an sich zu reißen. 3 Während Spanien und Portugal einigermaßen gesättigt zu  sein  scheinen,  entwickeln  andere,  allen  voran  England,  Frankreich und die Niederlande, umso größeren Appetit. 4 Jeder ist bestrebt, sich einen ansehnlichen Anteil  am  „Kuchen“  zu  sichern.   Die  einheimischen  Völker werden als Ware behandelt, die entweder benutzt oder vernichtet wird. 6 Im christlichen Europa werden Freiheit und Gleichheit gepredigt, in der Neuen Welt werden sie von denselben Christen mit Füßen getreten. 7 Der in England angefangene Demokratisierungsprozess endete dank Cromwell in Tyrannei; nach seinem Tod wurde die Monarchie wiederhergestellt. 8 Die offenen Fragen blieben jedoch ungelöst, die Wunden  sind  noch  nicht  verheilt.  Auch  andere  europäische  Kriege  hinterließen Wunden, die mit den Friedensverträgen von Münster und Osnabrück notdürftig versorgt, aber keinesfalls geheilt wurden.

 

10 Zudem scheint  Europa  an  dem  „altgriechischen  Syndrom“  erkrankt zu sein. 11 Vernunftgeleitetes Denken ist angesagt, Geist und Verstand sind die Schlagwörter der Gelehrten und Philosophen.  12 Glaubenskriege hatten bei vielen Menschen zum Verdruss an der Religion geführt.  13 Die neuentstandenen christlichen Kirchen und Gemeinschaften, die vor hundert Jahren so viele positive Hoffnungen geweckt hatten, zeigten sich später nicht minder grausam als die römischen Katholiken. 14 Mancherorts gingen sie sogar noch schlimmer und grausamer vor, und das im Namen des Evangeliums. 15 Ihr Verhalten warf ein schlechtes Bild auf die heiligen Schriften und sogar auf Gott selbst, weshalb ihn Außenstehende nun ablehnen oder gar für nicht existent erklären. 16 Es hat sich eine neue Denkerelite profiliert, welche alles in Frage stellt, zugleich aber auch schon alle Antworten und Lösungen weiß. 17 Man hat sich von Gott abgewandt und sich stattdessen Ideale geschaffen. 18 Freies Denken, freies Handeln, freies Leben, all das wurde zur Ehre des Altars erhoben. 19 Kein Wunder, dass die meisten Anhänger der neuen Ideologie überzeugt sind, die absolute Freiheit für jedermann sei ein erreichbares Ziel und der richtige Weg zum Frieden in der Welt.

 

20 Alles schon mal da gewesen, alles schon von den alten Griechen ausprobiert, wahrlich, es gibt nichts Neues unter der Sonne. 21 Doch all diese Vernunftanbeter vergessen eins: Der Herr, der Schöpfer der Welt, hat die Welt und die Menschen mit bestimmten Mechanismen ausgestattet, an denen kein Weg in eine friedliche Zukunft vorbeiführt. 22 Ehre Gott und liebe den Nächsten wie dich selbst, und tu dem Nächsten nie das an, was du nicht willst, dass man dir antut! 23 Dieses Gebot ist mit gewissen Pflichten verbunden. 24 Und erst wenn der Mensch diesen Pflichten nachkommt, kann er seine Freiheit genießen. 25 Vorausgesetzt, die anderen tun es auch. 26 Aber da der Herr die Menschen kennt und weiß, wie schwach sie sind, hat Er ihnen die Thora und den Koran als Hilfe gegeben. 27 Ohne konkrete Anwendung der Thora oder des Koran kann kein gerechter Staat funktionieren, ohne die Lehre des Evangeliums in die Praxis umzusetzen, kann kein Mensch in rechter Weise leben. 28 Deswegen sind all die neumodischen Ideen wie eine Gerölllawine, geräuschvoll und destruierend, und zeitigen nichts Beständiges. 29 Zum Schluss bleibt  der  Mensch  selbst  der  Geprellte. 30 Es  ist  ein  Zeitalter der Heuchelei. 31 Religionsführer heucheln, im Namen Gottes zu handeln, dabei übertreten sie und ihre Handlanger alle Gebote Gottes. 32 Die sogenannten Freidenker versprechen Freiheit und Brot, dabei halten sich manche von ihnen Sklaven und Diener, andere wiederum befürworten die Kolonisierung fremder Länder als Fortschritt.

33 Die  osmanischen  Führer  konnten  sich  mit ihrem  Misserfolg nicht abfinden. 34 Sie versuchten immer wieder, ins Herz Europas vorzustoßen. 35 Schließlich wurde Großwesir Kara Mustafa Pascha von Sultan Mehmet beauftragt Wien zu erobern. 36 Der Marsch des osmanischen Heeres dauerte Monate. 37 Unterwegs plünderten sie und verwüsteten unzählige Dörfer, Festungen und Städte. 38 Je mehr sie sich Wien näherten, umso schlimmer wurden ihre Untaten. 39 Viele Orte im Burgenland und in Niederösterreich könnten davon ein Lied singen, aber es ist von den Bewohnern niemand mehr am Leben. 40 Als das Heer dann mitten im Sommer Wien erreichte, begann die Belagerung. 41 Da die Nachrichten über die osmanischen Gräueltaten in Windeseile Wien sowie andere europäische Städte erreichten, setzte einerseits das große Zittern ein, andererseits wurde alles Notwendige veranlasst, um den Wienern Hilfe zu leisten. 42 Aus Polen, Sachsen und Bayern wurden Regimenter in Bewegung gesetzt. 43 Aber es brauchte alles seine Zeit,  und  die  Wiener  gerieten  immer  mehr  in  Panik, zumal sich die Osmanen siegessicher  gaben  und  die  Stadt  immer  enger  und  bedrohlicher umschlossen. 44 Durch Tunnelgraben und Verminen der Befestigungsanlagen arbeiteten sich die Angreifer immer näher an die Stadt heran. 45 Außerdem beschossen sie in der Stadt selbst hohe Gebäude, unter anderem den Stephansdom und die Kapuzinerkirche. 46 In der Stadt herrschte Lebensmittelknappheit und auch manche Erkrankungen breiteten sich aus. 47 Es war absehbar, dass die Stadt in wenigen Tagen fallen würde, falls die versprochene Hilfe nicht einträfe. 48 Aber auch Kara Mustafa Pascha  wurde  ungeduldig und setzte alles daran, die Stadt endlich  einzunehmen. 49 Als er erfuhr, dass die Hilfstruppen für Wien schon nahe waren, musterte er sein Heer und machte einen Plan der Einnahme der Stadt. 50 Trotz Warnungen seiner Heerführer befahl er, überstürzt und taktisch unklug, den Angriff. 51 Das wurde den Osmanen zum Verhängnis. 52 Während sie Wien bestürmten, hatten sie plötzlich christliche Truppen im Rücken. 53 Als dann der polnische König Jan Sobjeski mit seinem Heer eintraf, entschied er die Schlacht schnell zugunsten der Christen.

54 Die Osmanen verließen Hals über Kopf das Schlachtfeld. 55 Natürlich wurde der Schuldige an der Niederlage gesucht. 56 Kara Mustafa Pascha ließ den Ibrahim Pascha hinrichten. 57 Er selbst wurde dann etwas später auf Geheiß des Sultans in Belgrad erdrosselt. 58 Aus Dankbarkeit für die Befreiung Wiens wurde in der Katholischen Kirche das Fest Mariä Namen eingeführt.

 

59 Die in der Diaspora zerstreuten jüdischen Gemeinden wurden mit Problemfällen in ihren eigenen Reihen konfrontiert. 60 Die Amsterdamer Synagoge sah sich gezwungen, Baruch Spinoza wegen seiner Äußerungen mit Bann zu belegen und aus der Gemeinde auszuschließen. 61 Da er seine Infragestellung der Glaubenslehre nicht zurücknahm und auch sonst aus jüdischer Sicht merkwürdige theologische und philosophische Standpunkte vertrat, sah sich die Gemeindeleitung zu diesem Schritt genötigt. 62 Vor einen ganz anderen Fall wurde die jüdische Gemeinde in Izmir gestellt. 63 Ein Gemeindemitglied verkündete öffentlich, ein Prophet zu sein. 64 Da solche Personen in der Regel stur sind und das Gemeindeleben erheblich beeinträchtigen, wurde er kurzerhand aus der Gemeinde verstoßen. 65 Aber eine Verkettung  von Ereignissen  bestärkte den jungen Mann in seiner Überzeugung. 66 Nach einer Begegnung mit Natan Aschkenasi in Gaza hielt er sich sogar für den Messias. 67 Die Verfolgungen und Ermordungen unzähliger Juden in Mittel- und Osteuropa weckten in vielen Gläubigen eine starke Sehnsucht nach dem Messias und damit auch die Erwartung seines nahen Kommens. 68 Diese Tatsache kam dem  „Messias“  Sabbatai  Zwi  zugute,  und  er  gewann eine Menge Anhänger. 69 Viele von ihnen blieben ihm treu, auch nachdem er zum Islam konvertiert war. 70 Sein Erscheinen verwirrte und spaltete die ohnehin gebeutelten Juden in der Diaspora noch mehr. 71 Sabbatai Zwi verstarb in Verbannung im montenegrinischen Teil des Osmanischen Reiches. 72 Seine Anhänger sorgen aber weiterhin für Verunsicherung in jüdischen und sogar manchen christlichen Kreisen Europas.

 

 

T e i l     S E C H S                  KAPITEL  7

 

1 Gott sei uns gnädig und segne uns. 2 Er lasse über uns sein Angesicht leuchten, damit auf Erden sein Weg erkannt wird und unter allen Völkern sein Heil.

3 Wenn bloß alle Völker das Heil des Herrn erkennen würden! 4 Dann hätten viele, in erster Linie die Juden, weniger zu leiden. 5 Sie sind nämlich wieder mal zur Zielscheibe europäischer Herrscher und Herrscherinnen geworden. 6 Die Beweggründe dafür sind nicht ganz klar. 7 Vielleicht ist es ihre Unmut über die Misserfolge, dem sie durch die Judenverfolgung Luft machen; vielleicht sind es finanzielle Gründe; womöglich aber liegt der Grund in der Tatsache, dass die Juden das von Gott auserwählte Volk sind. 8 In Hamburg jedenfalls scheinen die finanziellen Interessen im Vordergrund zu stehen, denn dort wurden von den neuen antijüdischen Maßnahmen nur die aschkenasischen Juden betroffen, während die Sepharden, von denen die Stadt Vorteile hatte, in den Genuss von Erleichterungen kamen. 9 Auch den Preußen Friedrich Wilhelm mögen Motive finanzieller Art bewogen haben, den Juden zu verbieten, als Konkurrenten der christlichen Gilden aufzutreten. 10 Viel schlimmer, ja tragischer ist jedoch die Verordnung des Habsburger Kaisers Karl, mit der er den Söhnen jüdischer Familien die Freiheit zu heiraten einschränkte. 11 Heiraten darf nur der älteste Sohn, und das erst nach dem Ableben des Vaters. 12 Wer denkt da nicht an Ägypten, die Hebammen und den Pharao. 13 Die Zeiten haben sich zwar geändert, aber Angst und Hass bezüglich der Juden werden weiterhin geschürt, sogar die Methoden der Drangsalierung sind nicht wesentlich anders geworden.

 

14 Vom Schicksal der Juden wechseln wir zum Schicksal der Länder und Reiche. 15 Der russische Zar Peter führte Kriege an mehreren Fronten. 16 Gegen die Türken hatte er wenig Erfolg, im Krieg gegen Schweden eroberte er jedoch neue Gebiete im Nordosten Europas. 17 Er ließ sich eine neue Residenz bauen, machte Sankt Petersburg  zur  Hauptstadt  Russlands  und  legte  sich  den  Titel Imperator zu. 18 Nach seinem Tod übernahm seine Gemahlin Katharina die Herrschaft, zumindest nominell. 19 Katharina stammte aus einfachen Kreisen, wurde als Martha Elena  Skavronska  geboren  und  nach  dem  römisch–katholischen Ritus getauft. 20 Als  Waise  wuchs  sie  in  der  Familie  eines protestantischen Theologen auf. 21 Nach der Bekanntschaft mit dem Kaiser, wechselte sie zur russisch-orthodoxen Kirche über und nahm den Namen Katharina an. 22 Als Kaiserin überließ sie die meisten Aufgaben dem Fürsten Alexsander Danilovic Menschikow, dem Vertrauten ihres Gemahls.

 

23 Während Katharina in Sankt Petersburg thronte, wurde auch in Schweden eine Frau zur Herrscherin erhoben, wenngleich nur kurzzeitig. 24 Ihr Name war Ulrike Eleonore. 25 Sie war mit den Regierungsgeschäften wohl vertraut, denn sie vertrat ihren Bruder, König Karl, wenn er dienstlich oder wegen Krankheit verhindert war. 26 So wunderte es nicht, dass sie nach seinem Ableben die Königswürde übernahm. 27 Nachdem sie ein Jahr lang selbst alle Zügel in der Hand gehalten hatte, überließ sie das Regieren ihrem Mann, während sie selbst seine Stellvertreterin wurde. 28 Davor versuchte sich Anne Stuart als Königin der Inselstaaten. 29 Sie führte zuerst den Titel der Königin von Irland, dann von England und Schottland, und schließlich, nach deren Vereinigung, von Großbritannien. 30 Inzwischen war in Russland der zwölfjährige Peter Aleksejevic Kaiser geworden. 31 Seine Herrschaft war von kurzer Dauer, er erkrankte an Pocken und starb. 32 Nun wurde Anna Ivanovna die gekrönte Herrscherin Russlands. 33 Ihr folgte Ivan Antonovic auf den russischen Thron. 34 Er war zwei Monate alt als er als Zar und Imperator inthronisiert wurde. 35 Scheinbar hatte er keine mächtigen Tutoren, da seine Herrschaft schon nach einem Jahr beendet wurde. 36 Danach bestieg Elisaweta Petrovna Romanova den Thron. 37 Es war schon zum wiederholten Male, dass eine Frau als Zarin die Nachfolge eines Kindes antrat. 38 Sie regierte mit starker Hand, reiste viel, förderte die schönen Künste. 39 Muslime und Juden ließ sie missionieren, und wenn sie nicht Folge leisteten, wurden sie bekämpft. 40 Mit Schweden schloss sie Frieden, mit dem Osmanischem Reich legte sie sich nicht an, obwohl dessen Stärke schon bröckelte. 41 Seit der verlorenen Schlacht um Belgrad, bei der der Prinz Eugen mit seinen Truppen den Sieg davontrug, konnten die Osmanen keine nennenswerten Kriegserfolge mehr erzielen. 42 Das Reich ist instabil geworden, es sind innere Spannungen und Machtkämpfe zu beobachten, was man übrigens von ganz Europa behaupten kann.

 

43 Das sogenannte „christliche Abendland“ wird von Erb- beziehungsweise Thronfolgekriegen erschüttert. 44 Es gibt kaum ein Land, das nicht davon betroffen wäre. 45 Dabei geht es immer nur um Macht, um Gebietserweiterung, ums Habenwollen. 46 Offensichtlich haben Christen eine Menge Besitztümer und Macht zu vergeben oder zu vererben. 47 Dadurch stehen sie in krassem Widerspruch zu der Lehre Jesu aus Nazareth, dem sie vermeintlich nachfolgen. 48 Er starb arm und verlassen, ohne Land und Macht. 49 Das einzige was er zu hinterlassen hatte war seine Mutter. 50 Und er vermachte sie dem einzigen Jünger, der nicht geflüchtet war, sich nicht versteckt und ihn in seinem Leiden nicht allein gelassen hatte. 51 In diesem Zusammenhang soll ein glühender katholischer Verehrer seiner Mutter und unter dem Klerus umstrittener Priester, Louis–Marie Grignion de Montfort, erwähnt werden, der unlängst einen Orden gründete. 52 Er lässt in seinem Orden Miriam aus Nazareth als Königin verehren, als Königin der Demut und Barmherzigkeit, des Friedens und der Versöhnung, der Fürsprache und der Liebe.

 

53 Da wir uns nun schon mal mit mächtigen Frauen beschäftigen, die derzeit die Geschicke der Welt mitlenken, sollen noch einige andere namhafte Frauen hier erwähnt werden. 54 Zum einen ist da die Mathematikerin Maria Gaetana Agnesi, welche in Mailand als erstes der einundzwanzig Kinder der Familie Agnesi geboren wurde. 55 Neulich veröffentlichte sie  ihr  Werk  Grundlagen  der  Analysis. 56 Zum anderen ist da die Medizinerin Dorothea Christiane Erxleben. 57 Trotz der Sorge um neun Kinder und ihrer Tätigkeit als Ärztin nutzte sie die Sondergenehmigung König Friedrichs, um an der Universität von Halle zu promovieren. 58 Und nun zur mächtigsten Frau Europas, welche schon vor ihrem Herrschaftsantritt vielen Kopfzerbrechen bereitete, angefangen bei ihren Eltern bis hin zu den Königshöfen Englands, Spaniens und noch anderer mehr. 59 Es handelt sich um die Habsburgerin Maria Theresia. 60 Sie regiert mit eisernem Willen, führt Kriege, schließt Friedensvereinbarungen, führt Reformen durch, fördert Bildung; sie legt eine schier unermüdliche Energie an den Tag, als wollte sie vor den Augen der männlichen Herrscher ihre Ebenbürtigkeit unter Beweis stellen. 61 Besonders mit einem Mann wetteifert sie - dem Preußen Friedrich, konnte bisher allerdings noch keinen Erfolg  gegen  ihn  verbuchen.  62 Aber auch Hässliches, sehr Hässliches tut sie. 63 Als sie anordnete, dass binnen vierzig Tagen alle Prager Juden aus Böhmen zu verschwinden hatten, führte sie in ihrem Edikt nur an: „...aus mehrerley bewegenden höchst triftigen Ursachen den allerhöchsten Entschluß gefaßt, daß künftighin kein Jud mehr in dem Erbkönigreich Böhmen gedultet werden soll. 64 Man kann nur raten, was für höchst triftige Gründe das waren. 65 Vielleicht bestand die Schuld der Juden in der Tatsache, dass sie nicht katholisch waren; vielleicht liefen ihre Geschäfte zu gut; vielleicht wollte sich jemand wieder mal an ihrem Vermögen bereichern. 66 Man ist versucht zu bezweifeln, ob für die böhmischen Juden die Pest, die unlängst dort wütete, tatsächlich schlimmer war als die Herrschaft der Maria Theresia von Gottes Gnaden Königin zu Hungarn, Böhmen, Dalmatien, Croatien, Slavonien, Gallizien, Lodomerien, etc. etc, Erzherzogin zu Österreich, Herzogin zu Burgund, zu Steyer, zu Kärnten und zu Crain, Großfürstin zu Siebenbürgen, Marggräfin zu Mähren, Herzogin zu Braband, zu Limburg, zu Luxenburg und zu Geldern, zu Württenberg, zu Ober- und Nieder-Schlesien, zu Mailand, zu Mantua, zu Parma, zu Piacenza, zu Guastala, zu Auschwitz und Zator, Fürstin zu Schwaben, gefürstete Gräfin zu Habsburg, zu Flandern, zu Tirol, zu Hennegau, zu Kyburg, zu Görz und zu Gradisca, Marggräfin des Heiligen Römischen Reiches, zu Burgau, zu Ober- und Nieder-Laußnitz, Gräfin zu Namur. 67 Was konnte schon irgendein Josef ben Jakob oder eine Esther bat Isaak gegen eine so mächtige Frau und ihre Titel ausrichten?

 

68 Auch der Hoffaktor des Herzogs Karl Alexander von Württemberg, Josef ben Issachar Süßkind Oppenheimer, konnte nach dem Tod seines Gönners sein Leben nicht retten. 69 Er wurde auf bestialische Weise ermordet und sein Leichnam als Abschreckung mehrere Jahre in einem Käfig zur Schau gestellt. 70 Abschließen möchten wir diesen Bericht mit den Worten einer frommen, verwitweten jüdischen Hausfrau und Mutter von zwölf Kindern, Glückel von Hameln geborene Pinkerle, einer wahren Königin des Menschengeschlechts. 71 Der große gnädige Gott straft uns, damit wir lernen weise zu werden und auf seinen Wegen zu gehen. 72 Denn alles Gute, was uns der Allmächtige Gott gibt, haben wir uns nicht verdient, und wir können ihm nicht treu genug dienen für alle seine Wohltaten.

 

 

T e i l     S I E B E N                  KAPITEL  1

 

1 Sie reißen ihr Maul bis zum Himmel auf und lassen auf Erden ihrer Zunge freien Lauf. 2 Darum wendet sich das Volk ihnen zu und schlürft ihre Worte in vollen Zügen.

3 Es gibt die Welt, in der wir leben, es gibt aber noch eine andere, der ersten immanente Welt, die wir als „die Welt“ bezeichnen wollen. 4 Mit der ersten ist also die räumlich - zeitliche Dimension gemeint, in der Menschen, Tiere und Pflanzen ein sich ständig veränderndes Miteinander bilden. 5 Darin existieren Gut und Böse, Profanes und Heiliges, Reines und Unreines nebeneinander, mit oft sehr verwischten Grenzen. 6 Menschen freuen sich, feiern, streiten, bekriegen sich, versöhnen sich wieder, wie geschrieben steht: Alles hat seine Zeit - Liebe, Hass, Krieg, Friede, Versöhnung. 7 „Die Welt“ hingegen besteht aus einer besonderen Kategorie von Menschen, Menschen, die immer alles besser wissen, die am lautesten schreien und die Fähigkeit haben, ihre eigene Unzufriedenheit auf andere zu übertragen und ihnen eigene Ideen schmackhaft zu machen. 8 Man kennt dies schon seit dem Dialog der Schlange mit Eva. 9 Alles Bestehende wird als falsch dargestellt, in einem anderen Licht gezeigt, wobei einem viel verheißende Lösungen angeboten werden. 10 Eines der bevorzugten Angriffsziele „der Welt“ ist die Religion, speziell der Glaube an den Einen Gott. 11 Schon im alten Ägypten konnten die noblen Ägypter nicht mit Juden zusammen essen, es war ihnen unerträglich, weil nämlich die Hebräer fest an den Einen Gott glaubten. 12 Zu allen Zeiten konnte man in bestimmten Kreisen jene, die Gott in besonderer Weise gehörten oder ihm treu anhingen, nicht oder nur schwer ertragen. 13 Diese Abneigung verband Gleichgesinnte und führte zur Entstehung von dem was wir als „die Welt“ bezeichnen.

 

14 So gibt es heute, aber auch schon viele, viele Generationen davor, fast in jeder Nation „die Welt“, welche die Gläubigen, seien es Juden, Christen oder Muslime, aus irgendeinem Grund widerlich finden. 15 Als Grund dafür werden verschiedene Missetaten von einzelnen Religionsgemeinschaften, an denen es wahrlich nicht mangelt, vorgeschoben. 16 Dass dies nur vorgeschoben wird, zeigt die Tatsache, dass die meisten dieser Missetaten schon Jahrzehnte oder Jahrhunderte zurückliegen, also gar nicht aktuell sind. 17 Es ist ein Leichtes, das zu durchschauen und festzustellen, dass der wahre Grund für die Aversion, ja Feindschaft, in dem Festhalten der Religionsgemeinschaften an Gottes Geboten und dem Respekt vor seiner Autorität zu suchen ist.

 

18 „Die Welt“ lehnt jegliche Ordnung, Hierarchie und moralische Norm ab. 19 Solche Menschen sind geradezu besessen vom Trieb, die bestehende Ordnung zu zerstören und der Welt ihre eigenen Regeln aufzuzwingen. 20 Es handelt sich eigentlich um arme, bemitleidenswerte Kreaturen, welche weder Menschen- noch Gottesliebe erkannt, geschweige denn angenommen haben. 21 Leider gelingt es ihnen nur zu oft, die breite Masse zu verführen, die an sich ein ordentliches Leben führt, aber durch Alltagssorgen, Ungerechtigkeiten und Armut verwirrt ist. 22 Schuld an der Misere sind teilweise auch Herrscher, Religionsführer, besonders katholische, die Oberschicht in säkularen und religiösen Kreisen. 23 Wegen ihrer Hartherzigkeit, ihres Mangels an Einfühlungsvermögen werden sie oft egoistisch, raffgierig, selbstgerecht und unnahbar für Rat-, Trost- oder Zufluchtsuchende. 24 Durch ihr halsstarriges Verhalten machen sie es den Emissären „der Welt“ leicht, die Massen an sich zu reißen und ihnen glaubhaft zu machen, dass nicht die ungerechten Gläubigen, sondern Gott und Gottesglaube an allem schuld seien. 25 So entstehen Zweifel und Verwirrung bei den Menschen, was schließlich zu chaotischen Ausschreitungen führt. 26 Gerade Menschen der Gegenwart sind Zeugen und Teilnehmer einer solchen Weltverbesserungsorgie. 27 Die Zustände in der Gesellschaft lassen sich wirklich nicht schönreden, die Verantwortungslosigkeit der Staats- und Kirchenoberhäupter ist nicht zu leugnen, die Unzufriedenheit der Menschen hat ihren berechtigten Grund. 28 Und doch ist es falsch, „der Welt“ zu folgen, die alle, und zuletzt auch noch sich selbst, in den Abgrund stürzt. 29 Bei näherem Hinschauen kann man feststellen, welche Charaktereigenschaften die Anführer „der Welt“ und die Vorläufer der gegenwärtigen Katastrophe zieren. 30 Ein Vater, der vier Kinder gezeugt, aber nicht für sie sorgen wollte, sondern sie dem Armenhaus und damit dem baldigen Tod übergab, verkündet die neue Lebensweisheit und gibt sich als Philosoph und großer Pädagoge. 31 Menschen, die Gleichheit und Brüderlichkeit predigen, nennen die Juden „berechnende Tiere“ und die Schwarzafrikaner „Kinder des Orang-Utans“. 32 Man verkündet das gleiche Recht für alle, aber man schneidet Mädchen und Frauen die Köpfe ab, nur weil sie in einer klösterlichen Gemeinschaft zusammenleben möchten. 33 Das Christentum wollen sie schon aus dem Grund abschaffen, weil sein Urheber ein Jude war. 34 Für den Propheten und den ehrwürdigen Koran haben sie nur Schimpf und Spott übrig. 35 Die Thora ist für sie der Grund allen Übels in der Welt, das türkische Volk dumm und naiv.

 

36 Man eroberte Ägypten und schickte mit den Soldaten auch Wissenschaftler dorthin, um die Eroberung in einem besseren Licht erscheinen zu lassen; aber eigentlich ging es nur darum, aus dem Land und seinen Schätzen den größtmöglichen Nutzen zu ziehen. 37 So überführt „die Welt“ sich selbst in Bezug auf Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. 38 Das alles sind deren erhabene Ziele, aber nur für sie und Gleichgesinnte, beziehungsweise Angepasste. 39 Wo ist da der Unterschied zwischen der Willkür von Kaisern, Königen, Fürsten, Bischöfen, Grafen und der Willkür der neuen Machthaber? 40 Außer dass es jetzt noch mehr Willkür, Ungerechtigkeit und Blutvergießens gibt. 41 Die abgeschnittenen Köpfe rollen in dieser Zeit zu Hunderten, Tausenden, Zehntausenden; und die meisten Opfer sind nicht Vertreter des Staates, der Kirche, der Oligarchie. 42 Mehr als achtzig von je hundert abgeschnittenen Köpfen gehören den Armen, den Bauern und Arbeitern, denen eigentlich die neue Weltordnung zugutekommen sollte.

 

43 Aber Arbeiter und Bauern, reich an Erfahrung, begriffen schnell und durchschauten bald die wahren Ziele „der Welt“. 44 Den Mutigen, die es wagten, darauf hinzuweisen, wurde es zum Verhängnis, denn ihre vermeintlichen Befreier wurden zu ihren Henkern. 45 Zurzeit ist allein schon das Denken gefährlich. 46 Der Blutrausch ist so groß, dass die Vertreter „der Welt“ sich auch gegenseitig die Köpfe abschneiden lassen – eine „kopflose neue Welt“. 47 Eine neue Welt braucht natürlich auch einen passenden Gott. 48 „Die Welt“ ist daher bemüht, eine neue Religion und eine neue Gottheit zu erschaffen: Man verkündet den Kult des „höchsten Wesens“. 49 Es werden neue Kultstätten errichtet und Feiertage eingeführt,  man  lässt  die  Menschen  einen  Eid auf das „höchste Wesen“ schwören. 50 Man gibt den Tagen neue Namen, den Monaten auch, ersinnt einen neuen Kalender; anstatt der Sieben-Tage-Woche wird die Dekade eingeführt, der Tag hat neuerdings zehn Stunden, die Stunde hundert Minuten.

 

51 Dieser ganze  Spuk  wird  einmal  ein  Ende  nehmen,  hoffentlich  in nicht allzu ferner Zukunft. 52 Aber der Schlangenbiss „der Welt“ und der Geruch des Blutes, an dem sich viele berauscht haben, werden noch lange nachwirken. 53 Es wird eine lange, finstere Nacht werden, weil zu viel Böses geschehen ist, was wieder weiter Böses zeugt. 54 Die Verfinsterung des Verstandes wird noch weit in die ferne Zukunft ihren Schatten werfen. 55 Es wird noch mehr Blut fließen, noch mehr Eroberungen, Unterdrückung, Ausbeutung und Versklavung geben. 56 So wie geschrieben steht: Du sollst dich nicht vor anderen Göttern niederwerfen und dich nicht verpflichten, ihnen zu dienen. 57 Denn ich, der Herr, dein Gott, bin ein eifersüchtiger Gott: Bei denen die mir feind sind, verfolge ich die Schuld der Väter an den Söhnen, an der dritten und vierten Generation. 58 Es gibt keinen Grund zu zweifeln, dass es so geschehen wird. 59 Man braucht kein Prophet zu sein, um zu wissen, dass der Herr seine Aussagen immer verwirklicht. 60 Damit wollen wir uns von „der Welt“ ab- und den Ereignissen in verschiedenen Teilen der Welt zuwenden. 61 Viele von diesen Ereignissen sind sattsam bekannt, deswegen wollen wir hier nur einige erwähnen, die in der Fülle der durchschlagenden Nachrichten etwas untergegangen sind.

 

62 Unter den osteuropäischen Juden entstand eine mystische Bewegung unter der Führung von Rabbi Israel ben Eliezer. 63 Die Bewegung bekam rasch sehr viele Anhänger, ist aber im traditionellen Judentum umstritten. 64 Infolge der Aufteilung Polens zwischen Russland, Österreich und Preußen wurden auch die dort ansässigen Juden Bürger anderer Reiche. 65 Die Schüler des oben erwähnten Rabbi Eliezers organisierten eine bemerkenswerte Alija - Einwanderung in das gelobte Land. 66 Es wird in Tiberias, Safed, Hebron und Jerusalem gesiedelt.

 

67 Der österreichische Kaiser Joseph  räumte  mit  seinem  Toleranzedikt  den  Juden Böhmens eine gewisse Religionsfreiheit ein. 68 Ein Jahr später erleichterte er durch sein Patent den Juden Wiens und Niederösterreichs den Zugang zu den handwerklichen und landwirtschaftlichen Berufen. 69 Die russische Zarin Katharina gestattete den wohlhabenden Juden die Mitgliedschaft in den Gilden. 70 Damit machte sie dem mittelalterlichen Berufs- und Gildenverbot für Juden ein Ende. 71 Der preußische Kriegsrat von Dohm appellierte an die Christen, die Juden als Brüder und Mitmenschen zu behandeln. 72 In der Welt wurden viele Entdeckungen gemacht und neue Maschinen konstruiert, die den Menschen die Arbeit erleichterten.

 

 

T e i l     S I E B E N                  KAPITEL  2

 

1 Der Spruch des Gottlosen lautet: „Unrecht zu tun steckt tief mir im Herzen!“ Es gibt keine Gottesfurcht vor seinen Augen.

2 Auf dem politischen Parkett spielt die Französische Republik immer noch die Hauptrolle. 3 Sie hat die Vorherrschaft in etlichen Teilen Europas. 4 Napoleon ist der Erste Konsul der Republik. 5 Europäische Monarchien gehen verschiedene Bündnisse ein und führen mehrere Kriege gegen Napoleon, um dem Vormarsch des Liberalismus Einhalt zu tun und dadurch die Macht des Adels zu sichern. 6 Es sind unruhige Zeiten. 7 Außer gegen Frankreich führen manche Staaten auch noch andere Kriege, wobei sich einige von ihnen zu einem Zeitpunkt mit mehreren Staaten zugleich im Krieg befinden. 8 Napoleon gegen den Rest Europas also, das sich uneinig ist und für das Napoleon lange eine nicht leicht zu meisternde Herausforderung bleibt. 9 Die Autorität der Katholischen Kirche ist seit der Französischen Revolution angeschlagen. 10 Napoleon bot dem Papst ein von ihm diktiertes Konkordat an, das mächtig in die kirchlichen Angelegenheiten einschneidet. 11 Der Papst unterzeichnete es, um der in Frankreich unterdrückten Kirche die Freiheit zu sichern. 12 Er war es auch, der in der Kirche von Notre-Dame in Paris Napoleon zum Kaiser krönte. 13 Nichtsdestotrotz annektierte Napoleon später den Kirchenstaat, ließ den Papst verhaften und nach Frankreich bringen. 14 Erst beim sechsten Anlauf, nachdem Napoleons Armee besiegt und geschwächt aus Russland zurückgekehrt war, gelang es den Bündnisstaaten, den Kaiser der Franzosen zu schlagen. 15 Nun wurden auf einem Kongress in Wien die Grenzen neu gezogen; das Gleichgewicht zwischen den fünf Großmächten wurde wiederhergestellt. 16 Wenig später wurde von Österreich, Preußen und Russland ein neues, auf christlichen Prinzipien gründendes Bündnis ins Leben gerufen; es wurde die Heilige Allianz genannt und sollte über den Frieden in ganz Europa wachen. 17 Doch Frieden ist nicht nur das Gegenteil  von  Krieg,  etwas  was  man  mit  Militärgewalt  durchsetzen  oder  gar bewahren kann. 18 Die Bevölkerung, insbesondere die Studentenschaft, ist von der Freiheitsidee und vom nationalen Bewusstsein angesteckt; es wird nach Freiheit der persönlichen Lebensführung, nach Bildung für alle, nach nationaler Volkssouveränität verlangt. 19 Freiheit und Liberalismus sind die neuen, „heiligen“ Schlagwörter, mit denen die „Welt“ die Gesellschaft manipuliert. 20 Unter den ersten haben sich Belgien von den Niederlanden und Griechenland vom Osmanischen Reich die Freiheit erkämpft.

 

21 Dem durch verschiedene Aufstandsherde im europäischen Teil geschwächten Osmanischen Reich droht auch noch von Ägypten her Gefahr. 22 Dort  riss  der  Statthalter  Muhammad  Ali Pascha die Macht an sich. 23 Unter dem Befehl seines Sohnes Ibrahim Pascha besetzte er das Heilige Land und Syrien, wo er seinen Sohn als Verwalter regieren ließ. 24 Dieser erwies sich als ein vernünftiger und toleranter Herrscher. 25 Er setzte die Gleichstellung von Muslimen und Christen durch, was ihm feindliche Gesinnung religiöser Institutionen einbrachte. 26 Unter seiner Regierung konnten auch Juden und Christen in den Jerusalemer Gemeinderat gewählt werden. 27 In Amerika waren die liberalen Ideen bereits vor der Französischen Revolution in die Tat umgesetzt worden; im Krieg der Siedler gegen das Mutterland Großbritannien wurden die USA geboren. 28 Nun werden in Südamerika Unabhängigkeitskriege gegen die Kolonialmacht Spanien geführt, aus denen schon eine ganze Reihe von neuen, unabhängigen Staaten hervorgegangen ist. 29 Auf dem alten Kontinent fühlen sich die dank des wirtschaftlichen Fortschritts reich gewordenen Kaufleute, Fabrikbesitzer, das sogenannte Bürgertum, in den starren feudalen Strukturen eingeengt in ihrem Streben und werden zu den Vorreitern des Liberalismus. 30 Die Heilige Allianz, die den Frieden, den Glauben und die Moral in Europa bewahren will, hat alle Hände voll zu tun. 31 Die Presse-, Vereins- und Versammlungsfreiheit  sowie  die Freiheit der Universitäten wird eingeschränkt. 32 Es wird militärisch gegen Aufstände und revolutionäre Unruhen vorgegangen.

 

33 Wenn in der Antike die geschichtliche Wandlung der Gesellschaft im Laufe eines Menschenlebens praktisch nicht wahrnehmbar war, so wird man sich ihrer nun oft schmerzhaft bewusst. 34 Der stark beschleunigte und alles durchziehende Wandel ist eine Folge von Erfindungen und Entdeckungen, die seit geraumer Zeit in immer schnellerem Tempo aufeinander folgen und auch in der Praxis Anwendung finden. 35 Dies wirkt sich nicht nur auf die Wirtschaft und die Lebensbedingungen aus, sondern prägt das Empfinden, die Denkweise und das Weltbild der Menschen in bis dahin ungeahnter Weise. 36 Es ist die Sternstunde der Europäer, die bereits die  Weltherrschaft  an  sich  gerissen  haben. 37 Ihr Selbstbewusstsein ist enorm. 38 Sie sind der festen Überzeugung, ihre Rasse sei den anderen weit überlegen, darum sehen sie sich dazu berufen, ihre Zivilisation, die Ideale der Demokratie und den historischen Fortschritt in alle Teile der Welt zu tragen. 39 Es ist sogar vom „göttlichen Auftrag“ die Rede. 40 Große Worte, die das unmenschliche Vorgehen bei der Eroberung fremder Territorien in der neu entdeckten Welt kaschieren sollen. 41 Es wird keine Rücksicht auf die Ureinwohner und deren Bedürfnisse genommen. 42 Wenn diese versuchen, ihre Existenzgrundlage zu verteidigen, haben sie keine Chance gegen die von Regierungstruppen unterstützten weißen Siedler; es werden sogleich Strafexpeditionen organisiert. 43 Dabei gibt es richtige Massaker, wobei auch Kinder nicht verschont werden.

 

44 In Amerika werden Indianerstämmen von der US-Regierung Umsiedlungsverträge angeboten; laut Gesetz ist niemand gezwungen, sein Land zu verlassen. 45 In der Praxis wird jedoch denjenigen, die nicht umsiedeln wollen, das Leben zur Hölle gemacht, bis sie schließlich aufgeben. 46 Dazu kommt noch, dass die Umsiedlungsaktionen unter unmenschlichen Bedingungen stattfinden, sodass Tausende unterwegs sterben. 47 Statt in den Genuss des zivilisatorischen Fortschritts zu kommen, verlieren die Ureinwohner alles: ihre Würde, ihre Freiheit, Grund und Boden, und Tausende von ihnen auch das Leben; und das alles im Namen der Freiheit und Demokratie. 48 Aber nicht nur für die Ureinwohner fremder Kontinente verändert sich das Leben grundlegend.

 

49 In Europa ist die Industrialisierung auf dem Vormarsch. 50 Eine neue Klasse von Menschen entsteht: die Lohnarbeiter. 51 Auf dem Land sind trotz Agrarreformen und der damit verbundenen Abschaffung der Erbuntertänigkeit und Leibeigenschaft die Lebensbedingungen sehr schwer. 52 Immer mehr Arme ziehen daher in die Städte ein, wo sie in Fabriken oder im Bergbau Arbeit suchen. 53 Dort arbeiten sie für einen Hungerlohn unter ungesunden Arbeitsbedingungen und sind nicht besser dran als früher in der Leibeigenschaft oder Schuldknechtschaft. 54 Auch Kinder müssen arbeiten, damit Familien überleben können. 55 Dazu kommen noch Missernten und Epidemien; eine Massenarmut entsteht. 56 Bewährte Traditionen, die einst den Menschen halfen, der Gegenwart Herr zu werden, greifen jetzt nicht mehr. 57 In der Ausweglosigkeit geben Arbeiter ihrer Verzweiflung Ausdruck, indem sie Maschinen oder gar ganze Fabriken zerstören. 58 Soziale Proteste werden durch Militäreinsatz blutig niedergeschlagen. 59 Zwei Philosophen und Journalisten, Friedrich Engels und Karl Marx, waren die ersten, die sich systematisch mit der Verelendung breiter Massen befassten und nach Lösungen suchten. 60 In London gründeten sie einen Geheimbund, den sie Bund der Kommunisten nannten; in dessen Auftrag veröffentlichten sie das Kommunistische Manifest, in dem sie ihre Erkenntnisse darlegten.

 

61 Schauen wir nun mal, was die Verfechtung der Freiheit den Juden in der Diaspora gebracht hat, die meistens als Kleinhändler und Geldverleiher am Rande der Gesellschaft leben. 62 In einigen europäischen Ländern wurden Edikte erlassen, in denen auch den Juden die Staatsbürgerschaft zugesprochen wurde, leider oft mit erheblichen Einschränkungen. 63 In der Bevölkerung bleiben sie jedoch weiterhin verhasst. 64 In Würzburg kam es zu schlimmen antijüdischen Ausschreitungen, die auch auf andere Städte überschwappten. 65 Der russische Zar Nikolaus erließ eine Reihe antijüdischer Bestimmungen. 66 In seinem Imperium werden die Juden massivem Bekehrungsdruck ausgesetzt. 67 Allerdings geht es den dort lebenden Katholiken und Protestanten auch nicht besser. 68 Die Sklaverei wird nach und nach offiziell verboten, inoffiziell bleibt sie jedoch weiterhin bestehen, der Sklavenhandel wird durch Schmuggel ersetzt. 69 Die Kinder der Französischen Revolution sind, was Morden, Plündern und Besetzen fremder Territorien betrifft, im Vergleich zu den Kreuzzugrittern und den muslimischen Eroberern richtige Spezialisten. 70 Dank technischer Errungenschaften sind sie in der Lage, die Schwachen nach Belieben zu manipulieren und zu unterdrücken, was sie nach Strich und Faden tun. 71 Der Liberalismus erweist sich schließlich als eine Fratze der „Welt“. 72 Wer den Wind sät, erntet halt den Sturm.

 

 

T e i l     S I E B E N                  KAPITEL  3

 

1 Sie haben ihr hartes Herz verschlossen, sie führen stolze Worte im Mund. 2 Sie lauern mir auf, jetzt kreisen sie mich ein; sie trachten danach, mich zu Boden zu strecken.

3 Die Mächtigen dieser Welt kämpfen weiterhin um Ressourcen und Absatzmärkte. 4 Sie stehen im Konkurrenzkampf miteinander, wobei es manchmal zu kriegerischen Auseinandersetzungen, eher selten aber auch zu Absprachen oder friedlichem Tausch von Kolonialgebieten kommt. 5 In Europa ist inzwischen aus dem Norddeutschen Bund eine neue Großmacht entstanden: das Deutsche Reich.

6 Es will nun auch seinen Teil vom Kolonialkuchen haben, also stürzt es sich in den Wettlauf um Kolonien, vor allem in Afrika. 7 Wenn man militärisch überlegen ist, braucht man manchmal nur die Muskeln spielen zu lassen, um an sein Ziel zu kommen. 8 Mit dieser Taktik wurden die kulturell weit überlegenen Kaiserreiche China und Japan gezwungen, die „westlichen Barbaren“ ins Land einzulassen und nach ihrer Pfeife zu tanzen. 9 In Europa stöhnen immer noch etliche Völker unter fremdem Joch. 10 Die Italiener kämpfen um die Unabhängigkeit von Österreich und von den spanischen Bourbonen und träumen vom vereinten Königreich Italien. 11 Das polnische Volk, dessen Staatsgebiet einst von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer reichte, nun aber keinen eigenen Staat mehr hat, versuchte erneut seinen russisch besetzten Teil zu befreien und musste dafür schwere Buße hinnehmen: Hinrichtungen, Verbannung, Abschaffung des Polnischen als Amtssprache. 12 Das Selbstverständnis der Polen als Opferlamm erwies sich wieder mal als zutreffend. 13 Auch die Balkanvölker, die größtenteils unter osmanischer Herrschaft lebten, strebten nach nationaler Selbstbestimmung. 14 Das Russische Kaiserreich wollte die Gelegenheit am Schopf packen und sich direkten Zugang zum Mittelmeer verschaffen, indem es die slawischen Völker in ihrem Kampf gegen die Osmanen unterstützte. 15 Im Krieg verdrängte es die Osmanen vom europäischen Kontinent. 16 Doch die europäischen Mächte verfolgten auf dem Balkan ihre eigenen  Interessen  und  wollten  nicht,  dass  Russland  ihnen in die Quere kommt. 17 Auf dem Berliner Kongress korrigierten sie daher die Vereinbarungen des russisch-türkischen Friedens von San Stefano erheblich; der Sieger auf dem Schlachtfeld wurde so zum Verlierer auf dem diplomatischen Parkett.

 

18 In lateinamerikanischen Staaten kommt es nach der Befreiung von der Kolonialherrschaft Spaniens nicht selten zu Bürgerkriegen, in denen liberale und konservative Kräfte gegeneinander um die politische Macht kämpfen. 19 Innenpolitische Konflikte werden von anderen Staaten gerne genutzt, um Einfluss im Land zu gewinnen, indem sie eine der Konfliktparteien militärisch unterstützen. 20 In den USA scheiden sich die Geister an der Frage der Sklaverei. 21 Es kam zum Austritt der Südstaaten aus der Union und zur Gründung der Konföderation der Südstaaten. 22 Ein blutiger Bruderkrieg brach aus, der schließlich mit dem Sieg der Nordstaaten endete. 23 Doch der alte Geist treibt in den Südstaaten weiterhin sein Unwesen. 24 Ein Geheimbund namens Ku-Klux-Klan verfolgt und terrorisiert die Schwarzen sowie deren Beschützer. 25 Seine Mitglieder sind außerdem extreme Katholiken-  und Judenhasser. 26 Auch die übriggebliebenen Indianer stehen den Weißen immer noch im Wege. 27 Sie wurden nach der Umsiedlung in Reservate eingepfercht; als es sich jedoch zeigte, dass der Boden dort Gold und Silber in sich barg, verkleinerte man ihnen die Reservate einfach. 28 Doch davon nicht genug; jemand kam auf die Idee, dass man die Indianerfrage elegant lösen könnte, indem man die Kinder dem Einfluss ihrer Eltern entziehen würde. 29 So werden Indianerkinder nun schon früh ihrem Kulturkreis entrissen und auf Staatskosten in Internatsschulen gesteckt, wo sie zu modernen Amerikanern erzogen werden.

 

30 Inmitten dieser Ausweglosigkeit erschien plötzlich ein Hoffnungsträger: ein Prophet namens Wovoka. 31 Er behauptete, der christliche Gott habe sich ihm offenbart und gesagt, dass die Indianer das Reich Gottes erreichen werden, unter der Bedingung, dass sie sich gegenüber den Weißen friedlich verhalten. 32 Auch einen besonderen Tanz habe Gott ihn gelehrt, der die Indianer in ein neues, friedliches Zeitalter führen sollte. 33 Diese Lehre weckte neue Hoffnungen und fand großen Anklang unter den Indianern. 34 Leider wurde sie von einem übereifrigen Schamanen als Waffe gegen die Weißen ausgelegt, was dann unzählige Indianer mit ihrem Leben bezahlen mussten.

 

35 In China behauptet ein Mann namens Hong Xiuquan, vom „Himmlischen Vater“ den Auftrag erhalten zu haben, die Welt von den Dämonen zu befreien. 36 Mit seinen zahlreichen Anhängern bekämpft er die kaiserliche Qing-Dynastie, deren Mitglieder er für die Dämonen aus seiner Vision hält. 37 Auf dem eroberten Territorium gründete er das „Himmlische Reich des höchsten Friedens“, dessen religiöser und weltlicher Führer er wurde. 38 Die Grundbesitzer wurden enteignet, die Sklaven befreit. 39 Er übersetzte die Bibel ins Chinesische, alle anderen Religionen wurden verboten. 40 Der Genuss von Alkohol, Tabak und Opium wird mit Todesstrafe geahndet, ebenso Ehebruch und homosexuelle Praktiken. 41 Für einen Berufenen hält sich auch Baha'ullah, ein im Exil lebender Prophet persischer Abstammung. 42 Er behauptet, dass Gott sich fortschreitend offenbare und dass er, Baha'ullah, die Stimme Gottes für dieses Zeitalter sei. 43 Er verkündet die grundsätzliche Einheit aller Religionen und setzt sich für den friedlichen Dialog zwischen den Religionen ein. 44 Seiner Meinung nach ist die eigentliche Berufung des Menschen der Dienst an der gesamten Menschheit. 45 Im Christentum werden  sogenannte Erweckungsbewegungen immer stärker. 46 Sie betonen die persönliche Bekehrung und eine am Evangelium orientierte Lebensweise. 47 In dem Zusammenhang sei hier der aus der Erweckungsbewegung hervorgegangene Humanist Henry Dunant erwähnt, der angesichts der Tausenden von Verwundeten und Toten auf dem Schlachtfeld bei Solferino, um die sich niemand kümmerte, im Sinne des Evangeliums handelte. 48 Auf eigene Kosten schaffte er Verbandsmaterial und Hilfsgüter herbei und versorgte mit Hilfe der dortigen Zivilbevölkerung die Verwundeten notdürftig. 49 Er erkannte den göttlichen Ruf und leistete ihm Folge. 50 Es war seine Idee, in allen Ländern Hilfsorganisationen zu gründen, die im Falle eines Krieges die Verwundeten versorgen sollten. 51 Um für seine Idee zu werben, reiste er quer durch Europa. 52 Seine Bemühungen führten schließlich zur Gründung des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz. 53 Sein gesellschaftliches Engagement brachte ihm keine persönlichen Vorteile, im Gegenteil, er wurde von Mitarbeitern verraten, aus dem Komitee ausgeschlossen und lebte in ärmlichen Verhältnissen. 54 Trotzdem blieb er seiner Berufung treu bis zu seinem Tode. 55 Er setzte sich für friedliche Lösungen von zwischenstaatlichen Konflikten und für die Verbesserung der Lage von Kriegsgefangenen ein. 56 Ein wichtiges Anliegen war ihm der Schutz der Arbeiter, die einerseits durch ihre Arbeitgeber ausgebeutet wurden und andererseits dem atheistischen und seiner Meinung nach korrumpierenden Einfluss der Internationalen Arbeiterassoziation ausgesetzt waren.

 

57 Während Einzelne sich bemühen, die Menschheit wieder in den Einklang mit ihrem Schöpfer zu bringen, sieht die Realität indes ganz anders aus. 58 Menschen werden von politischen und religiösen Machthabern unterdrückt und gegeneinander ausgespielt. 59 Sie werden von Gewinnsüchtigen gejagt, geraubt, oder es wird ihnen sonst wie Gewalt angetan. 60 In Syrien wurden so Tausende maronitische Christen von den aufgewiegelten muslimischen Drusen getötet, wobei die Behörden, anstatt einzugreifen, den Drusen indirekt Hilfe leisteten. 61 Eine Privatperson, ein gerechter Muslim namens Abd-el-Kader, setzte sich für die verfolgten Christen ein und rettete sie vor einem Massaker. 62 In Neuseeland hält sich die Regierung nicht an den mit den Maoris geschlossenen Vertrag, der diesen ungestörten Besitz von Land, landwirtschaftlichen Flächen, Wäldern und Fischereigründen garantiert. 63 Im Südpazifik werden Eingeborene durch Täuschung, Erpressung, aber auch durch rohe physische Gewalt zur Arbeit auf Plantagen oder zum Dienst auf europäischen Schiffen rekrutiert.

 

64 In Russland kommt es nach dem Attentat auf den Zaren zu Hassausbrüchen, die sich in gewaltsamen Ausschreitungen gegen Juden artikulieren. 65 Juden werden massenweise gemordet, und vergewaltigt; ihre Häuser und Geschäfte werden geplündert. 66 In Verbindung mit diesen schrecklichen Ereignissen wird ein neuer sprachlicher Begriff geprägt: „Pogrom“. 67 Die christlichen Armenier weigern sich, die doppelten Steuern zu entrichten – an die Osmanen und an die örtlichen kurdischen Stammesführer. 68 Dies wird von den Herrschenden als Gelegenheit genutzt, das Reich durch die Dominanz der Muslime über die Christen zu einigen und zu festigen. 69 Schreckliche Pogrome an den Armeniern setzen ein, wobei sowohl Europa als auch Amerika tatenlos zusehen. 70 In einem jungen, von seinem Schicksal enttäuschten Juden namens Theodor Herzl keimt die Idee auf, sich zum Verfechter eines eigenen Judenstaates als Heimat aller Juden zu machen. 71 Als er in Basel einen Kongress der Gleichgesinnten organisierte, versammelten sich dort Tausende von Juden aus aller Welt. 72 Ein hoffnungsvolles Zeichen, fürwahr, doch man freue sich nicht zu früh!

 

 

T e i l     S I E B E N                  KAPITEL  4

                                                                                                

1 Herr, wie lange noch wirst du das ansehen? Rette mein Leben vor den wilden Tieren, mein einziges Gut vor den Löwen!

2 In China kam es zu einem Aufstand, der gegen die fremden Eindringlinge gerichtet war, denen die Schuld an der Zerstörung der natürlichen Umwelt sowie der sozialen Harmonie zur Last gelegt wurde. 3 Dabei wurden auch die christianisierten Landsleute als Feinde betrachtet, verfolgt und grausam getötet. 4 Im Krieg zwischen Japan und Russland um Einfluss in der Mandschurei und Korea wurde zum ersten Mal eine europäische Großmacht von einem asiatischen Land besiegt. 5 Japan, inzwischen nach dem westlichen Vorbild modernisiert, ist zu einer Großmacht mit Expansionstendenzen geworden. 6 Vom Rausch des technologischen Fortschritts getragen, glaubt der Mensch, den Lauf der Dinge, ja sogar die Naturgewalten kontrollieren zu können. 7 Der Untergang des gefeierten und als unsinkbar geltenden größten Luxusdampfers der Welt sollte ihn eines Besseren belehren. 8 Es war ein Zeichen der Zeit, das zur Besinnung rief.

 

9 Ein weiteres Zeichen folgte in Form des Mordanschlags auf den Thronfolger Österreich-Ungarns in Sarajevo; die Zeit war unheilschwanger. 10 Doch einige Staatsoberhäupter, von Machtgier geblendet, wollten aus dem Attentat Kapital schlagen. 11 Was formell als eine den Serben zu erteilende Lektion deklariert wurde, uferte zu einem Krieg aus, der unterschiedlichste Völker in seinen Sog zog. 12 Er wurde in Europa, im Nahen Osten, in Afrika, Ostasien und auf den Weltmeeren ausgetragen. 13 Millionen getötete Soldaten, Zivilopfer, Kriegsinvaliden, unzählige Waisen und Witwen, verbrannte Erde – das waren die traurigen Folgen des verantwortungslosen menschlichen Handelns und des Missbrauchs von technischem Können.

 

14 Doch die einmal gerufenen Geister wurde man nicht so schnell wieder los; auch nach dem blutigen Kräftemessen zwischen den Großmächten im Weltkrieg setzten sie ihren Veitstanz in Russland fort. 15 Die Menschen dort teilten sich in revolutionäre Rote und konservative Weiße und brachten sich gegenseitig um. 16 Die „rote“ Ideologie war siegreich, die UdSSR wurde gegründet, doch der Totentanz hört nicht auf: Die Revolution frisst nun ihre eigenen Kinder. 17 Große Umbrüche, die mit viel Leid für einzelne Bevölkerungsgruppen verbunden waren, gab es auch im Osmanischen Reich, das schon seit längerer Zeit auf tönernen Füßen stand, fremdbestimmt war und im Weltkrieg schließlich auseinanderbrach. 18 Nach dem Befreiungskrieg proklamierte der türkische Offizier Mustafa Kemal Pascha die Republik Türkei als Nachfolgestaat des Osmanischen Reiches.

 

19 Um den Schrecken künftiger Kriege vorzubeugen, wurde ein sogenannter Völkerbund gegründet; doch was ein rein menschliches Unterfangen ist und nicht auf Gott gründet, kann keinen dauerhaften Frieden gewährleisten. 20 Die Jahre nach dem Weltkrieg waren durch Arbeitslosigkeit, Verbrauchsgüterknappheit, Hunger, Krankheiten und Elend gekennzeichnet. 21 Der Zustand verschlimmerte sich, als nach dem Zusammenbruch der New Yorker Börse auch die USA in eine schlimme Banken- und Wirtschaftskrise gerieten. 22 Die parlamentarischen Regierungen Europas waren zu schwach, um der verworrenen Lage Herr zu werden; der Ruf nach „einer starken Hand“ wurde laut. 23 Eine solche riss zuerst in Italien das Staatsruder an sich: Mussolini wurde zum Diktator. 24 In der allgemeinen Orientierungslosigkeit der Weimarer Republik profilierten sich auch unter den Deutschen Kampfverbände, die Willensstärke und Entschlusskraft propagierten, auf nationales Gefühl und Kameradschaft pochten, Zucht und Ordnung durchsetzen wollten. 25 Sie präsentierten der Bevölkerung „den Schuldigen“ am ganzen Elend: die Juden. 26 Ihnen, aber auch anderen gesellschaftlich „Minderwertigen“ sowie allen nicht Gleichgesinnten sagten sie den Kampf an. 27 Mit der Zeit erwuchs aus diesen radikalen Gruppen eine politische Partei, mit geschickten Demagogen an der Spitze, die den Massen Arbeit, Wohlstand und nationales Ansehen in Aussicht stellten, bis sie schließlich die Wahlen für sich entscheiden konnten. 28 Durch zwei Verordnungen des Reichspräsidenten und ein Ermächtigungsgesetz wurden die Bürgerrechte abgeschafft und das Parlament handlungsunfähig gemacht.

 

29 Die ganze Macht befand sich in der Hand eines Führers. 30 Im Lande herrschten Propaganda und Terror. 31 Die sogenannte „Entjudung“ begann mit dem Boykott jüdischer Geschäfte, Arztpraxen und Anwaltskanzleien, um dann in brutale Gewaltmaßnahmen gegen alle Juden überzugehen. 32 Durch Aufrüstungsmaßnahmen wurde die Wirtschaft belebt, was die Stimmung im Lande anhob und dem Führer den Wind in die Segel blies. 33 Österreich wurde vom Deutschen Reich annektiert. 34 Das  Sudetenland  wurde  eingegliedert,  die  Rest-Tschechoslowakei  besetzt. 35 Polen wurde binnen weniger Wochen von den deutschen Panzern überrollt; andere europäische Staaten fielen danach wie Dominosteine. 36 Über die Schrecken des vorangegangenen Krieges war noch nicht Gras gewachsen, als die Welt sich schon wieder mitten in einem neuen Krieg befand. 37 Ein „Großgermanisches Reich“ bis zum Ural war das Ziel, welches der Führer sich gesteckt hatte. 38 Doch in diesem Krieg ging es nicht nur um Gebietserweiterung. 39 Rassenhygiene, minderwertige Ethnien, Vernichtung „unwerten“ Lebens waren die Schlagwörter der Zeit. 40 Die „Arier“ sollten herrschen, allen anderen wurde die Menschenwürde abgesprochen. 41 Regimetreue Wissenschaftler und Ärzte übertrugen die Evolutionstheorie Darwins auf die gesellschaftliche Ebene, um der aktuellen politischen Ideologie einen wissenschaftlichen Anstrich zu verleihen. 42 Eine große Vernichtungsmaschinerie wurde in Gang gesetzt. 43 Im Deutschen Reich und in den besetzten Gebieten wurden sogenannte Konzentrationslager errichtet. 44 Millionen Menschen, die von den neuzeitlichen Ideologen als Untermenschen betrachtet wurden, allen voran die Juden, wurden dort ermordet, durch Zwangsarbeit ausgebeutet, zu medizinischen Versuchen benutzt, ausgehungert.

 

45 Der „Welt“ war es in dreitausend Jahren nicht gelungen, die Juden von der Erdoberfläche zu tilgen. 46 Diesmal griff daher der Satan selbst ein. 47 Scharfsinniger als alle Doktoren und Professoren zusammen, packte er die Sache an der Wurzel. 48 Er ließ seine Spürhunde auf jüdische Stammbäume los. 49 So wurden viele umgebracht, die bis dahin nicht mal geahnt hatten, dass jüdisches Blut in ihren Adern floss. 50 Der Satan weiß nämlich nur zu gut, dass Gott die Juden bedingungslos liebt; mögen sie in fremden Kulturen auch völlig aufgegangen sein, so bleiben sie dennoch seine auserwählten Kinder. 51 Doch eigentlich hatte er, ohne es zu wollen, dabei Gott in die Hände gespielt: Durch seine misslungene Ausrottungsaktion zeigte er nämlich der ganzen Welt das Geheimnis des Verhältnisses Gottes zu dem jüdischen Volk. 52 So gesehen, ist diese große Tragödie eine Bestätigung für die Juden und zugleich eine Offenbarung für den Rest der Welt, dass Gottes Bund mit seinem auserwählten Volk ewigen Bestand hat und das jüdische Volk daher durch nichts und niemand vernichtet werden kann. 53 Dies sollten alle beherzigen, namentlich diejenigen, die sich selbst als „das neue auserwählte Volk Gottes“ betrachten, Christen wie Muslime.

 

54 Nach dem Krieg wurde den Besiegten für ihre Verbrechen der Prozess gemacht; die Verbrechen der Sieger wurden allerdings nicht prozessiert, sondern entweder vertuscht oder als Heldentaten präsentiert. 55 Die römisch-katholische Kirche, die vor der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten vor ihrer Ideologie warnte, ließ sich später doch auf ein Konkordat mit ihnen ein, in der Hoffnung, dadurch in Ruhe gelassen zu werden. 56 Trotzdem gab es einzelne Katholiken, auch Pfarrer und Bischöfe darunter, die Widerstand leisteten. 57 Einer von ihnen, der Jesu Lehre bis zum bitteren Ende treu blieb und sein Leben bewusst für seinen Nächsten hergab, war ein polnischer Franziskaner namens Maximilian Kolbe.

 

58 Die protestantische Kirche begrüßte zunächst die neue Politik. 59 In ihren Reihen entstand die Glaubensbewegung Deutsche Christen, die nach der Schaffung einer einheitlichen Reichskirche die Kirchenwahlen gewann. 60 Die Deutschen Christen verwarfen das Alte Testament als jüdisch und wollten den Arierparagraphen auch für protestantische Geistliche einführen. 61 Das stieß auf Ablehnung bei vielen Kirchenmitgliedern, die daraufhin die Bekennende Kirche ins Leben riefen. 62 Auch diese Kirche hat einzelne Christen vorzuweisen, die in der historischen Situation ihren Glauben mit aller Konsequenz gelebt haben. 63 Hier ist zum Beispiel der Theologe Dietrich Bonhoeffer zu nennen, nach dessen Überzeugung die christliche Kirche das Wort Gottes nicht nur durch Worte, sondern vor allem durch menschliches Vorbild verkündigen sollte. 64 Seine Entschlossenheit, von den Prinzipien des Evangeliums nicht abzurücken, musste er, wie so viele andere auch, mit dem Leben bezahlen. 65 Ein konsequentes Handeln aus dem Glauben lebte auch der indische Rechtsanwalt namens Gandhi vor. 66 Er rief seine Mitmenschen zum gewaltlosen Widerstand gegen die britische Kolonialherrschaft auf. 67 Betend und fastend, predigte er friedlichen Ungehorsam gegenüber den ungerechten Gesetzen sowie friedliche Annahme des daraus resultierenden Leidens. 68 Er erreichte schließlich sein Ziel, musste es aber mit dem Leben bezahlen. 69 Immer mehr Juden begreifen, dass ein eigenes Land als Heimat aller Juden die einzige Alternative für sie ist, zumal man ihnen auch nach dem Krieg, besonders in osteuropäischen Ländern, mit der gleichen ablehnenden Gesinnung begegnet. 70 Ein Ansturm auf das „Land der Väter“ hat eingesetzt, wobei wegen der Quotenpolitik der britischen Regierung konspirativ vorgegangen wird. 71 Unmittelbar nach dem Abzug der Briten wurde der Staat Israel proklamiert. 72 Noch in derselben Nacht wurde der junge Staat von mehreren Seiten angegriffen; eine Hasswelle brach los, die die Juden ins Meer treiben und Israel von der Landkarte tilgen will. 

 

 

 T e i l     S I E B E N                  KAPITEL  5

 

1 Wenn ich dich je vergesse, Jerusalem, dann soll mir die rechte Hand verdorren. 2 Die Zunge soll mir am Gaumen kleben, wenn ich an dich nicht mehr denke, wenn ich Jerusalem nicht zu meiner höchsten Freude erhebe.

3 Bevor wir Jerusalems gedenken, möchten wir hier jene Städte, Stämme, Völker und Länder erwähnen, deren Andenken man ebenso bewahren soll. 4 Es seien hier erwähnt: der Sudan, Kenia, Somalia, Gambia, die Goldküste, Nigeria, Sierra Leone, Mauritius, Malawi.  5 Nicht vergessen sollen wir Sambia, Sansibar, Tanganjika, Senegal, die Seychellen, Simbabwe, Südafrika, Namibia, Uganda. 6 In unserer Erinnerung sollen bleiben auch Honduras, die Bahamas, Barbados, Dominica, Grenada, Jamaika, Trinidad und Tobago, Guayana, Aden. 7 Gedenken soll man auch der Länder Bahrain, Brunei, Katar, Kuwait, der Malediven, Oman, Singapur, Malta, Zypern. 8 Es sollen nicht in Vergessenheit geraten die Fidschi-Inseln, Marokko, Tunesien, Algerien, Gabun, Dschibuti, Madagaskar. 9 Wir wollen uns auch an die Komoren, Kamerun, Togo, Vietnam, Kambodscha, Laos, die Neuen Hebriden erinnern. 10 Sie alle waren Opfer der nach Reichtum und Macht gierenden europäischen Staaten. 11 Allen voran gingen hier zwei hochgepriesene Demokratien: Großbritannien und Frankreich.

 

12 Die Völker der oben angeführten Länder haben sich teils friedlich teils mit Gewalt aus den Krallen der Kolonisatoren befreit. 13 Jahrzehnte- und jahrhundertelang wurden sie ausgebeutet, ausgeplündert, unterjocht und versklavt. 14 Großbritannien und Frankreich sowie alle anderen Kolonialmächte haben darin natürlich kein Verbrechen gesehen; ihrer Meinung nach haben sie ja durch das europäische „Zivilisationsmodell“den Fortschritt ins Land gebracht. 15 Perfider kann man eigene Verbrechen nicht schönreden. 16 Gerade jene Staaten, die in ihrer Geschichte die meisten Menschenopfer verschuldet haben, zählen penibel die Opfer anderer und entrüsten sich darüber. 17 Wer soll da nicht an den Balken im eigenen und den Splitter im fremden Auge denken. 18 Die unterjochten Völker werden noch Jahrzehnte nach ihrer Befreiung keinen Frieden finden, weil die Grenzen ihrer Länder von den kaltblütigen Imperialisten am Reißbrett gezogen worden sind. 19 Dadurch wurden Stämme und Völker sinnlos und unheilvoll untereinander vermischt, sodass Fehden und Kriege schon vorprogrammiert wurden. 20 Das ist von den ehemaligen Kolonisatoren wieder mal klug berechnet worden, denn nun können sie Waffen und anderes Kriegsmaterial in Kriegsgebiete verkaufen. 21 Wenn es zum Himmel schreiende Sünden gibt, dann ist dies eine davon. 22 Nun wollen die Täter den Opfern Demokratie beibringen. 23 Nach der Katastrophe des zweiten Weltkrieges mit all seinen bösen Folgen wandten sich Menschen verstärkt Gott zu; bei den europäischen Christen, insbesondere den Katholiken, ist eine intensivere Frömmigkeit zu spüren. 24 Vor allem die Österreicher erweisen sich dankbar gegenüber Gott, weil sie überzeugt sind, dass Österreich nur dank der Fürsprache der Mutter Jesu so glimpflich davongekommen ist. 25 Aber auch anderen Völkern erwies der Allmächtige seine übergroße Gnade. 26 Die Juden bekamen nach zweitausend Jahren ihr eigenes Land wieder, wenn auch nur einen Bruchteil vom verheißenen Land und um den Preis blutiger Verteidigungskämpfe. 27 Die Muslime werden von den Mächtigen der Welt endlich ernst genommen, weil die überwiegend muslimischen Länder mit dem größten Teil der Erdölvorräte von Gott beschenkt worden sind. 28 So bekamen Juden, Christen und Muslime durch Gottes Gnade die Chance für einen Neuanfang.

 

29 Die Welt ist in zwei Blöcke geteilt. 30 Auf den Ruinen des zweiten Weltkrieges hat sich der Kommunismus als Alternative zum Kapitalismus fast über die Hälfte der Menschheit ausgebreitet. 31 Leider haben die Kommunisten, deren Vorsätze eigentlich mit den biblischen Grundsätzen identisch sind, Gott verworfen. 32 Sie leugnen seine Existenz und unterdrücken die Gläubigen. 33 Sie beurteilen den Glauben nach den Auswüchsen der jeweiligen Religionsgemeinschaft statt nach den von Gott inspirierten heiligen Schriften. 34 Auf diese Weise haben sie ihre Chance verpasst, die Ideale von Gleichheit, Solidarität und Nächstenliebe mit Gottes Hilfe in die Tat umzusetzen. 35 Stattdessen verschanzen sich die kommunistischen Länder hinter dem Eisernen Vorhang, um den aggressiven, konsumorientierten westlichen Herrschaftsdrang abzuwehren. 36 Die eigene Bevölkerung wird ausspioniert und kontrolliert, und so wie einst die Kirchen mittels Inquisition unerwünschte Personen ausschalteten, so machen es jetzt die Kommunisten, nur noch intensiver und grausamer, wobei sie sich ausgeklügelter psychischer Tortur bedienen. 37 Die zwei Blöcke sind einander feindlich gesinnt und permanent am Rande des Krieges. 38 Statt direkt anzugreifen, lässt man in Drittländern wie Korea und Vietnam die Muskeln spielen.

 

39 Jugoslawien, Indien, Ägypten und Indonesien haben eine Bewegung der blockfreien Staaten gegründet. 40 Es sollte gezeigt werden, dass eine Welt friedlicher Koexistenz, ohne Kriege und ohne militärische Blöcke möglich sei. 41 Leider hat diese Bewegung nicht viel bewirkt, weil einige Führer eher am persönlichen Ehrgeiz als am Frieden interessiert waren. 42 Während die fünfziger Jahre in Aufbruchsstimmung, Aufbau der Städte und Verdrängung der grauenvollen Ereignisse des  zweiten  Weltkrieges  verliefen, änderte  sich  dies  in den sechziger Jahren. 43 Den Menschen ging es besser, sie waren materiell abgesichert, der Krieg wurde bewusst aus der Erinnerung verdrängt. 44 Es begann eine Zeit der Suche und der Infragestellung. 45 Da „die Welt“ auch in der Neuzeit allgegenwärtig ist, hat sie die  aufkommenden Ereignisse geschickt in ihre Richtung zu lenken verstanden. 46 Rockmusik, Feminismus, Studentenunruhen, Hippiebewegung, „mein Bauch gehört mir“, New Age, Drogen, „Kunst- und Kulturwerke“ unter LSD-Einwirkung, Gay-Bewegung, all dies sind Felder, in denen „die Welt“ ihre Fühler ausgestreckt hält. 47 Die christlichen Kirchen haben indes wie meistens geschlafen, oder kamen zu spät, und „wer zu spät kommt, den bestraft die Zeit“. 48 Fast ganze Generationen wachsen gott- und orientierungslos auf, ohne Moral, und siechen dahien. 49 Kaum waren die Folgen der französischen Revolution in der vierten Generation verklungen, schon wurde die Weichen für das Verderben der kommenden Generationen gelegt. 50 Diesmal sind die Kirchen durch ihr Schweigen und ihre Untätigkeit nicht zum Opfer, sondern zum Täter geworden.

 

51 Papst Johannes hatte zwar versucht, durch Einberufung des Konzils frische Luft in die Kirche wehen zu lassen, aber dann beschäftigte man sich so sehr mit sich selbst und mit klerikalen Reformen, dass man für die wahren Probleme der Menschheit, insbesondere der jungen Generation, taub und blind war. 52 Die nicht katholischen Christen, wie zum Beispiel Martin Luther King, wurden aktiv und fingen an, für die Freiheit und gegen die Erniedrigung der modernen „Parias“ zu kämpfen. 53 King wurde ermordet, doch sein Tod bewirkte mehr Gutes als das jahrhundertelange Theoretisieren und Lamentieren der Theologen und Philosophen. 54 Auch John F. Kennedy stand jemandem im Wege; es wurde verschleiert, ob sein Katholizismus oder seine Reformfreudigkeit der Stein des Anstoßes war, oder ob ganz simple politische Motive „der Welt“ im Spiel waren. 55 Im kommunistischen China entbrannte eine Kulturrevolution, die sich die Zerstörung von allem Althergebrachten und Bewährten zum Ziel machte und durch Mord und Totschlag gekennzeichnet war. 56 Dies kam der westlichen Welt wie gerufen. 57 Nun konnten sie mit dem Finger auf die Chinesen zeigen, um die Aufmerksamkeit von sich selbst abzulenken, denn schließlich taten sie seit den Pariser Studentenunruhen selbst das Gleiche! 58 In der muslimischen Welt war das bemerkenswerteste Ereignis die Ausrufung der Islamischen Republik  Iran. 59 Ajatollah Khomeini veränderte nach seiner Rückkehr nach Teheran das Gesicht des schiitischen Islams, und - was den Westen noch mehr aus dem Konzept brachte - das Gleichgewicht der Kräfte in Asien. 60 Nun wollen wir der Eingangsstrophe des Psalmisten gerecht werden. 61 Die Beherrscher der Welt gaben den Juden einen Bruchteil des Landes zurück, welches der Herrscher und Schöpfer der Welt ihnen zugedacht hatte. 62 Nun entrüsten sie sich scheinheilig und heuchlerisch über die Teilung Berlins und den Mauerbau, obwohl sie selbst mit Jerusalem das Gleiche taten, indem sie einen Teil den Juden und den anderen Teil dem Königreich Jordanien zuwiesen. 63 Die Ereignisse der Tage verliefen jedoch anders als die Mächtigen es sich vorgestellt hatten. 64 Im Sechs-Tage-Krieg eroberte Israel das jüdische Kernland und brachte die ganze Stadt Jerusalem unter jüdische Herrschaft. 65 Für die Juden waren die Tage wie eine Reprise der Zeiten König Davids. 66 Als sich dann unter Papst Johannes Paul das Verhältnis der römisch-katholischen Kirche zu den Juden und den Muslimen normalisierte, konnten die Juden, zumindest in katholischen Gegenden, wieder aufatmen. 67 Dieser Papst hat unter anderem zwei wichtige Personen kanonisiert, Maximilian Kolbe und Edith Stein. 68 Maximilian Kolbe ist ein leuchtendes Beispiel für wahre Liebe und wahrhaftiges Leben, ein Mahnzeichen für die jetzige selbstsüchtige, „sich selbst verwirklichende“ Generation. 69 Als Mönch hat er sein Leben freiwillig und bewusst geopfert, um anstelle eines Familienvaters den Hungertod im KZ zu erleiden. 70 Auch Edith Stein, eine katholische Nonne, die nie aufgehört hatte Jüdin zu sein, kam im KZ ums Leben. 71 Sie kann als eine Art Brücke zwischen Juden und Christen angesehen werden, weil sie in ihrer Person beide Arten der Anbetung des einen Gottes vereinte. 72 Um das Unüberbrückbare zu überbrücken, starb sie, und hinterließ Liebe und Licht, wo Hass und Mord regierten.

 

 

T e i l     S I E B E N                  KAPITEL  6

 

1 Er gewährte seinem Volk Erlösung und bestimmte seinen Bund für ewige Zeiten. 2 Die Furcht des Herrn ist der Anfang der Weisheit, alle, die danach leben, sind klug. 3 Betrachtet man die gegenwärtige Welt, so wird der Blick des Betrachters zunächst von ihrer Schokoladenseite gefesselt. 4 Dem Menschen geht es so gut wie nie zuvor. 5 Es gibt ein Überangebot an allem, seien es nun Lebensmittel oder andere materielle oder geistige Güter. 6 Die Menschen leben länger als früher, die Kindersterblichkeit ist so gering wie nie. 7 Das Wissen ist schon lange nicht mehr nur einer Elite vorbehalten, dank Internet sind alle Informationen sofort abrufbar. 8 Es gibt ein breites Bildungsangebot für jedes Lebensalter, man ist aufgeklärt und selbstbewusst. 9 Physische Arbeiten werden von Maschinen erledigt, die Arbeitszeit ist flexibel, die Urlaubstage werden immer mehr. 10 Senioren können dank gesetzlicher Renten-, Gesundheits-, und Pflegeversicherung einen sorglosen Lebensabend genießen. 11 Sklaverei und jegliche Art von Unterdrückung sind gesetzlich verboten, Minderheiten genießen die gleichen Rechte wie die Mehrheit der Bevölkerung. 12 Neben den Regierungen kämpfen verschiedene Organisationen gegen die gesellschaftlichen Auswüchse wie Menschen-, und Drogenhandel, Kinderarbeit, Pädophilie usw. 13 Die Großmächte verhandeln über den Abbau von Chemiewaffen und die Minderung von umweltbelastenden und gesundheitsschädigenden Chemiesubstanzen in Landwirtschaft, Industrie und Medizin. 14 Man will die Erde gesund erhalten und macht sich Gedanken über Atomkraftwerke und Atomwaffen. 15 Es werden zunehmend alternative Energiequellen genutzt. 16 Tierhaltungsverordnungen sorgen für tiergerechte Haltung von Schlachttieren. 17 Tierschutzorganisationen kümmern sich um die vom Aussterben bedrohten Tierarten. 18 Man ist bemüht, durch verschiedene Schutzverordnungen die Pflanzenvielfalt zu erhalten.  19 Es gibt eine Menge staatlicher und privater Hilfsorganisationen, die sich um die Armen in der Dritten Welt kümmern. 20 So gesehen ist die Welt zwar noch verbesserungswürdig, aber es läuft alles in die richtige Richtung; diese Sichtweise ist vor allem in den westlichen Regierungskreisen, Organisationen und verschiedenen mächtigen Lobbys anzutreffen.

 

21 Wenden wir uns nun der Kehrseite der Medaille zu. 22 Das Recht auf Leben von der Empfängnis bist zum natürlichen Tod ist nicht mehr gewährleistet. 23 Babys im Mutterleib dürfen mit gesetzlicher Erlaubnis getötet werden. 24 Die Befürworter der Abtreibung bilden mächtige Lobbys; ob sie sich bewusst sind, dass sie selbst ihr Leben nur dem Glück verdanken, dass ihre Mütter sie nicht abgetrieben haben, bleibt zu bezweifeln. 25 Die körperliche Unversehrtheit wird nur auf dem Papier garantiert, in Wahrheit werden an Menschen Medikamente getestet, Organe werden  auch ohne Zustimmung entnommen, Embryonalversuche durchgeführt. 26 In staatlichen Bildungsinstitutionen werden Kindern Werte vermittelt, die für ihre Eltern als unmoralisch, obszön, ja krankhaft gelten. 27 Eltern, die sich das nicht gefallen lassen, werden ihre elterlichen Rechte abgesprochen und die Kinder weggenommen. 28 Auch infame Lüge wird nicht mehr gesetzlich verfolgt. 29 Dies hat der üblen Nachrede und Verleumdung Tür und Tor geöffnet. 30 Die Medien machen in großem Maße davon Gebrauch, um alle unliebsamen Menschen zu verunglimpfen, mundtot zu machen, ihnen Ansehen, Würde und Handlungsfreiheit zu rauben. 31 Dies nennt man dann Presse- und Meinungsfreiheit. 32 Dabei deklarieren ihre Lobbyisten jede gegen sie selbst   gerichtete kritische Meinungsäußerung als Hassrede und lassen ihre Kritiker gesetzlich verfolgen.  33 Auf diese Weise ist das vom Kommunismus her berüchtigte Verbaldelikt in die „freiheitlich – demokratische“ Gesellschaft implementiert worden. 34 Schlimmer noch: Was im Mittelalter die Inquisition und im Nationalsozialismus Goebbels´ Propagandamaschinerie erledigten, tut jetzt der mediale Mainstream. 35 Lügen und Verleumdung in Medien und Politik kennen keine Grenzen. 36 Dabei sind die Christen unter ihnen um keinen Deut besser.

 

37 Die Menschen Osteuropas haben ihre Reisefreiheit mit Abhängigkeit von dem neuen  Wertesystem  bezahlen müssen, welches auf Lug und Trug aufgebaut ist. 38 Unter dem Deckmantel der Demokratisierung, Zoll- und Reisefreiheit wird Neokolonialismus durch die Hintertür eingeführt. 39 Wer sich widersetzt, wird bestraft. 40 In Afrika und Asien hat der „friedliebende“ Westen eine Reihe von Kriegen entfacht: in Ägypten, Libyen, Syrien, Irak, Afghanistan usw. 41 Der Gipfel der Ironie dabei ist, dass die Waffen, mit denen diese Kriege geführt werden, von jenen  verkauft  worden  sind, die  in der Öffentlichkeit  für den Frieden eintreten. 42 Und solche „Friedensstifter“ werden für ihre „Verdienste“ dann noch mit dem Friedensnobelpreis geehrt. 43 Christentum und Judentum sind jedes in seine Weltanschauungsnische gedrängt worden, um den Eindruck des Pluralismus zu wahren. 44 Der Islam, zumindest sein größter Teil, lässt sich jedoch auf kein Nischendasein ein. 45 Aus diesem Grund haben die „Weltstrategen“ dem Islam generell den Kampf angesagt. 46 Das Zauberwort der Islamophoben heißt „Fundamentalismus“, ein  Schreckgespenst  des medialen Mainstreams für das naive Publikum. 47 Flüchtlinge aus Asien und Afrika spalten die Politik und die Menschen im Westen. 48 Es scheint vergessen worden zu sein, dass sie eigentlich das Ergebnis der „friedliebenden“ westlichen Politik und ihrer Rolle im „Arabischen Frühling“ sind.

 

49 All diese Beobachtungen führen bei manchen Menschen zu der Überzeugung, dass die Welt von der „Welt“ regiert wird, die alle Gesetze, Vorschriften und Gebote des Herrn ins Gegenteil zu verkehren sucht. 50 Um zu retten, was noch zu retten ist, versuchen sie sich zu organisieren und ihre Stimme zu erheben. 51 Die meisten Menschen der Erde schweigen jedoch und harren der Dinge. 52 Ob sie Angst haben, ihre Meinung zu äußern, oder vielleicht gar keine Meinung dazu haben? 53 Möglicherweise haben sie resigniert! 54 Allen solchen möchten wir zurufen: Fürchtet euch nicht! 55 Gott ist der Herr der Welt seit Anbeginn und wird es auch immer bleiben. 56 Und Er wird mit den Kleinen die Großen besiegen, mit den Niedrigen die Mächtigen von ihren Thronen stürzen. 57 Es gibt in allen drei Religionen  noch  sehr  viele  demütige,  fromme  und Gott tief ergebene Menschen. 58 Mekka, Medina, Jerusalem, Safed, Guadeloupe, Taize, Medjugorje und viele andere Punkte auf der Erdkugel sind Orte der Hoffnung. 59 Menschen beten, opfern, legen ihr Leben und ihre Zukunft in die Hände des Schöpfers. 60 Gebetskreise, Gruppen und Zirkel schießen wie Pilze nach dem Regen; dort wird gebetet, gefastet, über die heiligen Schriften nachgedacht.

 

61 Gebet und Fasten sind die stärksten „Waffen“ in dieser Welt. 62 Mit ihnen verdient man keinen Nobelpreis, keine öffentliche Anerkennung, dafür aber einen Seelenfrieden und ein Leben, in dem man Gott begegnet und mit ihm unterwegs ist. 63 In der Folge beginnt man dann alle Menschen, auch die die anders denken oder  sich  zu  einem anderen Glauben bekennen, zu lieben und ihnen zu helfen. 64 Hunderttausende ehrenamtliche Flüchtlingshelfer verbreiten einen frischen Duft der Nächstenliebe und Solidarität. 65 Es freunden sich immer mehr gläubige Juden, Muslime und Christen an. 66 Viele Christen und Muslime sehen ein, dass das ganze Eretz Israel den Juden gehören sollte; nicht, weil die Juden es so möchten, sondern weil Gott es so bestimmt hat. 67 Immer mehr Juden begreifen auch, dass Israel seine Politik gegenüber den Muslimen ändern, sie in Übereinstimmung mit der Thora gestalten muss: Der Fremde, der sich bei euch aufhält, soll euch wie ein Einheimischer gelten, und du sollst ihn lieben wie dich selbst; denn ihr seid selbst Fremde in Ägypten gewesen. 68 Eine Menge Juden erkennen Jesus aus Nazareth zwar nicht als Messias an, wohl aber als einen sehr weisen jüdischen Rabbi. 69 Auch westliche Christen erkennen im Islam langsam eine wahre, vollkommene Hingabe an Gott. 70 All dies und noch vieles mehr sind Zeichen, die uns hinsichtlich der Zukunft vertrauensvoll und zuversichtlich stimmen sollten, denn im Verborgenen gestaltet Gott durch all seine anonymen Diener schon heute das „Morgen“ der Welt. 71 Auch dich ruft Er zur Mitarbeit an der Realisierung seines Plans auf. 72 Wenn Du willst, wird Er dir seinen Plan offenbaren, und Du wirst deinen wertvollen, unverwechselbaren Teil dazu beitragen können.

 

 

DER  RUF  GOTTES

 

I

1 Als der Herr den Garten Eden anlegte und die Menschen erschuf, gewann Er beides lieb: die Menschen und den Garten. 2 Durch ihren Ungehorsam erwiesen sich Adam und Eva des Gartens unwürdig und wurden weggeschickt. 3 Der Garten Eden besteht jedoch im Verborgenen weiter und der Herr hat ein besonderes Augenmerk auf drei Pflanzen. 4 Die erste davon ist die Lilie, die zweite die Rose, die dritte die Olive. 5 Da die Menschen durch ihr Streben nach Erkenntnis dieselbe verloren haben, blieb der Garten Eden ihren Augen verborgen, der Himmel ihren Herzen verschlossen. 6 Den Herrn reute das Unglück und die Verlorenheit der Menschen und Er entschied es mit ihnen erneut zu versuchen, sie aufzubauen und zu pflegen, genauso wie Er sich um die drei Pflanzen kümmerte.

 

7 Wie eine Lilie in der Wüste - anmutige Blüte unter Milliarden von Sandkörnern - so bezaubernd und lieblich ist Israel unter den Völkern. 8 Die Knolle, die Wurzel der Lilie, hat der Herr einmal im Land Kanaan eingepflanzt. 9 Die Blüten vergehen, die Stängel verschwinden, aber die Wurzel bleibt und treibt immer wieder neu aus, auch nach Jahrtausenden. 10 Durch ihre Schönheit verbreitet die Lilie die Erkenntnis über ihren Schöpfer, dem Herrn des Alls, dem Gebieter über Leben und Tod. 11 Ihr Liebreiz betört die Völker, verlockt sie zur Suche nach Gott, dem Vater Israels. 12 Spuren des Ursprungs, des verlorenen Gartens Eden, des Seins, des Sinns, Spuren in der Thora, im Mitmenschen, in der Natur, im eigenen Herzen. 13 Wie Tau senkt sich die Thora ins Gedächtnis der Völker, die Offenbarung Gottes an Israel als Botschaft auf alle Menschen. 14 Mit ihren Gesetzen und Rechtsvorschriften - mit blutigen Lettern auf die Herzen geschrieben - stehen die Israeliten wie die Präambel einer noch zu schreibenden Weltverfassung für eine bessere Welt, für die Rückkehr in den Garten Eden.

 

15 Nachdem die Kunde des Gottesvolkes die Völker erreichte und die Lilie ihre erste Aufgabe erfüllt hatte, kam die robustere und widerstandsfähigere Rose. 16 Wie ein persönlicher Gruß des Höchsten an jeden einzelnen Menschen ist die Blüte der Rose, wie eine Einladung zur Begegnung mit dem Herrn. 17 Mal weiß wie die Unschuld, mal rosa wie die Geborgenheit, mal rot wie die Liebe. 18 Mal Augenweide, mal duftende Quelle, mal stechender Dorn. 19 Die Rose - das ist Jesus aus Nazareth und seine Botschaft. 20 Seine Botschaft über die rechte Lebensweise ist für jeden, der sie beherzigt, der leichteste Weg ins Himmelreich. 21 Ein jeder, der Jesus akzeptiert und seine Ratschläge annimmt, wird der persönlichen Erfahrung des Herrn, des Einzugs in den Garten Eden würdig.

 

22 Und schließlich ist da noch die Olive. 23 Sie breitet ihre Äste über die Lilie und die Rose und bringt reiche Früchte, vorzügliches Öl, Salbung für die ganze Welt. 24 In der Olive werden, Gotteserkenntnis und die Gesetze Israels -der Lilie sowie die Anleitung zur rechten Lebensweise -der Rose, zusammengefasst in einer Unterweisung für alle Nationen. 25 Die Schönheit der Lilie und der Duft der Rose münden in der Fruchtbarkeit der Olive. 26 Unter den Ästen der Olive werden Lilie und Rose geborgen und geschützt. 27 So wurde es geplant, so wird es auch durchgeführt. 28 Aber durch die Unzulänglichkeit der Menschen wurde der Plan verlangsamt. 29 Lilie, Rose und Olive, stellvertretend vor dem Herrn für Israeliten, Christen und Muslime. 30 Drei Pflanzen aus einem Garten, drei Religionen des Einen Herrn. 31 Drei Schriften eines Glaubens: Thora, Evangelium, Koran.

 

32 Der Herr schaut anders als die Menschen, Er sieht die Dinge anders als die Menschen. 33 Die Menschen nehmen Katastrophen, Unglücke, Seuchen, fremdes Fehlverhalten wahr. 34 Das alles deuten sie als Strafe, als Vergeltung für die Missetaten der Anderen, die nicht auf ihre Weise glauben und leben. 35 Der Herr schaut vor allem auf das Herz und die Nieren, auf das Verborgene im Menschen. 36 Auf seine Einstellung dem Nächsten gegenüber, sein Wirken in der Gemeinschaft, seine inneren Sehnsüchte, Stärken und Schwächen, auf seine Freude. 37 Der Mensch schreibt das Schlechte, wie Katastrophen und Schicksalsschläge, dem Herrn zu, nicht aber das Wohlergehen, Glück und Freude. 38 Alles Schöne, Gute, Angenehme, das vom Herrn kommt, betrachtet er als selbstverständlich. 39 Andererseits vergisst er, dass all das Schwere, was der Herr schickt, ausschließlich seiner Umkehr, Erbauung und seinem Wachstum dient.

 

40 Es gibt zwei Verhaltensweisen der Menschen, die den Herrn traurig stimmen. 41 Aus diesen Gründen versteckt Er sich und zieht sich zurück. 42 Das tut Er, wenn die Menschen nur zu ihm kommen, weil ihre Vorschriften sie dazu zwingen, weil sie etwas brauchen, oder weil es ihnen schlecht geht. 43 Sie vergessen ihn aber, wenn es ihnen gut geht, wenn sie feiern, glücklich sind, singen, tanzen, das Leben genießen. 44 Dabei möchte Er so gerne mit ihnen zusammen sein in ihrem Glück und ihrer Freude. 45 Werden sie ihn im Paradies überhaupt beachten, umgeben von Glück und Seligkeit, oder werden nur die Unglückseligen aus der Hölle zu ihm rufen? 46 Verstecken tut sich der Herr  auch  wegen all  den  Wissenschaftlern,  Theologen  und  Philosophen. 47 Was würden sie erst aus dem Herrn und der Welt machen, würden sie seine Geheimnisse und die Geheimnisse der Entstehung der Welt kennen? 48 Darum steckt in jedem guten alten Kindermärchen mehr Wahrheit über den Herrn und die Welt, als in allen wissenschaftlichen Formeln und Theorien, philosophischen Richtungen und theologischen Abhandlungen. 49 Der Herr offenbart den Kleinen und Unmündigen all das, was Er den Gelehrten und Klugen verbirgt. 50 Im Kleinsein, in Demut, Einfachheit und Aufrichtigkeit des Herzens ist alles Wissen enthalten, das der Mensch braucht, um glücklich zu werden, jetzt und in Ewigkeit. 51 Durch unablässiges Forschen nach den Geheimnissen des Herrn, durch festliches Feiern ohne den Herrn, verhärten sich die Herzen, der Verstand wird hochmütig, der Mensch verblendet. 52 Es sind die schwerwiegendsten Fehler der Menschen seit der Vertreibung aus dem Garten Eden und zugleich die größten Hindernisse, um wieder dorthin zu gelangen.

 

53 Deshalb sind die Lilie, die Rose und die Olive Richtungsanzeiger, Wegweiser zum Garten Eden, zum Paradies. 54 Nun sind aber auch sie verwildert und müssen beschnitten, erneuert und in die ursprüngliche Richtung gebracht werden.  55 Aus diesem Grund dieses Buch. 56 Um auf Fehler hinzuweisen und neue Anweisungen zu geben.

 

57 Nun zuerst zu dir, Volk Israel, Haus Jakobs. 58 Trotz all deiner Sünden, Verfehlungen und Treulosigkeit hat der Herr und wird der Herr dich nicht verlassen, denn du bist sein persönliches Eigentum. 59 Obwohl du oft geglaubt hast, und auch heute noch glaubst, vom Herrn gemieden zu werden. 60 Zumindest meinten und meinen dies viele deiner Hirten und Führer. 61 Aus diesem Grunde haben sie deine Geschicke in die eigene Hand genommen und das niedergeschrieben, was nie hätte niedergeschrieben werden dürfen. 62 Da der Herr Vertrauen hatte und wollte, dass manche Sachen immer nur mündlich weitergegeben werden, die Lehrer Israels es aber „besser wussten“, so hat das Niedergeschriebene die Weisungskraft und Deutungsrichtigkeit verloren. 63 Und weil sie selbst schon spürten, dass dem so sei, versuchten sie es wieder in Ordnung zu bringen, indem sie immer neue Geschichten und Vorschriften dazuschrieben, und so eine Thora um die Thora geschaffen haben. 64 Das verwirrte die Menschen immer mehr, eine Teilung und Zersplitterung begann, die Einheit ging verloren. 65 Man hat versucht, das Schicksal des Volkes Gottes selbst in die Hand zu nehmen. 66 Die Führer wurden immer selbstständiger, erfinderischer und dreister, sie missachteten die Warnungen der Propheten, die Ratschläge der Frommen. 67 In ihrer Gelehrtheit haben sie sich schließlich eingebildet, das letzte Wort des Herrn zu kennen und zu besitzen. 68 Sie setzten sich auf den Platz des Herrn im Haus Jakob. 69 Dadurch legten sie den Grundstein für ihr Straucheln und für viele Leiden des Volkes Israel.

 

70 Christen, welche der Herr durch Jesus aus Nazareth aus dem Judentum hervorgehen ließ, hatten anfangs ihre Liebe und Treue auch um den Preis der Verfolgung und des Todes erwiesen. 71 Wie eine blutrote Rose waren sie, solange sie demütige Diener der Mitmenschen und des Herrn blieben, liebenswürdig, hilfsbereit, bescheiden. 72 Bis auch unter ihnen Hirten aufstanden, welche meinten, dass es nicht möglich sei, die Herde ohne feste Zügel zu führen. 73 Auch sie fingen an, sich abzugrenzen, Zäune zu errichten, zuerst gegen die nicht jesusgläubigen Juden, später auch gegen alle anderen, denen sie eigentlich durch ihr eigenes Leben und Beispiel die Frohe Botschaft hätten verkünden sollen. 74 Das Leiden und Zeugnisgeben der Christen berührten den Herrn und Er gab ihnen einen wohlgesonnenen Herrscher aus dem Heidentum. 75 Anstatt in großer Freude und Jubel weiterhin die Grundsätze Jesu von Nazareth zu leben, ergriffen ihre Führer sofort die Gelegenheit, sich an der Macht zu beteiligen. 76 Und wie vor ihnen schon die jüdischen Führer, so setzten sich nun auch die christlichen Führer an die Stelle des Herrn für die Gläubigen. 77 Zuerst verleugneten sie das jüdische Fundament des Christentums, dann entledigten sie sich auch der jüdischen Brüder. 78 Sie haben die Tatsache verdrängt, dass der Herr schon zu Mose und zu Pharao gesagt hat: Israel ist mein erstgeborener Sohn! 79 Es war dann nur noch ein Schritt, bis sie sich und das Christentum als das neue auserwählte Volk proklamierten und die Juden als verworfen abstempelten.

 

80 Die Verfechter der Macht und der Herrschaft unter den christlichen Gelehrten und Führern wurden immer stärker, während die große Mehrheit der einfachen Menschen an den ursprünglichen Werten des Dienens und der Liebe festhielt. 81 Um sich auch ihnen als Stellvertreter des Herrn aufzudrängen, ersannen die Schrift- und Machtgelehrten immer neue Glaubenssätze, theologische Spitzfindigkeiten, verordneten den Gläubigen immer neue Verhaltensweisen. 82 Wenn die Gläubigen es nicht freiwillig annahmen, wurden sie bestraft, verbannt oder aus den Gemeinden ausgeschlossen. 83 Auch den christlichen Hirten ist es gelungen, wie früher schon den jüdischen, das Licht des Glaubens zu verschleiern, die Anleitung zur richtigen Lebensweise zu verfälschen.

 

84 Als dann der Herr seine Verheißung an Hagar zu erfüllen begann und die Muslime als einen fruchtbaren Olivenbaum entstehen ließ, begann die nächste Phase seines Planes, damit einhergehend aber auch das Zittern jüdischer und christlicher Führer. 85 Die ganze Welt sollte den Herrn kennenlernen, alle Länder der Erde - ausgenommen das Land Israel -  sollten nach den Gesetzen des Koran leben. 86 Der Anfang war verheißungsvoll, da sich der Islam mit Hilfe des Herrn blitzartig verbreitete. 87 Aber auch dort musste man nicht lange auf Schwierigkeiten warten. 88 Nach dem Tod des Propheten zerstritten sich die führenden Persönlichkeiten und manche der Hirten wurden zu reißenden Wölfen. 89 Die Koraninterpretation wurde vernebelt, was Missdeutungen und Spaltungen zur Folge hatte. 90 Trotzdem half der Herr auch weiterhin bei der Verbreitung des Islam. 91 Als aber die Führer und Hirten des Islam begannen, an ihre eigenen Vorteile, an Macht, Eroberung von Territorien und Schätzen zu denken, Juden und Christen zu drangsalieren, blieb die Hilfe des Herrn aus. 92 Anstatt sich zu besinnen und zu den Fundamenten zurückzukehren, trieben sie ihr Unwesen in der ganzen Welt und machten den Koran zu einer Waffe anstatt zu heiliger Arznei, als welche er gegeben worden war. 93 Eine Waffe, mit deren Hilfe jene Kinder Allahs umgebracht wurden, die ihren Vorstellungen nicht entsprachen, seien es nun Juden, Christen, Heiden oder sogar Muslime.

 

94 Nun sind aber alle drei Pflanzen, Olive, Rose und Lilie, verwildert, sich selbst und dem Herrn entfremdet. 95 Und es ist höchste Zeit für Umkehr, Versöhnung, Veredelung! 96 Aus diesem Grunde entstand diese Unterweisung, dieses Buch. 97 Es ist nicht mehr und nicht weniger als eine letzte Chance für alle drei, den Eingang zum Garten Eden doch noch wiederzufinden.

                                                                 

II

98 Von allen drei Gemeinschaften haben sich die Israeliten im Laufe der Geschichte am wenigsten schuldig gemacht. 99 Sie haben die wenigsten Untaten begangen, jedoch am meisten gelitten. 100 Trotzdem haben sie wegen ihrer unbeschnittenen Herzen und Sturheit zwei für ihr Schicksal entscheidende Augenblicke verpasst. 101 Zum einen war es das Auftreten Jesu von Nazareth. 102 Er vollbrachte viele Zeichen und Wunder, er redete mit Vollmacht, zu seiner Zeit lebte Israel einigermaßen in Frieden, der Tempel stand in voller Pracht. 103 Die geistigen und weltlichen Führer der Juden fürchteten aus diesem Grunde, er könnte tatsächlich der Messias sein. 104 Denn vom Messias erwarteten sie den Sieg über alle ihre weltlichen Feinde, Jesus aber predigte den Sieg eines jeden Menschen über sich selbst. 105 Für die an Luxus, Ansehen und Respekt sowie an weltliche Politik gewohnten Führer war das ein Albtraum. 106 Das war Grund genug, um Jesus zum schlimmeren Feind zu erklären, als die römischen Herrscher es waren. 107 Nun geschah mit ihnen Ähnliches wie damals mit dem Pharao, als Mose vor ihm stand und ihm erklärte, dass die Israeliten gehen sollten, ihrem Herrn zu opfern. 108 Sein Herz verhärtete sich so sehr, dass es zum Tod der Erstgeborenen kommen musste, bevor die Israeliten aus der Sklaverei erlöst werden konnten. 109 Mose musste infolge des Ungehorsams und Unglaubens der Israeliten sterben, ohne deren Einzug in das verheißene Land mitzuerleben. 110 Auch Jesus musste sterben, ohne die innere Umkehr der Juden mitzuerleben. 111 Als dann aber viele Heiden durch Jesu Evangelium zum Glauben an den Herrn kamen, war es für die  jüdischen  Führer  ein  Grund  mehr,  Jesu  Lehre  zu  verwerfen und die Anhänger derselben zu verfluchen, zumal manche von ihnen Jesus für eine Erscheinung des Herrn hielten. 112 Es war der Anfang eines Jahrtausende langen Leidensweges für beide Seiten. 113 Nun eine Frage an die heutigen Führer der Juden. 114 Ihr kennt ja die Stelle in der Thora, wo der Herr zu Mose sagt: Hiermit mache ich dich für den Pharao zum Gott; dein Bruder Aaron soll dein Prophet sein. 115 Um wieviel leichter, positiver und glücklicher wäre der Weg der Israeliten ins verheißene Land gewesen, hätte der Pharao Mose wie Gott respektiert. 116 Wäre die ganze Weltgeschichte, insbesondere aber eure, bis auf den heutigen Tag nicht anders verlaufen? 117 Was stört euch also, wenn die Gojim heute den Juden Jesus aus Nazareth als Gottessohn respektieren und  durch  ihn  zur  Erkenntnis  der Thora und  zu eurem Herrn gelangen? 118 Anstatt sie zu verfluchen, solltet ihr selbst, jeder für sich persönlich, seine Lehre beherzigen, ohne dadurch Abstriche von euren Thorapflichten zu machen. 119 Die Juden, welche schon früher Christen geworden sind und deswegen von euren Ältesten mit dem Bann belegt wurden, müsst ihr wieder in die jüdische Glaubensgemeinschaft aufnehmen. 120 Ihr müsst als Volk weiterhin die Thora befolgen, aber als einzelne Personen in eurem Privatleben versuchen, nach Jesu Lehre zu leben, um die Tür zum Garten Eden zu öffnen.

 

121 Der zweite entscheidende Augenblick, in dem ihr das Richtige zu tun verpasst habt, war damals, als der Herr die an Hagar gegebene Verheißung für die Ismaeliten zu erfüllen begann. 122 Ihr habt dem Propheten, den Er unter euren Brüdern erwählt hat, nicht geglaubt. 123 Im Gegenteil, ihr habt ihn ausgelacht und verspottet. 124 Wegen seiner Einfachheit habt ihr ihn in eurer hochmütigen Gelehrtheit verkannt, doch gerade er war als Schutz gegen die wildgewordenen Christen für euch gedacht. 125 Es war ein Angebot des Herrn an euch, aber ihr habt es abgelehnt und wurdet wegen eurer Redegewandtheit und eures Wissens zur Gefahr, welche die zarte Pflanze des Islam zu vernichten drohte. 126 Aus diesem Grund hat der Herr selbst dem Propheten und seinen Anhängern geholfen und die Folgen davon habt ihr bald zu spüren bekommen. 127 Die Ismaeliten sind eure Blutsverwandten, die Muslime sind eure Glaubensbrüder. 128 Ihr sollt sie als solche respektieren und als zum gleichen Herrn gehörende betrachten und behandeln. 129 Euch wurde die Thora gegeben, damit ihr danach lebt und damit durch euch und eure Schriften die ganze Welt zur Erkenntnis des Herrn kommt. 130 Ihnen wurde der Koran gegeben, damit sie danach leben, aber auch damit in allen Ländern der Erde seine Rechtsprechung angewandt wird. 131 Im Sinne der Unterwerfung seid Ihr selbst Muslime, die ersten, auserwählt lange bevor Mohammed auftrat. 132 Ihr müsst Mohammed als Propheten anerkennen, obgleich er nicht zu euch gesandt wurde, nicht für euch Vorschriften und Richtlinien bekommen hat, sondern für eure ismaelitischen Brüder und den Rest der Welt. 133 Ihr habt sowohl Jesus als auch Mohammed aufgrund eurer Engstirnigkeit verkannt, denn schon Mose hat über euch geklagt: Aber einen Verstand, der wirklich erkennt, Augen, die wirklich sehen, und Ohren, die wirklich hören, hat der Herr euch bis zum heutigen Tag nicht gegeben. 134 Einzig und allein deswegen, weil ihr die Ersten seid, weil euch der Herr auserwählt und erzogen hat, habt ihr den einzigartigen, bevorzugten Status in der Welt, mit eigenem Land, eigenen Vorschriften, eigener Rechtsprechung.

 

135 Und nun ein Auftrag des Herrn an euch. 136 Aus der Tanach müsstet ihr schon längst erkannt haben, und wenn nicht, dann sagt es der Herr euch jetzt, dass die Zeit der Tieropfer von vornherein begrenzt war und längst abgelaufen ist. 137 Weil ihr das nicht ernst genommen habt, ist euch der Tempel bis heute verwehrt worden. 138 Nun sollt ihr es aber erkennen und den Tempel aufbauen in dem Sinne, wie es euch der Herr durch den Propheten vorhergesagt  hat:  Mein  Haus  wird  ein  Haus des Gebets für alle Völker genannt. 139 Bevor ihr das tut, sollt ihr eure Gesetzgebung ändern.

 

140 Erinnert euch an Abram, als er dem Priester des Höchsten Gottes den Zehntel von allem gab. 141 So sollt ihr eure Opfer entrichten: Alles, was euch an Tier-, Getreide- und sonstigen Opfern vorgeschrieben war, müsst ihr in Geld und Zeit umrechnen. 142 Zuallererst ist es wichtig, ein Zehntel der Zeit zu opfern. 143 Für alle Opferarten sollt ihr entsprechende Vermögenswerte berechnen, die es ermöglichen, in gleichem Umfang dem Herrn zu opfern, wie es eure Väter einst mit Tier- und Getreideopfer taten. 144 Geistige Vorsteher, Rabbiner und Vertreter der gläubigen Juden, und zwar aus allen Glaubensrichtungen und aus allen Ländern, sollen von den Gemeinden anteilmäßig in ein Gremium von 720 Mitgliedern ernannt werden. 145 Diese 720 Vertreter sollen an Schawuot in Jerusalem zusammentreffen, die Festtage vorschriftsmäßig begehen und anschließend unter sich 72 Personen durch das Los ermitteln, welche die Umsetzung der Gesetzgebung in entsprechende Geld- und Zeitopfer ausarbeiten sollen. 146 Über die Wahl, Anteilsmäßigkeit und Sendung der 720 Vertreter sowie den Auslosungsmodus der 72 Vertreter und alle anderen Details sollt ihr Juden innerhalb kürzester Zeit selbst bestimmen, denn ihr seid auch sonst in solchen Sachen ein ausgesprochen wendiges Volk. 147 Diese 72 Vertreter sollen auch alle damit verbundenen Vorschriften bezüglich ihrer aktuellen Machbarkeit überprüfen, immer vor Augen habend, den Menschen das Joch zu erleichtern ohne die Gebote ins Gegenteil zu verkehren. 148 Ganz speziell sind da die vielen rabbinischen Vorschriften gemeint, die zum Schutz der Thoragebote verfasst wurden. 149 Diese sollen den Menschen die erforderlichen Handlungen tatsächlich erleichtern, das Leben verschönern und die Menschen dadurch dem Herrn näherbringen. 150 Alles was dieses Gremium nach der Beratung beschließt und entscheidet, soll allen Israeliten als Teil der Thora gelten, da es im Auftrag des Herrn geschehen ist. 151 Von da an sollen die Israeliten keine Ausrede mehr haben, alle Gebote erfüllen zu müssen. 152 Nachdem alles Beschlossene niedergeschrieben worden ist, soll es dem Tanach hinzugefügt werden. 153 So wie einst die Israeliten in der Wüste gestorben und nur ihre Nachkommen ins verheißene Land gekommen sind, so sollen jetzt auch die alten Vorschriften durch jüngere ersetzt werden, um dem Neuen Tempel Sinn und Inhalt zu geben.

 

154 Daraufhin müsst ihr zum Bau des Tempels schreiten. 155 Und zwar auf dem  Platz  vor  der  Mauer,  den  ihr jetzt zum Klagen und Beten benutzt. 156 Der Tempel soll die Form und die Farben einer aufgeblühten, aufrechtstehenden Lilie haben. 157 So wird er Israel symbolisieren und es müssen keine heiligen  Stätten der Muslime oder Christen weichen oder zerstört werden. 158 Der Tempel soll aus besten Baumaterialien gebaut werden, die es zurzeit gibt, nach modernsten architektonischen, technischen und ästhetischen Erkenntnissen. 159 Alle an Projektierung, Planung und Bauausführung Beteiligten müssen praktizierende gläubige Juden sein. 160 Durch den „Stängel“ der Lilie  sollen  die  Aufstiegstreppe  und  die Fahrstühle zum „Kelch“ führen 161 Ebenerdig, um den „Stängel“ herum, sollen Nassräume und rituelle Waschräume gebaut werden, sowie Sicherheitsräume, Räume für das Reinigungspersonal und andere benötigten Hilfsräume. 162 In der Mitte des Kelches soll sich der Raum mit dem Allerheiligsten befinden. 163 Im Zentrum dieses Raumes soll ein Tisch mit der Bundeslade stehen. 164 In der Bundeslade sollen sich drei kleinere Laden aus Gold befinden. 165 In der mittleren Lade soll die handgeschriebene Thorarolle verschlossen sein, in den beiden anderen jeweils die handgeschriebenen vier Evangelien und der handgeschriebene Koran. 166 Die Thora in hebräischer, die Evangelien in griechischer und der Koran in arabischer Sprache. 167 Dieser Raum soll verschlossen bleiben; ringsum soll sich ein großer Gebetsraum befinden, der auch für die Ausübung liturgischer Riten einzelner Religionen geeignet sein soll. 168 Der Raum soll so unterteilt sein, dass Juden, Christen und Muslime voneinander getrennt und ungestört beten können. 169 Alle anderen Einzelheiten bezüglich des Tempels, Verzierungen, Vorschriften und Handhabung soll das Gremium der 72 bestimmen, welches auch die modifizierten Opferungsgesetze beschließt, sowie die Art und Weise seines eigenen Weiterbestehens bestimmt. 170 Der Tempel soll als zentrale religiöse Heimstätte der Juden gelten und ihr Eigentum sein, die Christen und Muslime sollen als Besucher und Gäste immer zugelassen sein. 171 Die Höhe des Tempels soll in etwa der Höhe der benachbarten „Kuppel über dem Felsen“ entsprechen, damit sich die prophetischen Worte erfüllen: Ich werde für Israel da sein wie der Tau, damit es aufblüht wie eine Lilie und Wurzeln schlägt wie der Libanon. Seine Zweige sollen sich ausbreiten, seine Pracht soll der Pracht des Ölbaums gleichen und sein Duft dem Duft des Libanon. 172 Wenn der Tempel vollendet sein wird, sollen die Juden wieder in vollem Umfang alle Gebote, Vorschriften und Gesetze der Thora erfüllen, wie sie die 72 Autoritäten im Namen des Herrn festlegen werden. 173 Von da an sollen gläubige Israeliten aus der Diaspora verpflichtet sein, sobald es ihnen finanziell und gesundheitlich möglich sein wird, einmal jährlich Jerusalem zu besuchen, um im Tempel alle oder einen Teil der vorgeschriebenen Opferungen zu erfüllen; die Juden aus Israel dagegen sollen dreimal jährlich nach Jerusalem pilgern.

 

                                                                      III

174 Nun zu euch, ihr Christen. 175 Ihr habt Jesus als euren Erlöser und Heiland erwählt. 176 Er war Jude und hat nach jüdischer Lebensweise und Tradition gelebt. 177 Durch ihn sollte die Erkenntnis des wahren Herrn und der richtigen Lebensweise zu jedem einzelnen Menschen auf Erden kommen. 178 Er hat weder eine Religion noch eine Nation gegründet. 179 Seine Gemeinde, seine Jüngergemeinschaft, war nur ein Samenkorn, aus dem die Erkenntnis des wahren Herrn, welchen bis dahin nur die Juden kannten, auf der ganzen Erde hervorsprieße. 180 Seine Jünger und deren Nachfolger sollten immer so leben, dass andere an ihrem Beispiel Gefallen finden und dadurch den Schöpfer der Welt kennen- und liebenlernen. 181 Sie sollten die frohe Botschaft über die Liebe des Herrn zu seinem jüdischen Volk und zu allen Menschen in die ganze Welt tragen. 182 Aber sobald Jesus die Jünger verlassen hatte, begannen sie, anstatt die frohe Kunde zu verbreiten, ihre Lehre zu definieren, sie abzugrenzen, sich dann untereinander abzugrenzen und schließlich alle anderen Juden auszugrenzen. 183 Das führte notgedrungen zum Streben nach irdischer Macht, nach Siegen, nach Zwangsevangelisierung. 184 Nachdem sie das erreicht hatten, ja, spätestens dann, verloren sie den Bezug zum Ursprung, zum Fundament, zu den Wurzeln. 185 Dies hatte verheerende Folgen für die Juden, für die Christen selbst und für die ganze Welt. 186 Sie gründeten „christliche“ Reiche, Staaten, Länder, es gab „christliche“ Kaiser, Könige, Präsidenten, lauter Herrscher und Machthaber. 187 Die Lehre Jesu von Nazareth, welchen sie Christus nannten, wurde verschüttet, vergessen oder ins Gegenteil verkehrt. 188 Bis auf den heutigen Tag haben sie nicht begriffen, dass man auf dem Fundament der Lehre Jesu und der christlichen Lebensweise keine Stadt, keine Provinz, kein Land, kein Reich errichten und regieren kann, denn das wäre ein Widerspruch in sich.

 

189 Schon seit Noah verlangt der Herr von Völkern und Menschengemeinschaften die Beobachtung von Vorschriften und Gesetzen, damit das Böse bestraft wird, sich nicht ausbreitet und so die Gemeinschaften funktionieren können. 190 Die Thora, die speziell für das jüdische Volk gegeben wurde ist das beste Beispiel dafür. 191 Jesus hingegen hat ganz andere Prinzipien gelehrt, ohne Bezug auf Hierarchie und Kampf um das Recht zu nehmen. 192 Er verkündete die Liebe des Herrn zu jedem Menschen und gab, ausgehend von der Thora, Anleitung, wie der Mensch als Einzelperson leben soll, um - nachdem er alle Staatsbürgerpflichten erfüllt hat - Glück und Heil zu erlangen. 193 Wer hat mich zum Richter bestellt, dass ich über euch Brüder, über euer Vermögen urteilen sollte? 194 Du sollst dein Auge ausstechen, deine Hand abhacken - sozusagen vorbeugend - um nicht zu sündigen. 195 Du sollst demjenigen, der dir den Mantel genommen hat, auch das Hemd überlassen. 196 Du sollst, wenn du groß sein willst, der kleinste sein und anderen dienen. 197 Wie sollte auf derartigen Prinzipien jemals ein Land funktionieren (außer der Garten Eden), es sei denn, mit lauter Blinden, Invaliden und als Alten- und Krankenhelfer   umherlaufenden   Ministern,  Präsidenten  und  Kaisern!? 198 Gebt dem Kaiser, was des Kaisers, ist und dem Herrn, was dem Herrn gehört, das meinte Jesus damit. 199 Du sollst dich an die Gesetze des Kaisers halten, so wie die Juden es in allen Ländern tun, und dem Herrn sollst du dienen  mit  dem  was  ihm  gehört:  mit  deiner  Seele und deinem Herzen. 200 Doch ihr habt daraus mächtige Imperien, reiche Kirchen, Gesetze, Prunk, Ausbeutung gemacht; hundert Kamele würden leichter durch ein Nadelloch hindurchgehen, ehe aus euren Reichen ein Garten Eden oder eine gerechte Welt entstehen könnte. 201 Mohammed habt ihr verspottet, die Muslime verachtet, bekämpft und als Teufelssöhne betrachtet. 202 Und ihr habt euch nie gefragt, warum sich dieses „Teufelsreich“ so schnell und großartig ausbreiten konnte, trotz eurer „Heiligkeit“, trotz „heiliger Imperien“ und trotz „heiliger apostolischer Majestäten“. 203 Am allerschlimmsten aber ist die Tatsache, dass ihr auch die Muslime durch euer Beispiel verführt, teilweise verdorben und zu Pracht, Macht, Reichtum, Plünderung und „Stellvertretung Gottes“ auf Erden verleitet habt. 204 Untereinander zerstritten und im Krieg, andere ausbeutend und erniedrigend, so lebt ihr schon seit Jahrhunderten.

 

205 Darum hier der Auftrag des Herrn an euch alle, die ihr euch Christen nennt. 206 Als erstes sollt ihr euch untereinander versöhnen, ohne Rücksicht und ohne Verhandlungen über eure jeweilige Lehre, Auslegung, Autoritäten oder Größe. 207 Zweitens sollen alle Mohammed offiziell als Propheten des Herren anerkennen und die Muslime als ebenbürtige Gläubige. 208 Betrachtet euch als Mitglieder der großen Glaubensfamilie der Israeliten und Muslime. 209 Den Koran sollt ihr in die Bibel nach dem letzten Buch des Neuen Testaments einfügen. 210 Den Talmud - sowohl die babylonische als auch die Jerusalemer Version - und die Sammlung der Hadithe als Anhang zur erweiterten Bibel hinzufügen und allen Gläubigen zugänglich machen. 211 Setzt euch mit ganzer moralischer Autorität und allen möglichen Gebeten dafür ein, dass die Juden das ganze Land Israel als ihren Staat bekommen, weil das der Wille des Herrn ist. 212 Bemüht euch um die Erlaubnis, in Jerusalem ein gemeinsames christliches Zentrum zu etablieren, sei es unter der Führung einer Person oder unter einer kollektiven Führung. 213 Ihr sollt die Juden als die höchste Autorität in der Auslegung des Alten Testaments anerkennen. 214 Ihr sollt alle Werte, Schätze, Sammlungen, die einzelne Konfessionen angehäuft und bisher nicht an die Armen und Bedürftigen verteilt haben, dem jüdischen Volk, bzw. Staat übereignen, als eine kleine Entschädigung dafür, dass sie von euch jahrhundertelang gemordet, geplündert und drangsaliert wurden. 215 Ihr sollt die zivile Rechtsprechung, die noch unter christlicher Federführung ist, an die Muslime abtreten und die Christen dazu verpflichten, sich in allen Angelegenheiten dem Islamischen Strafrecht unterzuordnen, außer in Sachen der Religionsausübung, weil da jede der drei Religionen ihr eigenes Strafrecht hat. 216 Jeder Christ, der nach Jesu Grundsätzen lebt, kann Jude oder Muslim werden, ohne aufzuhören Christ zu sein.

 

IV

217 Und nun zu den Muslimen. 218 Als der Herr in dem demütigen Mohammed einen Mann nach seinem Herzen fand, war das ein Neuanfang für die Menschheit. 219 Der Herr wollte durch den Koran mehrere Botschaften an die Menschheit weitergeben. 220 Er bestätigte die Thora und die Evangelien sowie die Richtigkeit des Glaubens an den Einen Wahren Herrn. 221 Er tadelte die Inhaber der Thora und der Evangelien wegen Ihrer Hartherzigkeit und wegen der Nichteinhaltung der Gebote des Herrn. 222 Er offenbarte Gesetzesvorschriften für alle Länder der Erde, ohne Bezug auf die Religion des Einzelnen. 223 Er gab denen, welche die Gnade bekamen, Muslime zu werden, einen Auftrag, den bis dahin niemand zu erfüllen vermochte: den Heiligen Krieg.  224 Er wurde  dem  Propheten  als Allah offenbart. 225 Gleichzeitig verschleierte Er durch den Koran sein Wesen und seine Eigenschaften noch mehr, und entzog sich somit vollends der Enträtselung durch Philosophen, Theologen  und Wissenschaftler jeglicher Provenienz. 226 Damit sich niemand seinen Geheimnissen nähern könnte, hat Er durch den Koran für eine Art Verwirrung gesorgt, die niemand entwirren kann. 227 Es sollten endlich alle Menschen aufhören, sich mit dem Wesen des Herrn, mit seinen Geheimnissen zu beschäftigen, und anstatt dessen anfangen, seine Gebote zu erfüllen, den Nächsten zu lieben, die Botschaft des Herrn weiterzutragen. 228 Der Prophet fing an, mit Allahs Hilfe, die ersten Gemeinschaften zu bilden, seine Botschaft zu verkünden, und stieß damit bei den Arabern, Juden und Christen auf Wiederstand und Feindschaft. 229 Seine Gemeinde war klein, fromm, dem Herrn ergeben, aber in Gefahr, vernichtet zu werden. 230 Doch der Herr lässt die seinen nicht im Stich! 231 Durch Allahs Hilfe errangen sie zahlreiche Siege, wuchsen an, wurden stark, brachten die Botschaft Gottes immer weiter in die Welt. 232 Aber auch diesmal, wie so oft, wurde dem Satan erlaubt, die Menschen zu prüfen, ob es ihnen wirklich um Hingabe an den Herrn, Verkündigung der Botschaft und Vergrößerung des Reiches Allahs geht, oder nur um Erkenntnis der Gottesgeheimnisse, eigene Autorität und Vergrößerung des eigenen Machtbereichs. 233 Und wie so oft in der Geschichte unterlagen auch die Muslime immer mehr den Versuchungen des Satans und der Welt.  234 Im Laufe der Jahrhunderte machten die Führer verschiedener Islamrichtungen durch ihr lasterhaftes Leben, innere Zänkereien und Kämpfe, mörderische Plünderungs- und Kriegszüge aus dem Islam ein Schreckgespenst für die Menschen, aus dem Koran ein Buch des Anstoßes und des Grauens. 235 Aus dem Heiligen Krieg, den sie führen sollten, um die ganze Welt für Allah zu gewinnen, ist ein unendliches Blutvergießen geworden, das an Gräueltaten alles bis dahin Geschehene übertrifft. 236 Anstatt den Heiligen Krieg gegen sich selbst zu führen, um die eigenen Schwächen auszumerzen und so zur totalen Hingabe an Allah zu gelangen, anstatt die Zustände im eigenen Regierungsbereich zu verbessern, um den Menschen ein gottgefälliges Leben zu ermöglichen und die Armut zu verhindern, gingen sie lieber erobern, plündern, morden, und dazu noch unter dem Vorwand, es wäre der Wille Allahs. 237 Auf diese Weise haben sie den Auftrag des Herrn noch gröber verfehlt als die Christen es vor ihnen taten. 238 Aus der Hingabe an den Herrn und einer Religion des Friedens ist eine Gewaltbewegung geworden. 239 Aber der Herr gibt nicht auf; Er weiß, dass die Muslime dank der Millionen einfacher, vorbildlicher, friedlicher und gottergebener Gläubigen die Kraft besitzen, sich von neuem aufzuraffen, aufzustehen und wieder ein Wegweiser für die Völker zu werden.

 

240 Deswegen hier der Auftrag Allahs für euch, Muslime! 241 Als Erstes sollt ihr aufhören, euch darum zu kümmern, ob die Juden und Christen richtig glauben und richtig leben. 242 Für deren Glauben und Leben ist einzig Allah zuständig, und nicht ihr. 243 Ihr sollt euch darum kümmern, dass innerhalb des Islam der Heilige Krieg geführt wird, und zwar ohne Schwert und Waffen, allein mit Liebe und Selbstverbesserung. 244 Ihr sollt die Auswüchse unter euch abschaffen, aufhören zu philosophieren und zu theologisieren, stattdessen sollt ihr anfangen inbrünstig zu beten und vor allem die Armenabgabe voll und richtig sowie von allem zu entrichten. 245 Versöhnt euch zuerst untereinander, dann mit den Juden und den Christen, und bringt den Islam und die islamische Rechtsprechung zu allen Völkern der Erde. 246 Eure Hirten aus allen Richtungen des Islam sollen sich zusammensetzen und Teile der Scharia für die Nichtmuslime aussuchen und zusammenstellen, damit sie allen Ländern der Erde als zivile Rechtsprechung dienen können. 247 Macht ihr es gewaltsam und nach eigenem Gutdünken, so werdet ihr keinen Erfolg haben, sondern der Vernichtung ausgeliefert werden. 248 Macht ihr es mit eigenem Beispiel und Überzeugung, sowie mit Fasten und Gebet, wird Allah mit euch sein und kein Land wird euch widerstehen können.

 

249 Die Juden müsst ihr als eure Brüder annehmen und lieben, ihnen zum Land der  Verheißung  verhelfen  und  dort  mit  ihnen in Eintracht leben. 250 Ohne die Juden - keine Thora, ohne die Thora - kein Koran, ohne den Koran - keinen Islam, begreift das! 251 Stört euch nicht an den Christen und ihrer Verehrung Jesu als Gottes Sohn. 252 Wenn es Allah so zugelassen hat, dann wird das auch einen bestimmten Zweck erfüllen. 253 Damit ihr das verstehen und tolerieren könnt, gibt es für euch deutliche Hinweise im Koran, unter anderem: O Jesus, Sohn der Maria, gedenke meiner Gnade gegen dich und deine Mutter, als Ich dich mit dem Heiligen Geist stärkte, auf dass du reden solltest zu den Menschen in der Wiege als ein Erwachsener. Und als Ich dich lehrte die Schrift und die Weisheit und die Thora und das Evangelium, und als du aus Ton mit meiner Erlaubnis die Gestalt eines Vogels erschufst und in sie hineinhauchtest und sie ein Vogel war mit meiner Erlaubnis… 254 Wofür hätten die Christen Jesus halten sollen, wenn er einem Wesen aus Ton das Leben einhauchte, wie es Allah bei der Erschaffung der Welt tat? 255 War es da nicht naheliegend, ihn für den Sohn Gottes zu halten, da es Allah sonst niemals in der Geschichte jemandem erlaubt hat, so etwas zu tun? 256 Und außerdem ist es nicht eure Aufgabe, jemand zu beurteilen, der vor euch die Schrift hatte, sondern wie ihr selbst lebt und handelt. 257 Aber um das tun zu können, musst du dein Leben als Muslim vollkommen in Einklang mit Gottes Willen bringen und andere muslimische Brüder ermahnen und ihnen helfen, das gleiche zu tun.  258 Wer als Muslim das Christentum angenommen hat, darf und muss weiterhin Muslim bleiben und alle Pflichten erfüllen. 259 Sein Glaube an Jesus ist seine Privatsache, die ihm Kraft, Hoffnung und Weisheit gibt, ein besserer Muslim zu werden. 260 Dies gilt genauso für den Juden, der Christ geworden ist.

 

V

261 Hört ihr Hirten der Juden, der Christen und der Muslime, so spricht der Herr! 262 Euer Glaube ist ein und derselbe Glaube auf dreierlei Weise; begreift  endlich, dass ihr mehr seid als Brüder, ihr seid meine lieben Kinder. 263 Ich will euch nicht mehr in Krieg und Streit sehen, sondern in Eintracht im Kampf um das Leben und das Gute in der Welt. 264 Keiner von euch soll seinen Glauben ändern, sondern seine Einstellung zu mir und zu anderen Glaubensbrüdern. 265 Habt ihr immer noch nicht begriffen, dass ich vor allem auf die Lebenswandlung des Einzelnen schaue? 266 Bist du eine Lilie, sei schön wie die Lilie, bist du eine Rose, dann dufte wie die Rose, bist du eine Olive, so bringe reichlich Früchte. 267 Um dies Gott wohlgefällig zu tun, habt ihr alle das gleiche Gebot erhalten: Liebe den Herrn über alles und deinen Nächsten wie dich selbst. 268 Auch der Weg dahin bleibt der gleiche: Gebet, Studium der Schriften, Fasten, Bekenntnis der eigenen Schwäche und Sündhaftigkeit, Hilfe für Bedürftige. 269 Tut ihr das, tut ihr das Richtige, alles andere ist eurer Freiheit, Auffassungsgabe und Vorliebe überlassen. 270 Tut ihr das nicht, so besteht ihr nicht.

 

VI

271 Solange die Hirten der drei Religionen nicht handeln und so erfüllen, was der Herr von Ihnen verlangt, hier ein Wort des Herrn für dich, du einfacher Mensch,  hingebungsvoller  Jude,  demütiger Christ, bescheidener Muslim. 272 Du brauchst nicht auf Versöhnung „von oben“ zu warten, sondern kannst sofort anfangen, deine und deiner Religionsführer Urteile und Vorurteile gegenüber den Geschwisterreligionen abzubauen. 273 Für alles gibt es ein einfaches Rezept des Herrn: die Liebe.

 

274 So spricht der Herr: Zu jeder Zeit hatte ich genügend Menschen, welche mich erwählt, definiert, und festgelegt haben, was meine Anliegen sind, und mir nach ihrem Wissen und Gewissen gedient haben. 275 Ich aber habe immer nach jenen Ausschau gehalten, die meinem Ruf folgen und mir so dienen würden, wie ich es von ihnen verlange, ohne nach den Gründen zu fragen, ohne nach meinen Eigenschaften zu forschen, ohne mit mir siegen und herrschen zu wollen. 276 Viele trachten danach, mich zu erkennen, in meinem Namen zu reden, meine Pläne zu erfahren, meine Eigenschaften und meine Handlungsweise zu ergründen, meine Stellvertreter oder Verwalter zu werden. 277 Aus diesem Grunde habe ich mich hinter den Geheimnissen der Schöpfung, der Rätselhaftigkeit der heiligen Schriften, den verworrenen Offenbarungen verborgen. 278 Ja, Ich selbst habe es gewollt, dass die Natur geheimnisvoll bleibt, dass die Schriften sich augenscheinlich widersprechen, dass es verschiedene Zugänge zu mir gibt. 279 Ich habe allen verboten, Gottesbilder herzustellen, weil bereits so viele Milliarden Gottesbilder existieren, wie es Menschen auf der Welt gibt. 280 Nun, auch diejenigen, die dem Verbot scheinbar Folge leisten, erschufen durch ihre Theologien und Philosophien eine Menge Gottesbilder und sind nicht viel besser als diejenigen, die vor „künstlerischen“ Darstellungen nicht zurückschrecken. 281 Seit Adam und Eva habe Ich mich jeglicher Erkenntnis entzogen und den Menschen die ganzheitliche Erkenntnis von Gut und Böse verschleiert. 282 Denn allein die Überzeugung, eine Erkenntnis zu besitzen, führt unweigerlich in die Versuchung „wie Gott“ sein zu wollen.

 

VII

283 Aus diesem Grunde suche ich immer einfache, kleine, unscheinbare Menschen, die bereit sind, mir nach meinen Regeln zu dienen, nicht mit mir zu siegen und zu herrschen, sondern zu lieben und zu arbeiten, gegebenenfalls auch zu verlieren und zu leiden. 284 Wenn du meinst, einer von solchen zu sein, dann rufe Ich dich zu mir, werde mein Freund, mein Helfer! 285 Aber um das werden zu können, musst du die folgenden Voraussetzungen erfüllen, um in mich eindringen und meinen Willen für dich begreifen zu können.

 

286 Als Erstes sollst du zu beten anfangen, beten mit dem Herzen. 287 Dies beinhaltet, sehnsüchtig nach mir zu suchen, um die Liebe zu bitten, die heiligen Schriften aller drei Religionen zu studieren, die religiösen Pflichten deiner Religionsgemeinschaft zu erfüllen und zusätzlich im Verborgenen mit mir zu verweilen, so dass deine Gebetszeit aus allen angeführten Beispielen insgesamt mindestens 2,5 Stunden täglich beträgt, also über ein Zehntel deiner Zeit.

 

288 Zweitens sollst du anfangen zu fasten. 289 Das bedeutet, du sollst alle Fasten- und Abstinenzzeiten deiner Religionsgemeinschaft einhalten und zusätzlich mindestens drei Tage im Monat fasten, am besten bei Wasser und Brot.

 

290 Drittens sollst du mit deinem Vermögen und deiner Zeit dem Nächsten dienen: den Armen, Kranken, Einsamen, Gefangenen, Verlassenen, Vertriebenen, Fremden, Behinderten, Verzweifelten. 291 Dafür sollst du ein Zehntel deiner Zeit oder deines laufenden Nettoeinkommens opfern, oder anteilmäßig von jedem etwas.

 

292 Viertens sollst du zusätzlich zu deinen üblichen religiösen Pflichten oder Gepflogenheiten jährlich eine Pilgerreise unternehmen. 293 Diese Reise soll mindestens einen Tag lang sein, höchstens aber 30 Tage; das Ziel kann ein Ort deiner Wahl sein. 294 Dies kann eine heilige Stätte sein, die Wüste, eine schöne einsame Gegend, oder - falls es an Zeit und Geld mangelt - der nächstgelegene Obstgarten oder Wald.

 

295 Ferner sollst du deine Sündhaftigkeit und Schwächen erforschen, einsehen, bekennen, bereuen und dich entsprechend demütig und bescheiden verhalten. 296 Du sollst es vor dir selbst, vor Gott und vor dem Nächsten bekennen, und zwar täglich, zusätzlich aber noch nach Art und Weise deiner Religionsgemeinschaft. 297 Du sollst deine Probleme, Schicksalsschläge und Trauer vor den Herrn bringen, vor allem aber sollst du deine Erfolge, Freuden und Feste vor und mit dem Herrn feiern.

 

298 Du sollst dein Leben ganz und ohne Vorbehalt vor deinem Herrn leben, ohne dich zu verstecken oder zu verbergen, auch dann nicht, wenn du sündigst. 299 Machst du das alles, so wirst du mein Mitarbeiter sein und schon in deinem irdischen Leben den Garten Eden erreichen und viel mehr Erkenntnis und Glück erfahren als alle Eiferer, Theologen und Gelehrten dieser Welt. 300 Amen

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

T e i l     S I E B E N                  KAPITEL  7

 

1 Alles, was atmet, lobe den Herrn! Halleluja!

2 Am Ende der Zeit wird der Allmächtige, der Schöpfer des Himmels und der Erde, das letzte Wort haben. 3 Doch bevor dies geschieht, siehe, hier ein Auftrag für dich! 4 Fahre Du nun zu schreiben fort und vollende das letzte Kapitel der Heiligen Schrift! 5 Schreibe die Ereignisse deiner Tage auf, stelle den Plan, den Gott für dich vorgesehen hat, heraus, schildere deinen Weg mit dem Herrn!

 

6 Ohne deinen Beitrag hat die Heilige Schrift für dich wenig Sinn, Du selbst bist nämlich ihre Vollendung. 7 Und an dem Tag, an dem Du einmal in den Ewigen Sabbat eingehen wirst, wird für dich das Ende der Welt angetreten sein, das Ende der Zeit; da wird der Herr das letzte Wort für dich sprechen!

8

 

 

 

                          

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Erklärung des Verantwortlichen

 

Um allen Anfragen und Gesprächen vorzubeugen, wird hier folgendes erklärt:                               

 

Dieses Buch ist im Auftrag des Herrn durch Menschen entstanden. Alle geschichtlichen Kapitel der Chronik sind Menschenwerk, einerseits durch Eingebung, andererseits durch menschliches (Un-)wissen geschrieben.

 

Der Text DER RUF GOTTES ist ein in menschliche Worte gekleideter Aufruf des Herrn. Mangels sprachlicher Ausdrucksmöglichkeiten ist er vielleicht ungeschickt, jedoch treu und wahrhaftig wiedergegeben.

 

Alle anderen Fragen erübrigen sich, weil nur der Herr weiß, warum, warum jetzt, warum so und nicht anders, wie es zu verstehen ist, usw.  

 

Für die Ausgabe Verantwortlicher:    D. Sever

 

September 2017